IG Metall handelt gegen die Belegschaft von Bosch-Siemens-Hausgeräte
Nach 26 Tagen wurde der Streik bei Bosch-Siemens-Hausgeräte (BSH) in Berlin-Spandau gegen Betriebsschließung und Entlassungen von der IG-Metall-Führung gegen den Willen der Mehrheit der Streikenden abgebrochen. Damit ist nicht nur eine Chance vertan worden, gegen Unternehmerwillkür in die Offensive zu kommen. Der Verlauf des Streiks ist auch ein Armutszeugnis für die Politik der IG-Metall-Oberen und ein großes Kompliment an die Streikenden.
von Sascha Stanicic, Berlin
Im August hatte die Konzernleitung angekündigt, das Werk zum Jahreswechsel schließen zu wollen. Der Schließungsbeschluss erging trotz der Tatsache, dass der Konzern große Gewinne macht. Diese sind den Bossen aber nicht hoch genug. Durch eine weitere Verlagerung der Produktion in Niedriglohngebiete, in diesem Fall Polen und Türkei, sollen die Profite maximiert werden – auf Kosten der Arbeiterinnen und Arbeiter. So funktioniert der Kapitalismus – wenn man ihn lässt.
Sozialtarif?
Die Beschäftigten des Werks und ihre gewerkschaftlichen Vertreter wollten ihn nicht „lassen“ und setzten sich gegen die Pläne der Geschäftsleitung zur Wehr. Es wurde protestiert und verhandelt. Wieder einmal stellte die Gewerkschaft die Forderung nach einem Sozialtarif auf. Dies soll dazu dienen, einen legalen Streik führen zu können. Diese Taktik führt aber auch dazu, dass öffentlich nicht für den Erhalt aller Arbeitsplätze argumentiert werden kann, da ein Sozialtarif ja zwangsläufig die Frage von Abfindungsregelungen für ausscheidende MitarbeiterInnen behandelt, und es der Gewerkschaftsführung leichter fällt, faulen Kompromissen zuzustimmen. Nach dem Scheitern von Verhandlungen traten die ArbeiterInnen dann am 26. September in einen unbefristeten Streik.
Streik und „Marsch der Solidarität“
Die KollegInnen wussten: Allein machen sie dich ein. Sie organisierten einen „Marsch der Solidarität“, der sie über Zwischenstationen bei verschiedenen anderen BSH-Standorten und von Arbeitsplatzvernichtung betroffenen Belegschaften am 19. Oktober zu einer Kundgebung vor der Konzernzentrale in München hätte führen sollen. Durch den Marsch politisierten sie die Auseinandersetzung und knüpften direkte Verbindungen zu anderen Belegschaften. Die Resonanz, vor allem bei den BenQ-Beschäftigten in Kamp Lintfort, war groß.
Durch die BenQ-Pleite und die öffentlichen Debatten über Manager-Gehälter und die „neue Unterschicht“ geriet die Konzernleitung unter wachsenden Druck. Vor allem die geplante Kundgebung in München machte ihnen Sorgen. Also wurde kurzerhand an den betrieblichen Vertretern vorbei zwischen IG-Metall-Zentrale und Geschäftsleitung ein Kompromiss ausgehandelt und dieser ultimativ zur Unterschrift vorgelegt. „Unterschreiben oder Werksschließung“ war die Parole und Zeit für Beratung oder gar Rücksprache mit der Streikversammlung blieb den betrieblichen Vertretern nicht. Es wurde unterschrieben und die IG Metall sagte die Kundgebung in München ab. So sollte für Ruhe gesorgt werden – genau in dem Moment, in dem der Streik eine größere gesellschaftliche und politische Wirkung entwickelte.
Fauler Kompromiss
Das Verhandlungsergebnis war äußerst schlecht. Es sah zwar die Fortführung der Produktion bis 2010 vor und bedeutete damit erstmalig eine Rücknahme eines Schließungsbeschlusses. Gleichzeitig wurde dies aber mehr als teuer erkauft: 216 (von 570 in der Fertigung) betriebsbedingte Kündigungen, Lohneinbußen von 20 Prozent, eine Abfindungsregelung weit unter der Forderung der Gewerkschaft. Und skandalöserweise verpflichtete sich die IG Metall in der Vereinbarung dazu, keine Protestaktionen außerhalb von Berlin durchzuführen. Die Belegschaft nahm diese Vereinbarung mit heller Empörung und offener Ablehnung auf. Aus ihrer Sicht sollte der Kampf um alle Arbeitsplätze geführt werden und war insbesondere das Hinnehmen von betriebsbedingten Kündigungen inakzeptabel.
Rebellion gegen IGM-Führung
In einer offenen Rebellion gegen die Führung der IG Metall wurde das Ergebnis von der Mehrheit der KollegInnen in der Streikversammlung vehement zurückgewiesen und die Forderung nach Fortsetzung des Streiks aufgestellt. Die folgende Urabstimmung brachte dann auch ein eindeutiges Ergebnis: 67 Prozent der abgegebenen Stimmen für Weiterführung des Streiks. Dies reicht aber nach der reichlich undemokratischen Satzung der IG Metall nicht aus. Diese sieht vor, dass ein Streik nur bei 75-prozentiger Zustimmung geführt werden kann. Die Streikversammlung votierte trotzdem einstimmig für eine Fortsetzung des Streiks für drei konkrete Forderungen. Die IG Metall wurde zur Unterstützung einer Streik-Fortsetzung aufgerufen. Doch diese ignorierte den Willen der Streikenden und hielt an dem Beschluss zum Streik-Abbruch fest. Dementsprechend wurde der Streik am 20. Oktober um Mitternacht beendet.
Bilanz
Das Ergebnis bei BSH steht in einer Reihe mit den Ergebnissen ähnlicher Auseinandersetzungen, wie bei CNH in Berlin und AEG in Nürnberg. Die Auseinandersetzung ging hier aufgrund des Selbstbewusstseins der KollegInnen und des Einflusses kritischer GewerkschafterInnen aber deutlich weiter. Doch trotzdem war die Belegschaft nicht auf den – zu erwartenden – Ausverkauf durch die IGM-Führung vorbereitet. Sie hatte keine ausreichenden Strukturen gebildet, die den Streik tatsächlich vollständig unter die Kontrolle der Streikenden gebracht hätte. Und auch die linken und kritischen GewerkschafterInnen hatten keine Gruppe gebildet, die schnell und geschlossen hätte handeln und eine alternative Führung hätte darstellen können.
Der einzige Weg wäre die Besetzung des Werks gewesen, doch im entscheidenden Moment orientierten die Wortführer der Belegschaft darauf, die IGM-Funktionäre zu überzeugen statt den Schritt zu einem selbstständigen Streik zu gehen, sich an die Basis der Gewerkschaft in anderen Betrieben zu wenden und so die Führung unter Druck zu setzen. Eine Besetzung hätte zweifellos die Gefahr beinhaltet, dass die Konzernchefs (erst einmal) ihre Bereitschaft zum Kompromiss zurückgezogen hätten. Gleichzeitig hätte sie aber einen bundesweiten Bezugspunkt für andere betroffene Belegschaften bilden können und eine Welle der Solidarität und des gemeinsamen Kampfes auslösen können.
Was bleibt, ist trotzdem ein Erfolg. Denn die BSH-Bosse konnten sich mit ihrem Schließungsplan nicht durchsetzen und der Kampf selber hat neue Maßstäbe gesetzt. Darauf kann in zukünftigen Kämpfen aufgebaut werden. Und der Streik kann auch ein Ausgangspunkt für die bessere Vernetzung kritischer MetallerInnen im Kampf für eine kämpferische und demokratische Gewerkschaft sein.
Sascha Stanicic ist SAV-Bundessprecher