Zurück zum Markt oder vorwärts zu einer sozialistischen Demokratie – wohin steuert Kuba?
Seit dem Sturz der Militärdiktatur Batistas steht Fidel Castro seit 1959 als Regierungschef und seit 1976 als Staatspräsident an der Spitze Kubas. Anfang August legte der Staatschef erstmals alle Ämter aus gesundheitlichen Gründen nieder – von einer Darmoperation ist die Rede – und übertrug sie vorübergehend seinem fünf Jahre jüngeren Bruder Raul.
von Anja Balssat, Aachen
Die Nachricht rief bei vielen KubanerInnen Besorgnis um die Gesundheit des Präsidenten hervor, derweil in Miami und andernorts in den USA hunderte Exilkubaner – die nach dem Sturz Batistas nach Miami ins Exil gingen und wesentliche finanzielle Unterstützung des US-Staates genießen – mit regelrechten Freudenfeiern reagierten.
Kuba im Hinterhof des US-Imperialismus
Der Sprecher des Weißen Hauses, Tony Snow, bestätigte Berichte, dass Washington bereits Szenarien für die Zeit nach Castro entwickelt hat. „Sollte es einen Richtungswechsel auf der Insel geben, können die USA ihre Politik entsprechend anpassen“, heißt es. Doch was heißt das? George Bush und seine Gefolgsleute sprechen von demokratischem Wandel, verfolgtes Ziel ist jedoch die Rückführung der Karibikinsel zum Kapitalismus und die Zerschlagung aller Errungenschaften der Revolution.
Wenige Wochen vor Castros Erkrankung ernannte die US-Regierung einen Koordinator für eine Übergangsregierung in Havanna und pumpte weitere 80 Millionen US-Dollar in eine 2003 von Bush gegründete so genannte Expertengruppe, die das Geld unter anderem in Radio und TV Marti steckt. Sinn und Zweck des Propagandasenders von Exilkubaner ist die Destabilisierung des Castro-Regimes.
Die kubanische Verstaatlichungspolitik, von der insgesamt 6.000 US-Firmen, aber auch Großgrundbesitzer betroffen waren, veranlassten die USA schon nach dem Sturz Batistas zügig zu Sanktionen gegen Kuba: Einfuhrstopp für Zucker aus Kuba, Verweigerung, Öl für Kuba aus der UdSSR weiterzuverarbeiten, seit 1960 jegliches Exportverbot nach Kuba. Daraus wurde später ein generelles Handelsembargo, das selbst Nahrungsmittel und Medikamente einschloss. An und für sich gilt diese Blockade der kubanischen Wirtschaft bis heute, bisweilen wurde sie mal lockerer, mal schärfer gehandhabt.
Errungenschaften der Revolution
Trotz beständiger Versuche verschiedener US-Regierungen, die kleine Insel seit der Revolution 1959 wirtschaftlich ausbluten zu lassen, trotz der Unterstützung von Söldnerarmeen und trotz diverser Attentatsversuche des CIA auf Castro wurden die Lebensbedingungen der kubanischen Bevölkerung für lateinamerikanische Verhältnisse auf ein außergewöhnliches Niveau gehoben. Möglich war das nur auf der Grundlage verstaatlichter Industrie, geplanter Wirtschaft, Kollektivierung der Landwirtschaft und eines Außenhandelsmonopols zum wirtschaftlichen Schutz vor dem kapitalistischen Weltmarkt.
Kubas Bildungs- und Gesundheitswesen sind zwei Beispiele für die Errungenschaften der Revolution: Bildung ist kostenlos und zugänglich für alle. In wenigen Jahren nach der Revolution wurde der Analphabetismus überwunden, was der Verdopplung der Lehrkräfte und der Einführung der allgemeinen Schulpflicht zu verdanken war. Staatliche Gesundheitsdienste sind ebenfalls kostenlos. Flächendeckende Impfprogramme sind Realität, weil die Zahl der ÄrztInnen kontinuierlich erhöht wird – allein in diesem Jahr wurden 100.000 neue ÄrztInnen ausgebildet. Infektionskrankheiten wie Malaria und Typhus gehören der Vergangenheit an, die Kindersterblichkeit wurde deutlich gesenkt und KubanerInnen leben durchschnittlich zehn Jahre länger als der Rest der lateinamerikanischen Bevölkerung.
Die Sowjetunion und Kuba
Unmöglich wären solche Verbesserungen ohne die Handelsbeziehungen zur UdSSR und Osteuropa gewesen. 85 Prozent des kubanischen Zuckerhandels wurden hinter dem „eisernen Vorhang“ abgewickelt, wo kubanischer Zucker zum drei- bis vierfachen Weltmarktpreis gekauft wurde. 95 Prozent des kubanischen Öls kam aus der Sowjetunion, die russische Wirtschaftshilfe lag bei über einer Million US-Dollar pro Tag.
Jedoch verhinderte die Sowjetunion in doppelter Hinsicht eine sozialistische Umgestaltung auf Kuba. Zum einen tat der Kreml alles, eine Arbeiterdemokratie auf Kuba zu vereiteln und stattdessen dem Inselstaat sein eigenes Kommandosystem überzustülpen. So war die staatliche Planung Kubas über Jahrzehnte hinweg zwar wesentlicher Faktor für ein kontinuierliches Wirtschaftswachstum, doch in einer sozialistischen Gesellschaft, in der die Wirtschaft von der arbeitenden Bevölkerung demokratisch geplant und kontrolliert wird, wäre es auf Kuba sicherlich nicht zu wahnwitzigen Umständen wie vollkommen unbrauchbaren Maschinenlieferungen gekommen. Weit auseinanderklaffende Löhne von FacharbeiterInnen und anderen Beschäftigten wurden auf Kuba ebenso vom stalinistischen Kreml-Regime übernommen wie Privilegien und Einparteienherrschaft.
Zum anderen waren die Machthaber in Moskau – seit der Etablierung ihrer Diktatur Mitte der zwanziger Jahre – in ständiger Sorge, dass eine erfolgreiche sozialistische Revolution in einem anderen Land ihre Herrschaft gefährden könnte. Die Sowjetunion, später auch die Ostblockstaaten konnten sich gerade deshalb als sozialistisch ausgeben, weil es weltweit kein Land gab, in dem auf Basis einer geplanten Wirtschaft eine wirkliche Arbeiterdemokratie etabliert wurde. Die Spitze der KPdSU war sich im klaren darüber, dass die Entwicklung einer sozialistischen Demokratie auf Kuba für die unterdrückten Massen in der Sowjetunion ein Ansporn gewesen wäre, das eigene stalinistische Regime in Frage zu stellen und eine grundlegende Veränderung anzustreben.
Nach dem Fall der Batista-Diktatur hätte die Möglichkeit bestanden, die ganze Bevölkerung, allen voran die in Industriebetrieben verankerten Teile, in die gesellschaftliche Umgestaltung mit einzubeziehen. Doch eben dort lag die Schwäche. Selbst Che Guevara, der die entstehenden bürokratischen Methoden entschieden ablehnte, hatte kein klares Verständnis davon, dass die dynamische Teilhabe der ArbeiterInnen und Bauern, die ihre Bedürfnisse und die Arbeitsabläufe in der Produktion am besten kennen, für die Entwicklung hin zum Sozialismus so unablässig ist wie die Luft zum Atmen.
Zusammenbruch des Stalinismus und Wirtschaftskrise
Die kubanische Wirtschaft konnte bis Mitte der achtziger Jahre ein permanentes Wirtschaftswachstum verzeichnen. Vor ernsthaften Schwierigkeiten stand Kuba nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Washington sah sich seinem Ziel einer kapitalistischen Restauration Kubas Anfang der neunziger Jahre nah.
In drei Jahren ging die Wirtschaftskraft Kubas um mehr als ein Drittel zurück. Unweigerlich fiel der Lebensstandard schlagartig – es kam zu Lebensmittelrationierungen und Entlassungen von 500.000 Beschäftigten. Die Herrschenden in den USA reagierten prompt und verstärkten das bestehende Embargo mittels des Helms-Burton-Act. Dieses Gesetz behinderte Beziehungen Kubas zum Ausland auf drastische Weise. Die Landeswährung Peso brach 1993 faktisch zusammen, der Umtauschkurs zum Dollar fiel auf 120 zu 1.
Die KP-Spitze öffnete das Land für den kapitalistischen Weltmarkt und setzte damit die sozialen Errungenschaften aufs Spiel. Eine Art Startschuss stellte die Zulassung des amerikanische Dollar dar, der bis 2004 als Zweitwährung erlaubt war, um die dringend notwendigen Devisen im Zuge der Dollarüberweisungen von ExilkubanerInnen nicht zu verlieren. Während dieser „Sonderperiode“ entstanden in zahlreichen Wirtschaftsbereichen Privatfirmen und die kubanischen Streitkräfte erlangten wirtschaftlichen Einfluss. Raul Castros Stellvertreter als Verteidigungsminister, General Julio Casas Regueiro, hat die 230 Firmen der „Union der Militärischen Betriebe“ unter sich. Diese nach kapitalistischen Marktgesetzen ausgerichteten Betriebe sind mittlerweile der größte Arbeitgeber Kubas. Die seit 1993 expandierende private Touristik- und Gastronomiebranche ist von besonderer Bedeutung. Internationale Hotelketten, wie der weltbekannte Club Med, haben mit vom Militär direkt oder mittelbar kontrollierten Betrieben Joint-Ventures gegründet. Das Regime hat sich umorientiert: Seit dem Zusammenbruch der Ostblockländer ist Kuba nur noch in Reiseprospekten die Zuckerinsel, tatsächlich sind die Hauptabnehmer des kubanischen Zuckers weggefallen. Kuba reagierte panisch und verringerte die Anbaufläche für Rohrzucker seit 2003 um rund 60 Prozent, bis heute wurden gut die Hälfte der Zuckermühlen geschlossen. Das Geschäft mit dem Tourismus hat die Erträge der einst wichtigsten Exportquelle Kubas längst hinter sich gelassen.
Was kommt nach der Castro-Ära?
Kritik der KubanerInnen an der Regierung gibt es zur Genüge, immerhin ist der Lebensstandard von vor 1989 – trotz Überwindung der Wirtschaftskrise – nicht wieder hergestellt. Teile der Bevölkerung halten das ganze Regime für korrupt. Dennoch wird die Person Fidel Castro von der Mehrheit anerkannt. Castro wird als Revolutionsführer gesehen, der dem Druck des Imperialismus nicht nachgibt. Eben deshalb fungiert er bis heute als Stabilisator des Regimes. Angesichts der materiellen Probleme und dem Mangel an demokratischen Rechten gibt es keine Garantie, dass die kubanische Arbeiterklasse einer weitreichenden kapitalistischen Restauration wirksam entgegentritt. Da keine charismatische Person, die auch nur ansatzweise Castros Beliebtheit entsprechen könnte, in der Führungsriege der Bürokratie existiert, ist die Möglichkeit für ein Machtvakuum nach Castros Abdanken vorhanden. Ob sich der Flügel der Bürokratie durchsetzt, der für eine weitere Marktöffnung Kubas eintritt, oder ob sich jener Flügel durchsetzt, der die bisherigen Verhältnisse aufrechterhalten will, ist offen.
Die Frage, ob sich die Planwirtschaft in Kuba halten kann, ist nicht zuletzt mit den neu entstandenen Handelsbeziehungen Kubas verbunden. Tragende Säule der kubanischen Wirtschaft ist neben der Tourismusbranche heute die Grundstoffindustrie. Besonders der Abbau von Nickel und Kobalt bescherte der Regierung seit 2004 schätzungsweise eine Milliarde Dollar. China, der wichtigste Abnehmer von Nickel, ist neben Venezuela bevorzugter Handelspartner Kubas geworden und liefert für das Metall auch dringend benötigte Busse an den Inselstaat. Derweil decken die venezolanischen Erdöllieferungen etwa die Hälfte des kubanischen Bedarfs an Öl. Zur Hälfte des Weltmarktpreises überlässt der Linkspopulist Chávez seinem Vorbild Castro den wichtigen Rohstoff, im Gegenzug profitiert er vom kubanischen Export medizinischer Dienstleistungen: 20.000 gut ausgebildete MedizinerInnen werden nach Venezuela entsandt, um in den Armenvierteln ärztliche Hilfe anzubieten.
Diese Beziehungen sind wichtig für das Überleben der kubanischen Planwirtschaft. Doch entscheidender als der Wirtschaftshandel ist die Linksverschiebung auf dem gesamten lateinamerikanischen Kontinent, die zu einer Wiederbelebung sozialistischer Ideen geführt hat. Die Massenproteste gegen direkte und indirekte, vom Weißen Haus mit eingefädelte Putschversuche gegen Präsident Chávez, Morales’ Wahlsieg als Folge jahrelanger verallgemeinerter Klassenkämpfe in Bolivien und die Massendemonstrationen radikalisierter Jugendlicher in Chile sind nur einige Beispiele für das Erstarken von antikapitalistischen Bewegungen. Vor diesem Hintergrund sahen sich Chávez und Morales – die mittlerweile mit Castro eng verbunden sind – gezwungen, weiter nach links zu gehen.
Für sozialistische Demokratie in Kuba und international
Die Entwicklungen auf dem lateinamerikanischen Kontinent können die progressiven Elemente in der kubanischen Gesellschaft stärken und den Flügel innerhalb der Bürokratie zurückdrängen, der für eine Öffnung des Marktes eintritt. Aber um die Errungenschaften der Revolution von 1959 wirklich zu sichern, und um die Lebensbedingungen der kubanischen Bevölkerung nachhaltig zu verbessern, muss die kubanische Arbeiterklasse das bürokratische System überwinden und demokratische Strukturen aufbauen. Selbst wenn Kuba unter neuer Staatsführung jeglicher Marktöffnung trotzt, wäre das Land isoliert und stünde immer unter dem Druck der umliegenden kapitalistischen Staaten, allen voran des US-Imperialismus. Deswegen muss die kubanische Arbeiterklasse ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen, die bürokratischen Herrschaftsformen überwinden und auf Basis demokratischer Komitees auf allen Ebenen in Wirtschaft und Gesellschaft eine sozialistische Demokratie anstreben. Gleichzeitig gilt es, die revolutionären Bewegungen auf dem lateinamerikanischen Kontinent zu unterstützen. Denn nur der Sturz des Kapitalismus in weiteren Staaten Lateinamerikas ist eine wirkliche Garantie für die Verteidigung der Errungenschaften der kubanischen Revolution.