St. Gobain – Funktionäre der IG BCE ausgebuht

KollegInnen werfen Fahnen und Mützen hin
 

30.Oktober 2006 auf einer IG-BCE-Kundgebung in Aachen: Anfangs war alles so wie immer. Die Aachener KollegInnen standen nett beieinander, es wurden Fahnen, Mützen und massenweise Trillerpfeifen von der IG Bergbau, Chemie, Energie (BCE) verteilt, während man noch darauf wartete, dass die KollegInnen aus dem Kölner und Mannheimer Werk eintreffen. Als dann ca. 400 KollegInnen in Aachen versammelt waren, wurden sie dazu gebracht, sich schön geordnet zu einem Demozug zu formieren. „Bitte so, dass nur ein Fahrbahnstreifen blockiert wird“, hallte es aus dem Megafon. Die KollegInnen machten lautstarken Gebrauch von ihren Krachmachern und so wurde es alles andere als langweilig.

von Johannes Sträterhoff, Aachen

Der Warnstreik richtete sich gegen die harte Verhandlungshaltung der Arbeitgeber. Trotz voller Geschäftsbücher und einem Plus im ersten Halbjahr von 26,1 Prozent wollten diese keinerlei Zugeständnisse machen. Nur eine geringe Lohnsteigerung wurde angeboten. Auf die seit 2 Jahren unbezahlte Mehrarbeit von 2 Stunden in der Woche sollte aber nicht verzichtet werden.

Die KollegInnen aber wollten dies nicht mehr hinnehmen. Bei dicken Gewinnen muss eine ordentliche Lohnerhöhung her und die 2 Stunden unbezahlte Arbeit zurückgenommen werden. Auch wurden versprochene Investitionen nicht getätigt, das forderten die KollegInnen nun ein. Schon während des kilometerlangen Protestmarsches zur Unterstützung der in Aachen tagenden Verhandlungskommission machten viele klar, wie weit sie gehen würden. „Wenn die Arbeitgeber keine Zugeständnisse machen, dann müssen wir eben streiken“, meinte ein Kollege. Ein anderer machte deutlich, das er die Mehrarbeit nicht mehr hinnehmen wird: “Dann eben Streik!“ Was die Protestierenden nicht wussten: Während sie marschierten, einigte sich die IG-BCE-Verhandlungsführung mit den Arbeitgebern auf einen ziemlich faulen Kompromiss.

Die Rolle der IG-BCE-Verhandlungsführung

Gewerkschaften, als ureigene Organisation der Arbeiterklasse, sollten natürlich alles daran setzen, sich für die Interessen der ArbeiterInnen einzusetzen. Soweit alles klar. Dass die Gewerkschaftsspitzen in der heutigen Zeit nicht mehr ganz so viele Reißzähne haben und diese auch selten zeigen wollen, ist leider Tatsache. Leider ist auch wahr, dass der Vorsitzende der IG BCE, Schmoldt, mal sagte: Streik „gehört bei uns nicht zum Verhandlungsritual.“ Was das konkret für die KollegInnen bedeutet, zeigte sich bei St. Gobain. Als die KollegInnen anfangs noch am Parkplatz standen und darauf warteten endlich ihren Protest auf die Straße zu tragen, da war eigentlich schon alles abgemacht. In der 2. Schlichtung am 30. Oktober 2006 haben sich „der Arbeitgeber deutlich bewegt“, so lässt sich das heute auf der Homepage der IG BCE entnehmen.

Buhrufe und Pfiffe – KollegInnen fühlen sich verraten

Als die Demonstration den Ort der Abschlusskundgebung erreichte, konnte man eine rasante Entwicklung beobachten. Vorher noch hatten einige KollegInnen volles Vertrauen in ihre Gewerkschaft. „Die IG BCE wird streiken, wenn die sich nicht bewegen“, meinte zum Beispiel ein Kollege. Als dann die Verhandlungsführer verkündeten, dass sie ein Ergebnis erreicht hätten, warteten die KollegInnen noch gespannt. Das Blatt wendete sich, als deutlich wurde, dass die 2 Stunden Mehrarbeit bestehen bleiben würden. Das sei ein Erfolg, der nur durch die Hilfe der KollegInnen möglich gewesen sei, betonte der Verhandlungsführer. Erfolg, davon konnte für die KollegInnen keine Rede sein. Unmut regte sich, Buhrufe, Pfiffe begannen.

„Rechnet doch erstmal nach – dann werdet ihr sehen, dass der Abschluss gar nicht so übel ist“, fingen die Funktionäre an sich zu verteidigen. Ihnen standen das Unverständnis und die Ratlosigkeit im Gesicht geschrieben. Doch die KollegInnen konnten sehr gut rechnen.

Fahnen, Mützen und auch massenweise Pfeifen wurden vor die Bühne (manchmal auch darauf) geschmissen, es wurde gefordert, sich für ihre Interessen einzusetzen. „Ihr Verräter“, „Weicheier“, „Das lohnt sich gar nicht für uns“…waren noch die nettesten Rufe, die aus der Masse der KollegInnen kamen. „Andere Bereiche haben viel schlechter abgeschlossen“, versuchten sich die Funktionäre zu rechtfertigen. Doch das war für die KollegInnen zu viel. Immer lauter wurde der Unmut. „Ihr habt es ja gut – ihr habt doch genug Geld in euer Tasche“, rief ein Kollege. Und andere forderten, dass die Gewerkschaftsbosse das doch mal vorrechnen sollten, wie viel das denn ist. Da kamen die Funktionäre wohl zu sehr ins schwitzen.

Wir erklären euch das Ergebnis, wenn wir wieder zu Hause sind, ihr könnte dann jederzeit zu uns kommen, stammelte der Verhandlungsführer. „Geht doch morgen ins Betriebsratsbüro und lasst euch das vorrechnen, dann werdet ihr sehen, das lohnt sich“ ein anderer. Als auch das nicht half, wurde die Kundgebung einfach schnell beendet und die KollegInnen mit dem Aufruf schnell die Busse aufzusuchen, alleine gelassen. Verrat pur!

Wie weiter?

Viele KollegInnen standen noch lange miteinander herum, um zu diskutieren, was jetzt folgen muss. Antworten gab es kaum. Vielen wurde mit einem Mal klar, dass sie auf die Gewerkschaftsbosse nicht vertrauen können. Andere betonten, sie würden jetzt austreten, mit Gewerkschaften sei eh nichts mehr zu machen. Nötig wäre es gewesen, in der Belegschaft klar zu machen, dass dieser Abschluss ein Verrat ist und abgelehnt werden muss und eine Kampagne gegen diesen Abschluss zu führen. Dafür wäre eine sofortige Versammlung der Beschäftigten nötig gewesen. Die KollegInnen hätten über Ergebnis und Kampfmaßnahmen demokratisch diskutieren und entscheiden sollen. Notwendig wäre die Wahl eines Streikkomitees gewesen, welches trotz des Verrats der IG-BCE-Funktionäre an den Forderungen festgehalten hätte und die KollegInnen für weitere Aktionen mobilisiert hätte.

Die KollegInnen von St. Gobain sind nicht die einzigen, die mit der Verhandlungstaktik der Gewerkschaftsfunktionäre unzufrieden sind, immer mehr Belegschaften machen diese Erfahrungen (so bei BSH Berlin oder bei Phillips Aachen und anderen Betrieben). Darum ist der Aufbau einer innergewerkschaftlichen Opposition nötig. Zudem müssen sich egagierte, kämpferische KollegInnen in den Betrieben zusammentun, um – wenn die Spitzen von Gewerkschaft und Betriebsrat zum Kampf nicht bereit sein sollten – selber Initiativen ergreifen zu können.