Viel heiße Luft und schlecht kaschierte zwischenimperialistische Konflikte
„Der Berg kreißte und gebar eine Maus.“ So bewertete die italienische La Repubblica die Abschlusserklärung. Im Abschnitt zum Klimaschutz heißt es lediglich, dass die Halbierung der Kohlendioxid-Emissionen bis zum Jahr 2050 „ernsthaft in Betracht“ gezogen werden soll.
Mehr war nach zahlreichen Strandkorb-Gesprächen nicht heraus gekommen. Selbst die Financial Times Deutschland spottete: „G8 erwägen Rettung der Welt.“ Ob Erderwärmung oder andere brennende Fragen – die Zusammenkunft der acht mächtigsten Staats- und Regierungschefs offenbarte einmal mehr, dass die G8 nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems sind.
von Aron Amm, Berlin
Mehr als 100 Millionen Euro Kosten, 3.500 JournalistInnen, eine Serie von Vortreffen und Einzelgesprächen – alles ohne greifbare Ergebnisse. Nehmen wir nur die Felder Afrika, AIDS und Hedge-Fonds.
Viel Lärm um Nichts
Afrika: Vor zwei Jahren verkündeten die G8 im schottischen Gleneagles, den 18 ärmsten Ländern Schulden in Höhe von 40 Milliarden Dollar zu erlassen und die Etats für „Entwicklungshilfe“ aufzustocken. Das klang generös. Fakt ist aber, dass zum einen die neokolonialen Länder im Schnitt für jeden Kredit bereits das 13-fache zurückzahlen mussten, und zum anderen die Gelder für die unterentwickelten Staaten 2006 – im Jahr Eins nach den Zusagen – nicht erhöht, sondern weltweit um fünf Prozent gesenkt wurden (laut Ingeborg Schäuble von der Deutschen Welthungerhilfe). In Heiligendamm verschloss man davor einfach die Augen und wärmte die Beschlüsse von Gleneagles noch Mal auf.
AIDS: Angeblich haben die Großen Acht 60 Milliarden Dollar zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria zugesagt. Dabei wurden lediglich frühere Versprechen addiert und neu in Aussicht gestellt. Ein Zeitplan zur Zahlung der Mittel existiert nicht. Unterm Strich sind darunter nur drei Milliarden zusätzliche Gelder.
Hedge-Fonds: Angela Merkel und ihre Gäste haben keine Probleme damit, dass 25 Hedge-Fonds-Manager gemeinsam mehr in die Tasche stecken als ein Land wie Uruguay jährlich erwirtschaftet. Sie sorgen sich aber um die destabilisierenden Folgen der Spekulationsunternehmen für die Weltwirtschaft. Dennoch findet sich auch hier in der Abschlusserklärung nur Unverbindliches. Eine staatliche Aufsicht wurde vor allem von Großbritannien und den USA abgelehnt – den beiden Ländern, wo sich die meisten Hedge-Fonds tummeln.
Die wahren Ziele der G8
Der Umsatz der 500 größten Konzerne auf diesem Planeten entspricht 30 Prozent des globalen Sozialproduktes. Die meisten dieser Unternehmen haben ihren Sitz in den G8-Staaten. Mittels ihrer ökonomischen Macht gelingt es den Konzernspitzen sicherzustellen, dass die G8 in ihrem Interesse Politik machen. Dazu gehört, die Weltöffentlichkeit für dumm zu verkaufen. Dazu gehört auch, gemeinsame Anliegen – die, oft nur vorübergehend, trotz der Rivalitäten zwischen konkurrierenden Unternehmen und Staaten bestehen – zu stärken. Auf Kosten der arbeitenden und erwerbslosen Bevölkerung und auf Kosten der neokolonialen Länder.
Einen Monat bevor an der Ostseeküste die roten Teppiche ausgerollt wurden, fand in Berlin der G8-Wirtschaftsgipfel statt. Auf Einladung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) hatten sich dort die Unternehmerverbände der G8-Staaten getroffen, um den Staats- und Regierungschefs ihre Forderungen zu diktieren. Ihre Erklärung deckt sich auf verblüffende Weise mit den Fragen, die in Heiligendamm ebenfalls auf der Agenda standen: Durchsetzung der Doha-Runde der Welthandelsorganisation (WTO) – womit die völlige Bewegungsfreiheit für das Kapital gemeint ist; Schutz des geistigen Eigentums – worunter der Patentschutz für multinationale Konzerne verstanden wird; „Bekämpfung von Unterentwicklung in Afrika“ – was heißen soll, die Bedingungen für „privatwirtschaftliches Engagement“ der G8, vor allem in Konkurrenz mit China, zu verbessern.
Spannungen zwischen USA und Russland
Den G8-Politikern war daran gelegen, nach außen ein Bild der Geschlossenheit zu vermitteln. Damit taten sie sich allerdings denkbar schwer. Während vor laufenden Kameras Hände geschüttelt und Schultern geklopft wurden, gab es unter den Verhandlungs- und Speisetischen Schienbeintritte. Zwischen verschiedenen Gipfel-Teilnehmern schwelen Konflikte. Nicht zuletzt stand Heiligendamm aber im Zeichen des größten Disputs zwischen dem US-Imperialismus und seinem russischen Kontrahenten seit dem Ende des Kalten Krieges.
In den letzten Jahren errichtete Washington eine Vielzahl von Militärstützpunkten auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion und konnte gerade in Osteuropa, auf dem Baltikum (mit der NATO-Mitgliedschaft von Estland, Lettland und Litauen 2004) und in Zentralasien an Einfluss gewinnen. In Tschechien und Polen will George W. Bush ein neues Raketenabwehrsystem stationieren. Damit bezweckt er, den US-Einfluss in Osteuropa gegenüber Russland, aber auch gegenüber Deutschland, Frankreich und anderen westeuropäischen Staaten, weiter auszubauen. Wladimir Putin konterte diese Pläne vor dem Gipfel mit einem eigenen Raketentest und auf dem Gipfeltreffen mit dem Angebot, alternativ eine Radarstation in Aserbaidschan gemeinsam zu nutzen. Wenig überraschend wurde diese Offerte nach dem Gipfel vom Weißen Haus abgelehnt. Im Konflikt mit den USA sucht Russland zudem eine engere Zusammenarbeit mit China, Indien und anderen Ländern. Streit gab es beim G8-Gipfel auch um den zukünftigen Status des Kosova.
EU-Staaten in Zugzwang
Die herrschende Klasse Großbritanniens ist mehrheitlich der Ansicht, als Juniorpartner der USA am Besten zu fahren. Demgegenüber setzen wichtige Teile des Kapitals in anderen Staaten der Europäischen Union (EU) darauf, eine eigenständigere Rolle gegenüber den USA einzunehmen als in der Vergangenheit und geschäftliche Verbindungen zu Russland auszubauen. Im Vergleich zu Schröder und Chirac stehen Merkel und Sarkozy dem US-Präsidenten zwar näher, halten aber auch eine gewisse Selbstständigkeit für geboten.
Eine Woche nach Heiligendamm nahmen 6.000 europäische Industrielle und Politiker am St. Petersburger Forum teil. Darunter nicht nur Putin-Freunde wie Schröder. Während Putin auf dieser Konferenz öffentlich die WTO und den US-Einfluss in der Weltwirtschaft attackierte, wurden Handelsbeziehungen ausgebaut und neue Verträge abgeschlossen.
Mehrere westeuropäische Regierungen, darun-ter die Bundesregierung, plädierten beim G8-Gipfel für eine Aufwertung der Vereinten Nationen (UN). Zum Beispiel machten sie sich dafür stark, die Klimapolitik unter das Dach der UN zu stellen. Auf diese Weise erhoffen sie sich mehr Spielraum dafür, den eigenen imperialistischen Zielen Geltung zu verschaffen. Bislang wurde das von Bush jedoch erfolgreich abgeblockt.
Kapitalistischer Niedergang
Das G8-Spektakel konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Spannungen zwischen den führenden kapitalistischen Staaten, allen voran die Auseinandersetzungen zwischen USA und Russland, wachsen. Und das während eines globalen Konjunkturaufschwungs. Im Zuge eines wirtschaftlichen Einbruchs werden die Konflikte weiter zunehmen. Das wird sich in Handelskriegen und geballter militärischer Aggression ausdrücken. Die UN als Zusammenschluss konkurrierender kapitalistischer Staaten wird sich dabei als ebenso hilflos erweisen wie der Völkerbund vor hundert Jahren. Diejenigen, die den Krisen und Kriegen Einhalt gebieten können, sind nicht die G8, sondern die sechs Milliarden Lohnabhängigen, Erwerbslosen, Jugendlichen, die verarmten und unterdrückten Massen – deren Interessen beim Gipfel nicht ver- sondern zertreten wurden.
Aron Amm ist Mitglied der SAV-Bundesleitung