Zur Debatte um „Politische Streiks“ gegen Gesundheits-„reform“, Rente mit 67 und weitere Angriffe der Großen Koalition
Erste Proteste von Beschäftigten während der Arbeitszeit gegen die Rente mit 67 fanden eine scharfe Reaktion der Unternehmer. Dieter Hundt stufte den Aufruf der IG Metall als „Aufforderung zum politischen Arbeitskampf“ ein. „Solche Streiks sind rechtswidrig und unzulässig“, so der Chef der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).
von Stephan Kimmerle, Berlin.
Der Arbeitgeberpräsident drohte KollegInnen mit „arbeitsrechtlichen Konsequenzen“, sollten sie sich daran beteiligen. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Rainer Wend mahnt die IG Metall, sich „an die verfassungsrechtlichen Vorgaben“ zu halten und „keine politischen Streiks“ durchzuführen. Frostige öffentliche Briefe zwischen Peter Struck, SPD, und dem IG-Metall-Vorsitzenden Jürgen Peters beleuchten den tiefen Graben der sich zwischen Sozialdemokratie und Gewerkschaften, selbst ihren Spitzen, auftut.
Hundt und Co versuchen sich in verbaler Aufrüstung, bevor sich die Wut Bahn bricht: Der Unmut in den Betrieben über die Angriffe der letzten Jahre und die Verschlechterungen bei Arbeitszeiten und durch sinkende Reallöhne ist gewaltig. Ob Ford, Saarstahl, Dillinger Hütte oder bei den BMW-Werken: Wann immer die Gewerkschaft zu Protesten während der Arbeitszeit rief, verschafften tausende KollegInnen ihrer aufgestauten Empörung Gehör.
Dabei gehen die Gewerkschaften nur zögerlich an die Proteste, da die Gewerkschaftsspitzen ebenfalls bemüht sind, den Ball flach zu halten. „Reine Oppositionspolitik bringt uns nicht weiter“, rudert DGB-Boss Sommer schon wieder zurück bevor der DGB-Tanker auch nur richtig abgelegt hat. IG-Metall-Vize Huber wollte sich „nicht grundsätzlich gegen die Anhebung des Renteneintrittsalters“ positionieren, nur müßten es die Arbeitnehmer gesund erreichen können.
Doch mehr und mehr KollegInnen ziehen die Schlussfolgerungen aus den vergangenen Jahre. Ein Teil des Gewerkschaftsapparats versucht, diesen Unmut zu kanalisieren, um – begrenzt und unter eigener Kontrolle – Proteste zu organisieren.
Erfahrungen der letzten Proteste
Schon aus der Protestwelle 2003 / 04 wurde ersichtlich: Demos können der Bewegung ihre eigene Stärke vor Augen führen. Sie können aber auch noch recht relaxed von den Herrschenden und ihren Politikern ausgesessen werden.
Zwei Schlussfolgerungen wurden daraus gezogen: Ein Teil argumentierte für die Steigerung der Proteste durch Streiks in den Betrieben, mittels derer die Unternehmer politisch herausgefordert und ökonomisch getroffen werden sollten. Leider blieben die betrieblichen Proteste aber in ersten Ansätzen stecken.
Die andere Schlussfolgerung wurde praktischer gezogen: Mit der WASG wurde die Einheitslogik der neoliberalen Parteien aufgebrochen. Eine politische Kraft begann, der kapitalistischen Logik etwas entgegen zu setzen und sie heraus zu fordern.
Kommt die Bewegung nun durch den Niedergang der WASG hier nicht weiter, wendet sie sich erneut der anderen Seite zu: Die fünf Demonstrationen am 21. Oktober mit rund 200.000 TeilnehmerInnen war für viele ein Neubeginn. Beginn heißt aber: Es muss weiter gehen.
Hier wird von vielen aufgegriffen, wovon Oskar Lafontaine 2006 sprach: Ein „Recht auf Generalstreik“1 soll her, meinte der Linksfraktionschef im Bundestag. „Betriebsräte und Gewerkschafter begrüßten den Vorstoß zum Generalstreik. Demonstrationen und Kundgebungen, die oft folgenlos blieben, seien für viele frustrierend und die Beteiligung daher gering, hieß es“, so der Bericht der jungen Welt über eine Betriebsrätekonferenz der Linksfraktion im vergangenen November.
„Politischer Streik“
Lafontaine redet nur vom „Recht“ auf einen solchen Streik. Konkretere Initiativen sind von ihm nicht zu erwarten. Doch der Anstoß, Streiks gegen die Regierung in Erwägung zu ziehen, hilft der Debatte um den Widerstand weiter. Die Geist des Streiks ist aus der Flasche und Hundt und Co beziehen instinktiv Stellung. Eine Stellung, die in den 1950er Jahren aufgebaut wurde und einen Bestandteil der Stabilisierung des westdeutschen Nachkriegs-Kapitalismus ausmachte: „Politische Demonstrationsstreiks sind illegal“, so Hundt.
Dabei wird der Begriff „politischer Streik“ verwendet, um Arbeitsniederlegungen gegen staatliche Maßnahmen zu bezeichnen. Lafontaine verwendet den Begriff im gleichen Sinn und verlangt, „politische Entscheidungen eines vom Volkswillen abgehobenen Parlaments durch das Mittel des politischen Streiks korrigieren zu können“2.
1952 streikte die IG Druck und Papier (später IG Medien, heute in ver.di aufgegangen) zwei Tage lang gegen das Betriebsverfassungsgesetz, da die Mitbestimmung in den Betrieben zwischen Unternehmern und Arbeitgebern nicht hälftig sondern zu Gunsten der Arbeitgeber geregelt wird. Außerdem verpflichtet es die Betriebsräte zu „vertrauensvoller Zusammenarbeit mit der Geschäftsführung“. Der von Adenauer als „Angriff auf die Pressefreiheit“ diffamierte Streik war Teil einer Protestwelle, an der sich Hunderttausende beteiligten. Zwar scheitert die Argumentation der von den Arbeitgebern beauftragten Juristen, der Streik der Drucker sei eine verfassungswidrige Nötigung der Parlamente3, doch zivilrechtlich erhalten die klagenden Verlage letztlich Recht, und die Gewerkschaft wird zu hohen4 Schadensersatzleistungen verurteilt.
Nicht aufgrund eines ausformulierten Streikrechts sondern auf der Grundlage dieser Rechtssprechung gilt seither in Deutschland: Demonstrations- oder Erzwingungsstreiks gegen staatliche Maßnahmen werden illegalisiert.
Streikrecht nehmen, Angriffe stoppen
Das Verbot des „Politischen Streiks“ verhinderte ihn keineswegs: 1958 streiken Zehntausende ohne gewerkschaftlichen Aufruf gegen die atomare Aufrüstung. 1968 streiken erneut ohne Aufruf der Gewerkschaftsvorstände Zehntausende gegen die Notstandsgesetze. 1972 streiken Hunderttausend gegen das Misstrauensvotum im Bundestag gegen Willy Brandt. Am 1. Oktober 1996 legen mehr als 100.000 Beschäftigte bei Daimler die Arbeit nieder, um die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu verteidigen. Die Proteste markierten den Anfang vom Ende der Kohl-Regierung.
Die jetzt erhobene Forderung nach einem „Recht auf Generalstreik“ wird nicht durch die spontane Einsicht der Abgeordneten des Deutschen Bundestags durchgesetzt werden. Das Neue Deutschland berichtete am 30. Oktober 06 von der „Debatte“ zum Antrag der Linken5: „Für die SPD-Abgeordnete Anette Kramme waren es "die absurdesten Minuten" ihres Lebens“, die CDU-Abgeordnete Gitta Connemann sprach von einem „verstaubten Instrument aus der Tradition sozialistischer Kaderlehre“.
Verbesserungen erkämpfte die Arbeiterbewegung in den letzten 150 Jahren, indem sie sich ihre Rechte nahm.
Der Streik gegen staatliche Angriffe auf den Lebensstandard der Beschäftigten und Erwerbslosen im Interesse der Unternehmer ist nötig, um dem Klassenkampf von oben etwas entgegen zu setzen. Und die Stimmung dafür ist längst vorhanden. Bleiben die Schritte dahin von den Gewerkschaftsspitzen weiter aus, so müssen von unten lokale und regionale Aktions- und Streiktage durchgesetzt werden, verbunden mit einer Kampagne für bundesweiten Protest in den Betrieben. Ein eintägiger Generalstreik in Deutschland könnte den Beschäftigten ihre eigene Stärke plastisch vor Augen führen und den weiteren Widerstand – auch gegen betriebliche Angriffe – auf eine ganz andere Stufe bringen.
Massenhaft befolgt, kann das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit verändert werden, so dass auch die Gerichte unter Druck kommen, ihre Rechtssprechung zu ändern. Denn Recht in der kapitalistischen Gesellschaft ist eine Machtfrage. Das machen die Urteile „gegen“ Peter Hartz und Josef Ackermann deutlich: Die Reichen und Mächtigen, brauchen kein Gesetz zu fürchten. So regiert das Kapital in den Gerichtssälen. So wird der Widerstand illegalisiert.
Zeit, dass sich etwas grundlegend ändert.
Politischer und ökonomischer Kampf aus marxistischer SichtFür die bürgerlichen Juristen ist die Definition des „politischen Streiks“ vor allem ein Mittel, Widerstand als illegal darzustellen. Marxisten unterscheiden politischen und ökonomischen Streik nach anderen Kategorien: Solange sich Beschäftigte unmittelbar um den für sie günstigsten Verkauf ihrer Arbeitskraft kümmern, und zum Beispiel für höhere Löhne gegen „ihren“ Unternehmer streiken, handeln sie ökonomisch. Sobald sie aber beginnen, sich als Klasse gegen die Kapitalisten zu wehren, wird die Auseinandersetzung zu einem politischen Kampf. Es entwickelt sich Klassenbewusstsein. „Marx gab dafür ein Beispiel: So sei ein Streik von Arbeitern einer einzelnen Fabrik, mit dem Ziel von den Kapitalisten eine Beschränkung der Arbeitszeit zu erzwingen, ein ökonomischer Streik. Dagegen sei ein Streik für die Einführung des Achtstundentags per Gesetz ein politischer Streik“, so Lucy Redler in „Der Politische Streik in Deutschland nach 1945“, 2004. Karl Marx schrieb 1846 / 476: „Die ökonomischen Verhältnisse haben zuerst die Masse der Bevölkerung in Arbeiter verwandelt. Die Herrschaft des Kapitals hat für diese Masse eine gemeinsame Situation, gemeinsame Interessen geschaffen. So ist diese Masse bereits eine Klasse gegenüber dem Kapital, aber noch nicht für sich selbst. In dem Kampf, den wir nur in einigen Phasen gekennzeichnet haben, findet sich diese Masse zusammen, konstituiert sie sich als Klasse für sich selbst. Die Interessen, welche sie verteidigt, werden Klasseninteressen. Aber der Kampf von Klasse gegen Klasse ist ein politischer Kampf.“ |