Staatliche Enteignungen, milliardenschwere Diebstähle und der Widerstand dagegen
Die Ölfirmen Staroil, Marathon Oil und an der Spitze Shell planen, die Gasreserven an der irischen Westküste auszubeuten. Der Wert des Gas Feldes in Corrib wird auf 12 bis 21 Milliarden Euro geschätzt. Um die Profite dabei besonders hoch fahren zu können, sind ihnen selbst die besonders günstigen steuerlichen Bedingungen, die für Konzerne herrschen, noch nicht gut genug.
von Martin Löber, Köln
Auch nicht die Tatsache, dass das Gas von der Regierung nahezu verschenkt werden soll. Es soll eine unter Hochdruck stehende Rohgasleitung durch bewohntes Gebiet geführt werden, um Kosten zu sparen. So etwas gibt es auf der gesamten Welt nicht wegen des riesigen Risikos von Lecks, Bränden und gewaltigen Explosionen. Der Transport des Gases über das Meer wäre etwas teurer, was Grund genug ist, sich über sämtliche Bedenken, die Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz angehen, hinwegzusetzen. Um Shell zu Diensten zu sein, hat sich die irische Regierung allerdings über Werte hinweggesetzt, die in bürgerlichen Staaten eigentlich noch einen viel größeren Stellenwert besitzen: Das Privateigentum wurde angetastet. In diesem Fall das Land der Bauern, durch das die Pipeline führen soll. Sie wurden enteignet.
Widerstand
Der Widerstand gegen die Pipeline und die von ihr ausgehenden Gefahren, der besonders von der lokalen Bevölkerung getragen wird, wurde verboten. Fünf Männer, drei davon enteignete Bauern, weigerten sich, die gerichtliche Verfügung anzuerkennen, die ihnen auferlegte, nichts zur Verhinderung des Baus zu unternehmen. Sie kamen ins Gefängnis, wo sie bleiben sollten, bis sie zusagten, ihren Protest aufzugeben. Darüber hinaus drohte der Gerichtspräsident damit, jeden Landbesitzer in Mayo (die Region in der die Pipeline gebaut werden soll; am ehesten vergleichbar mit einem Bundesland in der BRD) zu verhaften, sollte er seinen Anordnungen nicht gehorchen.
Diese Fünf wurden daraufhin landesweit bekannt als die „Rossport Five“. In ganz Irland brandete eine Welle der Solidarität mit den Inhaftierten auf. Es bildeten sich überall Gruppen der „Shell to Sea“ (Shell ins Meer) – Kampagne. Die vorrangigen Ziele waren die Freilassung der Fünf und der Bau einer See-Pipeline, um die drängendsten gesundheitlichen Gefahren für die lokale Bevölkerung zu mindern. Es wurden Unterschriften gesammelt und Demonstrationen organisiert, eine Welle der Empörung ging durch das Land. Der gewaltige Druck dieser Bewegung führte dazu, das die Fünf (Zufall oder wohl eher nicht) einen Tag vor der landesweiten Demonstration in Dublin am 1. Oktober 2005 nach 94 Tagen aus der Haft entlassen wurden. Höhepunkt dieser kämpferischen Demonstration war der Auftritt der "Rossport Five", die über ihre Zeit im Gefängnis und darüber sprachen, dass der Kampf weitergehen muss.
Rolle der Socialist Party (SP)
Besonderen Applaus bekam der Parlamentsabgeordnete der Socialist Party (Schwesterorganisation der SAV), Joe Higgins, der unter anderem den ganzen Einsatz der Kampfkraft der Gewerkschaften forderte, falls noch eine einzige weitere Person eingesperrt werden sollte. Darüber hinaus warf er vor einem Massenpublikum die Frage des Eigentums an den natürlichen Reichtümern des Landes auf. Dies hat die Socialist Party von Beginn an getan, innerhalb und außerhalb der "Shell to Sea" – Gruppen. Er forderte, dass die natürlichen Ressourcen der Bevölkerung gehören und die Gewinne aus der Ausbeutung des Gases der Allgemeinheit zugute kommen müssen.
Sehr aufmerksam folgten die Menschen der Rede von Dr. Owens Wiwa, dem Bruder des ermordeten Anti –Shell -Aktivisten Ken Saro Wiwa aus Nigeria. Dort, so berichtete er, wendet Shell noch wesentlich brutalere Methoden an um Kritik zu bekämpfen. Die Folgen von Shells Engagement in Nigeria sind verheerend – totale Verarmung der Bevölkerung im ölreichen Niger Delta und schlimmste ökologische Zerstörungen.
Nach der Freilassung der Rossport Five, die von den meisten UnterstützerInnen als Sieg angesehen wurde, verschwand das Thema von den Titelseiten. Erst im Frühjahr 2006, viel später, als die meisten AktivistInnen der „Shell to Sea“ – Kampagne erwartet hatten, gingen die Energiekonzerne wieder in die Offensive. Diesmal zu Beginn mit einer sanfteren Taktik. Sie erklärten, sie würden den Gasdruck innerhalb der geplanten Pipeline reduzieren und machten vage Andeutungen über eine mögliche Veränderung der Route, womit ja dann alles in Ordnung wäre. Diejenigen, die weiter gegen den Bau sind wurden als unvernünftig dargestellt. Alles mit dem Ziel, die Arbeit an der Raffinerie in Ballinaboy (eines der Endstücke der Pipeline und absolut notwendig für die Pläne von Shell) wiederaufnehmen zu können.
Denn jenseits des Medieninteresses ist die Raffinerie seit ca. 1,5 Jahren das Ziel von nahezu täglichen Blockaden. Zwar waren daran stets nur einige Dutzend Menschen, meist AnwohnerInnen, beteiligt, was aber das große Potential an Entschlossenheit zeigte. Es gibt Berichte von Zwischenfällen wie am 03.10.2006. Die Polizei hatte Straßenblockaden errichtet und über 100 Demonstranten weggeschleppt, wobei sie auch einige DemonstrantInnen verletzte.
Aktionstag im November 2006
Eskaliert ist die Situation am 10. November 2006 ebenfalls in Ballinaboy. Am 11. Jahrestag der Exekution von neun Anti-Shell-Aktivisten in Nigeria gab es einen landesweiten Aktionstag gegen Shell. Die ca. 300 Protestierenden wurden gezielt verprügelt, einige mussten ins Krankenhaus und ein Polizist freute sich während seines Einsatzes über die (Zitat!) „Schlagstockparty“. Das Ziel dieser Brutalität, nämlich die Kampagne zu demoralisieren, wurde leider erreicht. Einige der Führer der Kampagne argumentieren seit diesem Tag, dass Proteste und Blockaden nicht mehr durchgeführt werden könnten, weil dadurch die Gesundheit der Beteiligten extrem gefährdet würde.
Viele AktivistInnen von „Shell to Sea“, zum Beispiel die Mitglieder der SAV- Schwesterorganisation Socialist Party (SP) argumentierten dagegen und propagierten Massenaktionen bis hin zu Streiks gegen die unmenschlichen Pläne der Energiekonzerne. Die Position der SP war von Beginn an, neben der Befreiung der Rossport Five und der Sicherheit der Menschen, auch die Frage nach dem Eigentum an den Rohstoffen zu stellen. Bei Info-Ständen, Demos, in der Zeitung und innerhalb von „Shell to Sea“ haben die GenossInnen der SP immer wieder die Forderung aufgestellt, dass die Erlöse aus der Gasgewinnung der Bevölkerung zu Gute kommen müssen und dass das Gas ihr gehöre und nicht einigen Konzernen. Die Mitglieder der SP konnten das Thema in vielen Diskussionen benutzen, um daran den Irrsinn und die Ungerechtigkeit des kapitalistischen Systems zu zeigen und die Rolle der bürgerlichen Regierung als konsequente Interessenvertretung des Kapitals dabei.
Tatsächlich wurde der natürliche Reichtum von der Regierung geradezu verschenkt, was über Jahre hinweg vorbereitet wurde.
Regierung handelt im Interesse der Konzerne
1975 betrug der Steuersatz für Gewinne aus erfolgreichen Öl- und Gas–Projekten 50 Prozent, außerdem war der Staat automatisch mit 50 Prozent an jeder kommerziellen genutzten Quelle und erhielt zusätzlich 6 Prozent Lizenzgebühren. Seit 1987 veränderte sich dies. Der damalige Energieminister verhandelte mit Vertretern der Ölindustrie und als Ergebnis wurden das staatlichen Beteiligungsrecht und die Lizenzgebühren gestrichen. 1992 senkte Bertie Ahern, damals Finanzminister, heute Ministerpräsident die Steuern auf Öl und Gasprofite von 50 Prozent auf 25 Prozent, (zum Beispiel betragen sie in Norwegen 78 Prozent), einem der niedrigsten Steuersätze auf der ganzen Welt. Dem Konzern wurde darüber hinaus erlaubt, die Kosten ihrer weltweiten Unternehmungen von der Steuer abzuziehen.
Wie die Auseinandersetzungen ausgehen wird, ist noch völlig unklar. Die Wut und Empörung, die im Sommer 2005 über die Ungerechtigkeit gegenüber den fünf Männern aus Rossport herrschte, war riesig. Wenn dies mit der Erkenntnis über das Ausmaß des Betruges und des Diebstahls, die die Konzerne zusammen mit der Regierung gerade durchführen, zusammen trifft, können wir hoffen, dass 2007 eine große Widerstandsbewegung Shell in die Schranken weisen wird. Hinzu kommen höchstwahrscheinlich in der ersten Hälfte des Jahres 2007 die Parlamentswahlen (der genaue Termin wird von der Regierung bestimmt und steht noch nicht fest ). Die SP wird sicherlich nicht versäumen, das höhere politische Interesse in dieser Zeit zu nutzen, um für den Widerstand zu werben und Vorschläge zu machen, wie er erfolgreich organisiert werden kann. Ein Erfolg in diesem Kampf würde den Menschen weit über Irland hinaus Mut und Kraft geben, gegen die Ungerechtigkeiten unter denen sie leiden müssen, anzukämpfen.