Zusätzlich zum Massenelend und der immer schärferen Unterdrückung durch den israelischen Staat droht der palästinensischen Bevölkerung jetzt ein Bürgerkrieg. Nach dem Wahlsieg der Hamas im Januar 2006 spitzte sich der Konflikt zwischen der Fatah, die jahrelang in Palästina das Sagen hatte, und der islamistischen Hamas zu.
von Vivien Mast und Nihat Boyraz, Bremen
Zu der Eskalation kam es, nachdem es der Fatah-Regierung nicht gelungen war, die miserable soziale Lage der PalästinenserInnen in Gaza und West Bank zu verbessern. Zudem ist eine Lösung des Konfliktes zwischen Israel und Palästina nach wie vor in weiter Ferne. Bei den Wahlen vor einem Jahr haben daraufhin die PalästinenserInnen mehrheitlich der Hamas ihre Stimme gegeben. Eine große Rolle spielte dabei, dass die am Westen orientierte Fatah (ein Flügel von Arafats PLO) in der Bevölkerung inzwi-schen als korrupt gilt, während die Hamas, die von Iran Unterstützung bekommt, durch populistische Parolen, aber auch durch soziale Projekte an Sympathie gewinnen konnte.
Hamas-Regierung in der Sackgasse
Entgegen der Hoffnungen vieler PalästinenserInnen führte der Wahlerfolg der Hamas nicht zu einem Ausweg aus der dramatischen Lage. Im Gegenteil, die Situation verschärfte sich noch: Die Fatah, die mit Mahmud Abbas den Präsidenten stellt, nutzte ihre Position im Staatsapparat, um die Einflussmöglichkeiten der neuen Regierung von vornherein zu beschränken. Gegen die Mitarbeiter in den Ministerien konnten die Hamas-Minister nichts ausrichten.
Israel, die USA und die Europäische Union (EU) verweigerten der neuen Regierung die Anerkennung und verhängten ein Embargo – eine Kollektivstrafe gegen die PalästinenserInnen: Israel stellte die Zahlung der Gelder ein, die bislang an Palästina gingen – 60 Millionen Dollar im Monat. EU und US-Imperialismus setzten den Stopp der internationalen Hilfsmittel durch, die bisher die Palästinensische Autonomiebehörde am Leben erhalten hatten.
Verarmung und Angriffe Israels
Die Folgen dieser inneren und äußeren Zuspitzung bekam die palästinensische Bevölkerung schmerzhaft zu spüren: Einerseits erreichten Armut und Erwerbslosigkeit nie gekannte Ausmaße. Das Pro-Kopf-Einkommen in den palästinensischen Gebieten sank auf 700 Dollar im Jahr, so dass etwa zwei Drittel der Bevölkerung auf Nothilfen angewiesen sind, da sie ihren Lebensunterhalt nicht mehr selbst bestreiten können. Den 165.000 Angestellten der Autonomiebehörde wurden monatelang keine Gehälter mehr ausgezahlt, was für die fast eine Million Menschen, die von diesen Löhnen abhängig sind, eine existenzielle Katastrophe bedeutete. Daraufhin kam es im September 2006 zu einem Massenstreik von 100.000 Beschäftigten.
Andererseits nahmen die Angriffe durch die israelische Armee zu: Die Bevölkerung im Gaza-Streifen wurde durch den israelischen Staat vollständig von der Außenwelt abgeriegelt, während die israelische Armee regelmäßig die palästinensischen Gebiete aus der Luft angreift. Damit will die israelische Regierung nicht nur den Druck auf die PalästinenserInnen erhöhen, sondern auch die eigene Bevölkerung von den dortigen sozialen Konflikten ablenken, die in jüngster Zeit die Regierung unter Druck gesetzt haben.
Eskalation
Auf der Grundlage eines Briefs von politischen Gefangenen, dem so genannten „Papier der Inhaftierten“, setzte die Fatah Hamas unter Druck, gemeinsam eine Koalitionsregierung der „nationalen Einheit“ zu bilden und so eine „Lösung“ für die aktuelle Krise zu finden. Dieses Papier beinhaltet eine indirekte Anerkennung Israels, welche die Führung der Hamas ablehnt. Lokale Hamas-Machthaber stimmten dem Papier jedoch schließlich zu.
Zu Beginn 2007 kam es zu ersten Gesprächen zwischen Fatah und Hamas, die aber rasch scheiterten. Am letzten Januar-Wochenende tobten nun die schwersten Kämpfe zwischen Anhängern der Fatah und der Hamas seit den Wahlen vor einem Jahr. „Nach einer in den palästinensischen Gebieten veröffentlichten Umfrage sehen nun 53 Prozent der Bevölkerung die Krise als Bürgerkrieg an. Fast 87 Prozent wähnen Familie und Eigentum in Gefahr“ (FAZ vom 29. Januar). Viele wagen sich nicht mehr aus den Häusern. Die meisten Geschäfte bleiben geschlossen. Im Rahmen des Kapitalismus – den weder Fatah noch Hamas grundlegend in Frage stellen – wird Palästina in der Abhängigkeit imperialistischer Kräfte bleiben. Einen Ausweg aus sozialer Krise, Krieg und Bürgerkrieg kann es so nicht geben.