Das von der IG Metall 2003 ausgehandelte Entgeltrahmen-Abkommen (ERA) sorgt weiter für Konflikte. Am Montag legten knapp 500 Beschäftigte im DaimlerChrysler-Werk Untertürkheim die Arbeit vorübergehend nieder, um gegen mit dem neuen Vergütungssystem einhergehende Lohnkürzungen zu protestieren.
von Daniel Behruzi, zuerst veröffentlicht in der jungen Welt, 21.3.07
Am Berliner Standort des Autobauers wird das Thema auf einer heute stattfindenden Betriebsversammlung in Marienfelde ebenfalls die zentrale Rolle spielen.
»Überall im Land versuchen die Arbeitgeber mit der Einführung der ERA-Tarifvertrags die Einkommen zu senken. Massenhaft zu niedrige Eingruppierungen sind dabei die Regel.« So heißt es in der Betriebszeitung der Oppositionsgruppe »alternative«, die den Ausstand im DaimlerChrysler-Werk Untertürkheim am Montag organisiert hatte. Tausende Reklamationen, mit denen Beschäftigte gegen ihre vom Unternehmen vorgenommene Zuteilung zu den Lohngruppen Widerspruch einlegen, seien weiterhin offen. Deshalb müsse »der Zorn in wirkungsvolle Aktionen« gegen die Einsparpläne verwandelt werden.
Zornig sind auch die Daimler-Arbeiter in Berlin-Marienfelde – und das nicht nur auf die Unternehmensleitung. Auch die örtliche Betriebsratsspitze steht in der Kritik, da sie der schriftlichen Aufforderung durch 974 Beschäftigte, eine außerordentliche Betriebsversammlung zu der Frage zu organisieren, nicht nachgekommen ist. Bereits am 1. Februar hatten linke Aktivisten die Petition – die von mehr als einem Viertel der Beschäftigten unterzeichnet und damit rechtlich bindend ist – an den Betriebsrat übergeben (jW berichtete). Doch dieser ignorierte das Votum einfach und ließ sich auch durch rechtsanwaltliche Aufforderung nicht dazu bewegen, eine entsprechende Versammlung einzuberufen.
»Statt juristische Schritte zu ergreifen, beschlossen wir, uns mit einem Schreiben an unsere Gewerkschaft, die IG Metall, zu wenden«, berichtete Mustafa Efe, Betriebsrat und Mitinitiator der Unterschriftenaktion, am Dienstag gegenüber jW. »Es muß im Interesse unserer Gewerkschaft sein, daß die ohnehin beschränkten demokratischen Rechte des Betriebsverfassungsgesetzes eingehalten und genutzt werden, um die Kollegen zu informieren und mit ihnen eine Grundsatzdiskussion über die Einführung von ERA zu führen«, heißt es in dem jW vorliegenden Brief. Die Entscheidung der Beschäftigtenvertretung habe dazu geführt, daß »die Konflikte mit dem Arbeitgeber um die ERA-Einführung in den Betriebsrat und in die Gewerkschaft selbst« verlagert worden seien. Die Berliner IG-Metall-Spitze zeigte dennoch keine Reaktion und antwortete den mehr als 30 Vertrauensleuten und Mitgliedern, die den Brief unterschrieben hatten, nicht einmal. »Mir ist völlig unverständlich, warum Betriebsrats- und IG-Metall-Führung die vorhandene Stimmung nicht genutzt haben, um bei ERA endlich in die Offensive zu kommen«, kritisierte Efe. »Wir brauchen eine starke Gewerkschaft und einen starken Betriebsrat – aber diese müssen die Interessen der Kollegen vertreten und das Potential für Widerstand nutzen«, sagte er.
Ob die heute in allen drei Schichten des Berliner Werks stattfindenden Betriebsversammlungen hierfür genutzt werden, ist allerdings offen. Die Beschäftigtenvertretung will jedenfalls über den Umgang der Geschäftsleitung mit den etwa 1000 eingereichten Reklamationen informieren. Konzernweit sollen gar 46000 Beschäftigte ihrer Eingruppierung widersprochen haben. »Der Lohnraub durch ERA trifft insbesondere Neueingestellte, Ältere und Einsatzeingeschränkte – diese Schlechterstellung und Spaltung der Belegschaften dürfen wir nicht zulassen«, betonte Efe.