1.727 Tage – viereinhalb Jahre – wurde der jetzt 24-jährige Murat Kurnaz im US-amerikanischen Foltergefängnis „Camp Delta“ auf Guantanamo Bay festgehalten. Auf Grund der Arbeit des Anwalts wurde er schließlich befreit. Sonst wäre er, wie viele andere, noch immer dort.
Kommentar von Lucy Redler
Was auf dieser US-Basis genau vor sich geht, kann man sich kaum vorstellen. Da es sich um einen „rechtsfreien Raum“ handelt, werden „völlig legal“ illegale Verhörmethoden angewandt. Häufig werden nicht einmal die Anklagepunkte mitgeteilt. Ein Gefangener erfuhr erst nach drei Jahren, was ihm vorgeworfen wird. Aus FBI-Dokumenten geht hervor, dass Gefangene 16 bis 18 Stunden ohne Pause verhört werden, mit lautem Dauerlärm beschallt.
Auch wenn die Schröder-Regierung öffentlich Guantanamo Bay kritisierte, wird jetzt deutlich, dass auch sie die Existenz des Camps nutzte. Steinmeier, der damals Kanzleramtschef war, sagt, er lehnte die Überführung von Kurnaz nach Deutschland ab, weil er sich nicht sicher war, ob dieser nicht vielleicht doch ein gefährlicher Terrorist sei. Selbst wenn das stimmen würde: Das hieße, Steinmeier hat kein Problem damit, dass jemand aufgrund eines vagen Verdachts in einem Foltergefängnis fest gehalten wird. Anzunehmen ist aber, dass Steinmeier und die übrigen Verantwortlichen in der rot-grünen Regierung andere Beweggründe hatten, die Rückkehr von Kurnaz zu be- oder gar verhindern. Schließlich war der BND zur Schlussfolgerung gelangt, dass Kurnaz nicht als gefährlicher Terrorist einzuschätzen sei. Doch bei Kurnaz gab es ein „Problem“ – er war im afghanischen Kandahar als Gefangener misshandelt worden. Er berichtet von Gitterkäfigen, in denen die Gefangenen bei minus zehn Grad ohne Kleider die Nacht aushalten mussten. Davon, dass sie an Ketten aufgehängt wurden, und dass ein US-Arzt ihn auf „Foltertauglichkeit“ untersuchte. Es fiel ihm auf, dass auch die deutsche Spezialeinheit KSK bei der Bewachung des Gefangenenlagers dabei war. Obwohl dies anfangs dementiert wurde, geht es inzwi-schen auch aus den Aussagen von KSK-Soldaten hervor. So gelangt nun in die Öffentlichkeit, dass deutsche Truppen viel stärker in den „Krieg gegen den Terrorismus“ involviert waren, als es uns vorgemacht wurde.
Das ist es, was in acht Beratungen der Sicherheitsrunde des Kanzleramts unter Führung von Steinmeier geschah: Eine politische Entscheidung wurde gefällt – laut Steinmeier würde er sie auch wie-der so fällen. In dieser Entscheidung ging es nicht um die mögliche terroristische Bedrohung, sondern um die drohende Enthüllung der Wahrheit über die deutsche Beteiligung im Afghanistan-Krieg, die Methoden der Spezialeinheit KSK – und das alles unter Rot-Grün.
Selbst wenn jetzt der eine oder andere Kopf rollen sollte – damit wird sich im Grundsatz nichts ändern. Die Gefangenschaft unschuldiger Menschen und das Foltern wird weitergehen, und die deutsche Beteiligung an Kriegseinsätzen in aller Welt wird weiter forciert.
Ein wichtiges Nebenprodukt ist, dass auch die Bevölkerung immer mehr an diesen Zustand gewöhnt werden soll. Es wird vermittelt – in solchen Fällen kann man eben keine Rücksicht auf Menschenrechte nehmen. Der Staat habe dann auch das Recht, allgemeine demokratische Grundrechte zu missachten. Der „Krieg gegen den Terror“ dient so als Steigbügelhalter für die ständige Untergrabung demokratischer Rechte. In Zeiten, in denen Regierung und Konzerne ihre Angriffe auf den Lebenstandard der Masse der Bevölkerung verstärken, sind auch AktivistInnen der Arbeiterbewegung und KriegsgegnerInnen in erhöhtem Maß von staatlichen Repressionen betroffen.