Lafontaine-Gysi-Aufruf: stark in Worten – die Umsetzung „ziemlich egal“
Am 2. Juni legten Lafontaine und Gysi, die beiden Fraktions-Chefs der Linken im Bundestag, zusammen mit VertreterInnen der Bundesvor-stände von WASG und Linkspartei. PDS einen ersten Entwurf der Grundsätze der neuen Linken vor: kräftig in Worten, wie Lafontaine; mobilisierungsfern, wie die Fraktion der Linken; dehnbar gegenüber Regierungsbeteiligungen.
von Stephan Kimmerle, Berlin
Von zahlreichen linken „Alleinstellungsmerkmalen“ sprach Oskar Lafontaine, Fraktions-Chef der Linken im Bundestag, bei der Vorstellung des „Aufruf zur Gründung einer neuen Linken“. Mit diesem Begriff aus der Betriebswirtschaftslehre wird laut Wikipedia die „herausragende Eigenschaft eines Produktes oder eines Markenartikels“ beschrieben; dieses könne begründet sein im „Preis, in der Formgebung, in besonderen technologischen Eigenarten oder dem Service“.
Grund also, Preis, Formgebung, technologische Eigenarten und den Service des Aufrufs unter die Lupe zu nehmen.
Der Preis
Der Preis, „wofür ist die Linke zu haben“, findet sich erst ganz am Ende. Eingeleitet wird er mit einem Bezug auf das „Potsdamer Dreieck“, mit dem die alte PDS Regierungsbeteiligungen in den eigenen Reihen durchsetzte: „Protest, Mitgestaltung und Alternativen, die über den Kapitalismus hinausweisen, bilden in der Arbeit der Linken eine strategische Einheit.“ Dann geht es weiter: Die Linke „übernimmt dann Regierungsverantwortung, wenn sie die Lebensverhältnisse der Menschen verbessern und alternative Entwicklungspfade öffnen kann.“ Danach werden die Beachtung der Grundsätze, eine Absage an Privatisierungen und der generelle Stopp von Stellenabbau zum Maßstab von Regierungsbeteiligungen erklärt.
„Allein der letzte Punkt“, der generelle Stopp des Personalabbaus, „müsste dazu führen, sofort jede Regierungsbeteiligung aufzugeben“, so die Welt vom 3. Juni. In Berlin ist vom SPD/PDS-Senat für die nächsten Jahre Stellenabbau im fünfstelligen Bereich vorgesehen.
Die junge Welt (ebenfalls 3. Juni) hakte nach: „Auf die Frage, ob damit die Koalitionen, an denen die Linkspartei.PDS in Berlin und Schwerin beteiligt ist, nicht aufgekündigt oder neu ausgerichtet werden müssten, antwortete Gysi etwas kryptisch, man würde heute vieles ‘ganz anders’ bewerten als 1998 oder 2001, als die PDS in die Landesregierungen in Mecklenburg-Vorpommern beziehungsweise Berlin eintrat.“
Kryptische Formulierungen, wo klare Aussagen gefordert sind. Die Verbesserung der Lebensverhältnisse und alternative Entwicklungspfade hat auch der Berliner Senat in den letzten Jahren stets für seine Politik proklamiert: Verbesserungen und Alternativen eben immer gemessen am (fiktiven) größeren Übel einer (immer noch schlimmeren) CDU/FDP- oder CDU/SPD-Variante.
Selbst der Antritt der Schröder-Regierung 1998, noch zusammen mit Lafontaine, wird in ein gutes Licht gerückt: Die damaligen sozialdemokratischen Regierungen seien einfach „zu schwach“ gewesen.
Auch wenn sich die Berliner L.PDS sicherlich eine andere, noch bedingungslosere Formulierung gewünscht hätte: Eine Absage an eine Politik des „kleineren Übels“ und der „Sachzwänge“ im Kapitalismus klingt anders.
Technologischen Eigenarten
Die „barbarische Weltwirtschaftsordnung“, „imperialistische Kriege“, der „Raubtierkapitalismus“ werden angeklagt. Die Linke bekennt sich zum „demokratischen Sozialismus“. Auch die Eigentumsfrage wird angeschnitten und die Überführung der Schlüsselbereiche der Wirtschaft in öffentliche Eigentumsformen gefordert.
Doch im gleichen Papier findet sich dane-ben eine andere Vorstellung: „Markt und Wettbewerb führen nicht nur zu einer effizienten Wirtschaft, sondern ebenso zur Dezentralisierung wirtschaftlicher Entscheidungen und damit zur Einschränkung wirtschaftlicher Macht“, behauptet das Manifest. Dass der zweite Teil Unsinn ist, wird einige Zeilen weiter oben ausgeführt: „Fünfhundert Konzerne kontrollieren die Hälfte des Weltsozialprodukts.“ Und auch die unterstellte „Effizienz“ von Markt und Wettbewerb ist realitätsfern: Die Folgen der Marktwirtschaft sind Arbeitslosigkeit, Überkapazitäten, Umweltzerstörung und Kriege. Das ist für die Profite effizient. Für die Gesellschaft ist es kein Ausdruck eines guten Verhältnisses von Ressourceneinsatz zum Ergebnis.
Doch dieses theoretischen Gewirr leitet über zur Forderung nach Verschärfung des Kartellrechts und Mittelstandsförderung. Statt die Frage zu beantworten, wie eine andere Gesellschaft erreicht werden kann, wird Sozialismus zum Lippenbekenntnis; Mittelstandsförderung sowie ein „skandinavisches Modell“ werden zur Lösung der Probleme.
Neben der Umwandlung von Sozialismus in ein utopisches Ziel, das mit der Realpolitik der Partei dann wenig zu tun hat, wird die Diktatur der SED-Bürokratie in der DDR und die anderen stalinistischen Staaten verharmlost.
Der Service
Mit Widerstand des Kapitals rechnet die Linke nicht mehr. Die Arbeiterklasse, das heißt die den Kapitalbesitzern gegenüberstehenden Beschäftigten, Erwerbslosen und ihre Familien, kommt nicht vor. Am Ende taucht noch ein „breites Reformbündnis“ auf – kurz nach der Regierungsbeteiligung. Mit wem, wozu und wie ein solches Bündnis geschmiedet werden soll – keine Ahnung. Da hilft dann auch das geforderte „Recht auf Generalstreik“ nicht weiter, wenn nichts dazu gesagt wird, welche Rolle der Kampf in Betrieben, mit den Gewerkschaften, mit sozialen Bewegungen spielen soll. Auch der Staat und staatliche Institutionen werden als eine Art über allem stehende Schiedsrichter angesehen.
Zugegeben: Die sozialistische Linke hat klassisch wenig „Service“ zu bieten – außer der Anstrengung zur Selbstorganisation und Selbsttätigkeit der Masse der Bevölkerung, um für ihre Interessen gemeinsam einzustehen. Dann muss man das aber auch sagen und Forderungen aufstellen, für die es sich lohnt zu kämpfen und selbst aktiv zu werden. Da reicht es nicht, zum Beispiel kostenlose Bildung in den Kitas zu fordern und zu den Unis zu schweigen (die L.PDS liebäugelt mit Studienkonten in Berlin).
Die Formgebung
Der Aufruf redet von „Sammlungsbewegung“ und meint Fusion. Beim jetzt geplanten Parteineubildungsprozess kommen nur WASG und Linkspartei.PDS als handelnde Akteure vor. Eine Einbeziehung von AktivistInnen aus Betrieben, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen gibt es im vereinbarten Ablauf nur als Floskel.
Bei der Vorstellung sprach Lafontaine von der „einzig fairen und demokratischen Vereinigung“ in der deutsch-deutschen Geschichte nach 1990. Dazu kommentiert die Welt (3. Juni): Rosa Luxemburg habe „die Linken gemahnt, ‘Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden’. Beim Umgang mit dem widerspenstigen Berliner WASG-Landesvorstand haben die Fusionsstrategen bewiesen, dass ihnen solche Freiheit ziemlich egal ist.“
Die Rede vom „Alleinstellungsmerkmal“ trifft voll, was Lafontaine andernorts beklagt: Neoliberale Sprache und Denkmuster. Die Logik, auf dem „Wählermarkt“ gut abschneiden zu wollen, mag durch radikale Sprüche bedient werden. Ein Aufbruch der Linken, ein Zusammenschluss der AktivistInnen im Kampf gegen Neoliberalismus und Kapitalismus sieht anders aus.