Zum Wahlausgang in Mecklenburg-Vorpommern
"Es gibt in Mecklenburg-Vorpommern keine wesentlichen Erfolge im sozialen Bereich. Das Land hat die höchste Arbeitslosenquote, die höchste Abwanderungsquote und die schlechtesten demoskopischen Zahlen. Wenn es dann heißt, den Erfolg fortsetzen, fühlen die Menschen sich gedemütigt und ironisch behandelt"– mit diesen Worten fasst der Direktor der mecklenburgischen Caritas, Alfons Neumann, am 18. September das Wahlergebnis zusammen.
von René Henze, Rostock
Die mit der Linkspartei.PDS regierende SPD unter Ministerpräsident Ringstorff versprach im Wahlkampf: "Den Erfolg fortsetzen". Für über zehn Prozent der ehemaligen SPD-WählerInnen muss das eher wie eine Drohung geklungen haben — und sie machten ihre Kreuze am Wahlabend woanders oder gingen nicht mehr zur Wahl. Damit kam die SPD, nach vorläufigen amtlichen Wahlergebnis, nur noch auf 30,2 Prozent (2002: 40,6 Prozent).
"Rot-Rot" abgestraft
Die mitregierende Linkspartei.PDS brüstet sich zwar, dass sie ihr Ergebnis von 2002 mit 16,4 auf 16,8 Prozent gesteigert habe — aber dass die L.PDS 22.000 Stimmen verloren hat, das taucht in den Statements der Linkspartei.PDS kaum auf (2002 war die PDS gegenüber 1998 um ein Drittel eingebrochen!).
Die Linkspartei.PDS hat dabei noch Glück gehabt. Denn der drohende Einzug der Nazis in den Landtag führte im Vorfeld der Wahlen unter antifaschistischen Gruppen und anderen zu einer weitverbreiteten Einstellung, diesmal der Linken im Landtag die Stimme zu geben… Die Verluste für beide Parteien sind die Quittung für die Politik der Kürzungen, Einsparungen, Entlassungen der letzten acht Jahre.
CDU — schlechtestes Ergebnis seit 1990
Doch auch die oppositionelle CDU konnte aus der Ablehnung gegenüber der "rot-roten" Landesregierung kein Kapital schlagen. Sie verlor zwar "nur" 2,6 Prozent — aber das gestrige Ergebnis von 28,8 Prozent ist damit das schlechteste Ergebnis für die CDU in MV.
Bündnis 90/Die Grünen und die FDP
Für Bündnis90/Die Grünen gibt es einfach keinen Raum, um den Einzug ins Parlament zu schaffen. Weder gibt es in MV eine nennenswerte Öko- oder "Bürger-"Bewegung, noch gibt es eine "Schikeria", die aus dieser Bewegung hervorgegangen ist. Mecklenburg-Vorpommern ist einfach zu arm, als dass solch eine Schicht ein nennenswertes Wählerpotenzial für Bünndis 90/Die Grünen bilden könnte. Proteststimmen, wie teilweise anderswo, landen in MV auch nicht bei den Grünen.
Die FDP hat nach 12 Jahren Abstinenz mit 9,6 Prozent den Sprung in den Landtag geschafft. Genützt hat der FDP der Bonus, dass sie weder in der Bundesregierung noch im Schweriner Landtag überhaupt vertreten ist/war. Interessant für das gute Abschneiden der Liberalen dürften auch die näheren Untersuchungen der nächsten Wochen über die "Wählerwanderung" sein. Es ist zu vermuten, dass es gerade im Lager der Selbständigen — das heißt im Lager der Klein- und Kleinst-Unternehmer — die Linkspartei.PDS ihre seit 1989 bestehende Klientel an die Liberalen verloren hat.
NPD und Kameradschaften
Die NPD hat mit 7,3 Prozent den Einzug in den Landtag geschafft. Mit Plakaten wie "Wehrt euch!", "Jetzt reichts!" und "Den Bonzen auf die Finger hauen!" trafen sie den Nerv von knapp 60.000 WählerInnen. Doch nicht nur großkotzig-populistische Sprüche prangten auf den NPD-Plakaten, sondern auch inhaltliche Forderungen wie "Zukunft statt Arbeitsamt", "Ländliche Schulen erhalten" und die "Wiederherstellung der Poliklinik-Strukturen". Gerade im östlichen Teil Mecklenburg-Vorpommerns hat die NPD teilweise Ergebnisse zwischen 13 und 15 Prozent eingefahren. In diesen Regionen liegt die Arbeitslosigkeit zwischen 40 bis 50 Prozent.
Mit 400.000 bis 1,5 Millionen Euro hat die NPD am meisten Geld in den Wahlkampf gesteckt. Dies und ein generalstabsmäßig organisierter Wahlkampf — geleitet von dem sächsischen Fraktionschef Apfel — sicherte nicht nur den Einzug dieser Partei in den Landtag, sondern auch die Gefolgschaft von den der NPD bislang skeptisch gegenüber stehenden Kameradschaften.
Mit dem Erfolg vom 17. September festigt die NPD innerhalb des rechtsradikalen Lagers ihre Vorherrschaft. Das und der Fakt, dass fast die Hälfte der NPD-Abgeordneten aus den offen militanten Kameradschaften kommt, wird auch das Auftreten der NPD in der kommenden Zeit noch stärker beeinflussen. Ein Vorgeschmack dessen lieferte diese Partei auch gleich am Wahlabend. Bei ihrer zentralen Wahlparty in Schwerin wurden Journalisten vom NDR und dpa handgreiflich aus dem Saal befördert. Dieses Abschneiden bedeutet eine ernste Warnung. Das macht es nötig, den Kampf gegen Rechts und Sozialabbau noch zu intensivieren.
NichtwählerInnen
Entgegen manchen erschrockenen (linken) Kleingeistern, die nun wittern, dass "die Ostdeutschen anfälliger für Neo-Nazi-Parolen seien", oder dass "in der Krise die Arbeiter nach rechts gehen", sei hier nochmal gesagt, die größte Partei bei diesem Wahlkampf, war die Partei der "NichtwählerInnen"! 40,8 Prozent der Wahlberechtigten gingen weder den Neo-Nazis, noch den leren Sprüchen der etablierten Parteien, auf den Leim. Damit ist diese "Partei" der eigentliche "Wahlsieger". Denn noch vor vier Jahren hatten knapp 70 Prozent gewählt.
WASG
Die Partei "Arbeit & soziale Gerechtigkeit — Die Wahlalternative" (WASG) hatte eigentlich ein riesiges Potenzial vor sich — genau die NichtwählerInnen und diejenigen, die zähneknirschend ihr Wahlkreuz bei der Linkspartei.PDS machen. Doch die WASG konnte daraus nichts machen. Zum einen ist einfach die Basis in Mecklenburg-Vorpommern mit nur einer Handvoll Mitgliedern zu gering. Zum anderen war für viele Menschen nicht klar, ob sie — angesichts der angestrebten Fusion durch die Bundesvorstände von WASG und PDS — nicht am Ende doch die Regierungspartei Linkspartei.PDS wählen. So erhielt die WASG nach bisherigen — noch unvollständigen — Ergebnissen zwischen 0,3 und einem Prozent.
Aussicht
Die Aufgabe, auch im nord-östlichen Bundesland eine neue Partei für Beschäftigte, Arbeitslose, RentnerInnen und Jugendliche aufzubauen, steht nach wie vor noch aus. Denn egal wie die zukünftige Regierungskoalition zwischen SPD, Linkspartei.PDS und CDU ausgehandelt wird — die Lage der Menschen in diesem Bundesland wird nicht besser. Die WASG hätte somit eigentlich ein weites Feld, um durch systematische Kampagnenarbeit gegen Nazis und Rassisten einerseits und gegen Sozialkürzungen und Arbeitslosigkeit die Linke in diesem Bundesland zu sammeln, zu organisieren. Konfrontiert mit dem bedingungslosen Fusionskurs seitens der WASG-Bundesspitze gilt es jetzt, die Schwächung der L.PDS und das Debakel in (Ost-)Berlin — aufgrund ihrer Kahlschlagspolitik in "rot-roten" Koalitionen — innerhalb der WASG und Akteuren gegen Sozialraub zum Ausgangspunkt für die weitere Diskussion über den politischen Neuformierungsprozess der Linken zu machen.