von Sascha Stanicic
Nachdem sich 67 Prozent der Streikenden bei BSH für eine Fortsetzung des Streiks und eine Ablehnung der zwischen IG Metall und Geschäftsleitung ausgehandelen Vereinbarung ausgesprochen hatten, hat die IG Metall-Führung dieses eindeutige Votum der Belegschaft ignoriert und den Abbruch des Streiks durchgesetzt. Und das, obwohl eine Streikversammlung nach Ende der Urabstimmung einstimmig für die Fortsetzung des Streiks votierte und die Gewerkschaft aufrief dieses Votum zu respektieren.
Nachdem auf der Streikversammlung unmittelbar nach der Urabstimmung die Stimmung unter den Streikenden auf dem Siedepunkt war, führte die Unterbrechung der Versammlung und die Durchführung eines gemeinsamen Abendessens im Streikzelt mit Beteiligung von IGM-Funktionären und Spitzenpolitikern (Wowereit, Gysi, Dieter Dehm) zu einer veränderten Stimmung unter den Kolleginnen und Kollegen. Die Dynamik der gemeinsamen Rebellion gegen das Vorgehen der IG Metall-Führung war nicht mehr da und es dominierte das Gefühl, dagegen selbständig nichts ausrichten zu können.
Eine um 21 Uhr einberufene Streikversammlung verlief dann auch ganz anders, als die Versammlungen am Nachmittag und am Vortag. Die kritischen Kolleginnen und Kollegen, die für Fortsetzung des Streiks waren, meldeten sich kaum oder zu spät zu Wort. Wahrscheinlich, weil sie nicht wussten, welche praktischen Vorschläge sie machen können. Stattdessen gab es viele Unmutsbekundungen aus dem Saal durch Zwischenrufe, die aber immer wieder zu Auseinandersetzungen im Saal führten. Dies wurde dadurch verstärkt, dass von Seiten der Betriebsratsvorsitzenden Güngör Demirci, der die Versammlung leitete, am Anfang der Debatte keine Vorschläge gemacht wurden, sondern erst einmal „die Meinungen der Kollegen gehört“ werden sollten. Daraufhin meldeten sich dann vor allem Kollegen zu Wort, für die der Streikabbruch nicht mehr in Frage zu stellen war. Den meisten Applaus erhielt die kleine Tochter eines Streikenden, die sich darüber beschwerte, dass sich die Kollegen nun untereinander stritten und sagte: „Wenn es um meinen Arbeitsplatz gehen würde, würde ich weiter kämpfen.“
Als der zuständige IGM-Sekretär Luis Sergio dann den Streikabbruch offiziell verkündete und sagte, „wir können stolz auf unseren Kampf sein“, ergriff ein Kollege das Wort und sprach den Streikenden aus dem Herzen, als er an Sergio gerichtet sagte: „Dein Stolz und unser Stolz sind zwei verschiedene Dinge. Wir können stolz sein, Du nicht.“ Diese deutlichen Worte in Richtung IG Metall-Führung ernteten starken Applaus und Sergio erhielt damit die verbalen Prügel, die er zweifellos verdient, weil er den Streikabbruch mit betrieben hat, die aber vor allem die Verantwortlichen im IGM-Hauptvorstand beziehen sollten, die den faulen Kompromiss ausgehandelt hatten.
Als dann Güngör Demirci sagte, dass das Streikzelt bis Sonntag stehe und man weiter zusammen kommen solle, um zu diskutieren, wie es weiter gehen soll, war klar, dass der Streik nicht weitergehen wird. Denn dies war der letzte Moment, in dem ein Vorschlag für eine Fortführung des Kampfes hätte kommen können. Die allgemeine Aufforderung zur Fortsetzung von Diskussionen musste ins Leere laufen und gab für die Streikenden keine Perspektive. So fand die Versammlung leider ein Ende, das das Selbstbewusstsein und das Gefühl für das Erreichte nicht stärkte, sondern die Kolleginnen und Kollegen eher vereinzelt nach Hause gehen ließ.
Viel zu spät wurde dann in der Nacht noch entschieden zu einer Diskussion am Samstag um 16 Uhr einzuladen. Diese Einladung wurde auf der Gewerkschaftsdemonstration, an der sich über 50 KollegInnen beteiligten, verteilt. Das führte aber dazu, dass an dieser Versammlung mehr GewerkschafterInnen aus anderen Betrieben und Mitglieder politischer Gruppen teilnahmen, als Streikende selber.
Hier war man sich einig, dass der Kampf der BSH-Belegschaft, trotz des für die IG Metall unrühmlichen Streikabbruchs, als ein politischer Erfolg zu bewerten ist und dass ein Weg gefunden werden muss, auf diesem aufzubauen. „Der Streik ist beendet, der Kampf geht weiter.“ – das war die Schlussfolgerung aller an der Diskussion Beteiligten.
Berlin, den 22.10.06