von Sascha Stanicic
Acht Jahre Regierungsbeteiligung der Linkspartei.PDS in Mecklenburg-Vorpommern und fünf Jahre „rot-roter“ Senat in Berlin mussten sich am 17. September bei den Landtagswahlen in beiden Bundesländern der Abstimmung stellen. Die Bilanz ist in jeder Hinsicht verheerend. Nur die WASG Berlin zeigte, wie mit konsequenter linker Politik und Kampagnen Wählerstimmen mobilisiert werden können.
von Sascha Stanicic, Berlin
Durch Sozialkürzungen, Tarifflucht, Stellenabbau, Lohnkürzungen und Privatisierungen geht es den arbeitenden und erwerbslosen Menschen und der Jugend in beiden Ländern schlechter als vor dem Regierungseintritt der Linken. In Mecklenburg-Vorpommern schafften die Faschisten der NPD mit 7,3 Prozent den Einzug in den Landtag, während sie in Berlin zwar gestärkt sind, aber an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten. Die L.PDS verlor seit ihren Regierungseintritten in Mecklenburg-Vorpommern fast zwei Drittel und in Berlin die Hälfte der WählerInnen. Von Dynamik für eine neue Linke war nichts zu spüren. Vielmehr wurde offensichtlich eine Partei abgestraft, die vor den Wahlen links blinkt und nach den Wahlen scharf rechts abbiegt.
Ablehnung der etablierten Parteien
Doch die Linkspartei.PDS war nicht die einzige Verliererin des Wahltags. Das Ergebnis drückt auch die tiefe Unzufriedenheit mit der Politik der Großen Koalition auf Bundesebene aus. In beiden Ländern sank die CDU auf einen historischen Tiefststand. In Mecklenburg-Vorpommern verlor die regierende SPD knapp 150.000 Stimmen (zehn Prozent) und auch in Berlin – trotz Wowi-Bonus – wählten 66.000 Menschen weniger SPD als 2001. Nur noch 17 Prozent der Wahlberechtigten stimmten für die Sozialdemokraten.
In Meinungsumfragen kommen die beiden „großen Volksparteien“ auch auf Bundesebene nur noch auf jeweils 30 Prozent. Mehrwertsteuererhöhung, Gesundheitsreform, Hartz-Verschärfung, Bundeswehr-Einsatz vor der Küste Libanons, Anbiederung an George W. Bush – die Politik von Merkel und Münte stößt auf mehr und mehr Ablehnung. Doch während die Linke auf Bundesebene in Meinungsumfragen mit einem Anstieg auf elf Prozent davon etwas profitieren kann, hat der Frust mit der herrschenden Politik in den beiden Bundesländern, in denen die Linke mitregierte, zur niedrigsten Wahlbeteiligung aller Zeiten geführt. Diese sank in einigen Stadtteilen Berlins bis auf dreißig Prozent.
WASG-Erfolg
Die Berliner WASG war als linke Opposition gegen Sozialabbau und Privatisierungen angetreten. Sie hatte das ehrgeizige Wahlziel von „fünf Prozent plus X“ ausgerufen und eine engagierte, wenn auch finanzschwache Kampagne durchgeführt (siehe Seite 5). Auch wenn der Einzug ins Berliner Abgeordnetenhaus verpasst wurde, kann sich das Stimmergebnis sehen lassen. 52.000 Erststimmen (3,8 Prozent) und 40.000 Zweitstimmen (2,9 Prozent) belegen, dass das Potenzial für die „fünf Prozent plus X“ existierte. Dies gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass die WASG nur in 80 Prozent der Wahlkreise KandidatInnen aufstellen konnte. Rechnet man das Erststimmenergebnis auf 100 Prozent der Wahlkreise hoch, landet man sogar bei 4,7 Prozent.
Dementsprechend gab es nach den Wahlen auch von allen Seiten Respektsäußerungen und Gratulationen für das Wahlergebnis. Auch die Berliner Zeitung schrieb von einem „gelungenen Wahlstart“. Dieser war umso gelungener, weil der Einzug in sieben Bezirksverordnetenversammlungen glückte. In diesen werden in Zukunft 14 WASG-VertreterInnen soziale Opposition betreiben können. In Friedrichshain-Kreuzberg sogar in Fraktionsstärke. Und man sollte nicht vergessen: es war die erste Kandidatur der WASG in Berlin. Wem ist schon aus dem Stand der Einzug ins Parlament gelungen. Einige WASG-Mitglieder erinnerten sich an den ersten Versuch der Alternativen Liste (AL) 1979, als diese 3,7 Prozent erreichte. Das war damals der erste Schritt zum Einzug der AL bei den darauffolgenden Wahlen 1981, bei denen sie dann auf 7,2 Prozent kam.
Stimmung für Wahlenthaltung
Trotzdem gab es unter WASG-Mitgliedern auch Enttäuschung. Schließ-lich hatten sie während des Wahlkampfes immer wieder eine hervorragende Resonanz erhalten, ob an Infoständen, bei Straßenfesten, auf Veranstaltungen oder unter GewerkschafterInnen und AktivistInnen sozialer Bewegungen.
Die WASG war mit einer offenen Liste angetreten, auf der wichtige VertreterInnen aus Betrieben, Gewerkschaften, der antifaschistischen Bewegung, Erwerbslosenkampagnen, Mieterverbänden antraten.
Aber es war offensichtlich nicht möglich, die massive Stimmung für Wahlenthaltung zu durchbrechen. Die Enttäuschung über alle Parteien traf auch die WASG. Viele Menschen konnten für die WASG kein Vertrauen aufbauen und hatten die Haltung: „Ihr werdet euch genau-so anpassen, wenn ihr einmal im Parlament seid.“ Diese – auf Erfahrungen mit SPD, Grünen und L.PDS basierende – Befürchtung ist schwer durch Worte zu entkräften. In tausenden Gesprächen gelang dies den WASG-WahlkämpferInnen – aber eben in zu wenigen. Dieses Hindernis hätte nur dadurch überwunden werden können, wenn ein größerer Teil der Berliner Arbeiterklasse und Jugend gemeinsame Erfahrungen mit der WASG in Kämpfen und Kampagnen gemacht hätte. Das war aber zwangsläufig begrenzt. Trotz des Streiks bei der Charité, der Auseinandersetzung um das Bosch-Siemens-Hausgerätewerk, der Kampagne der WASG gegen Wohnungsprivatisierungen und des Schülerstreiks: Das Niveau von Klassenkämpfen war relativ niedrig. Das macht es für eine linke, kämpferische und bewegungsorientierte Partei immer schwerer, bei Wahlen gut abzuschneiden. Bei all diesen Auseinandersetzungen war die WASG aktiv präsent, oftmals als einzige politische Partei. Trotzdem waren einige der Beschäftigten bei der Charité und bei BSH überrascht, als Lucy Redler und andere WASG-AktivistInnen auch nach dem Wahltag zu ihren Streikposten kamen und aktive Solidarität übten. Sie kennen halt nur Parteien, die nach der Wahl wieder in der Versenkung verschwinden.
Rolle Lafontaines
Der WASG-Bundesvorstand und Oskar Lafontaine sehen sich nach den Wahlen in einer Position des lachenden Dritten. Sie weisen darauf hin, dass die Maßnahmen der L.PDS an der Regierung ihr Stimmen gekostet haben und bezeichnen die WASG-Kandidatur als gescheitert, weil sie die fünf Prozent nicht geknackt hat. Dabei handelt es sich um einen schwachen Versuch, von der eigenen Mitverantwortung für beide Ergebnisse abzulenken.
Schließlich hat der WASG-Bundesvorstand über Monate alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die eigenständige Kandidatur des Berliner Landesverbandes zu verhindern – trotz der mehrmaligen demokratischen Mehrheitsentscheidungen der Berliner Basis für die Kandidatur. Auch dies hat die WASG wochenlang daran gehindert, Kampagnen zu führen und die eigene Basis in der Stadt zu vergrößern. Und natürlich hat die Tatsache, dass Oskar Lafontaine und Mitglieder des WASG-Bundesvorstands zur Wahl der L.PDS aufgerufen haben, auch einen Teil der Berlinerinnen und Berliner irritiert und von der Wahl der WASG abgehalten.
Gleichzeitig tragen Lafontaine und der Bundesvorstand eine politische Verantwortung für das Abschneiden der Linkspartei.PDS. Sie haben aktiven Wahlkampf für die Truppe von Harald Wolf betrieben. Lafontaine ist auf diversen Kundgebungen und Wahlkampfveranstaltungen aufgetreten. Das Bundesvorstands- und Linksruck-Mitglied Christine Buchholz hat mit anderen zusammen eine Wählerinitiative Neue Linke gebildet, die in tausendfacher Auflage eine Zeitung verteilt hat, in der der L.PDS in Berlin eine „Politik mit sozialem Augenmaß“ attestiert wurde. Die Niederlage der L.PDS ist auch die Niederlage der WASG-Führung.
Nirgendwo ist das so deutlich wie im Bezirk Neukölln. Hier hat die WASG-Bezirksgruppe mit knapper Mehrheit entschieden, keine DirektkandidatInnen und keine Liste für die BVV aufzustellen, sondern die L.PDS zu unterstützen. Während die WASG-Landesliste im Norden des Bezirks über sechs Prozent der Stimmen erreichte und insgesamt mit 3,1 Prozent überdurchschnittlich abschnitt, konnte die von UnterstützerInnen des WASG-Landesverbandes und anderen Linken gegründete Wahlalternative Soziales Neukölln aufgrund ihrer eingeschränkten Mittel keinen Bekanntheitsgrad erlangen und erzielte bei der BVV-Wahl nur 0,8 Prozent. Eine WASG-Kandidatur hätte zweifelsfrei die drei Prozent geschafft, die für den Einzug in die BVV nötig sind – und damit wahrscheinlich den Einzug der NPD verhindert. Dass Neukölln der einzige Westberliner Bezirk ist, in dem die NPD es in die BVV geschafft hat, ist auch Folge der Politik derjenigen WASG-Mitglieder um Christine Buchholz, die eine WASG-Kandidatur in Neukölln verhinderten. Auf Landesebene ist es ein nicht zu unterschätzender Erfolg, dass die WASG besser abgeschnitten hat als die Faschisten. Und es ist wahrscheinlich gerade die wirkungsvolle Kandidatur der WASG gewesen, die den Nazis einen Strich durch die Rechnung gemacht hat.
Ostdeutschland
Das Abschneiden der Faschisten in Mecklenburg-Vorpommern ist dagegen eine deutliche Warnung an die Linke und die Arbeiterbewegung (siehe Artikel auf Seite 5). Hier hatte die WASG nicht die personellen und finanziellen Mittel, eine Wahlkampagne zu organisieren, die sie landesweit hätte bekannt machen können. Hinzu kam, dass der Landesverband innerlich zerstritten war und keine klare und kämpferische Wahlkampfstrategie entwickelt hatte. SAV-Mitglieder in Rostock hatten die Kandidatur unterstützt und für die WASG kandidiert. Sie mussten in der Hansestadt, in der die SAV mit Christine Lehnert eine Stadtverordnete hat, aber auch die Erfahrung machen, dass einige AktivistInnen große Skepsis gegenüber der WASG hatten und äußerten, sie hätten SAV gewählt, nicht aber WASG. So hat die WASG in Rostock auch weniger Stimmen erzielt als die SAV bei den letzten Kommunalwahlen Die fortgeschrittene Wut und Radikalisierung macht es insbesondere in Ostdeutschland nötig, sich durch ein klares antikapitalistisches und sozialistisches Profil von den pro-kapitalistischen Parteien abzugrenzen.
Auch in Ostberlin hat die WASG besser abgeschnitten, als im Westen der Hauptstadt. Und dies, obwohl sie, abgesehen von der Bezirksgruppe Pankow, im Ostteil der Stadt deutlich schwächer organisiert ist. Das gute Abschneiden hat sicherlich damit zu tun, dass die Enttäuschung mit der L.PDS hier am größten war. Aber es drückt auch aus, dass hier die Entfremdung mit allen Parteien des Establishments – und in Ostdeutschland gehört die L.PDS dazu – besonders ausgeprägt ist.
Während des Wahlkampfes wurde deutlich, dass es auch innerhalb der L.PDS Unzufriedenheit mit dem Kurs der Parteiführung gibt. Der ehemalige Botschafter der DDR in Jugoslawien, Ralph Hartmann, und seine Frau Eveline veröffentlichten einen offenen Brief, in dem sie mit der Politik von Harald Wolf und Stefan Liebich abrechneten und erklärten, warum sie WASG wählen werden. Nachdem dieser Brief in Auszügen in einer Anzeige des WASG-Landesverbandes in der PDS-nahen Tageszeitung Neues Deutschland veröffentlicht wurde, gab es in und um die L.PDS herum Anzeichen von Panik. Einen Tag vor den Wahlen gingen KandidatInnen der L.PDS, die zum Teil auch WASG-Mitglieder sind, so weit, dass sie einen Wahlaufruf für die L.PDS unter dem Logo des WASG-Landesverbandes veröffentlichten. Nicht einmal vor offenem Betrug scheuten diese Leute zurück, um die WASG aus dem Abgeordnetehaus heraus zu halten.
Die Entscheidung der WASG, eigenständig zu kandidieren, hat sich als richtig erwiesen. Sie hatte auch gar keine andere Wahl. Denn nur so konnte sie deutlich machen, dass sie die Politik der L.PDS im Senat weder direkt noch indirekt unterstützt. Auf den 52.000 Stimmen und den 14 BVV-Mandaten kann aufgebaut werden. Sowohl für den Aufbau einer politischen Alternative in Berlin, als auch für den Kampf gegen eine Vereinigung von L.PDS und WASG auf den politischen Grundlagen der L.PDS.
Wie weiter für die neue Linke?
Zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe der Solidarität ist noch nicht abzusehen, welche Koalition in Berlin gebildet wird. In der L.PDS sind, wie sollte es auch anders sein, kritische Stimmen zu hören. Einzelne Abgeordnete fordern sogar offen den Gang in die Opposition. Gesine Lötzsch, Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Partei in Berlin-Lichtenberg, kritisiert Harald Wolfs Kommunikationsschwäche und westdeutsche Herkunft. In den Lokalzeitungen ist zu lesen, die L.PDS wolle nun linker werden. Konkret fordert Stefan Liebich bundesweite Initiativen einer zukünftigen Landesregierung gegen Hartz IV und die Gesundheitsreform. Nach Aufruhr und innerparteilichem Aufstand sieht das bisher nicht aus.
Das Triumvirat aus Wolf, Liebich und Parteivorsitzendem Klaus Lederer wurde damit beauftragt, Sondierungsgespräche mit der SPD zu führen. Also genau diejenigen, die für fünf Jahre unsozialer Politik verantwortlich sind. Scheinbar wollen sie ihr Wahlversprechen „Fortsetzung folgt“ einhalten. Aber in der L.PDS scheint sich nicht einmal stärkerer Druck für einen Rücktritt der Boygroup an der Spitze der L.PDS zu entwickeln. Die Forderungen, mit denen sie in die Sondierungsgespräche gehen, sind moderat: Einstieg in einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, Einstieg in die Gemeinschaftsschule, keine Privatisierungen öffentlicher Unternehmen. Wobei als „Einstieg“ auch freiwillige Modellprojekte für die Gemeinschaftsschule gelten können und Teilprivatisierungen, wie zum Beispiel an der Charité geschehen, nicht ausgeschlossen werden.
Es ist natürlich auch möglich, dass sich Wowereit für Bündnis 90/Die Grünen entscheidet. Es ist auch vorstellbar, dass alle drei Parteien eine Koalition bilden, denn die Mehrheit von zwei Sitzen für jede der beiden möglichen Zweier-Koalitionen ist denkbar knapp. Und es kann auch sein, dass die L.PDS sich tatsächlich selber gegen eine Fortsetzung des Selbstzerstörungskurses im Senat entscheidet. Sollte die L.PDS in die Opposition gehen, wird die Partei sicher kein Problem damit haben, eine linkere Rhetorik anzuwenden und eine Politik zu kritisieren, die sie selber fünf Jahre betrieben hat. Es ist aber sehr unwahrscheinlich, dass sich am Charakter der L.PDS in Berlin qualitativ etwas ändern wird. Sie wird keine Kraft werden, die von streikenden ArbeiterInnen oder dem Anti-Privatisierungs-Bündnis als ernsthafter Partner betrachtet werden kann. Sie wird ihre rein parlamentarische Orientierung nicht aufgeben. Und sie wird kein Ort sein, in der tatsächlich linke und antikapitalistische Politik betrieben werden kann.
Im Osten L.PDS-Fortsetzung?
Die L.PDS in Berlin ist die Speerspitze des regierungsfixierten rechten Flügels in der Partei. Dieser hat auch beim Landesparteitag in Sachsen-Anhalt am 23. September einen Antrag durchgesetzt, der nichts mit sozialistischer Politik zu tun hat, sondern pro-kapitalistischer Sachzwangpolitik das Wort redet. Er zog nicht nur die Kritik von Parteilinken wie Sahra Wagenknecht und Ulla Jelpke auf sich, auch Oskar Lafontaine kritisierte die sachsen-anhaltinische Linie offen. Nicht nur in Sachsen-Anhalt bestätigt die L.PDS ihren staatstragenden und pro-kapitalistischen Kurs: In Cottbus ist die L.PDS sogar ein Bündnis mit der CDU zur Wahl eines konservativen Bürgermeister-Kandidaten eingegangen!
Die L.PDS-Eliten Ostdeutschlands formieren sich jedenfalls und machen ihren Führungsanspruch für die zu bildende fusionierte Partei deutlich. Sie wollen 2009 auch auf Bundesebene „regierungsfähig“ sein. Die Schwäche der WASG in Ostdeutschland bedeutet, dass im Falle einer Fusion aus WASG und L.PDS die neue Partei eine Fortsetzung der L.PDS wäre, dominiert von Kommunal- und Landtagsabgeordneten und hauptamtlichen Funktionären. Eine solche Partei könnte im Osten nicht die geringste Anziehungskraft oder Dynamik entwickeln. Ist sie in der Opposition auf Landesebene wird sie, mangels linker Alternative, bei Wahlen den einen oder anderen Erfolg verzeichnen können. Aber es drängt sie in den ostdeutschen Ländern in die Regierung. Und einmal dort angekommen, wird sie die Desaster von Berlin und Mecklenburg-Vorpommern wiederholen.
Und im Westen?
Im Westen gibt Oskar Lafontaine der WASG beziehungsweise dem Fusionsprojekt ein anderes Gesicht. Er hat viele Auftritte vor GewerkschafterInnen und kämpfenden Belegschaften, zuletzt beim Bosch-Siemens-Hausgerätewerk in Berlin. Hier und auch in den Medien gibt er radikale Stellungnahmen ab, fordert das Recht auf Generalstreik und die Überführung von Schlüsselindustrien in Gemeineigentum. Doch Lafontaine bleibt in seinen Widersprüchen verhaftet und verfolgt weiter eine Politik des kleineren Übels. Einerseits redet er von notwendigen Haltelinien, die die Linke nicht überschreiten dürfe. Er nennt Privatisierungen, Sozialkürzungen und Stellenabbau im öffentlichen Dienst. Gleichzeitig verteidigt er weiterhin die Politik der L.PDS im Berliner Senat – bis auf einzelne Maßnahmen, wie die Kürzung des Blindengelds und die Privatisierung von Wohnungen – und macht deutlich, dass er im Zweifelsfall für die Beteiligung an der Regierung eben doch zur Überschreitung der selber proklamierten Haltelinien bereit ist.
Programmatik
Der Entwurf für programmatische Eckpunkte der gemeinsamen Programmkommission von WASG und L.PDS wie auch der Gründungsaufruf für eine neue Partei von Lafontaine, Gysi und anderen, beantwortet entscheidende Fragen nicht. Vor allem die Frage der Regierungsbeteiligung wird in einer Art und Weise offen gehalten, die nur als Einladung für die Fortsetzung der L.PDS-Strategie in Ostdeutschland verstanden werden kann. Auf die Festlegung aus dem WASG-Gründungsprogramm – „an Regierungen im Bund oder im Land werden wir uns nur beteiligen, wenn dies zu einem grundlegenden Politikwechsel in Richtung unserer Forderungen führt“ – wurde bewusst verzichtet.
Positive Bezugnahme zum demokratischen Sozialismus und Forderungen nach der Überführung der Schlüsselindustrien in Gemeineigentum sind zwar Schritte nach links. Vor allem aber der Sozialismus-Begriff wird durch eine zu unkritische Sichtweise auf die DDR diskreditiert. Eine Partei, die die SED-Diktatur nicht eindeutig als solche bezeichnet und ihr das Etikett „sozialistisch“ nicht verweigert, wird in Deutschland – Ost wie West – niemals mehrheitliche Unterstützung entwickeln können.
Bedingungen formulieren
Die politische Praxis der L.PDS, die bisherigen programmatischen Vorschläge und das bürokratische Regime, was in beiden Parteien herrscht, machen es nötig, eine Fusion von WASG und L.PDS unter den von den Führungen vorgesehenen Voraussetzungen abzulehnen und zu bekämpfen. Die Linke in der WASG muss Bedingungen formulieren, die sie zur Voraussetzung für eine Zustimmung zu einem Zusammenschluss macht.
Diese sollten sein:
1. Keine Beteiligung an Sozialabbau, Stellenstreichungen, Privatisierungen, Tarifflucht und Lohnkürzungen – egal in welcher Form und auf welcher Ebene.
2. Regierungsbeteiligung nur im Interesse der abhängig Beschäftigten und Erwerbslosen, gegen die Interessen der Kapitalbesitzer und Vermögenden. Keine Beteiligung an Koalitionsregierungen mit neoliberalen Parteien.
3. Nein zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr.
4. Für eine Partei, die betriebliche und gewerkschaftliche Kämpfe und außerparlamentarische Bewegungen als ihren Schwerpunkt betrachtet.
5. Für eine demokratische Partei, in der FunktionsträgerInnen wähl- und abwählbar sind; Bundesparteitagsdelegierte auf Kreisebene gewählt werden; es das Recht auf die Bildung politischer Plattformen gibt; maximal zwanzig Prozent von FunktionsträgerInnen in Gremien und von Delegierten zu Parteitagen Wahlmandate inne haben dürfen oder hauptamtlich für die Partei oder eine Fraktion tätig sein dürfen.
6. Nein zu einem Anschluss der WASG an die L.PDS.
Ohne Zustimmung zu diesen Bedingungen, die der gegenwärtigen Politik und Praxis der L.PDS natürlich widersprechen und daher eine weitgehende Veränderung der L.PDS zur Voraussetzung eines Zusammenschlusses machen, muss gegen eine Fusion gekämpft und auch dagegen gestimmt werden. Das unabhängige Fortbestehen der WASG – auf der Basis eines klaren Programms im Interesse von abhängig Beschäftigten und Erwerbslosen – wäre in diesem Fall der bessere Ausgangspunkt, eine starke und wirklich neue Linke aufzubauen.
Sechste Partei gründen?
Einige wenige Kräfte innerhalb der WASG-Linken haben angekündigt, im Falle einer Fusion unter den sich abzeichnenden Vorzeichen eine neue Partei zu gründen. Dies wäre ein schwerer Fehler, denn für eine Neugründung unmittelbar nach einer Fusion existiert weder die gesellschaftliche Basis noch ein ausreichender Aktivenstamm. Resignation und Isolation wären die Folge. Es darf nicht unterschätzt werden, dass eine von Lafontaine geführte Partei die einzige linke Alternative zur Großen Koalition darstellen würde und zweifellos bei Wahlen erfolgreich sein könnte. Auch für AktivistInnen in den Gewerkschaften wird eine fusionierte Partei ein gewisser Bezugspunkt auf der politischen Ebene sein, da sich in den Gewerkschaften noch mit der Dominanz der Sozialdemokratie auseinandergesetzt werden muss. Das muss nicht heißen, dass ArbeiterInnen und Jugendliche in eine solche Partei eintreten werden. Sie wird aufgrund ihrer parlamentarischen Orientierung und ihres inneren Regimes wahrscheinlich sehr unattraktiv und leblos. Aber sie wird trotzdem den parteipolitischen Raum auf der Linken erst einmal ausfüllen.
Das muss nicht bedeuten, dass linke AktivistInnen ihr Hauptaugenmerk auf eine Tätigkeit innerhalb der Strukturen einer fusionierten Partei richten sollen. Der Aufbau von außerparlamentarischen Kampagnen, oppositionellen Gewerkschafter-Gruppen und Jugendbewegungen kann weitaus wichtiger und erfolgsversprechender sein.
In Berlin wird sich eine Sondersituation entwickeln. Hier hat die WASG eine größere soziale Verankerung und Bedeutung. Über 200 aktive WahlkämpferInnen haben eine kampagnefähige Organisation gebildet, die sich unter vielen GewerkschafterInnen und AktivistInnen sozialer Bewegungen Respekt erworben hat. Das Potenzial zum weiteren Aufbau dieser Kraft ist groß. In einer fusionierten Partei würden diese AktivistInnen jedoch zwangsläufig an den Rand gedrängt und könnten wenig Wirkung erzielen. Deshalb kann es für die WASG Berlin nötig und sinnvoll sein, eine Regionalpartei zu bilden, um unabhängig politisch handlungsfähig zu bleiben. In anderen Orten könnte der Aufbau kommunalpolitischer Wahlbündnisse, mit oder ohne die fusionierte Partei, anstehen.
In all diesen Bereichen muss und kann der Kampf dafür geführt werden, dass in Zukunft eine tatsächlich linke, tatsächlich kämpferische, Partei entsteht.
Es darf auch nicht unterschätzt werden, dass die fusionierte Partei regionale Unterschiede aufweisen wird und in manchen Städten und Regionen eine linke Politik umsetzbar sein wird. Außerdem ist absehbar, dass sich viele linke WASG-Mitglieder für den Versuch entscheiden werden, in der neuen Partei einen linken Flügel aufzubauen. Diesen sollte man zumindest nicht den Rücken zuwenden.
Deshalb ist der Aufbau eines Netzwerks nötig, das Kräfte aus verschiedenen Bereichen – innerhalb und außerhalb der fusionierten Partei – umfasst und in gemeinsamen Aktionen und Kampagnen zusammen fassen kann. Dabei ginge es darum, die Kräfte zu sammeln für den nächsten Anlauf des Aufbaus einer kämpferischen und sozialistischen Arbeiterpartei.
Die Bedeutung marxistischer Kräfte
Die Erfahrungen von zwei Jahren WASG zeigen, dass der Aufbau neuer, breiter linker Parteien nicht getrennt werden kann vom Aufbau einer marxistischen Kraft in der Arbeiterbewegung und der Linken. Die SAV hat eine bedeutende Rolle bei der Artikulierung und Organisierung der innerparteilichen Opposition gegen den Anpassungskurs der WASG-Führung gespielt. Dies nicht nur in praktischer Hinsicht. Die Analyse, dass eine Akzeptanz marktwirtschaftlicher Verhältnisse und eine Beschränkung auf keynesianische Lösungsvorschläge früher oder später zum Einknicken vor kapitalistischen Sachzwängen führt, hat sich bestätigt. Gleichzeitig hat die SAV frühzeitig erkannt, dass die Auseinandersetzung in Berlin eine Schlüsselrolle spielen wird und gemeinsam mit anderen eine Strategie für die Berliner WASG entwickelt, die ein ähnliches Einknickem im dortigen Landesverband verhinderte.
Je stärker die MarxistInnen in neuen linken Parteien sind, desto größer die Chance, dass diese Parteien die richtigen Lehren aus der Geschichte ziehen und die Entwicklung von SPD, Grünen und L.PDS nicht nachvollziehen. Das wird auch für die zukünftigen Anläufe für eine breite Arbeiterpartei gelten. Je stärker die marxistischen Kräfte von Beginn an sein werden, desto größer die Chance auf einen Erfolg. Deshalb ist es eine zentrale Aufgabe der nächsten Monate, neben der Verteidigung und dem weiteren Aufbau des WASG Landesverbandes Berlin, neben der Bildung eines breiten links-oppositionellen Netzwerks, die SAV als marxistische Kraft aufzubauen.