Wut über Lohnkürzungen durch neues Entgeltsystem. Mehr als ein Viertel der Belegschaft fordert Betriebsversammlung. Beschäftigtenvertretung dennoch untätig
Flugblatt von Kollegen für Kollegen zu ERA im Daimler-Werk Berlin-Marienfelde, 20.2.
Bericht von der IG-Metall-Mitgliederversammlung, 21.2.
Flugblatt gegen die Verlagerung der Tauschmontage, 14.2.
"Daimler Berlin in Unruhe", jW, 2.2.
von Daniel Behruzi, zuerst veröffentlicht in der jungen Welt, 22.2.07
Der Konflikt um die Einberufung einer außerordentlichen Betriebsversammlung zur Frage der Umsetzung des Entgeltrahmen-Abkommens (ERA) im DaimlerChrysler-Werk Berlin-Marienfelde spitzt sich zu. Bereits am 1. Februar übergaben linke Aktivisten dem Betriebsrat rund 870 Unterschriften von Mitarbeitern, die die unverzügliche Einberufung einer solchen Versammlung forderten (jW berichtete). Obwohl das Gremium per Betriebsverfassungsgesetz dazu verpflichtet ist, der Aufforderung nachzukommen, wenn – wie geschehen – mindestens ein Viertel der 3200 Köpfe zählenden Belegschaft dies fordert, ist bislang nichts geschehen.
Am späten Dienstag nachmittag sprach sich die überwältigende Mehrheit der etwa 300 Anwesenden auf einer betrieblichen Mitgliederversammlung der IG Metall nach Teilnehmerangaben erneut für die sofortige Einberufung einer Betriebsversammlung aus.
Hintergrund ist die große Wut und Unsicherheit in Zusammenhang mit der Umsetzung des ERA, die auch in vielen anderen Metallbetrieben für Unruhe sorgt. Den Beschäftigten drohen durch das von der IG-Metall-Spitze als »Jahrhundertreform« gefeierte Abkommen, das eine völlig neue Entgeltstruktur vorsieht, zum Teil Lohnverluste von mehreren hundert Euro im Monat.
Zwar gibt es für die Altbeschäftigten in der Mercedes Car Group, zu der das Berliner Werk gehört, für eventuelle Verluste bis Ende 2011 eine Ausgleichszahlung, danach werden die Einbußen aber wohl spürbar werden. Zudem sind die Einstiegslöhne für Neueingestellte generell niedriger – um bis zu 500 Euro im Monat.
»Zum einen wird der Wert der Arbeit dadurch längerfristig vermindert, zum anderen wird die Solidarität zwischen älteren Beschäftigten und jungen Kollegen zerstört«, so Mustafa Efe, linker Betriebsrat bei Daimler Marienfelde, gegenüber jW.
Auf völliges Unverständnis stößt bei den ERA-Kritikern die Weigerung der Berliner Betriebsratsspitze, eine Versammlung der Belegschaft zum Thema zu organisieren. »Damit lenkt die Betriebsratsmehrheit den Unmut auf sich, statt den Arbeitgeber für die ERA-Verschlechterungen ins Visier zu nehmen«, kritisierte Efe. Selbst die Einschaltung eines Anwalts, der die Beschäftigtenvertretung schon vor einer Woche schriftlich aufforderte, dem Verlangen nach einer außerordentlichen Betriebsversammlung nachzukommen, blieb bisher wirkungslos.
»Es kann nur angenommen werden, daß der Betriebsrat bewußt versucht, diese außerordentliche Betriebsversammlung zu verhindern«, heißt es in dem jW vorliegenden Schreiben. Und: »Ein Betriebsrat, der auf derart explosive Unruhe nicht reagiert, muß sich die Frage stellen lassen, wessen Interessen er vertritt.«
Efe betonte, er wolle keineswegs eine Spaltung der Beschäftigtenvertretung herbeiführen. Es müsse aber eine offene Debatte über die ERA-Problematik ermöglicht und Widerstand gegen die damit einhergehenden Einkommenskürzungen organisiert werden. »Nur wenn wir uns gemeinsam – hier in Berlin und in anderen Werken – zur Wehr setzen, haben wir eine Chance, diesen Lohnraub noch zu verhindern«, sagte er.
Vertreter der Betriebsratsspitze waren am Mittwoch auf jW-Nachfrage nicht zu einer Stellungnahme bereit.