Streiks, und Großdemos dauern an. Schritte Richtung Selbstorganisation werden gemacht
Seit der Wahlfälschung bei der Präsidentschaftswahl im Juli kommt es zu Massenprotesten. Die Wut richtet sich dagegen, dass der neoliberale Felipe Calderón von der Regierungspartei PAN (Partei der Nationalen Aktion) und nicht López Obrador von der PRD (Partei der Demokratischen Revolution), ein radikaler bürgerlicher Populist, zum Sieger erklärt wurde.
von Rafael Reimann, Hamburg
López Obrador und seine PRD mussten aufgrund des anhaltenden Aufruhrs viel weiter gehen, als sie sich vor der Wahl wohl hätten vorstellen können. Am 16. September rief Obrador in Mexico City eine „Gegenregierung“ aus. Das Stadtzentrum wird seit Monaten regelrecht belagert. Tausende harren dort in Zelten aus. Am 16. September waren 1,5 Millionen beteiligt, als Obrador zum „Präsident“ der „Gegenregierung“ gekürt wurde. Sie verpflichteten sich, auf Basis zivilen Ungehorsams am 1. Dezember die Amtsübergabe vom bislang amtierenden Präsidenten Vicente Fox an Felipe Calderón (beide von der PAN) zu verhindern.
Wie links ist Obrador?
Obrador und die PRD sind keine Gegner des bürgerlichen Parlamentarismus und der Marktwirtschaft. Sie ließen beispielsweise auch die Militärparaden zum Nationalfeiertag ungestört ablaufen. Sie beschränken sich darauf, Korruption und Armut anzuprangern. Was die Herrschenden in Mexiko wirklich fürchten, sind nicht Obrador und seine Parteiangehörigen, sondern die Erwartungen, die bei Millionen von ArbeiterInnen, Bauern und Jugendlichen geweckt wurden. Würde Obrador als Präsident vereidigt – so die Sorge der herrschenden Klasse – dann könnten sich darüber Massenstreiks und Besetzungen Bahn brechen – und Obrador zwingen, weitergehende Maßnahmen zu ergreifen.
Aufständische in Oaxaca
Nicht nur in der Hauptstadt halten die Proteste an. Stahlarbeiter streikten 141 Tage und lieferten sich Schlachten mit der Polizei. Ihnen wurden nicht nur alle Forderungen erfüllt, sie konnten die Unternehmer auch zwingen, für jeden Streiktag Lohn auszuzahlen. Mitte November sollen 400.000 Staatsbeschäftigte in sozialen Diensten in den Ausstand treten.
Das wird noch in den Schatten gestellt von den Ereignissen im Bundesstaat Oaxaca. Dort entwickelt sich regelrecht ein Volksaufstand. Ausgehend von einem kämpferischen Lehrerstreik für höhere Löhne wurde eine Volksversammlung (APPO) ins Leben gerufen, die Hunderte von gewerkschaftlichen, sozialen, indigenen und politischen Organisationen umfasst. Sie trotzten den Einsätzen von Paramilitärs und Polizei. Ziel ist eine neue Verfassung. Eine Dynamik hat sich entfaltet, die dem von der jahrzehntelangen Regierungspartei PRI gestellten Gouverneur immer weniger Spielraum lässt. Das Parlament führt nur noch heimliche Treffen in Hotels durch. Die Polizei hat sich zurückgezogen. Acht Rundfunkstationen wurden besetzt.
Hier lässt sich schon von Zügen einer Doppelherrschaft sprechen. Der kapitalistische Staatsapparat hat die Lage längst nicht mehr völlig unter Kontrolle.
In Oaxaca könnte sich die Situation jetzt zuspitzen. Zum Redaktionsschluss der Solidarität lehnten die streikenden LehrerInnen eine Vereinbarung ab, die von Lehrergewerkschaft, Regierung und APPO ausgehandelt worden war. Vivente Fox droht nun mit dem Einsatz von Polizei und Militär gegen die LehrerInnen.
Aufgaben
Wie lange wird der US-Imperialismus, der große Nachbarstaat im Norden, den Entwicklungen noch zusehen? Die Zeit drängt. Nötig wäre jetzt eine Kampagne für einen eintägigen Generalstreik. Demokratisch gewählte Aktionskomitees müssten in den Betrieben und auf allen Ebenen geschaffen werden. Diese müssten überregional und national mit einander verbunden werden. Es führt kein Weg daran vorbei, dass die Arbeiterklasse ihre eigenen unabhängigen Organisationen aufbaut. Die Gewerkschaften mit ihren zehn Millionen Mitgliedern müssen demokratisiert werden. Eine Arbeiterpartei ist nötig – die den Kampf gegen Vetternwirtschaft und Neoliberalismus mit dem Kampf zum Sturz des kapitalistischen Systems verbindet und das Ziel einer sozialistischen Föderation in ganz Lateinamerika verfolgt.