Mit seinen Parolen gegen die USA und Israel versucht der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad Massenunterstützung in der islamischen Welt zu gewinnen. Die wachsende Wut und Trauer über die blutige Besatzung im Irak, Afghanistan und Palästina erleichtern dem Hardliner, sich als radikalen Gegner des Imperialismus darzustellen. Gleichzeitig gerät Ahmadinedschad innenpolitisch zunehmend unter Druck.
von Toufan Azadi
Im Zuge der iranischen Revolution 1979 kamen die Mullahs in diesem ölreichen Land (mit heute 70 Millionen Menschen) an die Macht. Das neue Regime stützte sich auf kleine Händler und die verarmte Landbevölkerung. Kapitalismus und Feudalherrschaft wurden nicht beseitigt.
1997 war Mohammed Chatami zum Präsidenten gewählt worden. Er gehörte der herrschenden Elite an, repräsentierte jedoch den Reform-Flügel. In acht Jahren Präsidentschaft unter Chatami verspielte dieser jedes Vertrauen der Arbeiterklasse. Von umfassenden demokratischen Rechten konnte auch unter Chatami keine Rede sein. Gleichzeitig kam es zu Sozialkürzungen und verstärktem Arbeitsdruck.
Sozialprogramme
Vor diesem Hintergrund konnte Ahmadinedschad im Wahlkampf um das Präsidentenamt 2005 mit radikalen Slogans gegen die Großmächte und Konzerne die verarmte Bevölkerung mobilisieren. Damit einher gingen viele soziale Reformversprechen. Diese Rhetorik brachte ihm auf der einen Seite vorübergehend Unterstützung, auf der anderen Seite weckte sie Erwartungen auf ein besseres Leben.
Die Ölgelder gaben Ahmadinedschad einen gewissen Spielraum. Allerdings kamen die Benzin-Subventionen vor allem den Vermögenden zu Gute. Denn begünstigt werden jene, die sich mehrere Autos leisten können. Bis auf einige Verschönerungen symbolischer Plätze in den Großstädten hat es keine Verbesserung gegeben. Nach wie vor ist die Arbeitslosigkeit mit offiziell elf Prozent hoch. Unter der Jugend, die zwei Drittel der Bevölkerung ausmacht, liegt sie in einigen Regionen bei über 40 Prozent. Gleichzeitig sind die Lebenshaltungskosten gestiegen. Zudem wird die Selbstbereicherung und die Korruption unter den Staatsangestellten immer offensichtlicher.
Die Hoffnungen in umfassende Sozialprogramme und in Ahmadinedschads Person sind wieder zurückgegangen. Das zeigte sich bei der Wahl zur „Expertenrunde“ im Dezember 2006, bei der sein favorisierter Kandidat den sechsten Platz einnahm, während die ersten fünf Plätze an von seinem Widersacher Akbar Haschemi-Rafsandschani favorisierte Kandidaten gingen.
Flügelkämpfe
Unter den Herrschenden sind einige mächtige Leute, die mit Ahmadinedschads Kurs nicht einverstanden sind. Rafsandschani, einer der Hauptkontrahenten, steht für eine stärker neoliberal ausgerichtete Wirtschaftspolitik und für eine Öffnung des iranischen Marktes. Sein Ziel ist es, den iranischen Kapitalismus durch eine größere Integration in den Weltmarkt zu stärken. Der Flügel um Ahmadinedschad meint, das iranische Kapital würde mit protektionistischen Maßnahmen besser fahren. Der so genannte Religionsführer Ali Chamenei, der ein ständiges Vetorecht hat, balanciert zwischen beiden Flügeln, jedoch drängt auch er mittlerweile auf weitere Privatisierungen. Somit ist die Position Ahmadinedschads innerhalb der Herrschenden geschwächt.
Anfang April erklärte ein hochrangiger Sittenwächter, dass die „islamische Kleiderordnung“ wieder einzuhalten sei. Bei Zuwiderhandlung würde es erst Strafgebühren geben. In den letzten Jahren war die Kleiderordnung gesetzlich zwar Pflicht, wurde aber vom Staat nicht mehr so intensiv verfolgt. Das Kopftuch wurde von vielen Frauen selbstbewusst nur sehr locker getragen. Die Ankündigung, dass die Kleiderordnung wieder durchgesetzt würde, ist eine Provokation.
Gleichzeitig gibt es seitens der Regierung Aufrufe an die Jugend, sich wieder mehr mit den „islamischen Werten“ zu identifizieren. Damit einher gehen Disziplinarverfahren an den Universitäten gegen kritische und politisch aktive Studierende.
Gegenwehr
Ahmadinedschad versucht, auf die soziale Krise mit Ablenkungsmanövern und Unterdrückung zu reagieren. Es ist aber fraglich, ob seine Rechnung aufgeht. In den letzten Jahren kam es zu einer enormen Zunahme von Arbeitskämpfen. Außerdem hat das Selbstbewusstsein der iranischen Mittelschicht zugenommen. So haben vor allem Frauen aus dieser Schicht begonnen, die reaktionären Moralvorstellungen der Islamisten in Frage zu stellen. Gegenwärtig findet eine Unterschriftenkampagne für mehr Frauenrechte statt. Eine Million Unterschriften sollen gesammelt werden. Erst wurden einige der Wortführerinnen festgenommen. Dann sahen sich die Behörden jedoch gezwungen, die Frauen aufgrund des öffentlichen Drucks wieder freizulassen.
Die iranische Jugend hat längst aufgehört, ihre Identität zu verstecken und ist zunehmend in öffentliche Räume vorgedrungen. Diese Identität spiegelt sich auch kulturell wider. Iranische Kinofilme der letzten Jahre beispielsweise haben im Land einen sehr hohen Stellenwert eingenommen. In diesen Filmen stellen junge Regisseure indirekt die Absurdität frauen- und jugendfeindlicher Moralvorstellungen des islamistischen Gottesstaates dar und ironisieren die Funktionsweise des patriarchalischen Familienwesens.
Arbeiterproteste
In der Arbeiterschaft mündet die Unzufriedenheit immer mehr in Proteste, Streiks und die ersten Ansätze von Selbstorganisation. Allein im Jahre 2006 hat es 1.200 Proteste von abhängig Beschäftigten gegeben. Da es ein striktes Organisations- und Versammlungsverbot gibt, sind die Streiks in der Regel spontan.
Auch in diesem Jahr gab es bereits mehrere bedeutende Streiks. Am 30. Januar besetzten 150 Arbeiter-Innen der Sadra-Werft das Werfttor gegen die Entlassung von 38 ihrer KollegInnen. Am 4. März streikten 12.000 Arbeiter von Karun, einer Agrargesellschaft, und forderten die Auszahlung ihrer Gehälter. Die Gesellschaft war vor einigen Jahren privatisiert worden. Am 14. März demonstrierten in Teheran Tausende von LehrerInnen für höhere Löhne. Der Staat antwortet mit äußerster Brutalität. Tausend DemonstrantInnen wurden verhaftet. Die meisten sind wieder freigelassen worden.
Die wichtigste Entwicklung ist der Kampf der Busfahrergewerkschaft Vahed, als unabhängige Gewerkschaft anerkannt zu werden. Seit Ende 2005 duldet der Staat mehr oder weniger ihre Existenz. Die Busfahrer von Teheran und ihre unabhängig aufgebaute Gewerkschaft haben sehr viel Sympathien. Der Staatsapparat versuchte während des Streiks 2006, dem größten Streik seit 1979, diese Gewerkschaft durch die Gefangennahme von Mansour Ossanlou, eines ihrer führenden Mitglieder, den Kopf zu nehmen. Doch damit wurde eine landesweite Kampagne für seine Freilassung provoziert.
Der Druck auf Ahmadinedschad und die Herrschenden insgesamt nimmt zu. Ein neues Selbstbewusstsein ist entstanden, das für die Islamisten zu einem unkontrollierbaren Faktor werden kann. Das gilt umso mehr, je schwächer die Unterstützung für den islamistischen Staat wird und die Flügelkämpfe innerhalb der herrschenden Klasse zunehmen. Der Konflikt mit den USA kann Ahmadinedschad natürlich vorübergehend auch wieder größeren Rückhalt geben.
Die Busfahrer von Teheran haben einen entscheidenden Schritt zur Selbstorganisation gemacht. In den kommenden Auseinandersetzungen werden weitere Teile der Arbeiterklasse und der Jugend diesem Beispiel folgen.