Die Urabstimmung der Kolleginnen und Kollegen beim Bosch-Siemens-Hausgerätewerk in Berlin wurde heute um 12.00 Uhr beendet. Auf dem ganzen Werksgelände hängen Transparente und Plakate, die dazu auffordern die von IG Metall, Betriebsrat und Geschäftsleitung ausgearbeitete Vereinbarung abzulehnen und mit „Nein“ – und damit für eine Fortsetzung des Streiks – zu stimmen.
Das Ergebnis der Urabstimmung ist ein Schlag ins Gesicht der IG Metall und der Verhandlungsführung. 67 Prozent der Kolleginnen und Kollegen, die an der Urabstimmung teilnahmen (die Beteiligung lag bei über 95 Prozent) stimmten mit Nein. Das politische Votum ist also eindeutig: Ablehnung eines Vertrages, der unter anderem 216 betriebsbedingte Kündigungen vorsieht. Doch die Satzung der IG Metall hält in solchen Fragen wenig von Mehrheitsentscheidungen und Demokratie. Nach Satzung reichen 25 Prozent für den Abbruch eines Streiks. Das Argument der für einen Streik notwendigen großen Geschlossenheit einer Belegschaft zog aber bei den BSH-Streikenden nicht. Sie reagierten empört auf die Interpretation des Urabstimmungsergebnisses durch den zuständigen IGM-Sekretär Luis Sergio, der erklärte, dass die Vereinbarung damit angenommen sei. Unter lauten Rufen „Die Mehrheit muss entscheiden“ und „Wir wollen streiken“ übergab Sergio dann das Mikrophon an den IGM-Bezirksleiter Olivier Höbel. Dieser wurde mit einem Konzert aus Pfiffen und Buh-Rufen empfangen und als er begann zu reden, verließ die große Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen das Streikzelt und versammelte sich auf dem Platz davor. Höbel entblödete sich nicht vor einem fast leeren Streikzelt zu reden, während davor heftige Wortgefechte und Debatten statt fanden. Kollegen brachen in Tränen aus und ließen ihrer Wut und Enttäuschung freien Lauf. Nach einer Viertelstunde und einigen Gesprächen riefen einige AktivistInnen dazu auf, ins Zelt zurück zu kehren und die Versammlung fortzusetzen, um eine neue Streikleitung zu wählen.
Als erster ergriff der Vertraunskörper-Leiter Hüseyin Akyurt das Wort. Er sagte: „Das Ergebnis ist eindeutig. Der Streik wird fortgesetzt. Wir entscheiden darüber, ob wir streiken oder nicht.“ Diese deutliche Absage an den Versuch der IG Metall-Führung, den Streik abzublasen führte zu stehenden Ovationen. Der Ruf „Wir streiken weiter – Solidarität“ erklang aus hunderten Kehlen. Die Kolleginnen und Kollegen waren auf dem Weg, sich die Kontrolle über ihren Streik in ihre Hände zu holen.
Nach Akyurt sprach der Betriebsratsvorsitzende Güngör Demirci, der auch für eine Fortsetzung des Streiks eintrat, aber doch sehr stark darauf orientierte, dass dieser durch die Strukturen der IG Metall geführt werden müsse. Er sprach davon, dass die Satzung der IG Metall verändert werden müsse und forderte den IGM Vorstand zur Unterstützung des Kampfes auf. Nach einer kurzen Beratung ergriff er wieder das Wort und ließ über drei Forderungen abstimmen: 1. Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen, 2. Verbesserungen bei den Abfindungen, 3. Verbesserungen bei den Renten-Regelungen. Auf den Zwischenruf „was ist mit den Lohneinbußen“ reagierte Demirci beschwichtigend und sagte, man könne jetzt auch nicht zuviel fordern. Dann erklärte er, dass sie nun zu Gesprächen zur IG Metall aufbrechen.
Wenige Stunden später erklärten sie vor der Belegschaft, dass die IG Metall den Streik um Mitternacht beenden werde.
Nun stellt sich die Frage, wie es weiter gehen kann? Die Belegschaft ist einen weiten Weg gegangen, um endlich einmal ein Signal in diesem Land zu geben: Es reicht mit Arbeitsplatzvernichtung aus Profitgier! Sie haben einen Marsch der Solidarität zu anderen Betrieben durchgeführt und viel positive Resonanz und Solidarität erfahren. Sie haben sich gegen einen faulen Kompromiss ausgesprochen, der ihnen von der IG Metall-Führung präsentiert wurde. Jetzt stehen sie vor der Wahl: den schwierigen Weg des selbständigen Streiks und der Betriebsbesetzung gehen oder der Übermacht von Kapital und Gewerkschaftsbürokratie nachgeben. Eines ist klar: das Verhandlungsergebnis ist ein Todesurteil für den Standort Berlin, 216 werden jetzt den Arbeitsplatz verlieren, der Rest spätestens 2010 – und dieser Rest wird dann aufgrund der Lohneinbußen mit einer schlechteren Abfindung und niedrigerem Arbeitslosengeld gehen. Klar ist auch: ein selbstorganisierter Streik und eine Betriebsbesetzung sind hart und werden von den Kolleginnen und Kollegen einiges abverlangen. Aber ohne harte Kampfmaßnahmen wird es kaum möglich sein die Offensive der Kapitalisten zu beenden. Und ohne offene Zurückweisung der Sabotage der IG Metall-Führung wird eine Entwicklung hin zu mehr innergewerkschaftlicher Demokratie und zu kämpferischen Gewerkschaften kaum möglich sein.
Eine Betriebsbesetzung würde vor allem eine sofortige Neuwahl einer Streikleitung erfordern, die das Vertrauen aller kämpfenden Kolleginnen und Kollegen geniest.
Doch dies ist nicht nur eine wegweisende Entscheidung für die BSH-Belegschaft. Für alle Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter wird sich die Frage stellen: wie stehst Du zu BSH? Wird der Betrieb besetzt, dann kommt es darauf an, dass bundesweit in einem ganz anderen Ausmaß Solidarität von unten organisiert wird. Nicht nur, weil die Kolleginnen und Kollegen auf Spenden angewiesen sein werden. Auch, um die IG Metall unter Druck zu setzen und dazu zu zwingen, die Unterstützung des Kampfes wieder aufzunehmen.
BSH kann zu einem Sinnbild für den Widerstand gegen die Willkür der Kapitalisten und die massenhafte Arbeitsplatzvernichtung im ganzen Land werden. So wie in den 80ern der Kampf in Rheinhausen, in den 90ern der Kampf in Bischofferode, von enormer bundesweiter Bedeutung für die Arbeiterbewegung waren, so kann dies bei BSH geschehen. Wenn die Kollegen sich dazu entscheiden sollten, den betrieb zu besetzen.
Sascha Stanicic, 20.10.06, 18:30 Uhr