Nach fast einem Monat des Flächenbombardements aus der Luft, von See und von Land ist der Lärm der israelischen Bomber fast zu einem Hintergrundgeräusch geworden. Überlagert wird er von den Anstrengungen der Menschen ihr tägliches Leben zu organisieren.
Augenzeugenbericht eines Sozialisten aus dem Libanon
Dabei geht es nicht darum, sich vom Belagerungszustand abzulenken sondern ums Überleben. Die Psychologie des Krieges ist für meine und andere Generationen im Libanon und im Nahen Osten normal. Die Leute gucken oder hören Nachrichten rund um die Uhr, überall, zu Hause, in den Geschäften, in den Betrieben, die noch arbeiten, im Auto usw. Jeder redet über Politik und das Niveau der Diskussionen ist recht hoch, verglichen mit der Situation vor einem Monat. Die jüngsten Entwicklungen in diesem Konflikt haben die wahren Interessen des israelischen Kapitalismus, des US-Imperialismus und der verkommenen arabischen Regime zutage gefördert.
Die Auswirkungen der brutalen israelischen Angriffe und die Politik des reaktionären Regimes in Israel müssen erst noch voll verdaut werden. Die Ruinen, die wir im TV sehen – oder persönlich, wenn wir bestimmte Gebiete betreten – sind nur eine Demonstration dessen, was kommt, wenn diese Sache weitergeht. Ganze Gebiete, wie jenes, aus dem ich geflohen bin, sind nichts weiter als ein großer Haufen Schutt aus Hochhäusern, die unter den monströsen Luftangriffen der IDF zusammengebrochen sind.
Weltweit geächtete Waffen wie Phosphorbomben und Gasgranaten wurden eingesetzt, Menschen leidern unter Atemproblemen, Taubheitsgefühl in den Beinen und Durchfall. Es werden hier neue Waffen ausprobiert. Darunter „Vakuumbomben“, die nicht explodieren, kein Geräusch machen, sondern die Luft in den Ort des Aufpralls saugen. Man fühlt nur den gewaltigen Druck und sieht danach eine gewaltige Staub- und Rauchwolke. Sehr große Gebäude brechen über Menschen zusammen. Die Zahl der Toten ist noch immer unklar, es könnten Hunderte unter den Trümmern liegen, ohne dass die Möglichkeit bestünde sie zu retten.
In den Nachrichten gestern war aus Mann aus dem südlichen Ort Sour zu sehen, der um Hilfe bat und schrie, auf den Straßen lägen Tote seit den Tagen in ihren Autos und Hunde würden an den Leichen nagen. Er bat um sofortige Hilfe, weil er den Ausbruch von Krankheiten fürchtet. Diese Gefahr wird durch die Politik der israelischen Regierung verstärkt, die Flüchtende in verschiedenen Gebieten ebenso bombardieren lässt wie ankommende LKW mit Hilfslieferungen. Diese Abriegelung der Regionen voneiander war von Beginn an die Strategie der IDF. Die israelische Armee hat die Infrastruktur und die Brücken als Ziele im ganzen Land zu Zielen gemacht, im Süden, in Beirut, in den Bergen und im Norden. Mehr als die Hälfte der Toten und Verletzten sind Kinder und 70% der eine Million Flüchtlinge – in einem kleinen Land mit vier Millionen Einwohnern – haben keine Wohnung mehr, in die sie zurückkehren könnten.
Ein Kollege von mir, der in Al Dahiye in Süd-Beirut lebt berichtete mir, dass sie Tag Eins des Krieges an in Luftschutzbunkern leben müssten und dass sie sich nicht trauen diese zu verlassen. Al Dahiye ist die Basis der Hisbollah in der Hauptstadt und ist das Gebiet, was am stärksten mit Flächenbombardements überzogen wurde. Das Leben ist schrecklich für die Leute, die unter den Bomben und in der Hitze aushalten müssen, auch wenn die Hisbollah sie mit Essen, Wasser und Elektrizität versorgt.
Die Hisbollah kann militärisch zurückgedrängt werden aber sie hat im ganzen Land an Unterstützung gewonnen. Das hat zur Grundlage, dass sie das Land für alle Libanesen verteidigt und für die überwiegend schiitische arme Bevölkerung, die von der Regierung schon vor langer Zeit abgeschrieben wurden, soziale Dienste bereitstellt.
Allerdings erweist es sich auch als schwierig, die Hisbollah durch Luftangriffe militärisch zu schlagen. Das scheint in diesem frühen Stadium sogar unwahrscheinlich, da ihre Kämpfer im Süden und in Beirut sehr mobil sind und versteckte Stellungen unter der Erde haben – so dass die Mehrheit der Bomben unschuldige Familien trifft. Kürzlich konnte man im TV sehen wie sich israelische Panzer geschlagen aus Maroun Al Ras zurückzogen, einem Dorf an der Grenze zu Israel, was die IDF als erstes erobert hatte. Die israelischen Soldaten hatten die Hisbollah-Fahne hochgehalten, um sicher rauszukommen. Das ist ein Hinweis auf die Schwierigkeiten für die IDF bei einer umfassenden Bodenoffensive.
Die jüngsten Ankündigungen, dass die USA Israel mit den neuesten High-Tech-Waffen ausstatten wurden durch Berichte konkretisiert, dass dies Bomben sein, welche die Erde durchschlagen und in 30 Meter Tiefe explodieren.
Die Hisbollah-Organisation wird nicht nur als die Kraft gesehen, welche die Lücke der schwachen und gespaltenen Regierung und der nicht-existenten libanesischen Armee füllt und der militärischen Macht des israelischen Bombardements widersteht. Sie wird auch als die Kraft gesehen, die den Armen und vom Krieg Betroffenen Schutz und Hilfe bietet. Es gibt natürlich Unzufriedenheit, dass die iranischen und syrischen Regime ihre Unterstützung für die Hisbollah mit eigenen Interessen in der Region verknüpfen, aber ohne Zweifel ist Hisbollah eine Kraft, die Widerstand leistet angesichts einer Supermacht, die uns in die Steinzeit zurückbombt. Das Auftreten eines El-Kaida-Führers, der das „libanesische Volk“ unterstützen wollte, hat viele Arbeiter angeekelt. Sie sehen keine Gemeinsamkeiten zwischen der weithin respektierten Hisbollah und El-Kaida. Letzere wird als reaktionäre terroristische Organisation gesehen, die im Libanon keine Rolle spielen darf. Menschen verweisen auf die Rolle El-Kaidas bei der Krise im Irak und wissen, dass im Libanon 40% Nicht-Muslime leben.
Hisbollah hat jetzt mehrheitliche Unterstützung im Libanon, jüngste Umfragen haben eine Zustimmung von 80% während des jetzigen Krieges ergeben. Das kann sich natürlich schnell ändern. Immerhin sind eine Million Schiiten aber auch Christen aus dem Süden jetzt Flüchtlinge. Sie sind mit großen Problemen konfrontiert, leben in Schulen und öffentlichen Gebäuden in Beirut und im Norden. Die freundliche und hilfsbereite Stimmung vieler Arbeiter gegenüber den Flüchtlingen zeigt die Stimmungslage von Einheit unter den Armen und Bombardierten. Viele Familien spenden jetzt für den Widerstand. Die geographische Spaltung des Landes und die Überfüllung der „sicheren“ Gebiete führt zu einem Mangel an Wasser, Nahrung und Elektrizität, der Benzinpreis geht massiv in die Höhe. Viele Löhne werden nicht ausgezahl, vielen droht der Verlust des Arbeitsplatzes, die Lebenshaltungskosten steigen. Es wird jedem Arbeiter klar, dass die Arbeiterklasse am meisten leiden wird und die Klassenfragen in den Vordergrund treten, welche die Arbeiter landesweit in ihrem Kampf für ein besseres Leben vereinigen können.
Die interne Situation im Libanon war vor dem Kriegsausbruch recht explosiv. Die Regierung ist in drei Fraktionen mit zwei großen Blöcken gespalten. Ein Block wird von Hariri geführt (der Mann Amerikas, Saudi-Arabiens und des Internationalen Währungsfonds). Der andere Block wird von dem Populisten Aoun geführt, Hisbollah ist daran beteiligt. Aoun hatte zu Demonstrationen geen Korruption und gegen Armut aufgerufen, viele Arbeiter sind ihm gefolgt. Der Klassenkampf erlebte einen Aufschwung bis sie durch die israelischen Luftangriffe beendet wurden. Verschiedene Teile der organisierten Arbeiterschaft waren diesen Sommer bereit gegen die steigenden Lebenshaltungskosten zu streiken, teilweise auch als aus Anlass der Privatisierungen im kleinen öffentlichen Sektor. Das Klassenbewusstsein hat sich entwickelt und die Leute haben ihr gemeinsames Interesse erkannt, aber es gab auch keine Initiative, die verschiedenen Bereiche der Arbeiter zu koodinieren.
Vor dem Hintergrund der multi-religiösen Zusammensetzung der libanesischen Bevölkerung und der Geschichte von Bürgerkriegen sowie des Risikos, dass dieser interne Konflikt erneut ausbricht, haben sowohl die Kapitalisten als auch die Gewerkschaftsführer zur „patriotischen Einheit angesichts des zionistischen Massakers an unserem Volk“ aufgerufen. Dies wurde auf einer Gewerkschafts-Kundgebung wiederholt und übers Fernsehen verbreitet. Auf dieser Kundgebung waren nur Funktionäre anwesend. Da stellt sich nicht nur die Frage „Wer bezalhlt für diesen Krieg?“ sondern auch „Wer profitiert von diesem Krieg?“.
Die Hariri-Fraktion in der Regierung wird mehr und mehr als verantwortlich für die anhaltende Bombardierung gesehen, da sie mit den arabischen Führern und die US-Vertretern kuschelt. Die internationale Politik sind seit dem Libanon-Besuch von Rice das Hauptthema hier. Der US-Imperialismus hat sich damit keinen Gefallen getan, sondern den Menschen in der Region seine wahren Interessen und die Gründe für seine Unterstützung Israels deutlich gemacht.
Es git großen Hass auf den US-Imperialismus und gewaltige Wut angesichts des Versagens der arabischen Regime, die barbarische Bombardieurng zu stoppen. Sehr begrüßt von den Massen wurden die Berichte über die Demonstrationen in vielen Ländern am letzten Samstag. Leute, mit denen ich gesprochen habe, haben sich die Kraft der Massen gespürt und gemerkt, dass die Regierungen, die den israelischen Krieg unterstützen, nicht ihre Bevölkerung repräsentieren. Das war in der arabischen Welt sehr deutlich. Allerdings wurden in der Berichterstattung vor allem die muslimischen Blöcke und Liberale mit Friedensfahnen gezeigt.
Jordanien und Saudi-Arabien haben unter diesem Druck „Hilfe für das libanesische Volk“ angeboten. In Wirklichkeit hat die jordanische Regierung ein Flugzeug mit Ärzten und medizinischen Einrichtungen geschickt, das Saudi-Regime hat einen Fonds mit einer Milliarde Dollar zur Verfügung gestellt. Das entspricht auch den saudischen Zielen der Durchdringung der libanesischen Wirtschaft, um so von der Verwüstung durch den Krieg zu profitieren.
Dem Krieg mit seinen Auswirkungen werden die großen Konzerne auf dem Fuße folgen, mit ihrer Gier und der Ausbeutung auf der Jagd nach den Profiten. Große Teile des libanesischen Grund und Bodens gehören schon saudischen Kapitalisten, die Hariri eingeladen hat. Sie ziehen gerade viele Hotels hoch.
Die libanesische Regierung ist korrupt und verhasst, das Regime ist schwach und instabil. Ohne Zweifel werden nach dem Krieg gewaltige wirtschaftliche und soziale Probleme aufkommen. Diese können nur von einer breiten Bewegung der Arbeiterklassse und der Armen überwunden werden, unter einer sozialistischen Führung, welche den Kapitalismus stürzen will. Niemand bietet diese Führung an. Die „Linke“ in all ihren Variationen, trägt die Verantwortung dafür, die Arbeiter nicht entschlossen in den Kampf geführt zu haben als sich die Möglichkeit bot.
Die Hisbollah hat sich bisher nicht religiöser Diskriminierung schuldig gemacht. Sie sagen stolz, und handeln auch danach, dass sie den Libanon verteidigen, die Freilassung der in Israel festgehaltenen Geiseln erreichen und die Sheba’a-Farmen von israelischer Besetzung befreien wollen. Sie sagen, sie würden niemals die Waffe gegen eine libanesische Bevölkerungsgruppe erheben. Allerdings muss man die Hisbollah dafür kritisieren, dass sie keine Klassenpolitik betreibt und sich stattdessen auf einen islamischen Kapitalismus orientiert, der niemals in der Lage sein wird, die Problem der Massen auch nur ansatzweise zu lösen. Niemand vertritt hier die Ideen eines authentischen Sozialismus und die Gewerkschaftsführer blockieren die Arbeiter des Libanon auf ihrem Weg nach vorne und zur Macht.
Der Kampf für den Sozialismus ist in dieser Region dringender als je zuvor und die israelischen Arbeiter müssen beim Sturz des monströsen israelischen Regimes eine zentrale Rolle einnehmen. Das Komitee für eine Arbeiterinternationale (engl.: CWI) hat die Analysen und Perspektiven, welche Millionen Arbeiter überzeugen können, die nach einem Ausweg aus der Barbarei suchen. Wir müssen diesen Kampf für ein alternatives wirtschaftliches und soziales System, ein sozialistisches, fortführen. Das ist der einzige Weg, um einen würdigen Lebensstandard und Sicherheit für alle Arbeiter im Nahen Osten zu garantieren. Anders als die heutige Barbarei würde dieses alternative System von der Mehrheit für die Mehrheit organisiert werden. Arbeiter in der ganzen Welt, vereinigt euch im Kampf für den Sozialismus!