Belgien: Zum Hintergrund der Massenentlassungen bei VW Vorst


Zwischen 25.000 und 30.000 Menschen demonstrierten gestern laut Gewerkschaftsangaben in der Hauptstadt Belgiens um ihren Unmut über die Entscheidung des deutschen Großkonzerns Ausdruck zu verleihen, die Produktion des Golf aus Vorst abzuziehen. Betroffen sind davon bis zu 4000 Arbeiter und ihre Familien.
 

von Tanja Niemeier

Rechnet man die dann anstehenden Entlassungen bei den Zulieferfirmen hinzu, stehen schnell 12.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel. Ein Szenario, das viele der in den Farben der verschiedenen Gewerkschaftsdachverbände rot, grün und blau gekleideten Demonstranten an die Schließung bei Ford Genk vor drei Jahren erinnert. Ein weiteres soziales Massaker steht bevor und wie es scheint, haben weder Gewerkschaftsführung noch politische Vertreter eine Strategie, um die drohende Arbeitsplatzvernichtung abzuwenden.

Vielleicht ist das auch ein Grund, warum die Teilnahme an der Demonstration hinter dem selbstgesteckten Ziel des sozialistischen, christlichen und liberalen Gewerkschaftsdachverbände von 50.000 TeilnehmerInnen zurückblieb. Unter den belgischen Gewerkschaftern tauchten hin und wieder IG-Metall-Fahnen schwenkende Delegationen von VW-Niederlassungen und anderen Betrieben in Deutschland auf.

Etwa 150 deutsche Kollegen, darunter Delegationen von VW Wolfsburg, Kassel und Braunschweig hatten sich auf den Weg nach Brüssel gemacht, um den Kollegen in Vorst ihre Solidarität zu beweisen.

Vielen der anwesenden Metallern war es ein Bedürfnis, deutlich zu machen, dass sie nicht die Profiteure der Produktionsverlagerung seien. Die Aussagen des Vorsitzenden der CMB (Centrale der Metalbewerkers, Mealcentrale ABVV), Herwig Jorrisson, wonach „IG Metall und Volkswagenleitung unter einem Hut stecken“, hatten hier wie dort für betretenes Unwohlsein gesorgt. „Entgegen aller Absprachen führt die deutsche Gewerkschaft einen Kurs, den ich entschlossen ablehne und der die internationale Solidarität der Arbeiter untergräbt “, so Jorrison weiter.

Ein Kollege von VW Baunatal formulierte aber gleichzeitig seine Kritik an den undemokratischen Strukturen der Gewerkschaften auf europäischer Ebene, die ein einheitliches Handeln schwer machen. Er fügt hinzu, dass die Antworten auf die Krise in der Automobilindustrie begrenzt bleiben, solange keine gesamtgesellschaftlichen Alternativen formuliert würden. Die Arbeiter in gleich welchen Standorten bleiben dabei auf der Strecke und können weiter gegeneinander ausgespielt werden.

Ein trojanisches Pferd

Diese Aussage scheint durch die neuesten Vorschläge zur Rettung des Werkes bestätigt; am Vorabend der Demonstration brachte Premier Guy Verhofstadt (VLD, Vlaamse Liberalen en Democraten) die frohe Botschaft seiner Verhandlungen mit der deutschen Volkswagenleitung mit. Verhofstadt beschrieb den Verlauf der Gespräche als „sehr positiv und sehr konsruktiv“. Allerdings, so berichtet die niederländisch-sprachige belgische Tageszeitung De Morgen „ sei die Wahrscheinlichkeit groß, dass die verbleibenden VW-Arbeiter ihren deutschen Kollegen folgen werden und für den gleichen Lohn länger arbeiten müssen“.

Als trojanisches Pferd entpuppt sich laut Jan Vanderpoorten, einem der gewählten Hauptsprecher der VW Vorst Beschäftigten und Mitglied der sozialistischen Gewerkschaft ABVV, bei näherem Hinsehen auch die anderen Heilsbotschaften des Premiers. Ab 2009 soll in Vorst der neue Audi 1 vom Band gehen und statt der 1.500 verbleibenden Arbeiter wieder 3.000 Menschen arbeiten können. 2007 und 2008 wolle man mit technischer Arbeitslosigkeit überbrücken.

Auf den Wirtschaftsseiten der Wochenendausgabe der belgischen Tageszeitung de Standaard wird das Ausmaß dieses Vorhabens deutlich: Man wolle sich bei der Umstrukturierung des Werkes an dem deutschen Vorbild der durch VW neu gegründeten Tochterfirma „Auto 5000“ orientieren.

Auf diese Weise wird es möglich neue und von den national abgeschlossenen Tarifverträgen abgekoppelte Verträge abzuschließen. In Wolfsburg verdienen die Beschäftigten bei Auto 5000 heute etwa 20 Prozent weniger als ihre direkt bei Volkswagen beschäftigten Kollegen.

Neue politische Vetretung

Das Komitee für eine andere Politik (CAP), eine neu entstandene politische Initiative um den langjährigen und landesweit bekannten ehemaligen Abgeordneten der Sozialistischen Partei (SP, heute SP.A) Jef Sleeckx war auf der Demonstration sehr präsent. Das Bündnis hatte auf seiner Gründungskonferenz Ende Oktober beschlossen, mit unabhängigen Listen zu den vermutlich im Mai stattfindenden nationalen Wahlen anzutreten. CAP erhielt viel Zuspruch von Anhängern und Wählern der SP.A, nachdem der SP.A-Vorsitzende Johan Vande Lanotte mit seiner Aussage, er wolle kein „Show-Vorsitzender“ sein und halte sich deshalb von den Streikposten bei VW fern, auf wenig Verständnis stieß.

Weitere Informationen unter www.anderepolitiek.be und www.standaard.biz/vwvoorst