Pro & Contra: Soll die Berliner WASG ihre Eigenständigkeit behalten?

Anne Engelhardt, Bezirksverordnete der WASG in Berlin, und Theis Gleiss, Mitglied im Bundesvorstand der WASG, erörtern die Frage der Zukunft der WASG Berlin.


 

Im Bund sind die Weichen gestellt: Im Sommer fusionieren Linkspartei.PDS und WASG. In Berlin betreibt die L.PDS zusammen mit der SPD in der Regierung Sozialkürzungen. Der Landesparteitag der WASG Berlin im Feburar lehnte den Anschluss der WASG an die Berliner L.PDS ab und hat sich mehrheitlich „für eine Regionalorganisation ausgesprochen, die die politischen Ziele der WASG Berlin weiter verfolgen“ soll.

Soll die Berliner WASG ihre Eigenständigkeit behalten?

Pro

Anne Engelhardt, WASG-Bezirksverordnete in Berlin-Mitte und SAV-Bundesvorstand

Bis zu 50 Prozent Stimmenverlust für die L.PDS bei den letzten Abgeordnetenhauswahlen spiegeln die enorme Wut auf die unsoziale Senatspolitik wider. Die WASG erzielte dagegen auf Anhieb 52.000 Wählerstimmen. Durch ihren eigenständigen Antritt konnte sie dazu beitragen, dieser Wut und Enttäuschung einen linken Ausdruck zu geben – indem sie zum Beispiel die Beschäftigten beim Streik am Uniklinikum Charité unterstützte und gegen Wohnungsverkäufe aktiv war.

Die Betroffenen von Lohnkürzungen und Sozialabbau haben jegliches Vertrauen in den Berliner Landesverband der Linkspartei verloren. Im Gegensatz dazu erfährt die WASG eine sehr positive Resonanz bei Aktionen und Veranstaltungen.

Der Platz links von der L.PDS ist groß. Er muss hier und heute so weit wie möglich gefüllt werden. Nicht zuletzt, um Faschisten keinen Vorschub zu leisten. Die Berliner WASG wird im Juni den Schritt in die fusionierte Linke nicht mitgehen. Daher soll eine Regionalorganisation, die in politischer Kontinuität zur Berliner WASG steht, gegründet werden. Der Erfolg eines solchen Projekts hängt eng mit folgenden Aspekten zusammen: Die neue Organisation muss sich als außerparlamentarischer Bestandteil der sozialen und gewerkschaftlichen Bewegungen in dieser Stadt verstehen und dementsprechend aktiv sein. Sie sollte den Anspruch haben, zu den nächsten Abgeordnetenhauswahlen eine neue Kandidatur links von der L.PDS anstreben. Außerdem wird diese Organisation den gewählten Abgeordneten in den Bezirksverordnetenversammlungen die Möglichkeit bieten, in einem politischen Rahmen zu agieren. Zudem ist sie dafür verantwortlich, diese auch zu kontrollieren. Ein wichtiger Punkt ist außerdem die fortlaufende, lebendige Debatte der Mitglieder über Programm und politisches Selbstverständnis dieser Organisation. Dabei ist eine klare, antikapitalistische Perspektive nötig, um an der Stimmung unter Jugendlichen und Beschäftigten anzuknüpfen und Alternativen zu einer Politik aufzuzeigen, die die Profitlogik akzeptiert.

Eine eigenständige, linke Kraft in Berlin wird auch bundesweit ausstrahlen und kann als ein Strang eines antikapitalistischen, bundesweiten Netzwerks dienen. Ein Netzwerk, das innerhalb und außerhalb der fusionierten Partei aktiv sein und neue Bewegungen gegen Hartz IV, Privatisierung und Stellenabbau sowohl mittragen als auch anstoßen sollte.

Befürworter einer Fusion in Berlin behaupten, man könne über den Eintritt der gesamten Berliner WASG in die L.PDS die dortigen Strukturen so verändern, dass man von dort aus eine breitere Öffentlichkeit für linke Politik hätte. Doch rund 10.000 Mitglieder der L.PDS stehen etwa 800 WASGlern gegenüber. Diese würden keinen entscheidenden Einfluss auf die neue Partei ausüben. Und aktive, oppositionelle Bündnispartner in der Berliner L.PDS sind rar: So lehnte die große Mehrheit der L.PDS-Delegierten sogar einen Antrag ab, der dazu aufforderte, das Bieterverfahren und damit die Privatisierung der Sparkasse zu stoppen.

Contra

Thies Gleiss, Mitglied im Bundesvorstand der WASG

Der Berliner Landesverband der WASG muss heute zur Kenntnis nehmen – geschieht dies selbstkritisch, wäre es noch besser – dass der selbst diagnostizierte „Achtungserfolg“ bei den Senats- und Bezirkswahlen von 2006 nicht so recht politisch zu kapitalisieren ist. Der Versuch, mittels einer Konkurrenzkandidatur gegen die Regierungssozialisten der Linkspartei.PDS eine Kampagne „Dort sind die schlechten Linken, wir sind die guten Linken“ durch einen Wahlkampf zu gewinnen, musste scheitern. Nur eine kolossale Überschätzung des politischen Bewusstseins der WählerInnen konnte zu dieser Fehlannahme führen. So gibt es heute allseits Verlierer: Die Linkspartei.PDS halbierte ihr Stimmenergebnis und wird zum unbegrenzt belastbaren Büttel der SPD, die WASG Berlin gewann keineswegs die politische Initiative und der WASG-Bundesvorstand kann sich mit der Zerschlagung der Reste des Berliner Landesverbandes ein weiteres Mal blamieren. Nutznießer ist die wirkliche Gegenseite im gesellschaftlichen Klassenkampf.

Das jetzt verfolgte Projekt, mit einem autonomen Berliner Regionalverein aus den Teilen der WASG, die die Konkurrenzkandidatur unterstützten, den politischen Einfluss zu sichern, klingt bisher allerdings noch alles andere als überzeugend. Auch heute, und nach der faktischen Gründung der Partei Die Linke noch viel mehr, muss sich eine davon politisch abgrenzende Gruppierung in der täglichen Praxis dennoch auf diese neue Größe im politischen Koordinatensystem beziehen und eine konstruktive Einheitsfrontpolitik ihr gegenüber entwickeln. Die Alternative dazu ist der Rückzug auf reine Ideologiekritik an der vorherrschenden Linken. Aber das soll der Berliner WASG nicht unterstellt werden. Je zahlenmäßig kleiner und nur als Propagandatrupp agierender eine politische Gruppierung ist, desto mehr setzt eine solche Einheitsfrontpolitik politische Geschlossenheit voraus, die mit Sicherheit in der Berliner WASG nicht vorhanden ist, höchstens in Teilen von ihr, wie der SAV. Das Modell einer „pluralen Partei unterschiedlicher linker Strömungen“ ist als Kleinverein nicht umsetzbar. Wir sagen deshalb voraus, dass der sich heute schon abzeichnende Prozess der Selbstzerlegung entlang der Frage „Wie betreibe ich Einheitsfrontpolitik gegenüber der neuen Linken?“ im Rahmen eines solchen Regionalvereins nicht gestoppt, sondern beschleunigt wird.

Die Alternative, die auch schwer, aber politisch auf jeden Fall offensiver ist, könnte so aussehen: Ein Angebot an den Bundesverband der WASG, für eine Übergangszeit als anerkannte politische Strömung in die neue Partei einzutreten. Diese Strömung gleichzeitig mit einer Fülle praktischer Politikinitiativen in Berlin mit politischen Außenkräften zu verknüpfen. Drittens müsste diese Übergangszeit durch eine besondere „task force“ aus Vertretern der Bundesvorstände von WASG, Linkspartei.PDS (ab Juni vom Vorstand von Die Linke), des Berliner Vorstandes (ab Juni einer „Strömungsleitung“) und möglichst einiger bekannter „unabhängiger“ Persönlichkeiten begleitet und nötigenfalls auch im positiven Sinne „gesteuert“ werden.