100.000 DemonstrantInnen in zehn Städten gegen die Sozialkürzungen

Dänemark – Größter Protest seit 20 Jahren in der zweitgrößten Stadt des Landes. Augenzeugenbericht vom Protesttag.
 

von Sarah Victoria Bruun, CWI (Komitee für eine Arbeiterinternationale, der auch die SAV angehört), Århus

„Ich habe gehört, dass am gestrigen Protesttag bis zu 100.000 Menschen überall im Land auf den Straßen waren. In Århus, der zweitgrößten Stadt in Dänemark, wo ich lebe, gab es die größte Demo seit 20 Jahren! Mindestens 35.000 Menschen nahmen hier an den Protesten gegen die tiefen Einschnitte ins Sozialsystem teil. Die meisten von ihnen waren besorgte Eltern, wütende Studierende und ArbeiterInnen, die allesamt im Kampf gegen die neoliberale Politik der Regierung zusammen kamen.

Seit drei Wochen streiken bereits die LehrerInnen der PflegeschülerInnen und Eltern blockieren die Eingänge der Kindergärten. Anstatt in einen Dialog mit den Eltern zu treten, zeigte der Stadtrat diese bei der Polizei an – was zu noch mehr Wut führte. Die Polizei versuchte daraufhin die Eltern zur Aufgabe zu bewegen, blieb bislang jedoch glücklos.

Die Studierenden sind ebenfalls in Aktion getreten, blockieren ihre Unis und Schulen – mit der Unterstützung ihrer LehrerInnen. Selbst Großeltern haben ihre eigene Gruppe gegründet, die sich „Großeltern gegen Kürzungen“ nennt!

Die Demonstration war deutlich geprägt von Leuten, die genug von den Ausflüchten der Regierung haben und die Botschaft der Bewegung war eindeutig: „Nein zu den Kürzungen – Ja zum Sozialsystem!“

Die Bewegung „Sozialleistungen für alle“, eine neue, hauptsächlich aus Studierenden bestehende Gruppe, hat bei der Mobilisierung für die Demo ganze Arbeit geleistet. Aber weil diese Gruppe von Sozialdemokraten dominiert ist, war die Fahne nicht rot und die Botschaft nicht Sozialismus.

Unglücklicherweise sind die sozialistischen Parteien und Organisationen sich nicht einig über die von ihnen vorzuschlagende Alternative. Sie haben mit den ArbeiterInnen und Studierenden nicht über Sozialismus oder die Ungerechtigkeit im Kapitalismus gesprochen. Der wichtigste Punkt aber ist, dass sie auf einen Kampf mit den Sozialdemokraten völlig verzichten! All das ist für die sozialistischen Parteien sehr gefährlich und ich hoffe, dass die Stimmung sehr bald kippen wird.

Nach der gestrigen Demo haben die LehrerInnen der PflegeschülerInnen für eine Fortsetzung der Streiks gestimmt. Das wird hoffentlich die Studierenden dazu bringen, weiterhin die Unis zu blockieren und andere motivieren, ebenfalls in Aktion zu treten.

Die Stimmung ist großartig und wir sind alle sehr aufgeregt. Dieser Monat ist der wichtigste seit vielen, vielen Jahren und er kann – wenn wir in den sozialistischen Parteien die Verantwortung übernehmen und die ArbeiterInnen und Studierenden weiterhin unterstützen – die Regierung stürzen.

Für morgen, wenn der Rat seine Verhandlungen wieder aufnimmt, erwarten wir weitere Demonstrationen zumindest in Århus und Kopenhagen.

Wir werden jetzt nicht aufhören, teilte mir ein Elternteil auf der Demo mit: »Wir werden so lange weitermachen, wie wir müssen. Wenn Fogh (der dänische Premierminister) das heute nicht versteht, dann bringen wir es ihm Donnerstag bei!«“

Dänemark – Aufstand gegen Kürzungsmaßnahmen

Über den Hintergrund der gestrigen Demonstrationen schreibt Per Olsson für „Offensiv“, die Zeitung der Rättvisepartiet Socialisterna (Gerechtigkeitspartei; Schwesterorganiation der SAV und Sektion des CWI in Schweden)

Nach den Massendemonstrationen vom 17. Mai diesen Jahres hat sich in Dänemark ein wahrer Bürgeraufstand gegen die Kürzungen entfaltet. Dieser Herbst hat etliche Streiks und Demonstrationen hervorgebracht. Am 3. Oktober, wenn der Folketinget, das dänische Parlament, wieder zusammen kommt, werden die Proteste in einer gemeinsamen Aktion münden.

In Århus, Dänemarks zweitgrößter Stadt, wird seit Ende letzter Woche die gesamte Kinderbetreuung bestreikt. Daraufhin folgten Streiks der LehrerInnen und SchülerInnen, Eltern haben Streikposten vor den Kindergärten postiert.

Die südschwedische Tageszeitung Helsingborgs Dagblad berichtete am 23. September: „Sozialarbeiter befinden sich ebenfalls im Kriegszustand. Um die 600 Sozialarbeiter haben aus Protest gegen die Kürzungen im Sozial- und Arbeitslosensystem am Freitag in Århus aufgehört zu arbeiten… Im Streik befindliche Sozialarbeiter erhöhen den Druck auf den Rat, den letzte Woche verabschiedeten Haushalt neu zu verhandeln. Die Forderung, im sozialen Bereich 68 Mio. dänische Kronen (~8 Mio. Euro) einzusparen, wird zweifellos zu Entlassungen führen“.

In den vergangenen letzten Wochen wird Dänemark von Streiks, Demonstrationen und anderen Protestformen erschüttert. Nicht nur in Århus folgt ein Protest dem nächsten. Am 12. September nahmen 15.000 Menschen an einer Demonstration in Århus gegen die Kürzungen im Sozialwesen teil. Am selben Tag fanden auch in anderen Orten Demos statt.

Der Staatshaushalt weist einen Überschuss von mehr als 11 Milliarden Euro auf und die Steuereinnahmen steigen aufgrund der momentanen wirtschaftlichen Zuwachsraten schneller als die Regierung prophezeit hat. Höchstwahrscheinlich hat die Regierung die Steuereinnahmen sogar bewusst herunterzuspielen versucht.

Sparmaßnahmen in den Kommunen

Das Wirtschaftswachstum spiegelt sich dennoch nicht im öffentlichen Dienst wider. Die Regierung weigert sich, den Gemeinderäten die benötigten Ressourcen zur Verfügung zu stellen und fordert im Gegenteil sogar Sparmaßnahmen. Die Budgets der kommunalen Haushalte sind seit 2003 nur um 0,6 Prozent jährlich gestiegen (verglichen mit 1,6 Prozent jährlich zwischen 1998 und 2001). Die Gesamtwirtschaft dagegen wuchs gleichzeitig um 3 Prozent jährlich. Die kommunalen Ausgaben müssten um 3 Prozent steigen, um die Leistungen aufrecht zu erhalten und den gestiegenen Anforderungen im Bildungsbereich, bei der Gesundheitsversorgung, der Kinderbetreuung und der Altenversorgung gerecht zu werden.

Die rechts-konservative Regierung in Dänemark, eine Minderheitskoalition aus Liberalen und Konservativen, die mit Unterstützung der rassistischen DFP (Dänische Volkspartei) regiert, fordert, dass die Ausgaben der Kommunen im nächsten Jahr die Ausgaben des Jahres 2005 nicht übersteigen dürfen. Die Folge wären tiefe Einschnitte bei der Kinder- und Altenbetreuung, den Schulen und den öffentlichen Bibliotheken mit weiterer Arbeitsplatzvernichtung im öffentlichen Bereich.

Kürzungen ablehnen

Laut „linker“ Sozialistische Volkspartei will die Regierung die Gemeinden dazu zwingen, mindestens 4 Billionen dänische Kronen (~600 Mio. Euro) einzusparen. Und die Kürzungsliste ist noch nicht komplett bevor nicht alle Kommunen ihre Pläne zur Umsetzung dieser Bestimmungen vorgelegt haben.

Die von der Regierung vorgeschriebenen Maßnahmen (Begrenzung der Ausgaben und Steuerzuweisungen, Streichung von Unterstützungsleitungen etc.), die darauf abzielen, die Kommunen zur Ausgabenkürzung zu zwingen, sind Teil einer neoliberalen Attacke der Rechten und der Arbeitgeber auf Beschäftigte, Jugendliche und alte Menschen. Ein weiterer Teil dieser Offensive sind die fortgesetzten Angriffe auf Flüchtlinge und ImmigrantInnen. Und zum Dritten fordern die Arbeitgeber eine Arbeitszeitszeitverlängerung.

Die Sozialdemokraten unterstützen die meisten politischen Maßnahmen der Regierung. Kurz vor Sommerbeginn gingen sie mit der Regierung einen Handel zur Kürzung der Renten ein. Die rassistische DFP und das Radikale Venstre (eine traditionell liberale Partei) waren ebenfalls Teil dieses Handels. Speziell die Bedingungen zur Frühverrentung wurden verschlechtert. Die Sozialdemokraten behaupteten hinterher, dass sie einige Einschnitte abgemildert hätten. Doch der Grund, warum die Regierung auf einige ihrer vorherigen Vorschläge gegen Arbeitslose und Kranke verzichtete, sind die Kämpfe, besonders der Protest vom 17. Mai, als über 100.000 Menschen – das ist jeder fünfzigste Däne bzw. jede fünfzigste Dänin – auf den Straßen waren, um zu demonstrieren.

Die Angriffe der Regierung können nur durch Kampfmaßnahmen beantwortet werden. Die Forderung „Mehr Geld vom Staat – für einen kommunalen Aufstand“ ist überall zu vernehmen. Dies ist der Hauptslogan der Gewerkschaften, der Studierenden- und Schülerorganisationen sowie verschiedener anderer lokaler Gruppen.

Der Protesttag am 3. Oktober könnte so viele Leute auf die Straßen bringen wie schon der 17. Mai. In wenigstens sechs Städten wird es Demos geben. Und schon jetzt sind weitere lokale Aktionen geplant, wie die am 12. Oktober in Tønder.

Sollte die Regierung sich weigern, Zugeständnisse zu machen, muss die Bewegung darauf vorbereitet sein, die Kämpfe auszuweiten. Am 3. Oktober sollte ein weiterer Termin für gemeinsamen Protest angekündigt werden – ein Demonstrationstag verbunden mit einem eintägigen Proteststreik. Dies würde die Bewegung voran bringen und den Druck auf Kommunalvertreter im ganzen Land erhöhen, sich am Ausstand zu beteiligen und ihre Versprechen keine Kürzungen durchzuführen zu halten.

Der Kampf in Liverpool

Der Kampf in Liverpool gegen die Thatcher-Regierung in Britannien gibt ein Beispiel darüber, was durch einen Massen-Kampf um mehr Finanzmittel für kommunale Ausgaben erreicht werden kann.

In den vier Jahren, in denen der Liverpooler Stadtrat von einer sozialistischen Mehrheit geführt wurde, wobei die Militant-Fraktion – die heutige Socialist Party (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in England und Wales) – wiederum eine führende Rolle spielte, wurden 5.000 neue öffentliche Wohnungen gebaut, mehr als in allen anderen Kommunalbezirken zusammen. Das schaffte 12.000 neue Arbeitsplätze in der Baubranche. Der Mindestlohn für öffentlich Bedienstete wurde angehoben und Arbeitszeiten verkürzt.

All das wurde möglich durch einen Kampf – Massendemos und Streiks gegen die Regierung –, der Thatcher dazu zwang, einige Millionen der von der Regierung geraubten Gelder zurück zu zahlen.

Sozialleistungen für alle bedeutet, dass die Kommunen sich weigern müssen, Kürzungen umzusetzen. Weitere Massenaktionen können die Regierung zum Rückzug zwingen; das zeigte bereits der 17. Mai.

Die Kämpfe von heute bereiten die Voraussetzungen für die Formierung einer politischen Alternative zur Regierung und der DFP wie auch zur rechten Politik der Sozialdemokratie.

Die OrganisatorInnen der Kämpfe sollten zu einer landesweiten Konferenz aufrufen, um zu diskutieren, wie eine politische Alternative aufgebaut werden kann, die in der Lage ist, die Regierung in den kommenden Wahlen herauszufordern. Die Gründung einer aus den aktuellen Kämpfen hervorgehenden politischen Alternative könnte die sozialistischen Linke, GewerkschaftsaktivistInnen, Studierende, SchülerInnen und andere in einer Formation zusammenbringen, aus der sich eine neue Arbeiterpartei im Kampf gegen rechte Politik und Rassismus entwickeln könnte.

Nein zu Kürzungen und Privatisierungen – Kämpft für mehr Zuweisungen an die Kommunen. Lokale Kommunalvertretungen müssen sich weigern, die Sparmaßnahmen der Regierung umzusetzen – nein zu Kürzungen im öffentlichen Sektor. Kommunalhaushalte müssen sich an den Bedürfnissen der Menschen orientieren, nicht am Diktat der rechten Regierung.

Vorbereitung weiterer Massenaktionen – für einen landesweiten Protesttag einschließlich Streikmaßnahmen.

Rücknahme aller Kürzungen im Rentensystem.

Kampf dem Rassismus – gemeinsamer Kampf für Gesundheit, Kinderbetreuung und Bildung.

Wiedereinführung des Asylrechts.

Beendet die Zerschlagung des Sozialsystems.

Rücktritt der Regierung Rasmussen– für eine Regierung der ArbeiterInnen mit einem sozialistischen Programm.

Lasst diesen Kampf erst den Anfang einer Entwicklung sein hin zu einer neuen politischen Alternative für ArbeiterInnen und Jugendliche, einer neuen Arbeiterpartei, die für das Wohl aller kämpft.

Aus „Offensiv“, Ausgabe dieser Woche