Gemeinsame Protestaktion von IG Metall und ver.di in Esslingen am 29.1.
Diesen Sprechchor stimmte die Vorsitzende des Landesverbands ver.di Baden-Württemberg, Sybille Stamm, bei der Demonstration am 29. Januar durch die Esslinger Innenstadt und bei der Kundgebung auf dem Marktplatz an. Aufgerufen hatte der DGB Esslingen-Göppingen, ver.di Neckar-Fils-Alb und die IG-Metall-Ortsverwaltung Esslingen. Laut IG Metall Esslingen beteiligten sich Belegschaften fast aller Metallbetriebe im Kreis an den Protesten. In vielen Betrieben waren die Fertigungshallen weitgehend unbesetzt.
von Ursel Beck, Stuttgart
Bei der Firma Traub in Reichenbach war der ganze Betrieb an diesem Nachmittag leer. Vor dem Werkstor von DC Mettingen gab es um 12 Uhr eine Auftaktkundgebung. Kollegen berichteten, dass in einzelnen Abteilungen Kollegen mit Abmahnung eingeschüchtert worden waren, weil es angeblich ein illegaler Streik gewesen wäre.
Die IG Metall gibt die Zahl der Kundgebungsteilnehmer auf dem Esslinger Marktplatz mit mehr als 3.000 an. Mit 21 Bussen kamen die Metaller aus den verschiedenen Betrieben in die Kreisstadt. Im Stadtteil Oberesslingen wurde aus verschiedenen Betrieben ein Demozug von 1.000 Leuten gebildet, der kurz nach 13 Uhr auf dem Marktplatz eintraf. Gruppen von ver.di-anern aus verschiedenen Betrieben und einzelne KollegInnen kamen direkt vors Rathaus. Es gab Metaller, die zwar die Arbeit niedergelegt haben, aber direkt nach Hause gegangen sind.
Die Protestaktion im Kreis Esslingen war eine von zwanzig Demonstrationen, die in diesen Tagen von der IG Metall in Baden-Württemberg organisiert wird.
Gemeinsamer Protest von ver.di und IG Metall
Die Besonderheit in Esslingen war, dass es bundesweit die erste gemeinsame Aktion von ver.di und IG Metall war. Der DGB-Kreisvorsitzende, Tom Bittner, erklärte den Anwesenden, dass die Gewerkschaftsspitzen solche Proteste nicht schnell genug hinkriegen würden und man in Esslingen jetzt vormachen würde, wie das geht. Und für den Esslinger IG-Metall-Bevollmächtigten, Sieghard Bender, ist klar: „Das ist selbstverständlich, dass wir das mit ver.di zusammenmachen. Hier müssen alle Gewerkschaften und alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zusammenhalten und den Willen der Mehrheit dieses Volkes den Volksvertretern um die Ohren zu hauen. Wir haben nämlich die Schnauze voll. Und deshalb reißen wir sie auf. Und diese Pläne müssen zu Fall gebracht werden.“
Bereits bei der Kundgebung vor Tor 1 des DC-Werks in Mettingen erklärte Helmut Lense, Betriebsratsvorsitzender bei DaimlerChrysler am Standort Stuttgart-Untertürkheim: „Wir werden so lange Druck machen, bis diese Pläne vom Tisch sind und dazu sind wir auch noch steigerungsfähig“. Unter großem Beifall sprach der IG-Metall-Bevollmächtigte von Esslingen, Sieghard Bender davon, dass in anderen Ländern Pläne zur Rentenaltererhöhung gekippt wurden „und das werden wir auch schaffen.“ Für den Fall, dass das „M&M-Gespann“ in Berlin weiter mit ihrer Politik durchkomme, malte er folgendes Bild: „Da passiert ein Unfall. Dann kommt der Krankenwagen, den fahren zwei Ein-Euro-Jobber. Die wissen nicht wohin es geht. Irgendwann haben sie dann das Krankenhaus gefunden und da ist dann die Schwester mit 67 und setzt die Spritze. Das kann’s nicht sein“.
Tarifrunde der IG Metall
In ihren Reden verwiesen mehrere Gewerkschaftsfunktionäre darauf, dass der Anlass für den gewählten Termin die Anhörung der Rentengesetze sei. Und wenn dieser nun auf den 26. Februar verschoben worden sei, sei das der erste Erfolg der derzeitigen Protestwelle.
Hauptredner Frank Bsirske machte einen Rundumschlag gegen die Politik der großen Koalition, forderte einen Kurswechsel, einen Mindestlohn von 7,50 Euro, die Besteuerung großer Vermögen, ein staatliches Konjunkturprogramm.
Dadurch würden auch die Einnahmen der Sozialversicherung steigen. Am Ende sprach er davon, dass höhere Löhne auch ein Beitrag wären, die Einnahmen der Sozialkassen zu erhöhen. Und konkret zur Tarifrunde der IG Metall meinte der ver.di-Vorsitzende: „Ihr Metaller seid jetzt ziemlich forsch dran. Und das ist gut und ist bitter nötig. Das hat unsere gemeinsame Unterstützung. Haut rein Kolleginnen und Kollegen. Macht was draus. Wir stehen an Eurer Seite.“ Diese Worte müssen den anwesenden ver.di-Kollegen angesichst der Politik von Absenkungstarifverträgen von Bsirske und Co. wie Hohn in den Ohren geklungen haben.
Keine Vorschläge zu nächsten Schritten
Mit „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ und den hehren Tönen vom „Zug der Millionen“ und der „heiligen letzen Schlacht“ endete die Kundgebung. Damit alle Kundgebungsteilnehmer textsicher das alte Kampflied mitsingen konnten, wurde es von der IG Metall während der Reden als gedruckte Version unter die Leute gebracht. Wie aus mehreren Tausend in Esslingen und anderen Orten die Kraft der Millionen mobilisiert werden kann, blieb am Ende ein nostalgischer Traum.
Bei aller verbalradikalen Rhetorik, am Ende des Tages gab es von den Gewerkschaftsrednern keinen Vorschlag und keinen Plan wie der Kampf weitergeführt und wie aus den Drohkulissen Wirklichkeit werden soll. Vor allem der ver.di-Vorsitzende und Hauptredner in Esslingen, Frank Bsirske, blieb den Kundgebungsteilnehmern die Antwort schuldig, was der ver.di-Vorstand zu tun gedenkt, um die von ihm geführt Großgewerkschaft endlich gegen die große Koalition in Bewegung zu bringen.
Bei den Zwischentönen der Gewerkschaftsfunktionäre konnte man zudem heraushören, dass es einem Teil des Apparats nur um einen flexiblen Ausstieg vor 67 geht und nicht wie nötig um die Verhinderung der Rentenpläne insgesamt. Dass allein der Plan, die Renten in den nächsten zehn Jahren nicht zu erhöhen, die Kaufkraft der RentnerInnen um weitere 20 Prozent absenkt und der geplante Nachholfaktor für die Masse der RentnerInnen die Rente unter die Armutsgrenze drückt, wurde allenfalls am Rande erwähnt. Es ist nicht Gegenstand des gewerkschaftlichen Widerstands.
Potenzial für Widerstand ist da
Eines hat der gestrige Tag in Esslingen aber gezeigt: Das Potenzial für Widerstand ist vorhanden und kann durch einen ernsthaften und entschlossenen Kampf weiter ausgebaut werden. Der nächste Schritt müsste sein, dass in allen Orten, spätestens bei der Anhörung am 26. Februar 2007, nachmittags in allen Betrieben die Arbeit ruht und zu betriebs- und gewerkschaftsübergreifenden lokalen oder regionalen Demonstrationen aufgerufen wird, zu der dann auch RentnerInnen, Schüler, Studierende und alle Nichterwerbstätigen mobilisiert werden.