Noch nicht genug der Rache?
Die Rote Armee Fraktion war weit davon entfernt, die Herrschaft des Kapitals zu bedrohen oder auch nur die sozialen Kämpfe vorwärts zu bringen.
von Lucy Redler, Berlin
Im Gegenteil: die selbst ernannte „Stadtguerilla“ lieferte dem politischen Establishment alle Möglichkeiten, den Staat gegen die gesamte Linke in Stellung zu bringen.
Die Zuspitzung im „Deutschen Herbst“ 1977 behinderte die sozialen Kämpfe und erleichterte die Einführung von repressiven Gesetzen – z.B. Paragraph 129a –, die seitdem vielfach gegen Antifaschisten und Linke angewendet wurden. Marxisten lehnen die Methoden der RAF grundsätzlich ab. Terror gegen Vertreter des Staates und der Kapitalistenklasse führen nicht zur Befreiung, sondern werden von den Regierenden genutzt, um ihr System zu stabilisieren.
Arbeitgeberpräsident Schleyer war bei den gewerkschaftlich organisierten Arbeitern verhasst wie kaum ein anderer Kapital-Funktionär. Als die RAF ihn 1977 erschoss, wurden in den Betrieben Schweigeminuten abgehalten. Der Druck auf die Arbeiter, ihrem Klassengegner zu gedenken, war enorm, so dass sich kaum jemand dem entziehen konnte.
Obwohl die Terroristen das System nie bedrohten, flammt in der aktuellen Debatte der Hass vieler bürgerlicher Politiker gegen die RAF-Gefangenen auf. Der CDU-Rechtspolitiker Geis sagt, es wäre „nicht richtig, wenn wir jetzt die freilassen, die noch nicht mal heute sagen, dass sie sich damals falsch verhalten haben.“ Seine eigentliche Botschaft: Wer sich mit System und Staat anlegt, der bekommt keine Gnade. Sie kommen nur raus, wenn sie zu Kreuze kriechen. Von Klar und Mohnhaupt wird gefordert, zu „sagen, wer geschossen hat“. Sie sollen nachträglich als Kronzeugen auftreten, mit dem Finger auf damalige Mitstreiter zeigen und sich so demütigen.
Der Journalist Reinhard Mohr, der sich zu diesen Zeiten bei „Pflasterstrand“ und „taz“ wohl als Linker gesehen hat und daher zu jenen gehört, die es ganz besonders nötig haben, ihre Systemtreue zu beweisen, schreibt in SPIEGEL Online über das ehemalige RAF-Mitglied Karl-Heinz Dellwo: „Einen sozialen Bezug sucht Karl-Heinz Dellwo … noch heute. Inzwischen allerdings nicht mehr im speziellen Bezugsrahmen der RAF, sondern als Mitglied des Hamburger „Sozialforums gegen Hartz IV“. Dort will er immer noch die „innere Logik des Kapitals“ brechen und für eine „Systemalternative“ kämpfen. “ Er bringt damit auf den Punkt, was bürgerliche Politiker und Journalisten wirklich stört: nicht der Terror, sondern die Gegnerschaft gegen den Kapitalismus.
Klassenjustiz
Gerade in diesen Tagen wird uns vorgeführt, dass die Justiz klassenbasiert ist. Untreue-Prozesse gegen Wirtschaftsgangster wie Peter Hartz enden mit Bewährungsstrafen und Zahlung von „Peanuts“, während die Gefängnisse mit Menschen gefüllt werden, die aus Armut gestohlen haben.
Eine Errungenschaft des bürgerlichen Rechtsstaates war es, das Prinzip der Rache abzuschaffen und als Ziele einer Haft den Schutz der Gesellschaft vor weiteren Straftaten und eine „Resozialisierung“, eine zweite Chance, anzustreben. Dieses Prinzip wird von CDU-Politikern im Fall Christian Klar mit Füßen getreten. Christian Klar wird keine weiteren Straftaten begehen, die RAF gibt es – faktisch seit Anfang der 90er, offiziell seit 1998 – nicht mehr.
Über die Hälfte ihres Lebens haben die RAF-Gefangenen unter den extrem isolierten und erschwerten Haftbedingungen verbracht. Sie sind physisch und psychisch schwer angeschlagen. Der Staat hatte sich vorgenommen, den Willen der Gefangenen zu brechen und Einiges dafür getan.
In den 70er und 80er Jahren hieß es, die „Baader-Meinhof-Bande“, die RAF, wären „gewöhnliche Kriminelle“. In den Prozessen wurden die Gefangenen von den Wärtern zum Schweigen gebracht, wenn sie sich politisch äußerten. Heute sollen sie aber nicht wie „ gewöhnliche Kriminelle“ vorzeitig entlassen werden. Nach der Logik bürgerlicher Rechtsstaatlichkeit müssten die RAF-Gefangenen raus aus dem Knast: Entweder sie sind „gewöhnliche Kriminelle“, dann haben sie ihre Strafe abgesessen, die Sozialprognose ist günstig. Oder sie sind politische Gefangene, dann müssen sie freigelassen worden, weil ihr bewaffneter Kampf längst beendet ist.
„Der Kampf ist vorbei“
Die liberalen Vertreter des kapitalistischen Staates, wie Ex-Außenminister und Geheimdienstchef Kinkel befürworten eine vorzeitige Haftentlassung von Christian Klar. Sie wollen das Kapitel RAF abschließen und damit ihre Botschaft transportieren: Der bewaffnete Kampf ist endgültig vorbei, nicht nur der, der Kampf insgesamt. Es gibt keinen Grund mehr, gegen das System zu rebellieren. Wenn selbst der unbelehrbare Christian Klar einsieht, dass alles falsch war …
Mohnhaupt und Klar werden wissen, dass die Strategie der RAF gescheitert ist und die Opfer sinnlos waren. Nicht öffentlich zu bereuen und damit ihren Gegnern Recht zu geben, wird Teil ihres Kampfes gegen die Zerstörung der eigenen Persönlichkeit sein.
Die Linke muss eindeutig Stellung beziehen: Mohnhaupt und Klar, aber auch Eva Haule und Birgit Hogefeld müssen freigelassen werden, sie müssen die Chance haben zu leben, mit anderen Menschen zu reden. Wenn Christian Klar weiter im Knast schmoren müsste, wäre das ein Angriff auf rechtsstaatliche Prinzipien und auf die demokratischen Rechte aller.
Der irrsinnige bewaffnete Kampf der RAF ist längst beendet. Der Kampf für die Überwindung des brutaler werdenden kapitalistischen Systems wird in den nächsten Jahren stärker werden. Eine Warnung aus sozialistischer Sicht, dass der individuelle Terrorismus, der „bewaffnete Kampf“, wie ihn die RAF; die Brigate Rosse, die Action Direct, die japanische Rote Armee und andere praktiziert haben, nur reaktionäre Auswirkungen hat, scheint in Deutschland 2007 müßig.
Klassenkampf statt Terrorismus
Allerdings können wir heute sehen, wie im Nahen Osten große Teile der Jugend aus Verzweiflung und Wut gegen die blutige Vorherrschaft des US-Imperialismus und Israels den Weg des Terrors gehen, meistens, aber nicht nur, auf der ideologischen Basis des reaktionären Islamismus. Dieser Terror spielt der israelischen Regierung in die Hände und trägt zum blutigen Chaos im Irak bei. Er stärkt nicht den Widerstand gegen die US-Besatzung, sondern erlaubt die Spaltung entlang nationaler und religiöser Linien, eröffnet Provokateuren und Geheimdienstlern aller Couleur große Möglichkeiten.
Wenn die herrschende Klasse in Deutschland ihr Programm der Umverteilung und der Massenarmut fortsetzt, dann wird auch hier die Verzweiflung wachsen. Die Entfremdung vom politischen System ist schon heute groß. Das Vertrauen, mit Demonstrationen etwas ändern zu können ist gering. Dann mögen auch hier wieder Hoffnungen aufkommen, mit einer Bombe oder indem man „einen Bonzen abknallt“, würde man ein Zeichen setzen. Das wäre wie schon in den 70ern Jahren lediglich ein Zeichen hilfloser Wut.
„Es rettet uns kein höheres Wesen, kein Gott, kein Kaiser, noch Tribun …“, heißt es in der „Internationale“. Es rettet uns auch kein linker Parlamentarier, der schöne Gesetzestexte einbringt, und erst recht kein „heldenhafter“ Bombenleger, der es allein mit dem Kapital aufnehmen will. „Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun.“ Darum geht es auch heute: nur mit organisiertem Klassenkampf, nur mit Selbstorganisation der Arbeitenden, der Ausgebeuteten, der Erwerbslosen, werden wir die Perspektive der Abschaffung des Kapitalismus eröffnen können.
Lucy Redler ist Mitglied im Bundesvorstand der WASG und der SAV-Bundesleitung