Imperialistische Mächte üben sich in scheinheiliger Kritik
von Niall Mulholland, CWI (Komitee für eine Arbeiterinternationale, dem die SAV angehört), London
Nordkoreas Bekanntgabe, am 9. Oktober 2006 einen unterirdischen Atomwaffentest durchgeführt zu haben, hat die Verurteilung seitens regionaler und der Weltmächte hervorgerufen. Obwohl ExpertInnen in den USA und Russland über das Ausmaß der Explosion noch unterschiedlicher Ansicht sind (einige behaupten sogar, der Test sei fehlgeschlagen), ist der Wille Kim Il Sungs nach nuklearer Bewaffnung damit mehr als deutlich geworden.
Die lohnabhängigen Menschen auf der koreanischen Halbinsel, in ganz Asien und weltweit befürchten verständlicherweise, dass das rücksichtslose Vorgehen des Regimes in Pjöngjang zu einer Ausweitung nuklearer Programme und atomarer Militarisierung in der Region und im internationalen Maßstab führen wird.
Trotzdem sind die eindringlichen Worte der Verurteilung gegen das nordkoreanische Vorgehen von Seiten der westlichen imperialistischen Staaten und asiatischer Regionalmächte wie Japan von Heuchelei durchdrungen. US-Präsident George W. Bush nannte den Atomtest einen „provokativen Akt“. Frankreich, Großbritannien wie auch der russische Präsident Putin griffen das Regime in Nordkorea ebenfalls scharf an. Regionale Mächte wie Indien und Pakistan übten harte Kritik gegen Nordkorea und China, Pjöngjangs „Verbündeter“, nannte den Test „schändlich und unverschämt“.
Nichtsdestotrotz sind alle diese Staaten selbst im Besitz von Atomwaffen und nuklearen Ressourcen. Keiner der Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrags von 1968 (Großbritannien, Frankreich, Russland und die USA) haben überhaupt damit angefangen, in Richtung atomarer Abrüstung etwas zu tun, so wie es dieser Vertrag vorsieht. Die USA ist die einzige Großmacht, die bisher Atomwaffen eingesetzt hat. Mehrere hunderttausend japanische ZivilistInnen wurden am Ende des Zweiten Weltkriegs in Nagasaki und Hiroshima ermordet oder verstümmelt. In den späten 1990er Jahren entwickelten Indien und Pakistan Atomwaffen in Geheimprogrammen. Nach einigen begrenzten Sanktionen der sogenannten internationalen Gemeinschaft gegen diese beiden asiatischen Regionalmächte, wurden beide dann sehr rasch wieder in der Gemeinde willkommen geheißen. Vor allem die USA und Großbritannien bezeichneten sie bald als wertvolle „Verbündete“ im „Krieg gegen den Terror“. Israel, ein spezieller Verbündeter des US-Imperialismus im Nahen Osten, ist seit Jahrzehnten ebenfalls insgeheim im Besitz von nuklearen Waffen. Ein diesbezügliches Vorgehen gegen Tel Aviv hat dennoch nie stattgefunden.
Nach dem Zusammenbruch der Berliner Mauer meinten die Unterstützer der kapitalistischen „Sieger“, dass die Welt nun in ein noch nie dagewesenes, friedliches Zeitalter eintreten werde; das Ende der Atomwaffen stünde bevor. In Wahrheit ist genau das Gegenteil eingetreten. Wie das CWI damals schon warnte, ist die Welt aufgrund kapitalistischer Krisen und sich zuspitzender innerer-imperialistischer Rivalitäten auf dem Weg in eine wesentlich gefährlichere, gewalttätigere und unberechenbare Epoche. Wie schon der Iran haben auch Staaten wie Brasilien und Ägypten jüngst zu Erkennen gegeben, dass sie nukleare Techniken entwickeln wollen. Die australische Regierung stellt momentan Überlegungen darüber an. Das aggressive Vorgehen des US-Imperialismus erzeugt eine sich mehr und mehr zuspitzende globale Lage. Nach dem Angriff des US-Imperialismus auf den Irak, werden kleine „Schurken-Staaten“ wie Nordkorea versuchen, sich mit Atomwaffen auszurüsten, um damit imperialistische Angriffe zu verhindern. Wenn der Kapitalismus tiefer in die Krise gerät, kann langfristig nicht ausgeschlossen werden, dass unberechenbare, instabile Regimes auch den Einsatz von Atomwaffen in Betracht ziehen. Das würde ein nicht in Worte zu fassendes Horrorszenario für Millionen von ArbeiterInnen und Armen bedeuten.
SozialistInnen lehnen Atomwaffen ab
SozialistInnen gehen gegen Nordkorea oder jeden anderen Staat an, der Atomwaffen besitzt. Der Atomtest vom 9. Oktober 06 ist alles andere als „ein großer Sprung vorwärts im Aufbau einer großen, blühenden, starken sozialistischen Nation“, wie in der Erklärung Nordkoreas tituliert. Das nordkoreanische Regime hat mit aufrichtigem Sozialismus nichts gemein. Als eines der ärmsten Länder der Welt, hat Nordkorea nichts als ein tyrannisches, stalinistisches Regime, das die Rechte von ArbeiterInnen zerdrückt und seine Bevölkerung unter sklavischen Bedingungen hält. Die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen, für die Unsummen ausgegeben wird, ist unvereinbar mit der Tatsache, dass große Teile der 23 Millionen starken nordkoreanischen Bevölkerung unter größter Armut und sogar Hunger leiden.
Ohne das autokratische Regime eines Kim Jong Il in irgendeiner Weise auch nur ansatzweise in Schutz nehmen zu wollen, muss konstatiert werden, dass die Motivation Nordkoreas sich mit Atomwaffen auszurüsten, in erster Linie auf eine jahrzehntelange aggressive und gegen dieses Land gerichtete US-Außenpolitik zurückgeht. Dies nimmt seit Übernahme der Regierungsgeschäfte durch die Bush-Administration noch zu.
Während des Kalten Krieges in den 1950er Jahren versuchten die USA Nordkorea zu zerstören, indem unschuldige ZivilistInnen bombardiert wurden. Ein unter dem Deckmantel der UNO, von den USA geführter Krieg forderte Millionen nordkoreanischer, südkoreanischer und chinesischer Toter; ebenso auf Seiten der US- und britischer wie der Truppen weiterer Länder. Nach dem Ende des Korea-Kriegs verhängten die USA ein Wirtschaftsembargo gegen Nordkorea und Atomwaffen wurden in Südkorea stationiert.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verschlechterten sich die Beziehungen zwischen den USA und Nordkorea nur noch weiter. Am Rande eines weiterer militärischer Aktionen, mit dem der ehemalige „demokratische“ US-Präsident Bill Clinton Pjöngjang 1994 drohte, unterzeichnete dieser dann doch noch das Genfer Rahmenabkommen und sorgte damit für eine zeitweise Entspannung. Laut Vertragswerk sollte Nordkorea die Entwicklung nuklearer Programme einstellen und der Westen würde dem verarmten Staat Hilfe zukommen lassen, Know-How sowie materielle Mittel liefern, wodurch Kraftwerke zur zivilen Nutzung entstehen sollten. Seit 2000 regte der südkoreanische Präsident Kim Dae-jung die so bezeichnete „Sonnenschein-Politik“ mit Nordkorea an, welche zu Gesprächsverhandlungen zwischen beiden Staaten führte.
Der „Schurkenstaat"
Dennoch fuhr das Weiße Haus unter Bush eine Hardliner-Politik gegenüber Nordkorea. Das Land wurde als „Schurkenstaat“ und Teil der „Achse des Bösen“ gebrandmarkt. Im Endeffekt kündigte Bush das Genfer Rahmenabkommen auf und unterminierte somit die gerade erst begonnene „Sonnenschein-Politik“ , die für ihn wohl eher Stolperstein-Charkater hatte, auf verhängnisvolle Art und Weise. Als die Spannungen zwischen der Supermacht und dem umlagerten Nordkorea im Zuge der von den US geführten Invasion im Irak zunahmen, legte das Kim Jong Il-Regime 2002 bis 2003 seine Atompläne wieder auf.
Zur Beendigung des lahmlegenden Wirtschaftsembargos und um zu „normalen“ Beziehungen zurückzukehren, rief Pjöngjang zu einem Kompromiss mit den USA auf. 2003 ergriff China die Initiative für Sechs-Parteien-Gespräche, an denen Nord- und Südkorea, Japan, die USA, China und Russland teilnahmen. Aber die Bush-Administration zeigte von dem Plan besessen, in Nordkorea einen Regimewechsel herbeizuführen, kein Zeichen mit dem asiatischen Staat überein kommen zu wollen, was die Gespräche obsolet werden ließ. Nun hat die aggressive Politik der Washingtoner Neo-Cons gegenüber Nordkorea zu dem Atomtest vom 9. Oktober und sich weiter vertiefenden regionalen Spannungen und Krisen geführt. All dies markiert einen tiefen Rückschlag für die Politik Bushs nicht nur gegenüber Nordkorea, sondern gegenüber gesamt Asien.
Die Lehren aus der US-Invasion und der anschließenden Besetzung des Irak einbeziehend, wo bekanntlich gar keine „Massenvernichtungswaffen“ existierten, spekuliert ein Kim Jong Il, dass es besser wäre, mit dem Bau von Atomwaffen in die Offensive zu gehen, um einen Militärangriff oder einer Invasion der USA gegen Nordkorea auszuschließen.
Im Nachgang an den Atomtest letzte Woche rief das Weiße Haus die UNO zu sofortigen Gegenmaßnahmen auf. Man berief sich dabei auf Kapitel 7 der UN-Charta, das Sanktionen und sogar Militärschläge erlaubt. US-amerikanische Diplomaten riefen zu einem Handelsembargo betreffs Rüstungsexporten und Luxuswaren auf. Ein Versuch, jegliche Fracht, die Nordkorea verlässt, zu überwachen und jegliche Vermögenswerte einzufrieren, die mit nordkoreanischer Rüstung zu tun haben könnten. Bis jetzt argumentieren jedoch die direkten Nachbarstaaten China und Südkorea, dass solche Schritte in Nordkorea zu Instabilität führen oder weitere Raketentests bzw. Grenzverletzungen nach sich ziehen könnten.
Das Regime in China betrachtet den Atomtest als „Schlag ins Gesicht“ für seine sorgfältigen Bemühungen, zwischen Nordkorea und dem Westen eine Verhandlungslösung zu finden. Vorvergangene Woche warnte der chinesische Außenminister Nordkorea öffentlich davor, die geplanten Atomtests tatsächlich durchzuführen. Heute werden die USA China dazu zu bewegen versuchen, Maßnahmen gegen Nordkorea zu ergreifen. China war den USA bereits dabei behilflich, gegen die angeblichen Geldfälschungen von US-Dollar und chinesischem Yuan seitens Nordkoreas vorzugehen. Wird aber China, das schätzungsweise 70% des Öl- und Lebensmittelbedarfs Nordkoreas abdeckt, weiteren Finanzsanktionen zu stimmen?
Peking sähe es gerne, wenn die koreanische Halbinsel atomwaffenfrei würde. Über allem anderen will China „Frieden und Stabilität“ in der Region, um einer „internen ökonomischen Entwicklung, dem Schlüssel für die Langlebigkeit der herrschenden Kommunistischen Partei“ Vorschub zu leisten, wie Shen Dingli, „Sicherheitsexperte“ der Fudan Universität von Shanghai, es ausdrückte.
Chinas herrschende Elite „schlussfolgert seit langem, dass das erzeugte wirtschaftliche Wachstum gutartige Beziehungen mit den größten Mächten dieser Welt, sichere Grenzen und offene Märkte braucht – mit einem Wort also: Stabilität“ (International Herald Tribune, 10. Oktober 2006). Gleichzeitig sieht Peking es als seine wichtigste strategische Aufgabe an, Taiwan „zurückzugewinnen“ oder wenigstens diese Insel von einem weiteren Abdriften von China abzuhalten.
Ein Konflikt mit Nordkorea oder der Fall des Regimes von Kim Jong Il könnte beide Anliegen vereiteln, was möglicher Weise zu einer Flüchtlingswelle Richtung China und Südkorea und sogar zu einem breiteren Konflikt in Nordost-Asien führen könnte.
„Spiel mit dem Feuer“
Bis jetzt hat die Regierung unter Roh Moo-hyun in Südkorea hartnäckig die Möglichkeit von Gesrächen und Verhandlungen mit dem nördlichen Nachbarn verfolgt und Milliarden von Dollar in Handel und Hilfsgüter für den Norden gesteckt. Eine Politik übrigens, die für große Spannungen mit Washington gesorgt hat. Letze Woche nun hat Roh öffentlich angezweifelt, ob die „Sonnenschein-Politik“ weiterhin durchführbar ist. Er sagte, dass Nordkorea „gefährlich mit dem Feuer spielt“, was andere Länder der Region dazu bringen könnte, ihrerseits für nukleare Bewaffnung zu sorgen.
Doch wie China grenzt auch Südkorea an Nordkorea und befürchtet, dass stärkere Sanktionen gegen Pjöngjang im Norden Unruhen hervorrufen oder das unberechenbare und instabile Regime nur weiter provozieren könnten.
Gerade Südkorea ist über die desaströsen Konsequenzen zutiefst besorgt, die ein Zusammenbruch des nordkoreanischen Regimes hätte. Nordkoreas jüngster Atomtest hat ausgereicht, um die regionalen Börsen kräftig in Aufruhr zu versetzen. Besonders die südkoreanische, die den zehntgrößten Markt der Welt widerspiegelt. Schon vor Jahren haben etablierte Politiker im Süden realisiert, dass Bestrebungen, den Norden mit dem Süden wieder zu vereinigen, auf kapitalistischer Grundlage alles andere als glatt laufen würden. Das wäre mit enormen Kosten verbunden und ungeheuer destabilisierend. Die großen Probleme, auf die der deutsche Kapitalismus nach der Wiedervereinigung 1989/-90 stieß, geben davon einen Vorgeschmack.
Japan hat einen bei weitem härteren Standpunkt zu Nordkorea eingenommen, seitdem dort der rechts-konservative und nationalistische Premierminister Shinzo Abe regiert. Dieser „grübelte“ im Juli noch über einen Präventivschlag gegen Nordkorea. Letzte Woche forderte er „strenge Maßnahmen“ der UNO nach dem Atomtest vom 9. Oktober.
Shinzo Abe wird das Verhalten des Kim Jong Il-Regimes nutzen, um Japan in eine „selbst bestimmtere und falkenartige“ Richtung in der Region zu bewegen; eine Revision der japanischen Anti-Kriegs-Verfassung eingeschlossen. Das würde es Japan gestatten, über vollwertige bewaffnete Kräfte zu verfügen seine Teilnahme am Raketenabwehr-System der USA noch zu auszuweiten.
Von Japan nimmt man an, dass es die Ressourcen hat, um waffenfähiges radioaktives Material zu verarbeiten, das bisher in zivilen Kraftwerken und Forschungsprojekten zur Anwendung kommt. In ein paar Monaten schon kann dieses Material in Waffensystemen eingesetzt werden, wie einige Experten meinen. Seitens der politischen Rechten in Japan gibt es Aufrufe für solch ein Programm. Allerdings stößt die Vorstellung eines auf dem Weg zur Nuklearmacht befindlichen Japan auf „breite und emotionale“ Ablehnung in dem Land, das schrecklich unter den Atombombenangriffen auf Hiroshima und Nagasaki im Jahr 1945 zu leiden hatte. Zudem würde dies eine starke Gegnerschaft in der Region hervorrufen, wo sich viele Menschen noch schmerzlich an einen brutalen Aggressor und Besatzer Japan in Kolonial- und Kriegszeiten erinnern können.
Nichtsdestoweniger hat Japan Waffensysteme wie zum Beispiel Spionagesatelliten in sein Militärarsenal aufgenommen und ein Schiff zum Truppentransport in Auftrag gegeben, was vor wenigen Jahren noch „undenkbar“ gewesen wäre. All dies gibt darüber Auskunft, dass es wachsende Rivalitäten zwischen den regionalen Mächten wie etwa Japan und China gibt, da sie in Konkurrenz um Märkte, Profite und Einflussspären stehen.
Eine gefährlich instabile Region
Nordkoreas Atomwaffentest von letzter Woche und die kriegslustige Reaktion der imperialistischen und regionalen Mächte verdeutlicht, wie ganz Asien zu einem immer gefährlicheren und instabileren Gebiet wird. ArbeiterInnen und die Jugend müssen sich einer Ausbreitung nuklearer Bewaffnung und atomarer Aufrüstung entgegensetzen. Nur ein vereinter Kampf der Arbeiterklasse in der gesamten Region kann den obszönen und ungeheuerlich verschwenderischen Rüstungs-Wettlauf beenden. Dasselbe gilt für Armut, Arbeitslosigkeit und Ausbeutung. SozialistInnen unterstützen städtische wie ländliche ArbeiterInnen in Nordkorea beim Umsturz des auf Vetternwirtschaft basierenden Regimes in Pjöngjang und der Einführung authentischer Arbeiter-Demokratie. Als Teil einer sozialistischen Transformation der Gesellschaft in Nord- und Südkorea können die lohnabhängigen Menschen die tödliche Pattsituation zwischen den beiden Staaten entschärfen und demokratisch über ihre Zukunft entscheiden.
In ganz Asien brauchen ArbeiterInnen und Jugendliche mächtige Klassen-Organisationen, eine neue Arbeiterpartei eingeschlossen, die für mutige sozialistische Politik steht als Alternative zu den Parteien der Bosse, zu reaktionärem Nationalismus und zum Imperialismus.
10. Oktober 2006