Metalldetektoren am Schultor: Private Wachdienste sollen Neuköllner Schulen „schützen"

Der bundesweit erste Vorstoß für die Einstellung von Security an Schulen kommt ausgerechnet aus Berlin-Neukölln.


 

Seitdem der Fall der Neuköllner Rütli-Schule in den Medien für Aufsehen gesorgt hatte, scheint die Berichterstattung über gewalttätige SchülerInnen nicht abzubrechen. Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) heizt mit seinem Plan erneut die Debatte an.

von Anne Engelhardt, Berlin

Bisher wurden an Schulen, an denen sich gewalttätige Vorkommnisse unter SchülerInnen häuften, Ein-Euro-Kräfte – die eigentlich Drucker oder Kraftfahrer gelernt haben – als Aufsichtspersonal eingesetzt. Diese sollen im kommenden Schuljahr in Neukölln nun durch professionellen Wachdienst ersetzt werden. Damit ist aber nicht professionell im Sinne der pädagogischen Ausbildung gemeint, sondern die entsprechende Ausrüstung wie Schlagstöcke und Metalldetektoren.

Buschkowskys Pläne

Der Lehrer- und Pädagogenmangel wird sich im kommenden Schuljahr weiter verschärfen. Laut Tagesspiegel vom 5. Juni sollen Berlins Schulen „erstmals praktisch keine eigenen festen Vertretungslehrer mehr haben“. Mit Verweis auf weniger SchülerInnen spricht der Senat von SPD und LINKE zwar von 2,5 Prozent Vertretungsreserve, aber „erfahrungsgemäß fallen zehn Prozent aller Stunden zur Vertretung an“. Der Berliner Schulsenator Jürgen Zöllner (SPD) ist dagegen, Wachschutz anzufordern. Er plädiert für Kooperationsvereinbarungen mit der Polizei.

Buschkowsky will dagegen eine Millionensumme für private Wachdienste ausgeben. Zur Finanzierung sind – angesichts der Schulden des Bezirks – weitere Schließungen von Bibliotheken und der Verkauf von Immobilien im Gepräch.

Dass verschärfte Sicherheitsmaßnahmen nicht die Lösung sind, zeigt die Lage in den USA. Dort geht jeder zehnte Neuntklässler mindestens einmal im Jahr mit einer Waffe zur Schule. Amokläufe wie an der Virginia Highschool 2006 nehmen zu – obwohl private Sicherheitsdienste an Schulen schon nach den Schießereien 1999 in Littleton eingeführt wurden (Berliner Zeitung vom 28. Juni).

Ursachen der Gewalt

Nimmt Gewalt an Schulen zu? Der Bundesverband der Unfallkassen (BUK) gab am 7. Juni 2005 eine Statistik heraus, wonach die physische Gewalt an Deutschlands Schulen von 1995 bis 2005 nicht gestiegen, sondern sogar gesunken ist. Fakt ist, dass seit letztem Jahr, seit die Rütli-Schule Schlagzeilen machte, mehr Schulen als früher gewaltsame Vorfälle melden. Es gibt auf keinen Fall so einen rapiden Anstieg von Gewalt an Schulen, wie Medien und Politiker glauben machen wollen. Die Debatte wird hysterisch geführt. Armen Familien, Erwerbslosen und vor allem MigrantInnen soll der Stempel „asozial und gewalttätig“ verpasst werden, um von der sozialen Krise abzulenken.

Abgelenkt werden soll vom Kahlschlag in der Sozial- und Bildungspolitik. Es sei daran erinnert, dass der Hilferuf der Rütli-Schule in einem Schreiben an die Schulbehörde bestand, in der mehr LehrerInnen gefordert wurden.

Laut Statistik sind 70 Prozent der „gewaltbereiten Jugendlichen“ Hauptschüler. Ihre Zukunftsaussichten sind die gleichen, die auch den Alltag ihrer Familien prägen: Arbeitslosigkeit, Armut und ständige Existenzangst. Sie sind in erster Linie sozial-, nicht „bildungsschwach“.

Endstation Hauptschule

Die Statistiken über die Gewalt an Schulen drücken eines nachweislich aus: Das Konzept des dreigliedrigen Schulsystems ist gescheitert. Nicht zuletzt die PISA-Studie hat bewiesen, dass der Bildungsstand der Kinder in Deutschland extrem vom Geldbeutel der Eltern abhängt. Politische Entscheidungen wie die Abschaffung der Lehrmittelfreiheit durch den Berliner Senat sorgen dafür, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander klafft.

80 Prozent der Rütli-SchülerInnen sind Migrantenkinder. BILD schimpfte sie letztes Jahr „Terror-Kids“. An dieser und anderen Schulen ist aber nicht die mangelnde Integration, sondern die verschärfte soziale Krise explodiert. Sichtbar wurde die Brutalisierung, die der Kapitalismus zu verantworten hat. Der Filmemacher Detlef Buck meinte zu Recht: „Das Recht des Stärkeren wird den Jugendlichen in der Gesellschaft vorgelebt, so dass man schon die Frage stellen darf, wer eigentlich brutaler ist, die Jugendlichen in Neukölln oder so mancher Banker oder Manager, wo es oft gleichzeitig um Aktiengewinne in Millionenhöhe und um die Vernichtung von Tausenden von Arbeitsplätzen geht“ (Berliner Zeitung vom 3. April 2006).

Die Forderungen der SAV:

Nein zu Security an Schulen. Nein zu Polizeischikanen gegen Jugendliche

Verkleinerung der Klassen auf maximal 15 SchülerInnen, Neueinstellung von LehrerInnen

Kostenlose Bildung für alle

Nein zur Privatisierung von Bildungseinrichtungen

Einführung der Gemeinschaftsschule als Regelschule

Weg mit allen Sondergesetzen für MigrantInnen

Kostenlose Deutschkurse und die Möglichkeit muttersprachlichen Unterrichts

Statt Schließung von Jugendzentren mehr Geld für Aus- und Neubau

Statt Bafög für wenige: Einführung einer elternunabhängigen Grundsicherung für SchülerInnen und Studierende ab 16 Jahren von 500 Euro plus Warmmiete

Anne Engelhardt ist Bezirksverordnete in Berlin-Mitte für die BASG (Berliner Alternative für Solidarität und Gegenwehr)