Aufbruchstimmung in den Betrieben Venezuelas. Ein Gespräch mit Johan Alexander Rivas Vasquez
Rivas Vasquez ist Sprecher der Gewerkschaft SIRTRASALUD im El Agodonal, dem größten Krankenhaus von Caracas/Venezuela. Derzeit spricht er auf Veranstaltungen in verschiedenen Städten Deutschlands über die Situation in Venezuela
Interview von Pablo Alderete, zuerst erschienen in der jungen Welt, 23. Januar 07
Welche Auswirkungen hatte die die Wahl von Hugo Chávez zum venezolanischen Präsidenten für die arme Bevölkerung?
Die Projekte der Regierung, die »Missiones«, haben sehr vielen Menschen aus armen und einfachen Verhältnissen den Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung ermöglicht. Im Zuge eines Bildungsprogramms lernte eine Million Menschen lesen und schreiben.
Auch in anderen Bereichen hat sich viel getan. So wurde die Zahl der Schulabgänger mit Abschluß gesteigert, und Privatisierungstendenzen im Bildungssektor konnten zurückgedrängt werden. Seit dem »Unternehmerstreik« gegen Chávez im Jahr 2002, der zu einem Anstieg der Lebensmittelpreise und einer Lebensmittelknappheit führte, subventioniert der Staat alternative, kostengünstige Supermärkte. Trotz dieser Verbesserungen besteht die Armut natürlich weiter, wie zum Beispiel im »Petare« in Caracas, der zweitgrößten Slumsiedlung Lateinamerikas.
Chávez hat bei seiner Vereidigung vom Aufbau des Sozialismus in Venezuela gesprochen und Verstaatlichungen angekündigt. Wie beurteilen Sie das?
Chávez befindet sich in einem brutalen Konflikt mit den Reichen, mit den Kapitalisten. Die erwähnten alternativen Supermärkte waren auch eine Reaktion darauf, daß der Markt mit Lebensmitteln in der Hand dreier mächtiger Familien ist.
Die rechte Opposition ist im Moment zwar geschwächt, aber es wird neue Versuche geben, Chávez zu stürzen. Was die Verstaatlichungen angeht, muß man abwarten, ob Chávez seine Ankündigungen wahr macht. Unter anderem handelt es sich hier um die Mobilkommunikationsfirma CANDV, die früher staatlich war und dann privatisiert wurde. Chávez hat ihre Verstaatlichung allerdings schon oft angekündigt, es bislang aber immer noch nicht getan. Ebenso wurden in der Vergangenheit Programme zur Überführung Hunderter bankrotter oder aufgegebener Firmen in neue Eigentumsformen angekündigt – auch das wurde so nicht umgesetzt. In Venezuela ist der »Sozialismus« aber sehr präsent. Man spricht von einem »revolutionären Entwicklungsprozeß«. Es bewegt sich etwas in der Gesellschaft. Allerdings hat eine Revolution hin zu einem anderen Gesellschaftssystem bisher noch nicht stattgefunden. Aber das Thema erscheint »am Horizont«.
Die neuesten Ankündigungen von Chávez beinhalten auch die Gründung einer »Partei der Revolution«.
In der Tat haben sich die Parlamentsparteien, die Chávez unterstützen und die Regierung tragen, sofort bereit erklärt, der neuen Partei beizutreten. Man muß abwarten, ob sich die Regierungsparteien lediglich zu einem übersichtlicheren und homogeneren Block zusammenschließen, oder ob auch Aktivisten aus der Bewegung ihren Weg in die neue Partei finden, sie größeren Zustrom bekommt.
Wie steht es um Arbeiterrechte?
In dem Krankenhaus, in dem ich arbeite, bauen wir die SIRTRASALUD auf, die sich dem neuen Gewerschaftsdachverband UNT angeschlossen hat. In vielen Betrieben werden die Beschäftigten aktiv, gründen gewerkschaftliche Gliederungen und fordern ihre Reche ein: Oft müssen sie dabei gegen die Mühlen der Bürokratie ankämpfen. Ein Beispiel: In dem Pharmakonzern Russel haben einige Kollegen eine Gewerkschaft gegründet und wurden deshalb entlassen. Obwohl es ein Gesetz gibt, das sie davor schützt, mußten sie zwei Jahre lang kämpfen, um wieder eingestellt zu werden und ihre gewerkschaftlichen Rechte zu bekommen. Kurz danach hat Russel geschlossen. Es sind vor allem die jungen Beschäftigten, die sich engagieren. In den meisten neuen gewerkschaftlichen Gliederungen sind die Vorstände mit Aktvisten im Alter von 20 bis 40 Jahren besetzt.