Am 4. Februar kam in Kassel der WASG-Länderrat zu seiner voraussichtlich letzten Sitzung vor der geplanten Fusion der Partei mit der Linkspartei.PDS zusammen.
von Sascha Stanicic, Berlin
Auf dem Programm stand ein Bericht des Bundesvorstands, die Vorbereitung des nächsten Bundesparteitags und verschiedene aktuelle bzw. beim letzten Parteitag an den Länderrat überwiesene Anträge. Der Verlauf der Sitzung hatte wenig gemeinsam mit den hitzigen, kontroversen und polarisierten Debatten von Länderrats-Trefen und Parteitagen in der Vergangenheit. Doch das hat wohl weniger etwas mit erreichtem Konsens, Harmonie und Geschlossenheit zu tun, als mit der Tatsache, dass „die Luft raus ist“ und wohl auch die KritikerInnen sich fragen, ob das Vorbringen der Kritik noch irgend einen Sinn macht. So nahmen auch nur ca. 50 der 73 gewählten Delegierten an der Sitzung teil. Das hing sicher auch damit zusammen, dass in der Einladung stand (und auf telefonische Nachfrage im Fürther Büro bestätigt wurde), dass die Fahrtkosten nicht vom Bundesverband übernommen werden. Dies wurde dann zwar am Beginn der Sitzung als Fehler bezeichnet und „natürlich“ würden die Kosten übernommen – die Ankündigung kam aber offensichtlich zu spät. Und so hatten sich auch aus Berlin nur Roland Klautke und ich auf den Weg nach Kassel gemacht. Außerdem nahmen aus Berlin Lucy Redler, Ralf Krämer und Christine Buchholz als Bundesvorstandsmitglieder teil (und die omnipräsenten Helge Meves und Cordula Vita Adam durften natürlich auch nicht fehlen).
Es blieb insbesondere Lucy und mir vorbehalten im Verlauf der Tagung zu verschiedenen Fragen Kritik und Gegenmeinungen zu äußern und so wenigstens etwas Leben und Kontroverse in die Veranstaltung zu bringen.
Zur Lage der Partei
Die Berichte der Mitglieder des geschäftsführenden Bundesvorstands (Ernst, Troost, Händel) hatten, wie immer, nur einen eingeschränkten Informationsgehalt. Insbesondere Klaus Ernst war sich nicht zu blöd, den anwesenden Delegierten noch einmal zu erklären, warum man gegen Gesundheitsreform und Rente mit 67 sein müsse, anstatt darzulegen, was die Partei dagegen unternimmt und noch unternehmen möchte (abgesehen von einer aktuellen Stunde im Bundestag). Daran sollte sich (s.u.) im Verlauf der Tagung die interessanteste Kontroverse entwickeln.
Lucy Redler konfrontierte Axel Troosts Bericht über die Parteibildung mt dem Hinweis darauf, dass eine Mehrheit von Bundesvorstandsmitgliedern einen Teil der Beschlüsse des letzten Parteitags in die gemeinsame Sitzung mit dem L.PDS-Parteivorstand zu Programm- und Satzungsvorschlägen für die neue Partei gar nicht erst eingebracht hat – so zum Beispiel zur Frage der Trennung von Amt und Mandat und der Frage der Regierungsbeteiligung. Die von Axel Troost als „Kompromisse“ bezeichneten Formulierungen fallen so auch weit hinter die Parteitagsbeschlüsse zurück und sind, wie Lucy Redler sagte, „schwammig“.
Thomas Händels Bericht zur Mitgliederentwicklung war da schon interessanter und aussagekräftiger. Die Mitgliedschaft ist seit September 2006 von 11.823 auf 11.789 Mitglieder zurück gegangen. Darin enthalten sind circa 3.500 Mitglieder, die trotz schriftlicher Aufforderung ihren Mitgliedsbeitrag nicht bezahlen. Diese werden nun noch einmal angemahnt und im Falle der weiteren „Zahlungsverweigerung“ zum 19. März aus den Mitgliedslisten gestrichen. Ein interessanter Vorgang für eine Partei, die kurz darauf ihre Auflösung und den kollektiven Beitritt in die in DIE LINKE umbenannte L.PDS beschließen wird. Eigentlich sollte man meinen, dass die WASG ein Interesse hätte, möglichst mitgliederstark in die Fusion zu gehen. Aber offensichtlich sieht man in den NichtzahlerInnen potenzielle Nein-Stimmen bei der Urabstimmung zur Fusion mit der L.PDS und entledigt sich dieser lieber vorsorglich.
Ich habe in meinem Redebeitrag zum Bericht des Bundesvorstands darauf hingewiesen, dass diese Zahlen eigentlich zum Läuten der Alarmglocken in der Partei durch den Bundesvorstand führen müssten. Immerhin habe die Partei durch die Bundestagsmandate deutlich mehr öffentliche Aufmerksamkeit, aber weniger Mitglieder. Zudem habe ich meinen Eindruck geschildert – der unwidersprochen blieb – dass die Partei alle Dynamik, Widerstandsgeist und rebellischen Charakter verloren habe. Verantwortlich für diesen Zustand habe ich den Kurs gemacht, den der Bundesvorstand und der Parteitag von Ludwigshafen eingeschlagen haben: bürokratische Methoden und inhaltliche Anpassung an die L.PDS.
In diesem Zusammenhang habe ich auch deutlich gemacht, dass die Fusion unter den gegebenen Bedingungen der falsche Schritt ist und vom Berliner Landesverband deshalb nicht mitgetragen wird. Aus keinem anderen Landesverband wurde eine Ablehnung der Fusion geäußert. Der anwesende Koordinator des Netzwerks Linke Opposition (NLO), Peter Weinfurth, schaltete sich nicht einmal in die Debatten ein. Von einer Nein-Kampagne seitens des NLO war auf dem Länderrat nichts zu spüren. Scheinbar wird die Praxis fortgesetzt, Politik vor allem im Internet zu betreiben.
Thies Gleiss, neben Lucy Reder der zweite „Oppositionelle“ im Bundesvorstand, kritisierte zwar auch den inneren Zustand der Partei und warnte, dass diese scheitern werde, wenn das so weiter gehe. Er sagte aber auch, dass ihm „schnuppe ist, welche Positionen sich da erst mal durchsetzen“. Denn es sei „gut, dass die gemeinsame Partei kommt“, da sie das „politische Koordinatensystem durcheinanderbringt“.
Lucys und mein Beitrag zogen, wie zu erwarten war, den Zorn der Bundesvorstands-Mehrheit auf sich. Klaus Ernst erklärte, dass die Leute nicht mehr zu den Versammlungen kämen, weil sie die internen Debatten leid seien. Außerdem könne man dem Bundesvorstand nicht vorwerfen, er habe sich nicht für die Beschlüsse von Geseke eingesetzt. Es habe halt Kompromisse geben müssen. Warum diese vor und nicht offen während der gemeinsamen Sitzung der beiden Parteivorstände ausgehandelt wurden und der WASG-Bundesvorstand in dieser gemeinsamen Sitzung gar nicht mehr alle Beschlüsse von Geseke vertreten hat, erklärte er nicht.
Christine Buchholtz betätigte sich einmal mehr als die Wadenbeißerin des Bundesvorstands und warf der Berliner WASG Spaltung und mir Zynismus vor, da ich mich wagte, den Zustand der Partei kritisch zu hinterfragen, während wir in Berlin gleichzeitig eine Regionalorganisation vorbereiten. Und der immer und überall ohne Rederecht trotzdem in die Bütt gehende Helge Meves erklärte der Versammlung, man könne nicht die Mehrheit dafür verantwortlich machen, wie die innerparteiliche Auseinandersetzung geführt wurde. Und schließlich habe die Minderheit ihre Entscheidungsschlachten verloren und so ihre Gefolgsleute frustriert.
Michael Schlecht versuchte sich als Klassenkämpfer und Praktiker zu profilieren, indem er sagte, es komme nicht auf Programme an, sondern darauf, ob die Partei in den Klassenauseinandersetzungen Profil zeigen könne. Man wunderte sich nur als er dann seine Vision der Entwicklung der Partei darlegte: in den nächsten Jahren (!) müsse man 5.000 oder 10.000 neue Mitglieder im Westen gewinnen und die Partei dadurch beleben. Das ist weniger, als die WASG in den ersten anderthalb Jahren ihrer Existenz gewonnen hat und drückt nicht gerade ein „Projekt Massenpartei“ und „historische Chance“ aus.
Was tun gegen Rente mit 67?
Zum Thema Rente mit 67 lagen zwei Anträge vor. Leonie Blume aus Kassel und ich brachten einen leicht veränderten Antrag ein, den Lucy Redler schon am Vortag beim Bundesvorstand gestellt hatte und der dort abgelehnt worden war. Dieser beinhaltete die Aussage, dass im Kampf gegen die Rente mit 67 Protestdemonstrationen und vereinzelte Arbeitsniederlegungen nicht ausreichen werden, um die Regierungspläne zu kippen und deshalb ein bundesweiter Streik- und Protesttag nötig ist. Dann sollten die WASG-Mitglieder in Betrieben und Gewerkschaften aufgefordert werden, sich in diesen für einen solchen Streik- und Protesttag am 26. Februar, dem Tag an dem die Rentenpläne das nächste Mal im Bundestag behandelt werden, einzusetzen.
Als Reaktion auf diesen Antrag hatte der Bundesvorstand schnell einen eigenen Initiativantrag vorgelegt, der die Mitglieder lediglich aufforderte, sich an den gewerkschaftlichen Aktionen gegen die Rente mit 67 zu beteiligen.
Daraus entwickelte sich eine interessante Debatte zur Frage der Rolle der WASG in solchen Auseinandersetzungen und des Verhältnisses der Partei zu den Gewerkschaften. Fast die komplette Riege der mittleren Gewerkschaftsfunktionäre aus der WASG-Führung – Klaus Ernst, Fritz Schmalzbauer, Michael Schlecht – traten ans Mikrofon, um zu verhindern, dass unser Antrag angenommen würde. Dabei war die Gegenargumentation reichlich dünn und platt. Michael Schlecht nannte den Antrag für einen Streik- und Protesttag einfach „lächerlich“. Klaus Ernst betonte, man könne den Gewerkschaften nicht sagen, was sie machen sollen. Diese müssen den Kampf gegen die Rente mit 67 organisieren und die WASG solle sich da nicht einmischen. Volker Schneider betonte die nötige Distanz der Gewerkschaften zu alle Parteien.
Nur Thies Gleiss hatte sich in der Debatte noch explizit für den Antrag für einen Streik- und Protesttag ausgesprochen.
Ich hatte in meiner mündlichen Antragsbegründung betont, dass die Krise der Gewerkschaften eine politische Krise ist, die hauptsächlich durch die Politik der Gewerkschaftsführungen verantwortet wird. Deshalb ist es nötig, das sich die WASG und ihre Mitglieder in diesem Bereich in die gewerkschaftspolitischen Debatten einbringen und Vorschläge machen. Demgegenüber bedeutet der Antrag des Bundesvorstands nur eine Nachtrab-Politik gegenüber den Gewerkschaftsführungen.
Beide Anträge wurden separat abgestimmt. Der Antrag des Bundesvorstands wurde mit sehr wenigen Gegenstimmen angenommen. Der Antrag von Leonie Blume und mir wurde bei 20 Nein-, 15 Ja-Stimmen und 13 Enthaltungen abgelehnt.
Immerhin hat die Debatte aber dazu geführt, dass ein deutlicher Aufruf an die Mitgliedschaft erfolgt ist, sich massiv in die Auseinandersetzung um die Rente mit 67 einzubringen und die Proteste der Gewerkschaften aktiv zu unterstützen.
Gegen Privatisierung der Berliner Sparkasse
Volkhard Mosler und Hermann Schauss aus Hessen hatten einen Initiativantrag gegen die Privatisierung der Berliner Sparkasse eingebracht. Dieser enthielt den Passus, die Berliner L.PDS solle sich überlegen, die Koalition zu beenden, sollte die SPD auf einen Verkauf der Sparkasse bestehen. Auf Antrag von Lucy Redler wurde dieser Satz in eine direkte Aussage für den Ausstieg aus der Koalition im Falle der Sparkassen-Privatisierung geändert. Lucy erklärte dabei jedoch gleichzeitig, dass aus ihrer Sicht nicht erst die Sparkassen-Privatisierung Anlass zu dieser Aufforderung gibt und sie deshalb doch etwas verwundert über den Zeitpunkt des Antrags sei. Diese „Verschärfung“ wurde angenommen und der Antrag dann bei zwei Gegenstimmen und vier Enthaltungen angenommen. Zu den Enthaltungen gehörten auch Axel Troost und Volker Schneider…
Transparenz der Bundesvorstands-Sitzungen
Eine weitere Kontroverse entzündete sich an der Frage, ob Protokolle der Bundesvorstands-Sitzungen der Mitgliedschaft zugänglich gemacht werden sollen. Hier war es der Mehrheit des Bundesvorstands sehr wichtig, dies zu verhindern. Stattdessen wurde mit knapper Mehrheit beschlossen, dass die „Ergebnisse der Bundesvorstands-Sitzungen durch den BuVo in einem Communiqué veröffentlicht werden sollen“. Auch in dieser Debatte sprach sich Lucy Redler für die Veröffentlichung der Protokolle in einem mitglieder-internen Bereich der Webseite aus.
Wohin mit der Berliner Wahlkampfkosten-Rückerstattung?
Im Rahmen der Behandlung der Anträge, die beim Parteitag in Geseke übrig geblieben waren, wurde auch der Antrag aus Berlin-Treptow/Köpenick aufgerufen, der die komplette Auszahlung der Wahlkampfkosten-Rückerstattung für den Berliner Wahlkampf an den Landesverband der WASG Berlin forderte. Roland Klautke sprach für den Antrag und nutzte seine Redezeit dafür, die Aufforderung an die Berliner L.PDS, den Senat zu verlassen, noch einmal zu unterstreichen.
Thomas Händel sprach gegen den Antrag und begründete dies unter anderem mit den Kosten für das Gerichtsverfahren, das der Berliner Landesvorstand zu verantworten habe und die bei 12.000 Euro liegen. Wider besseren Wissens behauptete er dann, der Teil der Wahlkampfkosten-Rückerstattung, der beim Bundesverband lande, würde diese Kosten „vielleicht gerade mal kompensieren“. Tatsächlich liegt schon die erste Rate mit über 14.000 Euro über den Gerichtskosten. Nebenbei bemerkt behauptete er auch, das Urteil des Berliner Landgerichts würde bei Juristen mittlerweile Heiterkeit auslösen. Von solchen „Argumenten“ beeindruckt wurde der Treptow-Köpenicker Antrag bei sieben Ja-Stimmen und zwei Enthaltungen abgelehnt.
Sympathien für Berlin
Wie oft bei solchen Tagungen ist der informelle Teil interessanter als der formelle. Ersterer fiel diesmal zwar sehr kurz aus, aber es wurde noch einmal deutlich, dass auch in diesem Gremium viele Sympathien für den Landesverband Berlin bestehen. So kamen Delegierte aus Schleswig-Holstein, Hessen, Hamburg, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern auf uns zu und drückten ihre Sympathien aus. Viele von ihnen bedauerten unsere Pläne, die Fusion in Berlin nicht mitzumachen und eine eigenständige Berliner Regionalorganisation zu gründen. Andere aber sahen darin auch eine Chance, dass die WASG Berlin weiterhin selbständig in die politischen Auseinandersetzungen auf der Linken eingreifen kann und die Linke in der LINKEN zukünftig auch in Berlin einen Ansprechpartner haben wird.
Auch der Verkauf von 13 Ausgaben der „Solidarität – Sozialistische Zeitung“ drückt aus, dass es sehr wohl ein, zur Zeit eher leise schlummerndes, Potenzial für anti-kapitalistische und sozialistische Opposition in der WASG in Westdeutschland gibt.