"Nachsparen"

L.PDS führt Koalitionsverhandlungen trotz Wahldebakel. Sarrazin sagt, wo es lang geht. Aber wie lange geht es?
 

Am 17. September bekommt die Truppe um Wirtschaftssenator Harald Wolf eine Wahlklatsche, die sich gewaschen hat. Am 28. September wollen trotzdem beinahe 80 Prozent der Landesdelegierten der Linkspartei.PDS weiter regieren, wie bisher. Am 4. Oktober beginnen die Koalitionsverhandlungen mit der SPD. Am 12. Oktober erklärt Finanzsenator Sarrazin nochmal, was angesagt ist: „Nachsparen“ wird das Motto der rot-roten Neuauflage. Wie lange hält dieser Senat?

von Michael Koschitzki und Stephan Kimmerle, Berlin

Die Berliner Zeitung fragte den Finanzsenator am 12. Oktober (http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/print/berlin/594087.html): „Der Kurs der Haushaltskonsolidierung wird also strikt fortgesetzt?“ Thilo Sarrazin: „Ja. Wir haben es in den letzten Jahren geschafft, das Primärdefizit [laufende Einnahmen abzüglich laufender Ausgaben, zum Beispiel ohne Zinszahlungen] auf null abzubauen. Im Jahr 2002 betrug dies noch knapp drei Milliarden Euro. […] Dennoch stehen wir in den nächsten fünf Jahren vor der großen Aufgabe, einen dauerhaften Primärüberschuss aufbauen zu müssen, um unsere Zinsen selbst finanzieren zu können. Nur das ist nachhaltige Haushaltswirtschaft. Und wir zahlen pro Jahr 2,5 Milliarden Euro Zinsen, Tendenz steigend. Hinzu kommt, dass die Bundeshilfen aus dem Solidarpakt Ost auslaufen. Derzeit erhalten wir pro Jahr noch zwei Milliarden Euro, ab 2009 jedes Jahr 160 Millionen weniger. Das heißt, diese Summe müssen wir nachsparen.“

Das sind die Rahmenbedingungen die der SPD-L.PDS-Senat bisher akzeptierte und weiter akzeptieren will. Die Folgen: Zum Beispiel Stellenabbau im öffentlichen Dienst.

Schon vor Beginn der Koalitionsverhandlungen berichtete der Berliner Tagesspiegel am 29. September (http://www.tagesspiegel.de/berlin/archiv/29.09.2006/2806681.asp) vom Ziel der SPD, „die Stellen im Landesdienst bis 2011 auf 93 500 zu verringern. Zurzeit sind es 115 000. Nach der geltenden Finanzplanung sollte es am Ende der neuen Wahlperiode eigentlich noch 98.000 Personalstellen geben.“ Außerdem sollen die öffentlichen Investitionsausgaben, zurzeit 1,6 Milliarden Euro pro Jahr, bis zum Ende der Wahlperiode eingefroren werden.“

Aber nicht nur die L.PDS Berlins findet die Vernichtung von Stellen im öffentlichen Dienst akzeptabel. Wurde dies von Lafontaine vor nicht allzu langer Zeit noch als nicht zu überschreitende Haltelinie definiert, so ist auch im Schreiben des geschäftsführenden WASG-Bundesvorstands vom 1. Oktober (http://www.jungewelt.de/2006/10-12/042.php) an den Landesvorstand der L.PDS in Berlin keine Rede mehr davon, von dieser Arbeitsplatzvernichtung abzusehen. Die Geschäftsführenden sehen zwar in einem „"Weiter so" der Linkspartei in Berlin eine schwere Hypothek für die neue linke Partei“, fordern aber bezüglich der Stellen im öffentlichen Dienst nur, von betriebsbedingten Kündigungen abzusehen. Die öffentliche Daseinsvorsorge solle noch „in öffentlicher Hand“ bleiben. Eine Formulierung unter der die L.PDS in den vergangenen Jahren zum Beispiel am Uni-Klinikum Charité Teilprivatisierungen bei Erhalt der öffentlichen „Regie“ verstand.

Weiter so trotz Wahldebakel

All das geschieht völlig ungeachtet des Debakels der Senats-“Sozialisten“ bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus am 17.September. Wolf, Liebich und Co verloren 9,2 Prozentpunkte gegenüber 2001, das sind rund 180.000 Wählerstimmen. Besonders im Osten der Stadt brachen die Ergebnisse ein.

Dieses Ergebnis war eine klare Abfuhr für den Ausstieg aus dem Flächentarifvertrag, den Verkauf von 120.000 Wohnungen und der Einführung von Ein-Euro-Jobs in Berlin. Die Wahlkampf-Aussage „Fortsetzung folgt …“ wurde von den WählerInnen mit einem klaren „aber nicht mit uns!“ beantwortet.

Doch die Ursachen sehen die verantwortlichen Akteure sowieso woanders. Im Beschluss „Analysieren, Lernen, Umsetzen“ des Sonderparteitages der L.PDS heißt es, die Gründe seien vielschichtig und: Die Partei muss sich intensiver mit Konzepten und mit Entscheidungen für die Landespolitik befassen.“ Von der Kürzungspolitik wird nicht gesprochen.

Andere führen das Wahldesaster gar auf linke Positionen zurück statt auf die rechte Praxis: „Finden wir die Einführung eines längeren gemeinsamen Lernens nicht auch dann richtig, wenn Linksparteiwähler, die ihr Kind lieber auf einem Gymnasium sähen, uns dann nicht mehr wählen? […] Wollen wir offene Grenzen für Menschen in Not und Geld statt Chipkarten und Leben in Wohnungen statt in Wohnheimen für Asylbewerber, nicht auch dann, wenn sich dabei herausstellt, dass diese Positionen nicht mehr von absoluten Mehrheiten in Marzahn-Hellersdorf oder Lichtenberg geteilt werden?“, so Stefan Liebich, bisheriger Fraktionsvorsitzender, gegenüber dem Parteitag.

Konfliktarme Regierungs-“Sozialisten“

Die nun stattfindenden Koalitionsverhandlungen stehen – wie oben ausgeführt – weiter unter dem Stern der Haushaltsnotlage Berlins. Am Ende der Koalitionsverhandlungen wird aus den „Reformvorhaben“ zum Beispiel der Gemeinschaftsschule noch Sparmodelle. Laut Tagesspiegel (29. September) „soll Wowereit angedeutet haben, dass bei einer Fusion von Haupt- und Realschulen künftig der niedrigere Personalschlüssel der Realschulen für die neue Schulform gelten soll.“

Am 19. Oktober wird das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe über Finanzhilfen für Berlin entscheiden. Sollte diese Entscheidung negativ ausfallen, reden Kommentatoren davon, dass dann auch Hürden, wie die Privatisierung von landeseigenen Betrieben und den kompletten Wohnungsbeständen fallen würden.

Eine Fortsetzung der Kahlschlagspolitik ist in jedem Fall zu erwarten. Mit knapper Mehrheit. 76 Abgeordnete stellen SPD und Linkspartei.PDS und damit nur zwei mehr als die übrigen Parteien. Genausoviel hätten SPD und Grüne gehabt, doch das war Berlins Regierendem nicht sicher genug. Programmatisch gesehen wären die Grünen auch zu weiterem Wohnungsverkauf und Privatisierungen bereit. Doch: „Das größte Plus der Linkspartei.PDS für die SPD-Führung war stets, wie konfliktarm es sich mit den Sozialisten regieren ließ(Spiegel, 18. September, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,437658,00.html). Wowereit zeigte sich gleichzeitig „erstaunt, wie wenig Bewusstsein für den Haushalt“ bei den Grünen vorhanden sei (Spiegel online, 29. September). Ein giftiges, indirektes Lob für die L.PDS.

In den Reihen der Linkspartei regt sich erstaunlich wenig. Das muss nicht ganz so totenstill bleiben. Doch die Chance für eine Neuausrichtung und Aufarbeitung der Kahlschlagspoltik samt Folgen, sollte sie je bestanden haben, ist schon wieder Geschichte. Sicherlich folgt noch etwas Rumoren. Doch die Politk ist ausgerichtet und die Spitzenpositionen sind – unbeschädigt vom Verlust jeden zweiten Wählers! – verteilt und gesichert. Die L.PDS kettet sich an den Senat und die SPD.

Regierung der Krise

Ob mit oder ohne eine Finanzspritze aus Karlsruhe, der Berliner Senat wird in der kommenden Legislaturperiode seine Angriffe fortsetzen müssen, da er nicht bereit ist, mit der kapitalistischen Sachzwanglogik zu brechen. Absehbare Konflikte bilden sich um die Privatisierung der Berliner Sparkasse, geplant bis Ende 2007, oder die Tariferhöhungen im öffentlichen Nahverkehr, gerade noch verschoben auf Frühjahr 07.

Der „Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit 2006“ hat nochmals deutlich gemacht, wie weit der Osten Deutschlands vom Rest der Republik abgekoppelt ist. Im vergangenen Jahr gab es in Ostdeutschland sogar ein Rückgang des Bruttoinlandsproduktes. Berlin wird auch in den nächsten Jahren an diesem „Abschwung Ost“ seinen Anteil haben und die wirtschaftliche Situation in Berlin wird sich weiter verschlechtern. Das zeigen auch aktuelle Schließungspläne, wie bei Bosch-Siemens-Hausgeräte (BSH). Die Auseinandersetzungen werden weiter gehen.

Die kommende Regierung wird daher eine Regierung der Schwäche sein. Das Wahlergebnis als auch die Wahlbeteiligung waren ein Vertrauensverlust. Rekordarbeitslosigkeit, Entlassungen und weitere Angriffe auf Erwerbslose führen dazu, dass die Wut wächst.

Je nach Tiefe der Krise und Intensität des Widerstands kann sich auch in der kommenden Regierung der Wunsch auf stabliere Mehrheiten mittels Rot-Rot-Grün breit machen. Auf der anderen Seite ist es auch nicht sicher, dass die jetzige Zusammensetzung des Abgeordnetenhaus für fünf Jahre Gültigkeit behält. Schon jetzt bringen die Grünen die Forderung nach Neuwahlen ins Spiel, sollte Rot-Rot scheitern.

Die Politik des Senates wird weiteren Unmut auf sich lenken und Widerstand hervorrufen. Die Kandidatur der WASG und die Resonanz in der Wahlkampagne haben gezeigt, dass viele Menschen nicht mehr bereit sind, diese Angriffe hinzunehmen.

Die ersten fünf Jahre Rot-Rot waren davon geprägt, dass die ver.di-Spitze in der Hauptstadt einen Absenkungstarifvertrag nach dem anderen unterschrieb. Der Streik an der Charité, begonnen kurz vor der Wahl, könnte die Trendwende ausmachen.

WASG Berlin als soziale Opposition nötig

Für diesen möglichen Widerstand ist es wichtig, eine Kraft wie die WASG Berlin zu erhalten, die den Unmut aufgreifen, in Widerstand verwandeln und ihm eine Perspektive geben kann.

Die Fortsetzung der Regierungsbeteiligung der L.PDS stellt eine enorme Belastung für die neue Linke dar und wird die Skepsis gegenüber der Linken bundesweit erhöhen. Deshalb ist es nötig, weiter dagegen Opposition zu machen und für eine demokratische, kämpferische und sozialistische Partei zu kämpfen, die Sozialabbau und Privatisierung bekämpft statt betreibt