Vermeintliche Anti-Korruptions Partei PiS beim Verkauf von Ministerposten ertappt
von Paul Newbery, GPR (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Polen), Warschau, Dienstag, 2. Oktober 2006
Ein Korruptionsskandal erschüttert Polen und droht die Hoffnungen zu zerstören, die darauf gerichtet waren, eine neue Regierungskoalition zusammen schustern zu können. Auch die Ankündigung, dass die regierende PiS (Partei für Recht und Gerechtigkeit) neue Standards in der politischen Landschaft Polens einführen würde, wurde damit offenkundig Lügen gestraft. Die Unterstützung für die PiS fiel daraufhin von 27% vor einem Jahr auf 18% nachdem der Skandal ans Licht kam.
Eine Woche zuvor wurde der Vizepremier und Vorsitzende der populistischen Partei „Selbstverteidigung“, Andrzej Lepper, gefeuert, nachdem die ersten Risse innerhalb der Regierungskoalition über die Frage von Polens Teilnahme am Afghanistan-Einsatz und der Höhe des Haushaltsdefizits zutage traten. Für weitere Hintergründe siehe den entsprechenden Artikel in englischer Sprache von Karl Debbaut auf der CWI-Homepage.
Ohne die Stimmen der „Selbstverteidigung“-Abgeordneten schwebt ein Fragezeichen über der Zukunft der Regierungskoalition aus PiS und LPR (Liga der polnischen Familien). Die PiS versuchte daher abtrünnige Parlamentarier von „Selbstverteidigung“ zu überreden ihre Partei zu verlassen und der PiS beizutreten. Dabei gab es nur ein Problem: Vor ihrer Wahl sind sämtliche Abgeordneten von „Selbstverteidigung“ dazu gezwungen worden, einen Schuldschein über 125.000 Euro für die Partei zu unterschreiben, der eingelöst würde, sollte jemand die Fraktion der Partei vorzeitig verlassen. Dennoch trat die PiS in Verhandlungen mit den entsprechenden Abgeordneten.
Wie weit die PiS gehen würde, um Abgeordnete in ihre Fraktion zu locken, wurde enthüllt, als der private Fernsehsender TVN den Mitschnitt einer Diskussion zwischen Renata Beger, einer bekannten Abgeordneten von „Selbstverteidigung“, und dem Kopf des Kabinetts, Lipinski, ausstrahlte. Lipinski bot Beger nicht nur das Landwirtschaftsministerium an, sollte sie von der Fraktion von „Selbstverteidigung“ zur PiS wechseln, sondern er versprach ihr auch die Zahlung der 125.000 Euro seitens der PiS zur Zahlung des Schuldscheins an „Selbstverteidigung“! Die Polnische Bauernpartei (PSL), ein weiterer potentieller Koalitionspartner, lehnte weitere Verhandlungen mit der PiS im Zuge der folgenden Turbulenzen ab. Frühe Neuwahlen nur ein Jahr nach den letzten, regulären Wahlen in Polen, werden immer wahrscheinlicher.
Obgleich der Kampf gegen Korruption und das Versprechen, eine starke Regierung zur Herstellung von Recht und Ordnung zu bilden in ihrer Wahlkampagne zentral waren, kam der jüngste Skandal nicht wirklich überraschend. Sobald die PiS an die Macht kam, begann man damit, den Staatsapparat zu reinigen und Beamtenposten mit den eigenen Leuten neu zu besetzen. Anfang des Jahres entließ man den Vorstandsvorsitzenden des größten polnischen Versicherungskonzerns, der sich noch in staatlicher Hand befindet, und ersetzten ihn mit einem Intimus, welcher der Geldwäsche verdächtigt wird. Einige bekannte Parlamentsmitglieder der LPR, einschließlich des Vorsitzenden Roman Giertych, sind in einen Skandal verwickelt, bei dem 600.000 Euro mittels einer regionalen Sparkasse abgeschöpft wurden. LPR-Vorstände waren Mitglieder des Aufsichtsrats der begünstigten Firmen, die später einen riesigen Schuldenberg anhäuften und Bankrott anmeldeten.
Auch eines der bekanntesten PiS-Mitglieder war in einen ähnlichen Bankenskandal verstrickt. Darüber hinaus kaufte Jacek Kurski, ehemaliger Journalist und in die PR-Ebene der PiS-Wahlkampagne eng eingebundener Parlamentarier, ein Haus für den Bruchteil des Marktpreises in einem Waldgebiet des Staatsforstes. Er bestand jüngst auch seine Fahrprüfung dank der Tatsache, dass der Prüfer ein enger Freund war. Und dann gibt es da noch den ehemaligen Premierminister und Kandidaten der PiS für das Amt des Warschauer Bürgermeisters, Kazimierz Marcinkiewicz, der erwiesener Maßen ebenfalls für einen Bruchteil des Werts eine große Wohnung im Warschauer Stadtzentrum von der Stadtverwaltung kaufte.
Es wäre falsch zu behaupten, dass die Abgeordneten von „Selbstverteidigung“ so arm wie die armen Bauern sind, die sie vorgeblich repräsentieren. Die Abgeordneten von „Selbstverteidigung“ gehören zu den reichsten Abgeordneten in Polen. In der Tat existieren in Polen lediglich drei Luxuslimousinen der Marke Maybach, die von DaimlerChrysler produziert werden und um die eine Mio. Euro kosten. Eine dieser drei Karossen befindet sich im Besitz eines „Selbstverteidigung“-Abgeordneten. „Selbstverteidigung“ erlangte Bekanntheit, weil man vorgab eine Protestpartei zu sein, welche die armen Bauern verteidigt. Und diese stellen auch immer noch deren Wählerbasis. Tatsächlich ist die Partei jedoch die der ländlichen Kleinbürger und in geringerem Umfang der auch des städtischen Mittelstands (Ladenbesitzer, Kleinhandel etc.). Diese sind die Menschen, deren Interessen die Partei verteidigt – arme Bauern bekommen nur die Brosamen. Und das erklärt auch, weshalb Lepper jetzt die EU unterstützt – besagte Bevölkerungsteile haben vom EU-Beitritt profitiert. Lepper nennt sich selbst zudem einen Sozialliberalen und hat vieles von dem fallen gelassen, was in seinem frühreren Programm einmal als in der Tendenz links zu bezeichnen war. Heutzutage will er ehrenhaft daherkommen. Der Disput über den Haushalt war auch Leppers Versuch, als Verteidiger der Interessen der Bauern und anderer verarmender städtischer Berufsgruppen wie LehrerInnen und Krankenschwestern aufzutreten. Mit anderen Worten war es sein Versuch, vor den bevorstehenden Regionalwahlen weitere Wählerschichten hinzu zu gewinnen und somit von der PiS unabhängig zu bleiben, ein wahrer Volksheld also. Wie dem auch sei ist er in der Realität nun weit von alldem entfernt.
Ob der jüngste Skandal in vorzeitigen Neuwahlen ein Ende findet, ist noch offen. Es besteht die Möglichkeit, dass die Koalition aus PiS und LPR die PSL mit ins Boot holt. Wie dem auch sei wird auch das keine starke und lange währende Regierung hervorbringen. Weitere Spaltungen sind ebenso möglich wie zunehmende Erosion in der Unterstützung für die Regierung.