Nach jahrelangen Lohnverlusten fordern Landesbedienstete mehr Geld
von Daniel Behruzi, zuerst veröffentlicht in junge Welt, 11.8.07
Seit 2003 müssen die Arbeiter und Angestellten des Landes Berlin infolge des »Anwendungstarifvertrags« auf acht bis zwölf Prozent ihrer Einkommen verzichten. Zudem haben sie in den vergangenen drei Jahren keinen Cent mehr Geld bekommen. Dennoch ignoriert der SPD-Linke-Senat bislang alle Forderungen der Gewerkschaften, die bundesweit erfolgten Tariferhöhungen auf die Hauptstadtbediensteten zu übertragen. Deshalb verstärken die Beschäftigtenorganisationen jetzt den Druck. Bei einer Protestaktion am Freitag vor dem Roten Rathaus in Berlin kündigten Vertreter der Polizeigewerkschaft GdP Warnstreiks im Vorfeld der nächsten Senatssitzung am 21. August an.
Marita F. ist verzweifelt. »Ich komme mit dem Geld einfach nicht mehr hin«, so die 50jährige, die seit 1990 in einer Kfz-Zulassungsstelle arbeitet. 2003 wurden ihr 256 Euro vom Bruttolohn abgezogen, weil der Senat den Gewerkschaften den sogenannten Anwendungstarifvertrag abgepreßt hatte. Die Trennung von ihrem Mann im Jahr darauf war ein weiterer – auch finanzieller – Tiefschlag. 2006 mußte sie dann noch ihren Sohn, der nach der Lehre keinen Arbeitsplatz gefunden hatte, infolge einer Gesetzesänderung bei sich aufnehmen und einen Teil seines Lebensunterhalts finanzieren. »Mittlerweile bin ich völlig überschuldet und mußte Insolvenz anmelden – und das bei einer Vollzeitstelle im öffentlichen Dienst.« Das Schicksal der Angestellten ist kein Einzelfall. »Auch bei mir reicht es hinten und vorne nicht – da bekommt man ganz einfach Lebensangst«, so eine Kollegin aus dem Ermittlungsdienst der Berliner Polizei.
»So etwas ist doch beschämend, der Staat hat schließlich eine Fürsorgepflicht gegenüber seinen Beschäftigten«, kritisierte der Berliner DGB-Vorsitzende Dieter Scholz bei der Aktion vor dem Sitz der Landesregierung. Der Senat müsse endlich in Verhandlungen mit den Gewerkschaften über Einkommenserhöhungen eintreten. Konkret fordern ver.di, GdP, GEW und IG BAU drei Einmalzahlungen von jeweils 300 Euro – soviel, wie die »Arbeitgeber« in fast allen anderen Bundesländern ihren Bediensteten zugestanden haben. »Das sind sehr bescheidene Zahlen – soviel geben andere aus, wenn sie einmal Essen gehen«, erklärte Berlins GdP-Chef Eberhard Schönberg. »Die Beschäftigten der Stadt haben viel erduldet und die Rechnung für eine Haushaltslage bezahlt, die sie nicht verursacht haben – jetzt muß endlich wieder mehr Geld fließen«, argumentierte Scholz. Berlin dürfe nicht von der bundesweiten Einkommensentwicklung abgekoppelt werden. Außer dem SPD-Linke-Senat verweigere nur die hessische CDU-Regierung ihren Beschäftigten Gehaltserhöhungen. »Und es kann doch nicht angehen, ausgerechnet Hessens Ministerpräsident Roland Koch zum Maßstab für Berlin zu machen«, meinte Scholz. Wegen der infolge der Konjunkturerholung verbesserten Steuereinnahmen sei das Land durchaus in der Lage, den Gewerkschaftsforderungen nachzukommen. Der DGB-Vorsitzende verwies darauf, daß in der Privatwirtschaft zuletzt Einkommenssteigerungen von durchschnittlich 3,7 Prozent erzielt worden seien.
Auf ihrer Sitzung am 21. August werden sich die Senatoren erstmals mit der Frage beschäftigen. Bis dahin wollen die Gewerkschaften den Druck erhöhen. »Wir würden uns wünschen, daß man sich an einen Tisch setzt und auf vernünftige Weise zu einem Ergebnis kommt – aber das will der Senat offenbar nicht«, kritisierte Schönberg. Deshalb werde man zu gewerkschaftlichen Kampfmitteln greifen. Bereits im Vorfeld der Senatssitzung soll zu vorübergehenden Arbeitsniederlegungen aufgerufen werden. »Und notfalls machen wir eine Urabstimmung über einen Erzwingungsstreik im öffentlichen Dienst«, drohte der GdP-Chef.