Die Entwicklungen im Nahen Osten laufen für Bush-Regierung nicht nach Plan
Eine Armee von 1,25 Millionen Soldaten, 725 offizielle Militärbasen in aller Welt, ein Waffenetat so groß wie der aller anderen Länder zusammen – und trotzdem bekommt die Weltmacht Nr. 1 beim Versuch, eine “neue Weltordnung“ (Bush senior) zu schaffen, immer größere Probleme.
von Conny Dahmen, Köln
Die Risiken und Nebenwirkungen der Bush-Politik geraten jetzt zunehmend außer Kontrolle: Der Nahe Osten versinkt immer mehr in Chaos. Inzwischen muss sich Bush junior, „der unmittelbar nach dem Irak-Krieg in Umfragen noch Beliebtheitsrekorde eingefahren hatte, sogar mit Richard Nixon vergleichen lassen“ (Der Spiegel 20/2006) – der in den Siebzigern seinen Hut nehmen musste. Selbst ein Teil des Establishments steht dem Kriegskurs mittlerweile skeptisch gegenüber.
Vom „Wiederaufbau“ in Afghanistan und im Irak hat nur eine Schicht korrupter Politiker und eine Handvoll von Großkonzernen profitiert, während Millionen hungern. Wirtschaft und Infrastruktur liegen weiter unter Vorkriegsniveau. Ethnische und religiöse Spannungen nehmen zu. Beide Staaten sind auf dem Weg in den Bürgerkrieg.
Afghanistan
Viereinhalb Jahre nach der Invasion in Afghanistan sind die Taliban nach wie vor Herrscher über weite Teile des Landes. Bislang spottete man, dass Präsident Karsai nur der Bürgermeister von Kabul wäre. Aber selbst in Kabul regt sich jetzt Widerstand. Nach einem Verkehrsunfall, der von amerikanischen Truppen verursacht worden war und der sechs Tote und ein Dutzend Verletzte forderte, brachen dort die größten Unruhen seit Ende des Krieges 2001 aus. Kämpfe der ausländischen Streitkräfte mit Aufständischen verschärfen sich vor allem jetzt, da die „Schutztruppe“ Isaf ihre Präsenz in die Taliban-Hochburgen im Süden und Osten des Landes ausdehnen und so die US- Kräfte teilweise ersetzen soll.
Irak
Im Irak plant der US-Imperialismus 32.000 der 132.000 US-Soldaten abzuziehen und durch einheimische Truppen zu ersetzen, durch Söldner und verschiedene sunnitische, schiitische, und kurdische Milizen. 70 Prozent der IrakerInnen sind für einen sofortigen Abzug der Besatzungstruppen.
Nicht nur SunnitInnen kämpfen jetzt gegen sie, mittlerweile treten auch immer mehr SchiitInnen in den Widerstand ein, da die Besatzung den schiitischen Führern keine der erwarteten Vorteile verschafft hat (60 Prozent der Bevölkerung sind SchiitInnen; Saddam Hussein stützte sich seinerzeit aber vor allem auf die sunnitische Minderheit). Offiziell kommen im Schnitt täglich 36 ZivilistInnen ums Leben. Die Zahl der Luftangriffe hat sich von rund 25 monatlich zu Beginn des letzten Jahres auf rund 150 im Dezember erhöht.
Inwieweit Bush der irakischen Regierung die Drecksarbeit aufdrücken kann, ist fraglich. Bei den Parlamentswahlen errang das pro-imperialistische schiitische Bündnis von Allawi nicht mal ein Viertel der 275 Parlamentssitze; die Mehrheit der Sitze ging an die Vereinigte Irakische Allianz von Sciri and Dawa, die mit dem Iran verbunden sind und heute mit ihre eigenen Todesschwadronen und Geheimgefängnissen die ethnischen Konflikte weiter anheizen.
Palästina
Nachdem die Hamas bei den Wahlen Fatah übertrumpfte, will Israel als zentraler Bündnispartner des US-Imperialismus in der Region die Hamas-Regierung aushungern und sorgten zum Beispiel für die Streichung der Wirtschaftshilfe. Darum können die Löhne von 130.000 Beschäftigten nicht ausbezahlt werden, 70 Prozent der Schulen droht die Schließung. Die Regierung soll zudem durch die geplante Volksbefragung am 26. Juli untergraben werden, die über die Errichtung eines eigenen Staates in Koexistenz mit Israel entscheiden soll. Vor diesem Hintergrund gab es in den letzten Wochen immer wieder bewaffnete Zusammenstöße zwischen Hamas- und Fatah-Milizen. Eine Eskalation dieses Konfliktes könnte den Bestand der Palästinenserbehörde gefährden und damit zu einer erneuten direkten Besatzung Israels in Gaza und Westbank führen.
Iran
Das iranische Regime mit seinen Verbindungen zu den schiitischen Kräften in Afghanistan, im Irak und in Palästina strebt danach, zur entscheidenden Regionalmacht aufzusteigen. Der Einfluss von den USA nahestehenden korrupten Regierungen in der Region ist zurückgegangen.
Der Iran ist der viertgrößte Ölproduzent weltweit und intensiviert gerade seine Kontakte nach Russland und China. Bush will dagegen angehen. Er ist allerdings in einer schwierigen Lage. Eine Option wäre die Bombardierung von iranischen Atomanlagen – kein einfaches Unterfangen, das Massenproteste gegen die USA und ihre Verbündeten zur Folge hätte. Eine Invasion mit Bodentruppen erscheint derzeit so gut wie ausgeschlossen. Die US-Soldaten sind bereits an zu vielen anderen Punkten gebunden. So schrieb die New York Times am 9. März: „Die amerikanische Politik im Nahen Osten hat den Iran unberechenbarer und mächtiger gemacht, als er vor der Invasion im Irak gewesen war, während sie praktisch jeden Spielraum für den Einsatz von US-Militär zu nichte machte.“
Mitte Februar wollte US-Außenministerin Condoleezza Rice weitere 75 Millionen Dollar in Oppositionsgruppen innerhalb und außerhalb des Irans investieren – es lassen sich aber kaum pro-amerikanische Gruppen finden. Mittlerweile wird von einem „Wechsel innerhalb des Regimes“ gesprochen. Dazu kommt, dass andere Großmächte wie China und Russland gegen einen Konfrontationskurs sind. Aber auch Frankreich und Deutschland (beide wichtige Handelspartner des Iran) sind natürlich nicht an einer Neuordnung der ganzen Region einzig unter der Vorherrschaft des US-Imperialismus interessiert.
Albtraum ohne Ende?
Zahlreiche Brandherde könnten den Nahen Osten in Flammen aufgehen lassen. Die ethnischen und religiösen Konflikte werden sich nicht auf kapitalistischer Basis lösen lassen. Schon heute wird die Spirale aus Gewalt, Arbeitslosigkeit und Armut für die Massen der ArbeiterInnen, Bauern und Jugendlichen in diesen Ländern täglich unerträglicher. Es entstehen zumindest einzelne wichtige Ansätze für massenhafte Gegenwehr: Im Gaza-Streifen entwickelten sich jüngst Komitees, die für Gesundheit, Bildung und Arbeitslosenversicherung kämpfen. In Teheran führte die neu gegründete Busfahrer-Gewerkschaft Anfang des Jahres einen harten Arbeitskampf. Diese Ansatzpunkte müssen international unterstützt werden. Nötig ist gemeinsamer Widerstand über ethnische und religiöse Schranken hinweg gegen Sozialabbau, Kriege, Imperialismus und das kapitalistische Profitsystem.