WASG Berlin leitet Wahlkampf-Endspurt ein

Über 100 WASG-Mitglieder aus dem ganzen Bundesgebiet wie auch UnterstützerInnen aus Irland, Griechenland, England und Belgien nahmen an der Diskussionskonferenz der Berliner WASG am 10. September teil.
 

von Nima Sorouri, Köln

Es wären mehr Berliner WASG-Mitglieder da gewesen, wenn nicht gleichzeitig noch andere wichtige Wahlkampfaktionen in der Hauptstadt stattgefunden hätten.

Die Erfahrungen, die die WahlkämpferInnen jeden Tag auf der Straße, vor Schulen und Betrieben machen, wirkte sich auf die Stimmung und Atmosphäre der Konferenz aus. Es war nicht zu übersehen, mit welch einem Selbstbewusstsein und Kampfgeist die TeilnehmerInnen ihre Erfahrungen austauschten. Auch die angereisten UnterstützerInnen zeigten sich von der Stimmung auf der Straße und von der unermüdlichen Konsequenz der Berliner AktivistInnen beeindruckt.

Die Berliner WASG und ihre UnterstützerInnen bundesweit haben es nochmal deutlich gemacht: Es geht auch anders! Statt Anpassung erst zu kleineren, schließlich zu größeren Übeln, Glaubwürdigkeit durch unbeugsame Konsequenz. Statt dieses „Wir-können-ja-garnix-dafür-Gerede“ von L.PDS- und WASG-“Realos“, Widerstand auf der Straße und ins Parlament!

Die erste Diskussion behandelte das Thema: "Berlin braucht eine soziale Alternative – wofür steht die WASG?" Auf dem Podium saßen KandidatInnen der WASG-Landesliste Lucy Redler, Michael Prütz und Renate Herranen.

Die Lehrerin, auch Mitglied der GEW, Renate Herranen, machte auf die katastrophale Situation im Kinder- und Jugendbereich in Berlin aufmerksam. "Im Bundesgebiet lebt im Schnitt jedes siebte Kind in Armut. In Berlin jedes dritte!" Unter Rot-Rot sei die Situation noch schlimmer geworden. Betreuungsangbote seien zusammengekürzt worden und die Lehrmittelftreiheit abgeschafft worden. Viele der Kinder in Armut leideten an Hunger, so Herranen. ALG-II-EmpfängerInnen im Schnitt haben gerade mal elf Euro für den ganzen Tag zur Verfügung – und eine warme Mahlzeit an der Schule kostet bereits zwei Euro. Nach einem Umriss der erschreckenden Verhältnisse in der Bundeshauptstadt stellte sie die Forderungen der Berliner WASG vor, wie beispielsweise nach deutlich kleineren Klassen, die Einstellung von 1.000 LehrerInnen und der einheitlichen Ganztagsschule.

Michael Prütz leitete die momentane Haushaltssituation in Berlin her, wobei er den "Bankenskandal" ausführlich schilderte, an dem die Vorregierung gestürzt ist. In amüsanter Weise stellte er die Verstrickungen zwischen Immobiliengeschäften und der Berliner Politik dar. Dass die L.PDS keine Wahl gehabt hätte, weil es schließlich Verträge zwischen der Landesbank und den Gläubigern gegeben hätte, sei Unsinn. Auf die Frage hin, warum die LPDS diese Verträge über die Interessen der Menschen stelle, wenn es doch Alternativen gegeben hat, antwortete Prütz: "Das ist eine Klassenfrage. Wenn mehrere Tausend Unternehmer und Reiche in Berlin ihr Geld zurückhaben wollen, dann stellt sich die Frage, ob man sich mit ihnen anlegen will, oder tut, was sie verlangen. Die L.PDS hat sich für letzteres entschieden."

Lucy Redler, die Spitzenkandidatin der WASG Berlin, zeigte auf, was die meist gestellten Fragen im Wahlkampf sind. Am häufigsten höre man im Straßenwahlkampf: "Find ich alles echt gut, was ihr sagt, aber wer sagt mir, dass ihr anders seid und nicht einmal an der Regierung den selben Mist auch macht." Lucy zeigte Verständnis dafür, da SPD, Grüne und PDS, eben diese Entwicklung von links nach rechts gemacht hätten. Die Enttäuschung sei groß und viele Hoffnungen enttäuscht. Umso wichtiger sei es zu erklären, dass eine soziale Opposition nötig und möglich ist. "Wir sind anders", so Lucy Redler, "das müssen wir erklären und dafür Beispiele geben". Die Situation an der Charité zeige in aller Deutlichkeit den Unterschied. Während alle anderen Parteien die Beschäftigten in einen Absenkungstarif zwingen wollen, und das unter der Führung von L.PDS-Wissenschaftssenator Flierl, sei die WASG Berlin konsequent auf der Seite der Beschäftigten und unterstütze ihren Kampf.

Auch sei die Frage nach der Art und Weise, wie eine WASG-Fraktion arbeiten würde, entschiedend. Es gehe darum, den Menschen Mut zu machen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Deshalb wird die Fraktion "Kampagnen auf der Straße machen und den Protesten eine Öffentlichkeit geben". Erst an vierter Stelle sieht die Sozialistin die Frage, ob die WASG mit ihrer Kandidatur die Linke spalte. Bis auf ein paar Ausnahmen jedoch hätte sie die Erfahrung gemacht, dass diese Personengruppe offen ist und sich für eine "Linke, die auch den Namen verdient" überzeugen lasse, wenn man länger mit ihr diskutiert.

Die Diskussionsbeiträge aus dem Publikum waren geprägt von den ganzen positiven Erfahrungen aus dem Wahlkampf. Einige appellierten, mit allen zu sprechen, so hätten sie nicht nur die Erfahrung gemacht, enttäuschte L.PDS-WählerInnen zu gewinnen, sondern auch Mitglieder der Grünen, SPD und sogar Leute, die sich aus Frust und Verzweiflung überlegt hatten, die NPD oder andere Naziparteien zu wählen.

Die zweite Diskussion hat nochmal deutlich gemacht, dass es bei der Neuformierung der Linken darauf ankommt, die Vielfalt der linken und sozialen Bewegungen einzubeziehen. Schon bei der Auswahl der PodiumsteilnehmerInnen wurde das Ziel verfolgt, AktivistInnen aus den verschiedenen Bereichen, inbesondere aus dem betrieblichen und gewerkschaftlichen zusammenzubringen, um den aktuellen Wahlkampf und das Verhältnis zwischen parlamentarischer Arbeit und außerparlamentarischem Widerstand zu diskutieren. An der Diskussion: "Protest und Parlament – welche Erwartungen an eine linke Fraktion?" nahmen teil: Angela Klein, Koordinatorin der Euromärsche und deutsches Sozialforum, Carsten Becker, ver.di-Betriebsgruppenvorsitzender an der Charité und WASG-Kandidat, Tom Adler, Betriebsrat bei DaimlerChrysler Mettingen und Michael Kronawitter, langjähriger Aktivist der antifaschistischen Bewegung und WASG-Kandidat. Angela Klein mahnte an, dass es weniger um linke Arbeit im Parlament gehen dürfe, sondern vielmehr das Ziel im Vordergrund stehen müsse, die Bewegung gegen die bestehenden Verhältnisse aufzubauen. Eine mögliche Fraktion, ob im Abgeordnetenhaus oder in den Bezirksverordnetenversammlungen, sollte nur als Werkzeug dienen, die Partei und vor allem die Bewegung aufzubauen, um die gesellschaftlichen Macht- und Kräfteverhältnisse zu verändern. Der erste Landesparteitag nach der Wahl, so Angela Klein, "darf sich nicht mit der Frage beschäftigen: "Was machen wir im Parlament?", sondern: wie organisieren wir die Kampagne gegen die Privatisierung der Sparkasse?"

Carsten Becker schilderte die Situation an der Charité und stellte die Notwendigkeit vom engen Verhältnis zwischen dem betrieblichen Kampf und möglichen WASG-Parlamentariern in den Vordergrund. "Dass Beschäftigte wieder eine Stimme haben, darum geht es mir." Die Tatsache, dass die Charité-Beschäftigten die einzigen Angestellten des öffentlichen Dienstes seien, die bisher nicht in einen Absenkungstarif gezwungen werden konnten, sei Resultat des Widerstands. "Als Vertreter dieses Widerstands will ich ins Parlament", so der Personalrat.

Tom Adler, einer der "Mettinger Rebellen", erklärte, wie die IG Metall in den Achtzigern begonnen habe, sich zunehmend der "Standortlogik" zu unterwerfen, was immer mehr zu faulen Kompromissen mit den Bossen geführt habe. Gegen diese zunehmdende Auslieferung von Arbeiterinteressen gäbe es aber Widerstand. Diese "gallischen Dörfer" solle die Fraktion unterstützen und den allgemeinen Konsens durchbrechen. "Die Fraktion muss eine Kultur des Kämpfens in der breiten Öffentlichkeit verankern." Pflicht der Fraktion sei deswegen, gegen die herrschende Hegemonie eine Gegenöffentlichkeit aufzubauen.

Michael Kronawitter fasste mit den Stichworten "laut, offensiv und ungehorsam" seine Vorstellungen von der Rolle möglicher Abgeordneter zusammen. Es sei an der Zeit, endlich wegzukommen von den Deffensivforderungen. "Parlament ist wie Theater und im Theater muss man laut sprechen." Es sei wichtig, sich Gehör zu verschaffen durch Aktionen, die wahrgenommen werden. "Wenn Politiker die Straßenseite wechseln, wenn sie uns sehen, dann weiß ich, dass wir es richtig gemacht haben."

Mehrere DiskussionsteilnehmerInnen betonten die Bedeutung von Transparenz und Kontrolle über die zukünftigen Abgeordneten.

Die sehr lebendige und kämpferische Veranstaltung lässt Gutes hoffen. Das Potenzial für den Einzug ins Abgeordnetenhaus ist auf jeden Fall vorhanden. Doch auch wenn es nicht reicht, haben die Konferenz und auch die Erfahrungen im Wahlkampf etwas deutlich gemacht: Linke Ideen kommen gut an, wenn der Begriff "links" sich nicht mehr verbinden lässt mit Sozialabbau, Privatisierung und Abschiebungen, sondern mit konsequentem Widerstand gegen die bestehenden Verhältnisse. Der Kampf für so eine neue Linke geht weiter!