Geht Frankreich nach rechts?

Keine stabile soziale Basis für Sarkozy

Bei der Stichwahl zu den Präsidentschaftswahlen am 6. Mai konnte Nicolas Sarkozy 53 Prozent der Stimmen erlangen. Fünf Wochen später gewann seine Partei, die konservative UMP, auch noch die Mehrheit der Sitze in der Nationalversammlung (323 von 577).


 

Allerdings gingen Wahlbeteiligung und Ergebnisse zwischen der ersten und zweiten Runde der Parlamentswahlen stark auseinander. Nachdem die UMP, all zu siegesgewiss, vor dem zweiten Wahlgang eine Mehrwertsteuererhöhung um fünf Prozent bei gleichzeitigen Steuersenkungen für Unternehmen ins Auge fasste, schwächte das ihren Rückhalt. Ein Indikator dafür, dass ihre gesellschaftliche Basis nicht stabil ist, und größere soziale Konflikte anstehen könnten.

von Marie Rosa, Aachen

Der Wahlerfolg für die UMP erscheint zunächst überraschend, wenn man sich daran erinnert, dass die selbe Partei in den letzten Jahren an der Spitze der Regierung stand und mit großem Widerstand konfrontiert war: nicht zuletzt die schallende Ohrfeige, die Jugendliche, Beschäftigte und Erwerbslose ihr und dem ganzen Establishment verpassten, als sie mehrheitlich gegen die EU-Verfassung gestimmt haben.

Als Millionen Jugendliche und ArbeiterInnen, teilweise erfolgreich, gegen die Aufweichung des Kündigungsschutzes streikten, genoss diese rechte Regierung unter Sarkozys Vorgänger Dominique de Villepin wenig Vertrauen: Nur ein Drittel unterstützte sie damals noch in Umfragen.

Wahlsieg Sarkozys

Hauptursache für den Wahlerfolg von Sarkozy war das Fehlen einer starken politischen Kraft, die ArbeiterInnen eine Alternative zu den bestehenden Problemen aufzeigen konnte. Die sozialdemokratische Partei Parti Socialiste (PS) und ihre Kandidatin Ségolene Royal sind extrem unpopulär. Grunde sind vor allem die Angriffe, die die Sozialdemokratie in den neunziger Jahren durchgeführt hat (die Regierung Lionel Jospin hat mehr Privatisierungen zu verantworten als ihre konservativen Vorgänger). Das diesjährige Wahlprogramm der PS war nur eine schlechte Kopie von dem der UMP. Ségolene Royal hat im Übrigen während dem Wahlkampf bei zentralen Fragen wie den geplanten Rentenkürzungen Sarkozy nicht widersprochen.

Der PS könnte in nächster Zeit sogar eine Spaltung beziehungsweise Abspaltungen drohen. Einzelne PS-Mitglieder (wie Bernard Kouchner, der neue Außenminister) holte sich Sarkozy in seine Regierung. Gleichzeitig wird laut über ein Zusammengehen mit den Grünen und anderen nachgedacht.

In Frankreich ist eine Arbeiterpartei dringend nötig. Eine Partei, die verschiedene Bereiche und Proteste zusammenbringen kann. Eine Partei, die nicht nur Kämpfe weiterbringt, sondern zudem eine politische Stärkung der Bewegung bedeutet – als Forum dafür, Alternativen zu Neoliberalismus und Kapitalismus zu diskutieren. Eine Partei, die auf der Wahlebene ein Angebot darstellt.

Bewusstsein entwickelt sich nicht geradlinig. Stimmungen schwanken. Ohne eine in der Arbeiterklasse stark verankerte Partei, die aus den Kämpfen Lehren ziehen und verallgemeinern kann, gilt das um so mehr. Vor diesem Hintergrund konnte Sarkozy auch bei Teilen der arbeitenden Bevölkerung mit seinem Nationalismus, protektionistischen Ideen und außenpolitischen Ambitionen vorübergehend Punkte sammeln. Manche klammerten sich auch an seine These, dass Arbeitgeber und ArbeitnehmerInnen gemeinsam die Wirtschaft ankurbeln könnten, wie an einen Strohhalm. Aber ein Strohhalm bietet nicht besonders festen Halt. Wahlen sind nur eine Momentaufnahme.

Zudem hätte er ohne die Stimmen der RentnerInnen (bei denen das Thema „Innere Sicherheit“ eine größere Rolle spielte) gar keine Mehrheit erreicht (61 Prozent der über 60 Jährigen, 68 Prozent der über 70 Jährigen votierten für Sarkozy).


„Frankreich soll sich nicht länger mit Reförmchen begnügen. Einschnitte in den sozialen Sicherungssystemen sind nicht Option, sondern Notwendigkeit.“

Premierminister Francois Fillon in seiner Regierungserklärung


Heißer Herbst?

Größere soziale Konflikte in absehbarer Zeit sind fast so sicher wie das Amen in der Kirche. In den Augen der Herrschenden hat der französische Kapitalismus im Vergleich zu Deutschland (Stichwort Agenda 2010) und anderen europäischen Ländern noch aufzuholen. Es gilt ihnen, ein schärferes Tempo beim Abbau von Errungenschaften der Arbeiterklasse einzuschlagen. Sarkozy will der Mann sein, der dafür zur Stelle ist.

Unter anderem sind Angriffe auf das Streikrecht geplant, aber auch die Streichung der Vermögenssteuer, ein verschärftes Ausländergesetz, eine Aufrüstung des Polizeiapparates, eine Eigenbeteiligung bei Medikamentenkosten und Privatisierungsmaßnahmen im Öffentlichen Dienst.

Ein neues Universitätsgesetz, das den Wettbewerb zwischen den Unis verschärfen soll, wurde schon durchs Parlament gepeitscht. Dagegen und angesichts der geplanten Erhöhung der Studiengebühren und der weiteren Einmischung von privaten Konzernen in die Bildung sind größere Proteste, vielleicht schon im Herbst, möglich. Nach Sarkozys Wahlerfolg kam es bereits in 100 Städten zu Demonstrationen gegen ihn. Eine Neuauflage von 1995 ist nicht ausgeschlossen. Damals musste die Regierung von Alain Juppe trotz einer satten Parlamentsmehrheit (450 Sitze) vor einem Streik im Öffentlichen Dienst einknicken.

Für den Aufbau einer Arbeiterpartei!

Die herrschende Klasse in Frankreich besitzt, was den abhängig Beschäftigten fehlt: eine eigene politische Interessenvertretung. Mehr noch, alle etablierten Parteien stehen dem Kapital zu Diensten. Solange das so bleibt, wird es schwer sein, erfolgreiche Kämpfe in Veränderungen auf der politischen Ebene umzumünzen. Deshalb ist der Aufbau einer kämpferischen Arbeiterpartei eine Notwendigkeit geworden.

Knapp 1,5 Millionen Menschen (vier Prozent) haben in Frankreich der Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) ihre Stimme gegeben. Lutte Ouvrière (LO) erreichte 1,3 Prozent (befindet sich aber seit Jahren bei Wahlen auf dem absteigenden Ast). Diese zwei Organisationen auf der Linken hätten die Möglichkeit, eine Kampagne für die Bildung einer starken und antikapitalistischen Partei zu beginnen, die große Resonanz findet. Es müsste sowohl in den Betrieben, als auch in den Gewerkschaften und in den Stadtteilen offensiv dafür geworben werden. Ziel müsste die Gründung einer Partei sein, die sowohl bei den Kämpfen als auch auf der politischen Ebene die Interessen der Jugendlichen, ArbeiterInnen und Erwerbslosen vertritt, demokratisch aufgebaut ist und eine sozialistische Alternative aufzeigt.

In den letzten zwölf Jahren wurden leider mehrere Möglichkeiten verpasst. Im Gegensatz zur LO spricht die LCR immerhin von der Notwendigkeit einer neuen linken Kraft. Leider hat sie aber in der Vergangenheit keine konkreten Initiativen unternommen und, abgesehen von allgemeiner Propaganda, keine Angebote zum Beispiel in Form von Veranstaltungen gemacht. Mit ihrem jüngsten PS-Wahlaufruf vor der zweiten Runde der Parlamentswahlen als das „kleinere Übel“ trugen sie zu einer Überbetonung der Wahlebene mit bei, statt die Frage von Gegenwehr und Alternativen herauszustellen.

Nun hat sie erneut zum Aufbau einer neuen antikapitalistischen Partei aufgerufen. Diskussionen sollen ab September beginnen. Angesichts fehlender konkreter Initiativen in der Vergangenheit ist offen, wie weit das diesmal gehen wird. Die Schwesterorganisation der SAV in Frankreich, Gauche Révolutionnaire (GR), begrüßt jeden ernsthaften Schritt und wird alles tun, dass sowohl der Kampf gegen Sarkozys Pläne aufgenommen wird, als auch intensiv über die Frage einer neuen Arbeiterpartei und einem sozialistischen Programm diskutiert wird.