Ist es nicht seltsam? In den Medien hören wir regelmäßig, dass es zu wenig Nachwuchs gibt, sogar, dass Deutschland ausstirbt. Deutschland braucht mehr junge Leute? Aber offenbar auf am Ausbildungsmarkt.
von Andreas Schmidtke aus Hamburg
Im Juni 2006 gab es 279.313 mehr BewerberInnen als Ausbildungsplätze und Lehrstellen. Das sind 25.100 mehr als im letzten Jahr. Fast die Hälfte der Jugendlichen davon sucht ein Jahr und länger nach einer Möglichkeit. Ganz zu schweigen von Tausenden Jugendlichen in Warteschleifen, zum Beispiel 98.800 bei den Maßnahmen der Bundesagentur.
Tausende ohne Chance
An vielen Realschulen überlegen die SchülerInnen nicht mehr, welcher Beruf sie interessiert. Sie dürfen dankbar sein, wenn sie überhaupt irgendeine Stelle bekommen. Abschlussklassen schreiben Unmengen von Bewerbungen, doch für viele kommt nichts rum außer trockenen Absagen. Deutlicher kann einem nicht gezeigt werden, dass man überflüssig und nutzlos ist.
Ausbildungspakt gescheitert
Trotz des Ausbildungspaktes wurden im Jahre 2005 22.900 weniger Ausbildungsverträge geschlossen. Die großen Versprechungen sind längst vergessen.
Einige Politiker und Wirtschaftsbosse haben schon einen Sündenbock für ihr eignes Versagen: Wir Jugendlichen sollen zu faul oder zu unfähig sein. Diese Behauptungen haben nichts mit den Tatsachen zu tun. Nur 24 Prozent der gesamten Betriebe bilden noch aus. Wenn gerade mal ein Viertel der Betriebe ausbildet, ist es doch kein Wunder, dass Tausende Jugendliche ohne Chance da stehen. Und wer eine Ausbildung hat, wird noch lange nicht übernommen… .
Arbeitslose Jugendliche werden ausgenutzt
Jugendliche ohne Ausbildung oder Arbeit sind oft gezwungen, Minijobs oder Ein-Euro-Jobs anzunehmen. Durch diese Schmalspurjobs werden aber vollwertige Stellen vernichtet, wie Studien der Gewerkschaften belegen. Das heißt, dass wir gezwungen werden, unsere zukünftigen Arbeitsplätze durch Schmalspurjobs selbst zu vernichten. Das ist wirklich pervers!
Wer sich weigert, diesem Irrsinn zu gehorchen, wird mit Sanktionen wie der Sperrung der Bezüge gedemütigt, und als „arbeitsunwillig“ abgetan. Die „Arbeitsunwilligen“ sind bereit zu arbeiten. Aber sie wollen vollwertige, sinnvolle Arbeit und nicht als Lohndrücker oder Kaugummikratzer missbraucht werden!
Ausbildung statt Ausbeutung
Es ist ein Verbrechen, dass Tausende junge Menschen nicht die Möglichkeit haben, sich produktiv in die Gesellschaft einzubringen. Vielen Jugendlichen wird zu verstehen gegeben: Ihr seid überflüssig, die Wirtschaft braucht Euch nicht. Aber es gibt keine überflüssigen Menschen. Jeder und jede haben ein Recht auf eine vollwertige Ausbildung und eine vollwertige Arbeit. Warum sollen einige Menschen immer länger arbeiten, während andere zum Nichtstun verdammt werden? Anstatt zum Beispiel im überalterten öffentlichen Dienst die freie Stellen nach zu besetzen, werden die Beschäftigten lieber erpresst, länger zu arbeiten. Der kapitalistische Staat macht im großen Stil vor, was auch die Unternehmer durchziehen: Die Arbeitslosigkeit wird benutzt, um von den Beschäftigten Lohnkürzungen und Arbeitszeitverlängerungen zu erpressen. Die arbeitslosen Jugendlichen sind nur Spielsteine bei diesem kaltblütigem Spiel um Geld.
Im Herbst gemeinsam auf die Straße!
Wir brauchen genügend Ausbildungsplätze und die unbefristete Übernahme im erlernten Beruf. Online-Demos oder die Job-Parade von der DGB-Jugend machen auf das Problem aufmerksam. Wir müssen jedoch Unternehmer und bürgerliche Politiker nicht auf dies Problem aufmerksam machen, denn sie kennen es bereits. Vielmehr müssen wir sie zwingen – wie in Frankreich – auf unsere Forderungen einzugehen. Wir müssen die KollegInnen in den Betrieben bei ihrem Kampf gegen Entlassungen und Arbeitszeitverlängerungen unterstützen. Jeder verlorene Arbeitsplatz ist auch für uns verloren. Stattdessen müssen wir mit den KollegInnen für eine Arbeitszeitverkürzung kämpfen, um die Arbeit auf alle zu verteilen.
21. Oktober
Die Gewerkschaftsdemonstrationen am 21. Oktober sind ein guter Ansatzpunkt für uns. Wir sollten uns als Jugendliche mit unseren eigenen Forderungen an diesen Protesten beteiligen. Bewegungen aus anderen Ländern wie Frankreich oder Griechenland zeigen: ArbeiterInen, Erwerbslose und Jugendliche können sich nur gemeinsam gegen die Angriffe der Konzerne und ihrer Handlanger in der Regierung wehren. Nicht wir sind überflüssig, sondern das kapitalistische System, denn es ist nicht in der Lage, Tausenden von Jugendlichen eine annehmbare Perspektive anzubieten.