„Die Geburtswehen eines neuen Nahen Osten“, so nannte US-Außenministerin Rice den Krieg gegen den Libanon (Washington Post online vom 21. Juli).
Zynischer kann man die Lage in der Region wohl kaum beschreiben: Diese „Geburtswehen“ forderten seit Anfang des Jahres mehrere Tausend zivile Todesopfer im Irak, über Tausend Tote und eine Million Kriegsflüchtlinge im Libanon und 300.000 Menschen, die aus Nordisrael fliehen mussten.
von Conny Dahmen
Flugzeuge und Geschütze der israelischen Armee haben weite Teile des Libanon bis auf die Grundmauern niedergebombt, Brücken, Straßen und Elektrizitätswerke in Asche verwandelt. Viele Fabrikanlagen und sämtliche libanesische Häfen und Flughäfen wurden zerbombt. Trotzdem konnten die Hisbollah und deren Anhänger nicht besiegt werden. Selbst wenn dieser Waffenstillstand zunächst mehr oder weniger eingehalten wird, sind weitere, noch verheerendere Konflikte nur eine Frage der Zeit.
Einmal mehr ist die Rolle des US-Imperialismus als Schlüsselfaktor im Nahen Osten deutlich geworden, der Israel grünes Licht für die Angriffe auf den Libanon gegeben hatte. Was die libanesischen, aber auch die israelischen Massen der ArbeiterInnen, Armen und der Landbevölkerung mit ihrem Blut und ihren Tränen bezahlen, sind die knallharten Interessen der verschiedenen imperialistischen Mächte. Es geht um die Frage der Vorherrschaft im Nahen Osten und den Zugang zum Öl.
Brandstifter mit Tradition
Schon der französische und britische Imperialismus legten die Grundsteine für die heutigen Probleme. Ihr wirtschaftliches und politisches Interesse an der Region reicht über hundert Jahre zurück. Um ihre Kontrolle zu festigen, spielten beide Mächte von Anfang an gezielt die verschiedenen Volksgruppen und Religionszugehörigkeiten gegeneinander aus. Damit wollten sie einem vereinten Widerstand gegen die Besatzung vorbeugen. So wurden unter anderem die Massenbewegungen der AraberInnen für nationale Selbstbestimmung gegen die britische Herrschaft in den zwanziger und dreißiger Jahren unterdrückt.
Eine einschneidende Entwicklung bedeutete die Gründung des Staates Israel im Jahr 1948, die besonders der US-Imperialismus vorangetrieben hatte. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten Großbritannien und Frankreich ihren Einfluss mehr und mehr an den US-Imperialismus verloren. Damals wie heute machten die Ölvorkommen in der Region den Nahen Osten attraktiv. Drei Viertel der heute bekannten Ölreserven liegen in den arabischen Ländern und in Iran. Der Wunsch der jüdischen Einwanderer nach einem Ort, an dem sie in Frieden leben können, wurde und wird für die strategischen Interessen des Westens, allen voran der USA, missbraucht. Die Art und Weise wie der Staat Israel geschaffen wurde, musste zu einem Konflikt mit der arabischen Bevölkerung führen. Bei seiner Gründung wurden Hunderttausende PalästinenserInnen vertrieben, die seit mehreren Generationen in Flüchtlingslagern in den umliegenden Staaten lebten.
Das Ziel des Imperialismus war und ist die Kontrolle über diese strategisch wichtige Region. Das Kalkül hinter ihrer Politik im Nahen Osten: Solange die arabischen Massen ihre Wut gegen Israel richten, werden sie abgelenkt von dem Kampf für ihre nationale Befreiung von der Vorherrschaft der westlichen kapitalistischen Länder.
Denn in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erhielten im Zuge der nationalen Unabhängigkeitsbewegungen gegen Kolonialherrschaften in aller Welt auch die panarabischen Bewegungen einen enormen Zulauf, die eine geeinte Nation aller AraberInnen zum Ziel hatte. Die reaktionären Herrscherhäuser präsentieren sich zwar als Vertreter aller AraberInnen im Kampf gegen Israel, sind aber Hindernisse im Kampf gegen Unterdrückung und Ausbeutung, da sie die eigene Bevölkerung unterdrücken und in letzter Instanz gemeinsame Sache mit dem Westen machen – zum Beispiel die Machthaber in Saudi-Arabien, Jordanien und Ägypten.
Der Hauptfeind steht in Israel?
Der Staat Israel diente aber auch als militärischer und politischer Vorposten gegen das Vordringen revolutionärer Bewegungen nach dem Zweiten Weltkrieg, an deren Ende die Abschaffung des Kapitalismus hätte stehen können, wie in China beispielsweise.
Im Irak hatte die panarabische Baath-Partei einen Großteil der ausländischen Vermögen verstaatlicht, in Syrien gingen die Verstaatlichungen sogar noch weiter. In Algerien erhoben sich die Massen gegen die französische Unterdrückung. Viele ArbeiterInnen und Bauern in Ägypten orientierten sich an der nicht-kapitalistischen Sowjetunion. Der Imperialismus sah den eigenen Einfluss schwinden und seine Ölprofite bedroht. Der Kampf aller gegen Israel wendete das Blatt schließlich: Statt Revolutionen der Massen gegen die Eliten der Region und den westlichen Imperialismus wurden 1967 Syrer, Ägypter, Jordanier und Iraker im Krieg gegen Israel zusammen geschweißt. Israel besetzte die Westbank, den Gaza-Streifen, die Sinai-Halbinsel und die syrischen Golan-Höhen. Sämtliche Kriege und Militäraktionen haben für keine Seite Sicherheit gebracht, sondern im Gegenteil neuen Hass geschaffen.
Der russische Revolutionär und Sozialist, Leo Trotzki, warnte 1940, dass eine systematische Ansiedlung der Juden auf palästinensischem Territorium wahrscheinlich zu einer „blutigen Falle für die Juden“ werden würde, dass es auf kapitalistischer Grundlage niemals eine Lösung für die verfolgten Juden gäbe, und er schrieb weiter, „die Rettung des jüdischen Volkes ist untrennbar verbunden mit dem Sturz des kapitalistischen Systems“ („Über die jüdische Frage“).
Erstarken religiös-fundamentalistischer Kräfte
Da es keine starke Kraft gab, die aufzeigte, dass die eigentlichen Grenzen zwischen den Klassen und nicht zwischen den Völkern verlaufen, und einen Befreiungskampf aller für eine sozialistische Veränderung organisierte, gewannen insbesondere in den letzten Jahren religiös-fundamentalistische Organisationen an Boden. Auch das Scheitern der 1964 gegründeten Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) war vorprogrammiert, weil sie eine Lösung im Rahmen des Kapitalismus und mit den Mitteln des Guerillakampfes suchte. Seit Anfang der neunziger Jahre setzte sie sich, für alle sichtbar vom Westen korrumpiert, mit den Besatzern an Runde Tische und ließ sich die Bedingungen von ihnen diktieren. Sozialen Fortschritt erreichte sie – auch nach der Bildung der Palästinensischen Autonomiebehörde – nur für eine kleine Schicht von PLO-Funktionären und anderen Karrieristen, während es der Masse der Bevölkerung sogar noch schlechter ging.
Die „israelische Karte“ wird heute wieder von Machthabern wie Assad in Syrien und Ahmadinedschad in Iran gespielt, deren anti-israelische Verbalattacken die Arbeiterklasse von der Unterdrückung und den sozialen Spannungen im eigenen Land ablenken sollen. So versuchte Ahmadinedschad mit der Atomfrage den Nationalismus hochzutreiben. Das Haus der Arbeiter, die von den Machthabern im Iran kontrollierte Gewerkschaft, rief am 1. Mai die Parole „Atomkraft ist ein unveräußerliches Recht“ aus. Viele ArbeiterInnen ließen sich davon jedoch nicht beeindrucken und trugen auf den Demonstrationen Transparente mit Slogans wie „Streikrecht ist ein unveräußerliches Recht“ oder „Mindestlohn ist ein unveräußerliches Recht“. Auch die Hisbollah lenkt mit ihrem Vorgehen gegen Israel, dem sie alles andere unterordnet, von sozialen Fragen wie Löhnen, Wohnungen, Arbeit und Bildung ab. Sie sabotierte die aufkommenden Massenbewegungen im Libanon gegen den Sozialabbau der libanesischen Regierung, wie zum Beispiel einen Massenboykott gegen die Erhöhung der Strompreise im Südlibanon.
Boomerang – israelische Militäraktionen im Libanon
In den Libanon war Israel bereits 1978 und 1982 einmarschiert, um Basen der PLO zu zerstören. Diese so genannte „Invasion für Frieden“ erfreute sich jedoch nicht lange der anfänglich breiten Unterstützung in der israelischen Bevölkerung. Auf das brutale Massaker an bis zu 3.000 palästinensischen Flüchtlingen in Sabra und Schatila 1982, unter Mittäterschaft der israelischen Armee und deren General Ariel Scharon, reagierten nicht nur die ArbeiterInnen in den arabischen Ländern mit Protestdemonstrationen und Streiks, auch in Tel Aviv gingen bis zu einer halben Million Menschen auf die Straße. Innerhalb der israelischen Streitkräfte entwickelte sich zum ersten Mal eine Opposition. Im Jahr 2000 musste die israelische Armee schließlich den Kämpfern der Hisbollah weichen und den Libanon aus Mangel an öffentlicher Unterstützung und einsatzwilligen SoldatInnen verlassen.
Israel geschwächt
Auch im jüngsten Krieg hat sich die israelische Elite schwer verkalkuliert. Sicherlich war der israelische Ministerpräsident Olmert bestrebt, nach der Entführung der beiden Soldaten im Libanon das Prestige der Armee wieder herzustellen und Stärke zu demonstrieren. Allerdings war die Entführung im Grunde nur ein Vorwand, zuvor hatten Israel und Hisbollah schließlich solche Konflikte mit einem Gefangenenaustausch geregelt. Die Tatsache, dass über Nacht eine gigantische Kriegsmaschinerie mobilisiert werden konnte, lässt darauf schließen, dass die Kriegsvorbereitungen bereits vor der Entführung der beiden israelischen Soldaten stattgefunden haben. Das Weiße Haus, das diesen Krieg unterstützte, hatte ebenfalls ein Interesse an der Schwächung der Hisbollah. Eine Entwaffnung der von Iran unterstützen Hisbollah hätte Ahmadinedschads Position im Konflikt mit dem Westen geschwächt. Letzten Endes erreichte Israel kein einziges Kriegsziel. Die Hisbollah konnte ihre Basis unter der libanesischen Bevölkerung – und zwar nicht nur unter den knapp 50 Prozent SchiitInnen – massiv ausbauen. In der arabischen Welt werden nun die Hisbollah und deren Chef Nasrallah als Helden gefeiert.
Die israelische Regierung hatte vor dem Krieg nur 35 Prozent Unterstützung in der Bevölkerung. Während des Krieges bekamen Olmert und Co. Rückenwind. Kriegsverlauf und Ergebnis haben nun jedoch für viel Unmut gesorgt. Große Teile der Bevölkerung waren dafür, den Krieg fortzusetzen. Ein Gefühl, das in nächster Zeit aber stärker werden wird, ist, dass die etablierten Politiker und Parteien keine Sicherheit garantieren können. In Folge dessen wird die aufgestaute Unzufriedenheit gegen die reiche und korrupte Elite ihren Ausdruck finden.
Besetzte Palästinensergebiete
Auch im Gaza-Streifen punktet die Hamas politisch durch die israelischen Bombenangriffe auf die Zivilbevölkerung. Nach Israels Abzug ist Gaza heute weiterhin ein großes Gefängnis für die dort lebenden PalästinenserInnen, umzingelt von Stützpunkten der israelischen Armee. Der Sieg der Hamas bei den Wahlen der Palästinensischen Autonomiebehörde im Dezember 2005 war ein schwerer Schlag für die Herrschenden in Israel und in den USA, da mit der Hamas keine so reibungslose Kollaboration wie mit der Fatah (dem Arafat-Flügel der PLO) möglich ist. Es ist ihnen nicht gelungen, beide Kräfte in eine Große Koalition zu ziehen und die Hamas in die Rolle einer Marionette – vergleichbar mit der PLO – zu zwingen. Die Hamas hat sich in den besetzten Palästinensergebieten, ähnlich wie die Hisbollah im Libanon, in der Bevölkerung verankern können. Während die korrupte PLO-Führung damit beschäftigt war, sich an Hilfsgeldern zu bereichern, ging der Lebensstandard für die Masse der PalästinenserInnen in den letzten Jahren weiter zurück. Die Hamas hingegen finanzierte Sozialprogramme und präsentierte sich als Fundamentalopposition gegen die Scheinlösungen, die mit der israelischen Regierung und dem Westen ausgehandelt worden waren.
Eine Lösung hat die Hamas ebensowenig wie die Hisbollah anzubieten. Die kapitalistischen Macht- und Eigentumsverhältnisse in den Palästinensergebieten werden von ihr nicht in Frage gestellt. Mit ihrem religiösem Fanatismus und Selbstmordattentaten liefert sie der israelischen und der US-amerikanischen Regierung nur neue Vorwände für die Unterdrückung der PalästinenserInnen.
USA – Verlierer des Krieges
Das Ergebnis des Libanon-Krieges ist eine weitere schallende Ohrfeige für die Bush-Regierung. Der US-Imperialismus wirkt wirtschaftlich und militärisch nicht mehr so unbezwingbar wie in den Neunzigern und ist mit erbitterter Feindschaft der Massen im Nahen Osten und anderen neokolonialen Ländern konfrontiert.
Das Ziel, die muslimische Welt nach US-Interessen neu zu ordnen, rückt in weite Ferne. In Teilen Afghanistans regiert nicht Präsident Karsai, sondern wieder die Taliban. Im Irak beginnt ein Bürgerkrieg zwischen SchiitInnen und SunnitInnen. Die irakische Ölförderung ist nach wie vor weit weg vom Vorkriegsniveau.
Die pro-imperialistischen Marionettenregierungen in den Nachbarländern Israels, in Jordanien und Ägypten, geraten unter den Druck der anti-imperialistischen Stimmung in der dortigen Bevölkerung. Präsident Hosni Mubarak unterstützt Israel, um politische und militärische Erfolge der Hamas im benachbarten Gaza und der Hisbollah im Libanon zu verhindern, weil er neuen Zulauf für die Moslembrüderschaft in Ägypten befürchtet. Die neoliberalen Angriffe auf den Lebensstandard, dazu ein Ölpreisanstieg um 30 Prozent, haben in der arbeitenden Bevölkerung Ägyptens zu einer Radikalisierung geführt – die auch dort von den Kräften des politischen Islam aus Mangel an linken Alternativen genutzt werden können. Auch das pro-westliche Regime in Saudi-Arabien sah sich gezwungen, aufgrund des Drucks von unten gegen Israels Vorgehen öffentlich zu protestieren.
Bomben auf Iran?
Durch den Ausgang des Libanon-Krieges und die bisherige Politik hat der US-Imperialismus das iranische Regime weiter gestärkt. Ahmadinedschad, aber auch Assad in Syrien sonnen sich jetzt im Erfolg der Hisbollah. Beide Mächte haben seit jeher Hamas und Hisbollah finanziert.
Syrien erhebt nach wie vor einen historischen Anspruch auf den Libanon, der nach dem Ersten Weltkrieg von Syrien abgetrennt wurde und den die syrischen Truppen im Zuge der „Zedernrevolution“ 2005 verlassen mussten. Ein weiterer Streitpunkt sind die israelisch besetzten Golanhöhen Syriens.
Nach wie vor wird im Weißen Haus über Militärschläge gegen den Iran diskutiert. Das Ziel, das Bush, Cheney und Rumsfeld verfolgen, ist eine völlige Neuordnung der gesamten Region. Ein iranisches Regime unter Ahmadinedschad, das sich – als viertgrößter Ölproduzent weltweit – eine Provokation nach der anderen leistet, wollen die „Falken“ in Washington nicht hinnehmen. Die Katastrophe im Irak gibt nur eine Ahnung von dem Chaos, das ein Angriff auf den Iran auslösen würde. Eine Bodeninvasion ist derzeit kaum vorstellbar. Sie müsste um ein Vielfaches intensiver sein als im Irak, da die US-Streitkräfte immerhin 70 Millionen wütender IranerInnen in Schach halten müssten. Ahmadinedschad verfügt, anders als Saddam Hussein damals, derzeit über 70 Prozent Unterstützung in der Bevölkerung. Zudem gelingt es der US-Armee nicht, ihre über 130.000 Soldaten aus dem Irak abzuziehen.
Auch bei Bombardierungen aus der Luft würden die Massen des Iran, die SchiitInnen im Irak, in Saudi-Arabien und anderswo im Widerstand zusammengeschweißt. Aber auch die SunnitInnen würden das als eine imperialistische Handlung, die sie ebenfalls trifft, empfinden. Die US-treuen Regime wären massiv gefährdet. Eine weltweite Wirtschaftskrise könnte ausgelöst werden, sollte das iranische Öl ausfallen, zudem könnte der Iran jede Ölinstallation am Golf mit Raketen beschießen. Weil selbst die größten Ignoranten in der US-Regierung diese Risiken nicht einfach wegwischen können, hofften sie, durch einen Sieg über die pro-iranische Hisbollah ihr ramponiertes Ansehen aufzupolieren. Mehr noch: Wie der US-amerikanische Journalist Seymour Hersh unter Berufung auf Geheimdienst- und Militärkreise kürzlich im New Yorker berichtete, dienten die Luftschläge auch als Test für die Effektivität von Luftangriffen auf Iran. Das ging zwar in die Hose, zeigt jedoch zugleich auf, dass maßgebliche Kräfte in Washington die Beseitigung des Regimes von Ahmadinedschad keineswegs aufgegeben haben.
Interessen der Großmächte
Der Boden in der Region ist mit Blut getränkt, weil aus diesem Boden der Lebenssaft der kapitalistischen Wirtschaft gefördert wird. Das gemeinsame Interesse, die Öl- und Gasreserven auch in Zukunft ausbeuten zu können, verbindet die westlichen Staaten, Russland und China miteinander. Die Gier, jeweils den größten Anteil zu bekommen, setzt sie in Konkurrenz zu-einander, denn die Ressourcen sind begrenzt aber der Verbrauch wächt. Der Ölbedarf Chinas stieg von 1993 bis 2002 um fast 90 Prozent.
Die EU und die Bundeswehr
Die EU-Staaten wollen dem US-Imperialismus den Nahen Osten und seine Ölfelder nicht allein überlassen. Außerdem sind Frankreich und andere EU-Staaten über militärische Handlungen seitens Israel und den USA besorgt, weil das die Destabilisierung (gerade in Frankreich auch mit Auswirkungen im eigenen Land) fördern und ihre Geschäfte beeinträchtigen kann. Allerdings handelt es sich auch bei den europäischen Mächten um miteinander konkurrierende kapitalistische Staaten. Deshalb haben sie keine einheitliche Strategie.
Deutsche Waffen, deutsches Geld…
Innerhalb Europas ist Deutschland der größte Geldgeber Israels. Deutschland ist auch zweitgrößter Waffenlieferant nach den Vereinigten Staaten. So erhielt Israel U-Boote, die atomwaffenfähig umgerüstet wurden. Nach der Unterzeichnung des Osloer Abkommens 1993 begannen viele deutsche Unternehmen wie Daimler, Siemens, Volkswagen und Henkel in Israel zu investieren. Nun will die Bundesregierung auch Marinesoldaten in den Libanon schicken. Deutsche Interessen, das heißt die Interessen von Daimler, Deutsche Bank und Co., werden dann nicht mehr nur am Hindukusch (2.770 Bundeswehrsoldaten), im Kosova (2.855 Soldaten) und im Kongo (760 Soldaten), sondern auch am Litani verteidigt. Der Anspruch des deutschen Imperialismus wird weiter untermauert, auch militärisch wieder ohne „historische Bedenken“ in der ersten Liga mitzumischen.
Die meisten europäischen Mächte reagierten in der Frage der Beteiligung an einer Uno-Eingreiftruppe mit robustem Mandat (also der Lizenz zum Töten) nicht ohne Grund zunächst zurückhaltend. Denn die Zustimmung der israelischen Regierung zur Stationierung einer solchen Truppe war das klare Eingeständnis, die Hisbollah durch die israelische Armee nicht entwaffnen zu können. Also wird es auch keine UNO-Truppe können, sie wird vielmehr auf den Widerstand der libanesischen Bevölkerung stoßen, welche die UNO-Soldaten als Besatzungstruppen und Stellvertreter Israels und der USA wahrnehmen wird. Das ist der Hintergrund für die Schwierigkeiten, eine entsprechende UNO-Truppe zusammen zu stellen.
Gefahr eines Flächenbrandes
Weder die USA, noch die EU oder die UNO können Sicherheit und Stabilität schaffen, der Libanon-Krieg hat es erneut bewiesen. Die führenden kapitalistischen Staaten haben die Welt im Gegenteil viel gefährlicher gemacht. Die Logik ihres Systems, die Logik von Konkurrenzkampf um Märkte und der Notwendigkeit, immer höhere Profite zu erzielen, haben den Nahen Osten zu dem Inferno gemacht, das er heute ist.
Unter US-Politikern werden die Stimmen lauter, die ein düsteres Bild malen. „Die Welt steuert auf eine große Krise zu“, schrieb Richard Holbrooke, ehemaliger US-Botschafter bei der UNO am 12. August in der Süddeutschen Zeitung. Der ehemalige Sprecher der Republikaner im US-Repräsentantenhaus, Newt Gingrich, sagte in einem Interview mit der selben Zeitung am 14. August: „Wir müssen unsere Feldzüge in Af-ghanistan, im Irak und auch im Südlibanon begreifen als einen heraufziehenden Dritten Weltkrieg.“
So unsicher das Ende des Libanon-Krieges ist, so sicher sind weitere blutige Konflikte im Nahen Osten. Deren Auswirkungen werden, so steht zu befürchten, unmittelbar die Stärkung des politischen Islam und weitere terroristische Angriffe sein. Die Ausweglosigkeit und eine weitere Verschlechterung der sozialen Lage werden zu einer Radikalisierung der arabischen Massen führen. Das allgemeine Gefühl der Genugtuung angesichts der Standhaftigkeit der Hisbollah-Kämpfer gegen die israelische Armee heißt dabei aber nicht, dass es auch breite Zustimmung zu den reaktionären politischen Zielen der Hisbollah-Führung gibt.
Die Proteste Hunderttausender gegen den Libanon-Krieg, zum Beispiel im Jemen und in Bagdad, geben eine Vorahnung möglicher Massenbewegungen. Wie instabil die Regierungen Ägyptens, Jordaniens und Saudi-Arabiens mittlerweile sind, beschrieb der Beiruter Journalist Robert Fisk vor kurzem: „Unsere ‘moderaten’ pro-westlichen arabischen Führer wie König Abdullah von Jordanien und Präsident Mubarak von Ägypten mögen Angst haben. Aber ihre Völker nicht. Und wenn die Leute einmal ihren Schrecken verloren haben, können sie nicht wieder in Angst versetzt werden.“
Die einzige Friedenstruppe der Welt
Die zunehmende Klassenpolarisierung stärkt auch wieder die Arbeiterbewegung. So hatte der US-Imperialismus alle Mühe, die Streiks der Ölarbeiter im Irak unter Kontrolle zu bekommen. Im Iran gibt es etwa hundert Arbeitskämpfe im Monat, vor allem im Ölsektor und der produzierenden Industrie; im Dezember streikte wochenlang die Busfahrergewerkschaft trotz schwerer Repressionen seitens des iranischen Regimes. Im Libanon verhinderten Anfang Juni Massendemonstrationen die Erhöhung der Brotpreise. Geplante Streiks der Feuerwehrleute in Israel und Streiks der Beschäftigten im Libanon gegen die Privatisierung des Energiesektors wurden durch den Krieg erst einmal aufgeschoben.
Die einzige Kraft, die wirklich Frieden im Nahen Osten erreichen kann, sind die ArbeiterInnen und die arme Bauernschaft, die die Bevölkerungsmehrheit stellen und am meisten unter bewaffneten Auseinandersetzungen leiden. Sie können soziale und nationale Befreiung der PalästinenserInnen genauso ermöglichen wie ein sicheres Leben für die jüdische Bevölkerung in Israel, wenn sie die korrupten Eliten auf beiden Seiten stürzen und die Ausbeutung und Unterdrückung abschaffen.
Aufgrund des Versagens der so genannten Kommunistischen Parteien in der Vergangenheit und dem Fehlen von Arbeiterparteien mit einem sozialistischen Programm konnten im Libanon und anderswo religiöse und sektiererische Kräfte wie Hamas und Hisbollah Masseneinfluss gewinnen und die Wut der Arbeiterklasse in religiös-sektiererische Bahnen lenken. Das Potenzial für neue Arbeiterorganisationen ist jedoch vorhanden, die den Kampf für soziale Verbesserungen über ethnische und religiöse Grenzen hinweg führen und mit der Perspektive des Sturzes von Kapitalismus und Feudalismus in der gesamten Region verbinden. Um die demokratischen Rechte aller nationalen, ethnischen und religiösen Minderheiten zu garantieren und die natürlichen Ressourcen der Region sinnvoll unter allen EinwohnerInnen zu verteilen, ist eine demokratische Planung und Kontrolle der Beschäftigten über die Wirtschaft notwendig. Ein palästinensischer und ein israelischer Staat, die friedlich nebeneinander existieren, ist auf sozialistischer Basis durchaus möglich. Das Ziel ist eine freiwillige sozialistische Föderation, die alle Staaten des Nahen Ostens miteinander verbindet. ■
● Imperialistische Kräfte raus aus dem Nahen Osten
● Keine Bundeswehreinsätze in der Region
● Stopp der deutschen Waffenlieferungen an Israel
● Für das Recht der libanesischen und der palästinensischen Beschäftigten, Erwerbslosen und armen Bauern auf Selbstverteidigung gegen die staatliche Aggression Israels. Bildung von demokratischen Aktions- und Verteidigungskomitees
● Nein zu Angriffen und Anschlägen auf ZivilistInnen
● Freilassung aller politischen Gefangenen und Geiseln
● Rückzug der israelischen Armee aus den besetzten Gebieten
● Für den Aufbau von Arbeiterparteien mit sozialistischem Programm, die ArbeiterInnen und Jugendliche der verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen im Kampf gegen Sozialabbau, Krieg und Unterdrückung organisieren
● Für Massenproteste von arabischen, palästinensischen und israelischen ArbeiterInnen und der armen Bauernschaft gegen die kapitalistische Herrschaft
● Für ein sozialistisches Palästina und ein sozialistisches Israel als Teil einer sozialistischen Föderation des Nahen Ostens, in der die nationalen und religiösen Rechte aller Minderheiten garantiert sind