Am Montag, dem 5. März, drangen Bulldozer und ein riesiger Bagger in ein historisches Gebäude in Kopenhagen, das Jugendhaus „Ungdomshuset“, ein und zerstörten es. Dieses Haus hatte eine mehr als 100-jährige politische Geschichte und beherbergte einst sozialistische Revolutionäre wie Wladimir Lenin und Rosa Luxemburg.
Die Abbruchmannschaften trugen Masken und auf dem von ihnen eingesetzten Werkzeug waren die Firmenbezeichnungen aus Angst vor Racheaktionen unkenntlich gemacht. Die Lastwagen, die den Schutt abtransportierten, wurden von bewaffneter Polizei eskortiert.
Bei einer Räumungsaktion am vergangenen Donnerstag (1. März) von hunderten junger Leute, die das Gebäude besetzt hatten, war ein Helikopter auf dem Dach des Ungdomshuset gelandet. Es kam zu erbittertem Widerstand. Nach drei Tagen und Nächten heftiger Kämpfe wurden 650 Menschen verhaftet. Zusätzliche Polizeifahrzeuge wurden aus Schweden und den Niederlanden angefordert und der Gefängnisdirektor sagte, dass die Zellen „prall gefüllt“ seien. Einige Viertel rund um den Ort, an dem die Polizeiaktionen in Kopenhagen stattfanden, sollen Berichten zufolge wie Kriegsgebiete ausgesehen haben.
Es kam zu Solidaritätsdemonstrationen in ganz Dänemark und anderen nordeuropäischen Ländern. Das „Ungeren“ hat einen besonderen Platz in den Herzen von Millionen Linken. Es wurde Ende des 19. Jahrhunderts als Zentrum für sozialistische und Gewerkschaftstreffen gebaut. Seit Jahrzehnten wurde es von Jugendlichen besetzt und organisiert, die es als soziales Zentrum nutzten.
Eine 25-jährige Frau äußerte sich gegenüber Reportern, dass die Zerstörung des Hauses die Konsequenz aus dem politischen Rechtsruck in Dänemark ist und der Aushöhlung des Sozialsystems. Sie spüre, dass die Proteste ebenso eine Demonstration gegen die Regierung von Premierminister Anders Fogh Rasmussen waren, wie auch der Versuch, das Jugendhaus zu verteidigen.
Statt der Zerstörung von Räumen, in denen junge Leute allen möglichen Arten kreativer und kultureller Beschäftigung nachgehen konnten, müssen Staats- und die Regionalregierung mehr Mittel zur Unterstützung Jugendlicher und Erwerbsloser bereitstellen.
Sarah Bruun beschreibt den Hintergrund der Protestdemonstrationen und gibt einen Augenzeugenbericht über die Geschehnisse in ihrer Heimatstadt Århus.
Die Redaktion von socialistworld.net
Die Kämpfe um das historische linke Zentrum in Kopenhagen
von Sarah Bruun, Århus
Das Gebäude im Jagtvej 69, das 1897 unter dem Namen „Volkshaus“ errichtet wurde, war ein Geschenk an die ArbeiterInnen. Es wurde von jenen als Versammlungsort genutzt, die es sich nicht leisten konnten, irgendwo sonst hinzugehen. Auch GegnerInnen des kapitalistischen Systems nutzten es. Das Haus diente für unzählige politische wie kulturelle Veranstaltungen. Es war hier, wo die Einführung des internationalen Frauentages beschlossen wurde. Sozialistische Revolutionäre wie Lenin (im Jahr 1910) und Rosa Luxemburg waren Gäste in dem Gebäude.
Eine Zeit lang stand das Haus leer und die Besitzer wechselten. Allerdings eröffnete es keiner wieder oder nutzte es für etwas Sinnvolles. 1982 entschied der Kopenhagener Stadtrat schließlich das Haus zu übernehmen und es an eine nicht weiter definierte Gruppe namens „NutzerInnen des Ungdomshuset“ zu übergeben. Seither wurde das Haus zum beliebten Treffpunkt für Jugend und Kultur. Zweifellos sorgte es auch für eine farbenreiche und frohe Stimmung im Kopenhagener Stadtteil Nørrebro.
1996 ging das Gebäude in Flammen auf und wurde ernsthaft beschädigt. Die Stadtverwaltung sah keinen Wert im Erhalt des Gebäudes und entschied die Schließung. Indessen reparierten die NutzerInnen das Haus kurz nach dem Brand und bauten es wieder auf. Die Behörden akzeptierten dies später und der Stadtrat entschied sich gegen die Schließung.
Die Auseinandersetzungen wurden dann ernst, als der Stadtrat 1999 plötzlich und ohne ersichtlichen Grund entschied, das Haus an eine extrem-religiöse, fundamentalistische, homophobe Sekte namens „Faderhuset“ zu verkaufen.
Der Kampf um das Haus
Weil sie die Schließung befürchteten, trugen Zehntausende überall im Land ihren Protest auf die Straße. In den vergangenen Wochen breiteten sich die Demonstrationen auf ganz Skandinavien und Deutschland aus. Die Demos waren höchst unterschiedlicher Natur. Es kam zu friedlichen Umzügen mit Lichterkerzen wie auch Demonstrationen wütender junger Menschen, die gegen bewaffnete Polizisten kämpften. Egal welcher Art die Demos auch waren, eines war ihnen allen gleich: Hunderte Menschen kamen jeweils zusammen. Wenn in Betracht gezogen wird, dass diese Aktionen nicht von langer Hand organisiert waren, ist das eine beträchtliche Zahl.
Doch der Kampf zeichnete sich nicht nur durch Demonstrationen aus. Die BesetzerInnen des „Ungdomshuset“ hatten einen Rechtsanwalt, der vor Gericht tapfer für ihre Sache eintrat – leider vergebens.
Aufruhr und Widerstand
Es ist kaum möglich eine bestimmte Gruppe für die Gewalt der letzten Tage verantwortlich zu machen. Wir haben DemonstrantInnen gesehen, die Polizisten mit Pflastersteinen bewarfen, Autos anzündeten und eine Schule zerstörten. Wir haben aber auch die Polizei dabei beobachtet, wie sie gewalttätig auftrat, Schlagstock und Tränengas einsetzte.
In Wirklichkeit muss der Kopenhagener Stadtrat dafür angeklagt werden, da er den Verkauf des Hauses entschied und diesen akzeptierte. Das ist das Hauptargument der Linken. Das Chaos um das „Ungeren“ ist ein politischer Umstand und deshalb ist es falsch vom Stadtrat, die Polizei einzuschalten. Der Stadtrat weiß um die Probleme, die er diesbezüglich hat, aber nicht, wie er damit umgehen soll. Anstatt sich des Problems zu stellen, laufen sie davon. Nur durch die Rettung und den Fortbestand des „Ungeren“ wäre eine Lösung möglich gewesen. Durch angemessene kommunale Finanzierung und durch eine Ressourcensteigerung für die örtliche Jugend und arbeitenden Menschen
Polizei kesselte uns ein
Vergangenen Donnerstag Nachmittag, am selben Tag, als die Polizei mit der Stürmung des Ungdomshuset begann, fanden Demos in Kopenhagen und Århus statt. In Århus kamen bis zu 200 Menschen zu einer friedlichen Protestaktion zusammen, die recht gut anfing. Doch plötzlich entschied sich die Polizei, den Demonstrationszug anzuhalten. Als die DemonstrantInnen dies nicht akzeptieren wollten, kesselte uns die Polizei ein. Kurz darauf ließen sie uns wieder gehen, wenn auch nur grüppchenweise. Dies geschah, um die „Sicherheit der Menschen zu gewährleisten“, wie sie sagten. Die Polizei verhielt sich aggressiv und packte viele der DemonstrantInnen absolut grundlos hart an.
Bei der letzten Demonstration verhaftete die Polizei bis zu 300 DemonstrantInnen. Viele waren AktivistInnen aus dem Ausland, die nun des Landes verwiesen werden.
Mangelnde Einheit und Politikvorstellung
Die vergangenen paar Tage haben deutlich belegt, dass es nicht nur bei der Linken im Parlament an Einheit mangelt, sondern auch grundsätzlich. Die Linke hat in der Unterstützung für die Jugendlichen vollkommen versagt. Das wird offenkundig, wenn wir junge Leute mit Pflastersteinen in der Hand sehen, bereit, diese einzusetzen, anstatt sich mit den Organisationen und Parteien zu verbünden, die sie eigentlich in ihrem Kampf unterstützen.
Die „Führung“ des Ungdomshuset war auch mehr darauf aus, in den Medien zu erscheinen, als die Protestbewegung strukturiert zu organisieren. Das führte zu sich ausbreitenden aktionistischen statt zu vereinten Aktionen und zu mangelnder politischer Auseinandersetzung über ein praktikables Vorwärtskommen unter den AktivistInnen.
Hinzu kommt, dass eine Gruppe „Autonomer“ unglückseliger Weise kein Interesse an einer Kooperation mit irgendwelchen Politikern, der Polizei und selbst anderen linken Bewegungen hatte, wenn diese mit den geringsten Dingen nicht übereinstimmten. Diese Gruppe hat große Macht, was sehr schlecht ist, da sie großen und negativen Einfluss auf den Rest der friedlichen Bewegung junger Menschen hat.
Wir werden in den nächsten Wochen unter Garantie noch weitere Demonstrationen erleben und wann sich die Lage entspannt, ist schwer zu sagen. Das hängt zum einen davon ab, ob die Linke in dieser Situation erfolgreich sein kann, die AktivistInnen unter einem gemeinsamen Banner zusammenzubringen. Zum anderen davon, wann die AktivistInnen zu erschöpft sein werden, um mit dem Kampf fortzufahren.
Egal, wie diese Bewegung sich entwickeln wird, wir können die Tatsache nicht rückgängig machen, dass ein 100 Jahre altes, historisches Gebäude bewusst zerstört wurde. Damit starb ein weiterer Teil unserer Kultur. Solche Zerstörungswut und Ungerechtigkeit ist Teil des Neoliberalismus.
Nørrebro in Kopenhagen ist durch diese Zerstörung wiederum ärmer geworden. Wird Christiania, ein von hunderten dort lebenden Familien demokratisch organisiertes Zentrum der Natur, Ökologie und Kultur, das nächste Ziel des herzlosen Kopenhagener Rats sein?
Anstatt dieses rechten Zerstörungsprogramms, müssen ausreichende Mittel in Projekte wie das Ungdomshuset und andere Einrichtungen für junge Menschen gesteckt werden. SozialistInnen müssen mit einem Programm gegen Kürzungen und für die massive Steigerung sozialer und öffentlicher Ausgaben die Auseinandersetzung mit den Behörden und Autoritäten aufnehmen.
Sarah Bruun ist Mitglied des Komitees für eine Arbeiterinternationale in Dänemark.