Belgien: Konferenz zur linken Neuformierungsprozess
von Tanja Niemeier, Gent
Mehr als 500 Jugendliche, Gewerkschaftsmitglieder, darunter zahlreiche Vertrauensmänner und –frauen, Vertreter der sozialen Bewegungen sowie Gäste und Beobachter verschiedener Organisationen und Parteien aus allen Landesteilen Belgiens füllten am vergangenen Samstag das Auditorium Janson der freien Universität Brüssel (ULB).
Sie waren der gemeinsamen Einladung der beiden unabhängig voneinander existierenden Initiativen “Komitee für eine andere Politik” (CAP) und “Eine andere Linke” (UAG) gefolgt um über die Notwendigkeit einer neuen politischen Interessensvertretung für Lohnabhängige und Erwerbslose zu diskutieren. Bei der Abstimmung waren sich die TeilnehmerInnen mit übergroßer Mehrheit einig, dass sie bei den vermutlich im Mai stattfindenden Parlamentswahlen mit alternativen Listen antreten wollen. Damit ist in den Augen der Mehrheit der Veranstalter ein wichtiges, wenngleich umstrittenes, Ziel erreicht worden.
“Das neue Projekt hat das Potential 15% der Stimmen zu erreichen”, so zitiert die belgische Tageszeitung De Standaard Jef Sleeckx, den wohl bekanntesten Mitinitiator des Komitees für eine andere Politik (CAP). Jef Sleeckx war 22 Jahre lang Abgeordneter für die Sozialistsiche Partei (SP), heute SP.a., im belgischen Nationalparlament. Er kommt aus der Bergbauregion “Kempen”. Es ist auch der Bergbau und der Widerstand gegen Grubenschließungen, der ihn in die Politik gebracht hat. Heute erklärt Sleeckx, dass es Schlüsselmomente in der gesellschaftlichen Entwicklung gibt, die politische Konsequenzen nach sich ziehen. Die Zustimmung zur EU-Verfassung und die Beteiligung an der Ausarbeitung des sogenannten “Generationenvertrages”, der belgischen Version der Agenda 2010, durch die SP.a, die eine jahrzehntelange Kontinuität der Regierungsbeteiligung auf allen Ebenen kennt, waren derartige Schlüsselmomente, so Sleeckx. So ist es auch kein Zufall, dass die Konferenz genau ein Jahr nach der Generalstreiksbewegung gegen den Generationenpakt stattfindet. Sie ist so etwas wie der Geburtsmoment der Idee einer neuen politischen Interessenvertretung geworden. “In den Gesprächen an den Streikposten musste ich feststellen, wie gross die Frustration der Leute über die Politik der Sozialdemokratie ist, ” so Sleeckx und “dass etwas links von SP.a und PS (wallonische Sozialdemokratie) entstehen muss, um die Interessen des kleinen Mannes zu verteidigen”. Er sei überzeugt, dass es einen Platz gibt für eine linke Alternative mit einem deutlich anti-neoliberalen Profil. Inhaltlich und programmatisch führte Sleeckx dies jedoch nicht weiter aus.
In den verschiedenen Redebeiträgen wurde die Notwendigkeit einer neuen Interessensvertretung unterstützt. Insbesondere Vertrauensleute aus den Betrieben illustrierten, dass sie in ihren Protesten keine politischen Bündnispartner mehr finden. Dabei wurde vielfach auch die Führungen der beiden grossen Gewerkschaftsdachverbände kritisiert. Levi Solie, Vertrauensmann bei Bayer in der Industrie-und Hafenstadt Antwerpen wies darauf hin, dass diese sich aufgrund der politsichen Verflechtung mit den etablierten Parteien nicht entschieden genug für die Interessen der Belegschaften einsetzen.
Kampf gegen VB
Der politische Kampf gegen den rechtsextremen Vlaams Belang (VB), vormals Vlaams Blok, muss eines der Hauptanliegen einer neuen linken Formation sein, betonte Nikei Depooter, Student und Mitglied der im CAP und auf der Konferenz deutlich vertretenen Linkse Socialistische Partij/Mouvement por une Alternative Socialiste (LSP/MAS – Schwesterorganisation der SAV in Belgien) aus Antwerpen. Unlängst brüstete sich die SP.a in der Hafenstadt damit durch ihren Stimmenzuwachs bei den Kommunalwahlen vom 8. Oktober dem Wachstum des VB Einhalt geboten zu haben. Bei genauerm Betrachten der Wahlergebnisse muss jedoch festgestellt werden, dass die SP.a allein ihre “Konkurrenten gefressen” habe, so Nikei. Keine einzige Stimme von VB Wählern sei zurückgewonnen worden. In der zweitgrößten belgischen Stadt lebt ein Viertel der Menschen in Armut. Die Vertreter der etablierten Politik haben darauf keine Antwort und wir können nur bestehen, wenn es uns gelingt, tatsächliche Alternative zu formulieren, so der junge Mann.
Noch ist nicht deutlich, welchen Weg das Projetkt nehmen wird. Deutlich wurden unterschiedliche Ansätze, die sich organisatorisch im Moment entlang der Sprachgrenze niederschlagen. Die Vertreter der französischsprachigen Initiative UAG bevorzugen ein föderales Projekt, die Vetreter des mehrheitlich niederländischsprachigen CAP, unterstützt von LSP/MAS in Flandern, Brüssel und der Wallonie, wollen ein gemeinsames nationales Vorgehen mit einheitlichen Strukturen. Dieser Vorschlag wurde auf der Konferenz von der Mehrheit, darunter auch von wichtigen französischsprachigen Gewerkschaftsaktivisten, unterstützt. Allein die Tatsache, dass Brüssel zweisprachig ist, sollte Grund genug sein, um in der Hauptstadt mit einer gemeinsamen Organisationsform aufzutreten, erklärten viele Teilnehmer in den Gängen der Universität Brüssels, die ebenfalls ihre Auseinandersetzungen um die nationale Frage in dem 10 Millionen zählenden Nachbarland kennt.
Rolle von LSP/MAS
Lode van Outrieve, zwischen 1994 und 1999 Mitglied des Europäischen Parlaments für die SP bedankte sich in seinen abschliessenden Bemerkungen bei LSP/MAS vor allen Dingen für die organisatorischen Unterstützung zum Gelingen der Konferenz. Die Räumlichkeiten an der Universität konnten durch LSP/MAS organisiert werden. Mitglieder und Sympathisanten der Schwesterorganisation der SAV waren auch schon in den frühen Morgenstunden des Samstags im Einsatz um 1.600 Brötchen für das leibliche Wohlergehen der KonferenzteilnehmerInnen zu schmieren. Das unterstreicht sehr deutlich das Selbstverständnis unserer Organisation. Wir wollen mit Rat und Tat einen Beitrag leisten zum Wiederaufbau der Arbeiterbewegung und ihren Organisationen. Genau wie in Deutschland tritt LSP/MAS seit dem Zusammenbruch des Stalinismus und der damit einhergehenden Verbürgerlichung der sozialdemokratischen Parteien Europas und großen Teilen der Welt für den Aufbau von neuen Arbeiterparteien ein. LSP/MAS ist von Beginn an aktiver Teil des Komitees für eine andere Politik gewesen. Die Teilnahme an den Kommunalwahlen wurde in erster Linie zur Mobilisierung für den 28.10. und zur Verbreitung der Idee einer neuen Arbeiterpartei und des Projektes CAP genutzt. Die aktive Teilnahme spiegelt sich an dem Tag selber dann auch nicht nur im Brötchen schmieren und in der Organisation der Örtlichkeiten wieder. Zwei führende Mitglieder waren Teil des 6-köpfigen Präsidiums. 350 der bis zu 600 Anwesenden waren Mitglieder und Sympathisanten von LSP/MAS. Das traf sicherlich auf den großen Teil der Jugendlichen Anwesenden zu, aber auch auf wichtige Vertreter aus dem gewerkschaftlichen Bereich. Die inhaltlichen Beiträge der GenossInnen wurden mit viel Applaus bedacht und auch in den 12 Arbeitgruppen wurde der aktuelle politische Einfluss deutlich. Vielfach waren es die Mitglieder von LSP/MAS, die, anders als in den zum Teil sehr abgehobenen und abstrakt radikalen Beiträgen von Vertretern anderer Organisationen der sogenannten extremen Linken, anhand konkreter Beispiele und Erfahrungen die Notwendigkeit eines antikapitalistischen und sozialistischen Programms deutlich machen konnten. Auch die internationalen Erfahrungen, die WASG Stadtrat und SAV Mitglied Marc Treude aus Aachen in die Konferenz einbringen konnte, waren sehr willkommen.
Wie geht es weiter?
Die ersten konkreten Schritte sind gemacht. Die Abstimmung der Resolution hat grünes Licht gegeben, um bei den kommenden Wahlen mit eigenständigen Listen kandidieren zu können und um nach Möglichkeit an einem einheitlichen Projekt zu bauen. Dennoch bestehen Zweifel, ob die Initiative tatsächlich aus den Kinderschuhen wachsen wird und den Praxistest bestehen wird. Die gute Beteiligung, insbesondere von Gewerkschaftern, an der Konferenz drückt das Potential für eine neue Partei oder Bewegung links von der Sozialdemokratie und den Grünen aus. Gleichzeitig offenbarte das Zusammenkommen entscheidende Schwächen. Programmatisch und inhaltlich blieb man sehr vage. Jef Sleeckx äusserte sich kaum über den Charakter und die inhaltlichen Herausforderungen an eine neue Formation. Es gab keine konkreten Vorschläge zur weiteren Arbeit oder für eine gemeinsame Kampagne. Eine öffentliche Zusammenkunft des provisorischen Leitungsgremiums am 6. November wird hoffentlich einige Antworten geben können. LSP/MAS wird den Aufbau einer neuen Interessensvertretung der Arbeiterklasse in Belgien weiterhin nach allen Kräften unterstützen.Die Mitglieder und Symapthisanten von LSP/MAS werden sich aktiv und unterstützend am Aufbau lokaler Gruppen beteiligen; gleichzeitig werden wir in solidarischer Art und Weise unsere Kritik und die Notwendigkeit eines über den Kapitalismus hinausgehenden Programms in die Diskussion einbringen.
Weitere Infos unter www.socialisme.be und unter www.anderepolitiek.be