Zwei aktuelle Beispiele zeigen, wie verkommen große Teile des Spitzenpersonals der Gewerkschaften mittlerweile sind. Das eine ist die Art und Weise, wie ver.di-Verhandlungsführer Ado Wilhelm versucht, die Beschäftigten der Telekom nach dem dortigen katastrophalen Abschluß für dumm zu verkaufen. Das andere sind Äußerungen von Transnet-Chef und Privatisierungsbefürworter Norbert Hansen über die Lohnforderung der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL).
von Daniel Behruzi, zuerst erschienen in der jungen Welt, 25.6.07
Diese will Einkommenserhöhungen von bis zu 30 Prozent durchsetzen. Hansen dazu in der Berliner Zeitung vom Wochenende: »Das spaltet die Belegschaft, gefährdet die Unternehmensentwicklung und vernichtet damit Arbeitsplätze.«
Nun kann man durchaus der Meinung sein, daß der Versuch diverser, besonders selbstbewußter oder durchsetzungsfähiger Berufsgruppen, separate Tarifverträge durchzusetzen, zu einer Spaltung und damit Schwächung der Belegschaften insgesamt führt. Daß ein Gewerkschafter aber Lohnforderungen mit der Vernichtung von Arbeitsplätzen in Verbindung bringt, ist eine Steilvorlage für die Gegenseite –und wendet sich auch gegen die eigene Organisation. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) warnte denn auch mit derselben Logik im Spiegel davor, die Sieben-Prozent-Forderung von Transnet in der laufenden Tarifrunde könne bis zu 9000 Arbeitsplätze kosten. Übrigens hatte die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ihren Streikbruch gegen die im Marburger Bund organisierten Klinikärzte seinerzeit ganz ähnlich – und das auch noch schriftlich im Tarifvertrag Krankenhäuser – begründet. Statt die Argumentation der »Arbeitgeber« zu übernehmen, täten beide Gewerkschaften gut daran, selbstkritisch zu hinterfragen, warum sich (nicht nur) bestimmte Beschäftigtengruppen von den DGB-Organisationen nicht mehr vertreten fühlen.
Aber Selbstkritik ist ohnehin nicht gerade die Stärke unserer Gewerkschaftsführer. Das kennen wir schon von der Lobpreisung des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVÖD) und des Entgeltrahmen-Abkommens (ERA) als »Jahrhundertverträge«. Obwohl beide Deals für einen Großteil der Beschäftigten drastische Einschnitte zur Folge haben. Doch den Vogel schießt jetzt der ver.di-Funktionär Wilhelm ab, der sich über die »einseitige Darstellung« des Telekom-Ergebnisses in den Medien beschwert. Es werde »kein einziger Telekom-Mitarbeiter bis 2011 einen einzigen Euro weniger verdienen«, behauptete er am Wochenende gegenüber AP. Wilhelm muß die Telekom-Kollegen, die durchaus wissen, daß sich die Preise jedes Jahr erhöhen und auch eine zeitlich gestreckte Lohnkürzung eine Lohnkürzung bleibt – von der unbezahlten Arbeitszeitverlängerung, der Ausweitung des Anteils variabler Bezahlung und anderer Elemente einmal ganz abgesehen – tatsächlich für dumm halten.