Konzern versucht, Streikende mit Schreiben und Anrufen einzuschüchtern, um G-8-Vorbereitungen zu sichern. Ver.di sieht Treffen in Heiligendamm als »gigantisches Druckpotential«
von Daniel Behruzi, erschienen in der jungen Welt, 22.5.
Stell dir vor, der G-8-Gipfel läuft, und keiner kriegt was mit.« Der diesen Satz sagt, ist Servicetechniker bei der Deutschen Telekom. Der 51jährige und seine Kollegen sind dort zuständig für Freischaltung und Entstörung der Glasfasernetze. An diesem Montag stehen sie in einer langen Schlange auf dem Hof der ver.di-Bundesverwaltung am Berliner Spreeufer, um sich in die Streiklisten der Gewerkschaft einzutragen.
Für Aufregung unter den Streikenden sorgt ein Brief des Konzerns, den viele heute früh erhalten haben – per Einschreiben mit Rückschein. Darin werden sie aufgefordert, sich für Notdienste bereitzuhalten. Eine Verweigerung werde »arbeitsrechtlich geahndet«, heißt es in dem Schreiben. »Natürlich sind wir zum Notdienst bereit, wenn es um Krankenhäuser oder die Feuerwehr geht – aber für G8 gilt das ja wohl nicht«, sagt der grauhaarige Arbeiter kategorisch. Andere sind sich nicht so sicher. Sie stehen in einer Traube um ver.di-Landesfachbereichsleiter Mike Döding, der mit seiner neongelben Streikweste weithin erkennbar ist, und fragen ihn aus. Ja, es gibt eine Notdienstvereinbarung, die ver.di mit dem Unternehmen vereinbart hat. Nein, der G-8-Gipfel in Heiligendamm fällt selbstverständlich nicht darunter. Und überhaupt: Ob und wann jemand zum Notdiensteinsatz eingeteilt wird, entscheidet die Gewerkschaft.
»Die Rechtslage ist ganz eindeutig: Aus unserer Sicht ist das Vorgehen der Geschäftsleitung illegal«, erklärt Döding und verspricht den Zweiflern Rechtsschutz und Unterstützung, »sollte es der Arbeitgeber tatsächlich darauf anlegen«. Er sagt aber auch: »Den Druck und die Entscheidung, jeden Tag hierherzukommen, kann ich euch nicht abnehmen.« Zum Teil seien sogar Familienangehörige von Streikenden und Krankgeschriebene zu Hause angerufen und unter Druck gesetzt worden, berichtet er.
Warum die Telekom-Manager nach einer Woche Streik langsam nervös werden, ist klar: »Heiligendamm ist für die Telekom ein wichtiges Prestigeprojekt – uns bietet das ein gigantisches Druckpotential«, erklärt Döding mit einem verschmitzten Lächeln. Zudem könnten die Streikenden nicht so einfach ersetzt werden, da alle 1600 Beschäftigten der zuständigen TK-Niederlassung Nordost eine Sicherheitsüberprüfung hinter sich haben. Auch der Servicetechniker findet, der Gipfel sei eine »gute Gelegenheit« für ver.di. »Schade ist allerdings, daß die Kollegen von T-Systems nicht streiken dürfen, so können die Verbindungen noch über Richtfunk hergestellt werden«, erzählt er. »Trotzdem: Wenn die Leitungen nicht geschaltet sind, stört das gewaltig«, fügt eine danebenstehende Kollegin hinzu.
»Wir haben jahrelang zu allem Ja und Amen gesagt, aber irgendwann ist der Kanal voll«, schimpft eine streikende Angestellte. »Wenn die Telekom damit durchkommt, dann machen sie das in jeder Firma, dann ist überall Ausgliedern und Billiglohn angesagt«, meint die Frau, die seit 25 Jahren bei der Telekom angestellt ist. Ein »mulmiges Gefühl« hat hingegen ein 38jähriger, der im technischen Support arbeitet. Er sei sogar bereit, »vielleicht auf etwas Gehalt zu verzichten«. »Die Pläne des Telekom-Vorstands wären aber der soziale Abstieg«, so der Familienvater – einer von vielen, die sich wegen eines Eigenheims verschuldet haben.
»Von Obermann und Co. bekommen wir eine Ohrfeige nach der anderen«, empört sich eine 40jährige, die in der Sonne vor dem ver.di-Stand wartet, um ihr Streikgeld zu beantragen. Die Ausgliederung zu verhindern, hält sie zwar für unrealistisch, »aber wir wollen wenigstens einen ordentlichen Tarifvertrag und Sicherheiten«, sagt sie und ergänzt: »Sonst ist es bald wie in Amerika – da haben alle einen Zweitjob und müssen die ganze Zeit arbeiten, um überhaupt existieren zu können.«