Stellungnahme und Analyse des CWI (Komitee für eine Arbeiterinternationale) zum Nahen Osten
von Kevin Simpson, 18. Juli 2006
„Wir werden den Libanon um 20 Jahre zurückwerfen“. Diese Drohung eines israelischen Generals wird soeben durch brutale Bombenangriffe der israelischen Armee, den IDF (Israeli Defence Forces), auf den Libanon in die Tat umgesetzt. Innerhalb von sieben Tagen sind weite Teile des Libanon „bis auf die Grundmauern“ niedergebombt worden, wie eine Sozialistin in Beirut die dortige Lage beschreibt.
Die israelische Regierung, unterstützt von der US-Administration und ihrem Handlanger, dem britischen Premier Anthony Blair, wird einen regionalen Krieg herauf beschwören. Es sei denn die israelische Kapitalistenklasse wird gezwungen nachzugeben.
Der IDF-Einmarsch in den Gazastreifen ist schon vernichtend gewesen. Überhaupt kann das israelische Regime auf eine Geschichte von Invasionen und Besetzungen im Libanon zurückblicken. Und doch haben die jüngsten Luftangriffe, die die gewaltig zugenommene Feuerstärke der israelischen Waffensysteme zum Ausdruck bringen und den Libanon verwüsten, eine neue Qualität erreicht.
Die Ereignisse überschlagen sich und drohen außer Kontrolle zu geraten. Berichte des jordanischen Fernsehens geben die Warnungen Israels an Syrien wieder, in denen mit Bombardements innerhalb der nächsten 72 Stunden gedroht wird, sollte die Hisbollah nicht zur Aufgabe bewegt werden. Bedrohlich spricht der israelische Premierminister Olmert von einem „langen Krieg“, während Scheich Nasrullah, Anführer der Hisbollah, Israel mit weiteren Bombenangriffen droht und diese sogleich veranlasst. Ein westlicher Diplomat meinte: „Sollte dies [das Albtraum-Szenario] Wirklichkeit werden, werden wir alle es mit großen, großen Problemen zu tun bekommen.“ (The Observer, 16. Juli 2006)
Kriege und militärische Auseinandersetzungen folgen ihrer eigenen Logik. Dies gilt insbesondere für den Nahen Osten, wo der Hass auf den US-Imperialismus und gegen die verbrecherische, jahrzehnte andauernde Unterdrückung des palästinensischen Volkes überkocht. Seitdem die IDF im Sechstagekrieg von 1967 das Westjordanland und den Gazastreifen besetzt haben, kam es zu mehr als 650.000 Verhaftungen von Palästinensern durch den israelischen Staat. Über 9000 palästinensische und libanesische Gefangene sind zur Zeit in Israel inhaftiert. Das ist nur ein Teil der Unterdrückung, der sich die PalästinenserInnen ausgesetzt sehen.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass das israelische Regime von dem vollständigen Krieg, an dessen Rand es sich befindet, absehen wird. Doch diese Möglichkeit wird von Tag zu Tag geringer. Und selbst wenn das geschehen sollte, weist die momentane Situation im Nahen Osten einige Gemeinsamkeiten zu den starken Anspannungen und der verbitterten Wut unter den arabischen Massen auf, wie sie zur Zeit der arabisch-israelischen Kriege 1956 und 1967 herrschten.
Weite Teile des südlichen Beirut sind nur noch eine rauchende Trümmerlandschaft. Die EinwohnerInnen reagieren angesichts der Verwüstungen durch den Bombenregen von Land, Luft und See her geschockt. Brücken, Straßen und Elektrizitätswerke sind in Asche aufgegangen. Mit der Zerstörung von Fabrikanlagen wurde begonnen und sämtliche libanesische Häfen und Flughäfen wurden zerbombt. Lebensmittel- und Wasserversorgung mussten bereits rationiert werden. Die Ärmsten im Libanon sind Hunger und Krankheiten betroffen, was immer die direkten Folgen von Krieg und Zerstörung sind.
Hunderte von Toten
Hunderte von libanesischen ZivilistInnen wurden getötet. Viele von ihnen sind durch IDF-Bomben in Stücke gerissen worden, als sie versuchten das Land in Richtung der syrischen Hauptstadt Damaskus zu verlassen. Eine Million Flüchtlinge haben sich von Beirut aus aufgemacht. Massaker sind bereits angerichtet worden. Am Sonnabend, dem 15. Juli 06, warnte die IDF die BewohnerInnen von Marwahan im Süden des Libanon vor einem Angriff, was einer Auffordeurng ihr Dorf zu verlassen gleich kam. Als sie dies taten, wurde ein LKW-Konvoi durch eine israelische Rakete zerstört. 20 Menschen kamen ums Leben, unter ihnen zahlreiche Kinder. Daraufhin waren in der arabischen und moslemischen Welt entsetzliche Fernsehbilder von zerstückelten Leichen zu sehen.
Wie immer bei bewaffneten Konflikten, leidet die Arbeiterklasse und die arme Bauernschaft auf beiden Seiten am meisten – nicht die Generäle, die Politiker oder die kapitalistische Elite. Diese halten sich wie der Sohn des ehemaligen libanesischen Präsidenten Hariri, außerhalb der Gefahrenzone auf. Er hat sich in einem Fünf-Sterne-Hotel in Damaskus nieder gelassen. Libanesische ArbeiterInnen und Jugendliche haben Tod und Zerstörung in der schlimmsten Form erlebt. Und auch die israelisch-jüdischen ArbeiterInnen haben immer mehr zu leiden, wie der Tod von acht Bahnarbeitern am vergangenen Wochenende in Haifa deutlich machte, der durch eine Rakete der Hisbollah verursacht wurde. Wie das Beispiel des Dorfs Majd el Krum in Israel zeigt, sind ebenso die israelischen AraberInnen von den Raketenangriffen der Hisbollah betroffen. Dort sagte ein israelisch-arabischer Einwohner, dass die Hisbollah nicht auftritt, „als mache sie Unterschiede zwischen Juden und Arabern“. Und weiter: „Wir essen alle vom selben Teller.“
Weltweit sind ArbeiterInnen und junge Leute ob der Brutalität des Konflikts und der zynisch-gefühllosen Nichtbeachtung unschuldigen zivilen Lebens durch den US-Imperialismus und die Mächte Europas unglaublich wütend. Auf die Frage, ob die Bush-Administration das unverhältnismäßige Vorgehen Israels verurteile, antwortete ein Sprecher des Weißen Hauses: „Der Präsident wird Israel keine militärischen Ratschläge erteilen.“ (London Times, Sonnabend, 15. Juli 2006). In einem persönlichen Gespräch zwischen Bush und Blair, das während des jüngsten G8-Gipfels in St. Petersburg mitgeschnitten wurde, sagte Bush allerdings: „Sie [die Israelis, Anm. d. Ü.] müssen es hinbekommen, dass Syrien die Hisbollah dazu bringt mit dem ganzen Scheiß aufzuhören.“
Die arabischen Eliten sind kriecherisch, unterwürfig und ohne Rückgrat. So war zum Beispiel am vergangenen Wochenende eine Zusammenkunft der Arabischen Liga nicht im Stande, eine Erklärung zu den jüngsten Ereignissen abzugeben! Anfangs hat Saudi-Arabien das israelische Vorgehen gegen die Hisbollah sogar unterstützt. Sämtliche dieser Handlungen werden im Gedächtnis der arabischen Massen haften bleiben, und in der Zukunft werden diese Leute für ihre kriminellen Handlungen noch bitter bezahlen müssen.
Die offene und offensichtliche Unterstützung des US-Imperialismus, im Namen der „Demokratie“ und gegen „Terrorismus“, für das israelische Regime bringt alle auf, die die Bilder der Zerstörung jeden Abend über das Fernsehen ins Wohnzimmer geliefert bekommen und treibt die AraberInnen und MuslimInnen zu glühender Wut. Unter erheblichem Druck des US-Imperialismus gab der G8-Gipfel eine Erklärung ab, in der die Schuld an dem Konflikt der Hisbollah zugeschrieben und unterlassen wurde, für eine Feuerpause einzutreten. Ein Treffen der EU-Außenminister, das danach erfolgte, führte zu ähnlichen Ergebnissen. Eine Verurteilung Israels fand nicht statt. Das bedeutet eine offene Unterstützung für die kollektive Bestrafung des libanesischen Volkes durch die israelische Regierung. Der westliche Imperialismus wird den Tag noch bereuen, an dem er der israelischen Regierung grünes Licht für die Zerstörung des Libanon gegeben hat, was nichts anderes als massenhafter Staatsterror ist.
Die Haltung des US-Imperialismus gegenüber Israel ist nicht neu. Letztes Jahr schon hat Bush Israel darin unterstützt, weiträumige Siedlungen im Westjordanland zu bauen, und er stellte quasi einen Freibrief für Olmerts Plan aus, einseitig eine endgültige Besiedlung den PalästinenserInnen aufzuzwingen. Das bedeutet, dass den PalästinenserInnen nur 11 Prozent des ursprünglichen Gebietes Palästina gelassen wird, das wiederum in einzelne Abschnitte aufgeteilt werden soll und von einem Trennungs-Wall umgeben wird, wie man ihn aus dem Berlin von vor 20 Jahren kennt.
Die Tage, da der US-Imperialismus noch eher neutral erschien, sind vorüber. Für die Bush-Administration wird es nun sehr schwer, auch nur den Anschein zu erwecken, als könnte man bremsend auf die brutalen Militäroperationen der israelischen Regierung einwirken. Und die arabischen Eliten haben diesen Fakt ebenfalls realisiert.
Veränderte politische Vorgehensweise
Zum Teil spiegelt dies eine veränderte politische Stoßrichtung der zweiten Bush-Administration wider. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Fähigkeit des US-Imperialismus, bei weltweiten Entwicklungen einzugreifen und diese zu beeinflussen, viel begrenzter als zuvor ist. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001, als die Supermacht kurzzeitig den Eindruck vermittelte, als hätte sie einen gewissen Spielraum für globale Militärinterventionen, stellte die Bush-Regierung eine Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens in Aussicht. Die Taliban sollten aus Afghanistan vertrieben und eine „demokratisch-sekulare Regierung“ eingesetzt, der irakische Diktator Saddam Hussein sollte durch eine neue stabile und den USA freundlich gesinnte Regierung ersetzt werden. Dies sollte den Nahen und Mittleren Osten aufblühen lassen und billige Energielieferungen für den Westen sichern. Eine „demokratische“ Transformation der übrigen Region würde folgen, das iranische Regime würde als Teil der „Achse des Bösen“ ebenso an sein Ende kommen, wie das syrische Ba’ath-Regime Bashar al-Assads. Zudem sollte möglich werden, selbst die ehemaligen Verbündeten des US-Imperialismus in Saudi-Arabien und Ägypten durch ergebenere und stabilere Herrscher auszutauschen. All dies sollte auch zu einer endgültigen Lösung im israelisch-palästinensischen Konflikt führen, da ja die islamistischen Gruppen in den besetzten Gebieten ihre Unterstützung verlieren würden.
An Stelle dieser neo-konservativen Vision ist die Bevölkerungsmehrheit in der Region nun in eine entsetzliche Katastrophe geraten und hat sich für den Imperialismus ein militärischer Albtraum entwicklet. Der Irak befindet sich heute in einer schlechteren Situation als zu Zeiten des brutalen Regimes Saddam Husseins. Täglich wächst die Wahrscheinlichkeit, dass das Land in einander feindlich gesinnte und instabile Teilstaaten zerfällt. Der Iran konnte seine Position in der Region hingegen stärken, auch weil mit der Regierung in Verbindung stehende schiitische Parteien Einfluss im Irak haben.
Das iranische Regime hat außerdem aufgehört, sich dem westlichen Druck zu beugen und die Produktion angereicherten Urans einzustellen. Und für seine anti-imperialistische Rhetorik bekommt das Regime die Unterstützung der Bevölkerungsmehrheit. Saudi-Arabien und Ägypten erleben hingegen ein Erstarken reaktionärer islamistischer Organisationen, die von der Al Qaida unterstützt werden. Die islamische Muslimbruderschaft erzielte bedeutende Erfolge bei den letzten ägyptischen Wahlen. Doch die anschaulichste Demütigung des US-Imperialismus war der erdrutschartige Wahlsieg der Hamas bei den palästinensischen Wahlen im Januar diesen Jahres. Diese Beispiele machen die vollkommene Heuchelei der Bush-Administration deutlich. Sie hat eine Kampagne ins Leben gerufen, die den Ländern des gesamten Nahen und Mittleren Ostens mit Militärinterventionen droht – im Namen der „Demokratie“! Als dann die Wahlen in den palästinensischen Gebieten stattfanden, gefiel dem US-Imperialismus das Ergebnis nicht. Konsequenter Weise erhielt die israelische herrschende Klasse deshalb die vollkommene Rückendeckung des US-Imperialismus, als sie nach den Wahlen die Zerstörung der palästinensischen Gebiete verstärkt fortsetzte.
Doch die jetzigen Entwicklungen sind weitaus ernster. Die ersten Angriffe der Hisbollah auf einen israelischen Armee-Konvoi waren dazu da, die eigene Rolle im Libanon zu stärken, seit sich die syrischen Truppen als Verbündete aus dem Land zurückziehen mussten. Auch um die Aufmerksamkeit vom Vorhaben der UN abzulenken, die Hisbollah zur Entwaffnung ihrer Milizen zu bewegen, wurden die Angriffe durchgeführt.
Die besser als die Hamas bewaffnete und geschlossener strukturierte Hisbollah ist eine ungeheure Gefahr für die israelische Regierung. Von einigen Militärexperten wird sie mittlerweile als die drittstärkste militärische Macht in der Region eingeordnet. Sie zeichnet aufgrund ihrer Verankerung in der shiitischen Bevölkerung und wegen ihrer Angriffe auf die israelischen Truppen dafür verantwortlich, dass sich die IDF 2000 vorzeitig aus dem Südlibanon zurückzog. Das hat das Ansehen des israelischen Militärs ziemlich in Mitleidenschaft gezogen. Und deshalb sprechen auch einige israelische Kommentatoren von Libanon als dem „Vietnam Israels“.
Das Gegenteil bewirken
Die Hisbollah hat das Recht, sich gegen die israelische Aggression zur Wehr zu setzen. Ihre willkürlichen Angriffe auf zivile Anlagen in Israel sind jedoch kontraproduktiv. Statt die Unterstützung für die israelische Regierung zu untergraben, wird somit dafür gesorgt, dass die israelischen ArbeiterInnen und Jugendlichen nur noch fester hinter ihrer Regierung stehen.
Als die Hisbollah sieben Soldaten umbrachte und zwei weitere gefangen nahm, war das für das israelische Militär ein weiterer schmerzhafter Schlag. Und seit der Konflikt eskaliert, hat die Hisbollah ihre Fähigkeit unter Beweis gestellt, sogar israelische Zentren wie Haifa zu treffen. Mehr als eine halbe Million EinwohnerInnen aus Israels drittgrößter Stadt und deren Vororten haben das Gebiet in Richtung Süden verlassen, sämtliche Arbeitsplätze sind verwaist. Das bedeutet, dass das Ansehen der israelischen Regierung auf dem Spiel steht. Das jahrzehntelang vorgetragene Versprechen, wonach die Sicherheit der jüdischen Bevölkerung das oberste Ziel sei, wird mehr und mehr als Heuchelei entlarvt.
Das ist einer der Gründe dafür, weshalb nun mit derartiger Brutalität auf die Angriffe der Hisbollah reagiert wird. Es ist offensichtlich, dass die israelische Militärführung auf einer Politik besteht, welche sie selbst als „Abschreckung“ bezeichnet. Das heißt zwar nicht, dass sie in Opposition zu den Plänen von Olmerts Regierung steht, wonach ein Rückzug aus Teilen des Westjordanlands erfolgen soll und den PalästinenserInnen eine endgültiges Besiedlungsgebiet aufgezwungen werden soll. Allerdings steht doch auch fest, dass sie diesem Plan nur auf der Grundlage zustimmen, dass sie gleichzeitig auf jedes Zeichen des Widerstands einschlagen. Damit wollen sie klar stellen, dass der israelische Kapitalismus die stärkste Macht in der Region und ein militärischer Rückzug kein Zeichen von Schwäche ist. Die verheerende Antwort auf die Raketenangriffe der Hisbollah sind somit auch ein eindeutiges Signal an ihre Gegner und die arabische Bevölkerung: Wer sich gegen uns stellt, wird unter den Folgen zu leiden haben.
Die IDF hoffen, dass ihr Bombardement die libanesische Regierung und Bevölkerung dazu bringt, Druck auf die Hisbollah auszuüben, damit diese ihre Waffen niederlegt und sich bis auf 25 Meilen (ca. 40 km) von der israelisch-libanesischen Grenze bis zum Fluss Litani zurückzieht. Doch das würde bedeuten, dass die Hisbollah aus der Region abziehen müsste, wo sie am meisten Zuspruch erfährt.
Die Taktik der IDF führt bisher nur dazu, die allgemeine Lage noch schlimmer werden zu lassen. Innerhalb einiger Bevölkerungsschichten, die die am stärksten reaktionären christlichen Parteien im Libanon unterstützen, gibt es auch vollkommene Zustimmung für die Zerschlagung der Hisbollah, die seit dem libanesischen Bürgerkrieg stets der politische Gegner geblieben ist. Während der Anfangsphase der momentanen Bombenangriffe hatten größere Bevölkerungsschichten das Gefühl, sie müssten aufgrund der Aktionen der Hisbollah leiden. Infolge der Brutalität der IDF-Angriffe, hat sich die Stimmung jedoch gewandelt. Jetzt dominiert ein Hassgefühl gegen die israelischen Regierung und die Unterstützung geht mehr und mehr in Richtung der Hisbollah – nicht nur unter der schiitischen Bevölkerung.
Auch in Israel wandeln sich Stimmung und Bewusstsein grundlegend. Niemals zuvor in der kapitalistischen Geschichte Israels war der Hass auf die reiche Elite so groß. Das liegt an den neoliberalen Angriffen der Regierung auf die Lebensbedingungen der israelisch-jüdischen Arbeiterklasse und an der Zunahme von Korruptionsfällen, die PolitikerInnen zunehmend nachgewiesen werden. Die Militär-Generäle müssen während dessen mit ansehen, wie ihre ehedem hohe Autorität in der Gesellschaft schwindet.
Doch im Moment entwicklet sich eine veränderte Stimmung. Der Grund ist die Bedrohung durch die vielen Raketenangriffe und eine wachsende Stimmung, wonach man von feindlich gesinnten arabischen Staaten umgeben sei, die die Juden und Jüdinnen ins Meer treiben wollen. Die Unterstützung für ein entschlosseneres militärisches Vorgehen und für die Regierung Olmert wächst – selbst wenn dies mit Skepsis und einer kritischen Färbung vonstatten geht. Die Erfahrung, dass militärische Mittel Massenwiderstand nicht werden brechen können und die Unfähigkeit des israelischen Kapitalismus, physische und soziale Sicherheit für die eigene Bevölkerung zu gewährleisten, wird wieder zu einer Änderung der Stimmung in Israel führen. Zur Zeit allerdings entwickelt sich alles in Richtung einer Kriegsmentalität.
Die Situation spitzt sich somit weiter zu und es erklärt ebenfalls, warum der israelische Kapitalismus, Imperialismus und die arabische Elite so wenig Spielraum haben. Es braucht nur noch eine weitere Gräueltat und die Situation gerät außer Kontrolle. Die IDF haben bereits Bodentruppen in den Libanon entsandt. Am Dienstag, dem 18. Juli, unterschrieb Olmert den Befehl, drei weitere Bataillone von ReservistInnen aufzustellen. Ein Zeichen dafür, dass die IDF sich für einen Bodenangriff rüstet.
Aller Wahrscheinlichkeit nach wird aber schon die Fortsetzung der Luftangriffe zum Sturz der labilen und zerstrittenen libanesischen Regierung und dazu, dass die Hisbollah die Kontrolle über die Gebiete erringt, in denen sie den größten Zuspruch genießt. Das syrische Regime könnte dies als Rechtfertigung nutzen, um erneut, als Hisbollah-Kämpfer verkleidete, Truppen in den Libanon zu entsenden. Es ist möglich, dass das iranische Regime, welches der Hisbollah schon Waffen und Militär-Berater zur Seite gestellt hat, bewaffnete Freiwillige in den Libanon schicken wird.
Zur Eskalation kann eine eventuelle Bombardierung syrischer oder iranischer Ziele, insbesondere der Nuklearanlagen, durch die IDF beitragen. Dies ist zwar nicht ausgeschlossen, aber alles andere als sicher, vor allem wenn der Druck auf den israelischen Kapitalismus für eine Feuerpause wachsen sollte. Sollte es zu diesem furchtbaren Szenario kommen, wäre auch ein regionaler Krieg nicht mehr auszuschließen. Der israelische Kapitalismus und der US-Imperialismus bauen auf die Tatsache, dass die Hisbollah in der arabischen Welt isoliert da steht, da auch etliche sunnitisch-arabische Führer den Konflikt als Möglichkeit betrachten, einen unliebsamen und erstarkenden Konkurrenten loszuwerden. Ernst zu nehmende Militär-Experten sehen die verhältnismäßig zurückhaltenden Reaktionen des syrischen Regimes auf die israelischen Angriffe als Beweis dafür an, dass man nicht seinen Hals für die Hisbollah hinhalten will. Auch die Tatsache, dass der iranische Außenminister für eine Waffenruhe, Verhandlungen und die Freilassung der gefangen genommenen Soldaten eintritt, wird als Indiz dafür gewertet, dass es Grenzen für die Unterstützung der Hisbollah gibt.
Nichts desto trotz existiert unter der arabischen Bevölkerung große Wut. Falls der Konflikt eskaliert, droht auch den arabischen Regimes über kurz oder lang enorme Instabilität, das Aufkommen von Massenbewegungen und sogar der Sturz der korrupten Eliten. Die ägyptische Administration ruht auf des Messers Schneide und Länder wie Saudi-Arabien werden trotz steigender Ölpreise von nie gekannter Instabilität heimgesucht. Die Möglichkeit eines eskalierenden bewaffneten Konflikts, der den Libanon, Syrien, den Iran und Irak mit einbezieht, wo bereits jetzt über 140.000 US-Soldaten stationiert sind, liegt nicht mehr im Bereich des Unmöglichen.
Wirtschaftliche Folgen
All dies hätte katastrophale Auswirkungen auf die Weltwirtschaft, da der Ölpreis pro Barrel zur Zeit die 80-Dollar-Marke zu reißen droht und schnell bis auf 100 US-Dollar steigen könnte. Das wäre die Basis für eine erneute Welktwirtschaftskrise in den Ausmaßen von 1974 / 75, die unter anderem auch von einer Ölpreis-Steigerung ausgelöst wurde, welche allerdings ungleich geringer war als die heutigen Preissprünge.
Ebenso wird die brutale Militäroffensive der IDF und ihrer imperialistischen Komplizen ihre tiefgreifenden Auswirkungen haben. In Afghanistan hat die militärische Besatzung zum Beispiel die Taliban und Al Qaida erstarken lassen und im Irak spielt sie einem Sarkawi in die Hände und führt mittelbar zu Bombenattentaten in Madrid und London. Die Rückwirkungen des jüngsten militärischen Vorgehens gegen den Libanon werden überall in der Welt spürbar sein. Eine neue Welle terroristischer Attacken wird beginnen, deren Opfer natürlich Menschen aus der Arbeiterklasse sein werden.
Die Arbeiterklasse des Nahen und Mittleren Ostens und mit ihr die arme Bauernschaft ist die einzige Kraft, die den Imperialismus, Kapitalismus und die korrupten arabischen Eliten zurückdrängen und den Wunsch der PalästinenserInnen nach sozialer und nationaler Befreiung erfüllen kann. Umgekehrt stellen sie den übergroßen Bevölkerungsteil, der am meisten unter bewaffneten Auseinandersetzungen und Kriegen zu leiden hat.
Die ungeheuerliche Wut, die gegen die bösartige Rolle des Imperialismus herrscht, muss in Richtung des Aufbaus einer neuen Arbeiterbewegung und neuer Arbeiterparteien gelenkt werden. Diese müssen auf Basis der Forderunen nach dem Rückzug sämtlicher imperialistischer bewaffneten Kräfte und des Sturzes von Kapitalismus und Feudalismus in der Region und der Idee von einer sozialistischen Föderation des Nahen Ostens entstehen.
Ohne Zweifel beängstigt die Aussicht eines sich fortsetzenden Konflikts und möglichen Kriegs die ArbeiterInnen und jungen Menschen auf der ganzen Welt und speziell im Nahen Osten, weil damit schreckliches Leid einher geht. Egal wie es weiter geht: Kapitalistische Kriege und Konflikte werden auch neue Kämpfe der Arbeiterklasse gegen Privatisierung und Angriffe auf ihre Lebensbedingungen mit sich bringen, die auf jeden Fall auch schon stattgefunden haben, wie beispielsweise im Iran, in Ägypten, und Israel selbst. Solche Bewegungen werden wieder in den Vordergrund treten – allerdings mit einem anderen Bewusstsein. Mit Menschen, die mit dem Verlangen nach einem Ende des Blutvergießens und nach einer neuen Gesellschaft erfüllt sind, in der die Bevölkerungsmehrheit die großen Reichtümer der Region kontrolliert.
Diese Perspektive basiert auf historischen Erfahrungen. Auf dem Höhepunkt des verheerenden libanesischen Bürgerkriegs 1988 nahmen libanesische ArbeiterInnen über religiös-sektiererische Grenzen hinweg Streiks gegen den Verfall der Löhne auf, der aus der durch den Krieg angeheizten galoppierenden Inflation resultierte. Die „grüne Linie“ überschreitend, die ChristInnen und MuslimInnen in Beirut voneinander trennte, nahmen alle Glaubensrichtungen an den Demonstrationen teil, die sich gegen dieses Problem richteten. Während desselben Zeitraums demonstrierten zwischen 500.000 und einer Million Israelis in Tel Aviv gegen die Invasion der IDF im Libanon.
Wie dem auch sei dürfen Sozialistinnen und MitstreiterInnen nicht einfach da sitzen und auf ähnliche Entwicklungen warten. Eine Bewegung für den revolutionär-sozialistischen Wandel muss dringendst angestoßen werden – in der gesamten Region des Nahen Ostens!
* Nein zum Massenterror der israelischen Regierung gegen die Bevölkerung im Libanon. Stopp der Bomardierung des Libanon. Für den Aufbau einer massenhaften internationalen Opposition gegen die „kollektiven Strafmaßnahmen“ am libanisischen Volk.
* Für das Recht der libanesischen Arbeiterklasse und der armen Bauern auf Selbstverteidigung gegen die staatliche Aggression Israels.
* Nein zu den willkürlichen Bombenangriffen und dem Beschuss ziviler Gebiete. Für die Errichtung multi-ethnischer und multi-religiöser bewaffneter Verteidigungs-Komitees unter demokratischer Kontrolle der libanesischen Massen. Nein zum Konzept der kollektiven Bestrafung unschuldiger ZivilistInnen
* Freilassung aller politischen Häftlinge und aller Gefangenen. Alle imperialistischen Streitkräfte raus aus der Region!
* Für eine Massenbewegung der arabischen und palästinensischen ArbeiterInnen, der armen Bauernschaft und jungen Menschen, um das kapitalistische System zu beseitigen, welches nur Krieg, Armut, Massenarbeitslosigkeit und neoliberale Angriffe im Nahen Osten erzeugt. Für eine sozialistsche Föderation arabischer Staaten auf Grundlage einer geplanten und demokratischen Wirtschaft unter Kontrolle und Management der ArbeiterInnen selbst
Für eine Massenbewegung der israelisch-jüdischen ArbeiterInnen, um das kapitalistische israelische Regime zu stürzen, das endlose Kriege und Angriffe auf den Lebensstandard hervorbringt. Für ein sozialistisches Palästina und ein sozialistisches Israel als Teile einer sozialistischen Föderation des Nahen Ostens, in der ArbeiterInnen, Bäuerinnen und Bauern und nicht länger korrupte Führer entscheiden, wie die Gesellschaft geführt werden soll, in der nationale, religiöse und ethnische Rechte aller Minderheiten garantiert werden.
Kevin Simpson ist Mitglied im Internationalen Sekretariat des Komitees für eine Arbeiterinternationale. Er schreibt regelmäßig über den Nahost-Konflikt für www.socialistworld.net und das Monatsmagazin Socialism Today.