Über die zunehmende Kampfbereitschaft und Massenproteste von ArbeiterInnen, Jugendlichen und Unterdrückten in Polen
‘Die Kampfbereitschaft ist zurück!’
von Paul Newbery, GPR – Grupy na rzecz Partii Robotniczej (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Polen)
Nur knapp ein halbes Jahr nach den Parlamentswahlen, die rechts-konservative Nationalisten und populistische Parteien ins Amt brachten, lässt die polnische Arbeiterklasse ihre Muskeln spielen und geht in die Offensive.
In den letzten Wochen zwang der Streik der Krankenschwestern, -pfleger und ÄrztInnen die Regierung dazu weite Zugeständnisse machen zu müssen. Tatsächlich wurden Zusagen über nicht unwesentliche Lohnerhöhungen gemacht. Weil diese aber erst im nächsten Kalenderjahr kommen sollen, geht der Streik an über 90 Krankenhäusern weiter, da ÄrztInnen und Pflegepersonal die sofortige Anhebung der Bezüge durchsetzen wollen.
Die Bergleute sind ebenfalls in Aktion getreten und fordern eine Beteiligung an den Gewinnen der Gruben. Allein im vergangenen Jahr stieg der Profit dreier Bergbauunternehmen um 250 Mio. Euro. Als die Gespräche darüber ohne Einigung abgebrochen wurden, kam es am 5. Juni zu einer zweistündigen Arbeitsniederlegung.
Warschau bereitet sich gerade auf den Einmarsch der Bergleute vor. Am 14. Juni 06 wollen diese ihren Unmut auf die Straßen der polnischen Hauptstadt tragen und es ist davon auszugehen, dass die Demo noch größer werden wird als die bereits 10.000 TeilnehmerInnen starke Veranstaltung im letzten Jahre. Damals endete der Protest gegen die Anhebung des Rentenalters der Bergleute in Straßenschlachten mit der Polizei. In diesem Jahr drohen allerdings sogar die PolizistInnen damit, sich neben den Feuerwehrleuten und den GrenzerInnen für ihre Interessen einzusetzen und Aktionen gegen die Regierung zu organisieren. Alles in allem finden Land auf Land ab bisher noch isoliert nebeneinander ausgefochtene Auseinandersetzungen in den Fabriken statt.
Und als ob all dies nicht schon genug wäre, bereiten zur selben Zeit auch noch die Schülerinnen und LehrerInnen landesweiten Widerstand vor. Sie wenden sich gegen die Ernennung Roman Giertychs von der Liga der polnischen Familien (LPR) zum neuen Bildungsminister. Giertych, der auch Vorsitzender der LPR ist, plant die Einführung eines verpflichtenden Religionsunterrichts und so bezeichneter patriotischer Stunden. Er will nicht nur das Budget für Stipendien an SchülerInnen aus armem Elternhaus zusammenstreichen, sondern darüber hinaus auch verhindern, dass obligatorische Vorschulen für Fünfjährige eingerichtet werden. ErzieherInnen und RektorInnen mit einer liberaleren Vorstellung von Bildung wurden bereits von einflussreicheren Stellen im Bildungssektor entfernt.
Demonstration von Schwulen und Lesben
Am 9. Juni 2006 nahmen rund 5.000 Menschen am Gleichheitsmarsch teil, um für ein Ende der Diskriminierung von Schwulen und Lesben zu demonstrieren. Das war ein Schuß vor den Bug der polnischen Rechten. Diese hatten wie im vorigen Jahr versucht den Marsch zu verbieten, waren diesmal aber am Verfassungsgericht gescheitert. Im letzten Moment wurde die von der rechts-nationalen Polnischen Jugend (Jugendorganisation der LPR) geplante Gegenkundgebung mit der Begründung abgesagt, dass sich Polen dieser Tage nicht für Demos, sondern für die Fußball WM interessieren. Offensichtlich rechneten sie ursprünglich mit der Teilnahme von rechten Schlägern und Hooligans! Schließlich marschierten nur 150 Faschisten auf, die von acht Linien Sondereinheiten der Polizei geschützt wurden. Zwar versuchten die Nazis die Parade mit Eiern zu bewerfen, die wirklich Getroffenen an diesem Tag waren aber die Herren und Damen in der polnischen Regierung.
Dennoch hat die Zahl faschistischer Angriffe gegen Linke und AnarchistInnen in jüngster Zeit zugenommen. Diese Tatsache steht in direktem Zusammenhang zu dem Wahlsieg der polnischen Rechten. Reaktionäre Bemerkungen eines Roman Giertych und seine immer wieder geführten Seitenhiebe gegen politisch anders Denkende haben die Nazis auf der Straße selbstbewusster werden lassen und sie zu weiterer Gewalt ermutigt. Vor einigen Wochen versuchten Nazis in Warschau einen Antifaschisten zu ermorden, dessen Foto auf der polnischen Homepage ‘Redwatch’ veröffentlicht war. Diese Website steht in Verbindung mit der britischen Nazi-Organisation ‘Blood and Honour’.
Ungeachtet der Zunahme reaktionärer Tendenzen findet die Arbeiterbewegung in Polen allmählich zu alter Kampfkraft zurück und geht mehr und mehr in die Offensive. In dieser Situation verbreiten die GenossInnen der GPR (Bewegung für eine Arbeiterpartei; Anm. d. Übers.) die Idee eines Generalstreiks, der alle zur Zeit noch vereinzelt stattfindenden Kämpfe zu einer Bewegung gegen die Regierung vereinen könnte.
Komitee zur Unterstützung und Verteidigung schikanierter ArbeiterInnen
Polnische AutobauerInnen verteidigen!
Am 7. Juni 2006 haben 100 AktivistInnen vom Komitee zur Unterstützung und Verteidigung schikanierter ArbeiterInnen (KPiORP) an Streikposten vor den Büros von vier prominenten Parlamentariern in Warschau teilgenommen. Die Proteste wurden zur Unterstützung entlassener ArbeiterInnen organisiert. Sie hatten ihre Jobs beim mittlerweile bankrotten Autoproduzenten Daewoo-FSO verloren und kämpfen seither für die Auszahlung noch ausstehender Löhne und Abfindungen für die letzten drei Jahre.
Am selben Tag veranstaltete die KPiORP eine Informationskampagne in über 80 Städten Polens. Flugblätter und Broschüren wurden verteilt, die sich an PolInnen richten, die dieses Jahr vorhaben im Ausland zu arbeiten. Die Flugis riefen dazu auf, sich auch im Ausland gewerkschaftlicher Unterstützung zu vergewissern und erläuterten zudem die Arbeitsrechte von Polen in EU-Staaten.
Das KPiORP wurde Anfang diesen Jahres als Antwort auf die Entlassung von GewerkschafterInnen ins Leben gerufen, die in verschiedensten Branchen aktiv sind. Die Initiative dazu ging von einzelnen Gewerkschaftsgliederungen, der Einzelgewerkschaft ‘Sierpien 80’, die in den schlesischen Gruben eine Macht ist, GPR-Mitgliedern und einigen anderen linken Gruppen aus. Das KPiORP verfolgt das Ziel, ArbeiterInnen aller Einzelgewerkschaften im gemeinsamen Kampf für Arbeiterrechte zu vereinen und rechtliche Hilfe für einzelne ArbeiterInnen anzubieten, wo diese nötig geworden ist.
Reisende Bergleute
Ein bedeutsames Merkmal der Protestaktionen und Demos, die das KPiORP organisiert, ist die Teilnahme von Bergleuten, die durch das ganze Land fahren, um sich für die Proteste einzusetzen. So auch am 7. Juni, als schlesische Bergleute nach Warschau kamen, um die Aktionen zur Unterstützung der dortigen Autobauer zu unterstützen.
Während der Protestaktionen vor dem Sitz Jaroslaw Kaczynskis, dem Vorsitzenden der Partei für Recht und Gerechtigkeit, ergriff ein GPR-Mitglied im Namen des KPiORP das Wort und erklärte, wie 300 Beschäftigte von Daewoo-FSO zynischer Weise in neu errichtete und unterfinanzierte Zweigwerke von Daewoo-FSO verschickt wurden. Dies geschah, als der Bankrott schon unausweichlich feststand. Innerhalb eines Jahres stellte das Unternehmen dann die Lohnzahlungen ein und als die Belegschaft überflüssig geworden war wurden keine Abfindungen gezahlt. Der Kampf der KollegInnen vor Gericht hat bislang zu keinem Ergebnis geführt.
Der Genosse von der GPR sagte weiter: „All dies geschah in Übereinstimmung mit den Gesetzen. Deshalb frage ich euch, wessen Interessen durch die Gesetze vertreten werden? Erfahren wir Recht und Gerechtigkeit in diesem Land? – Nein! Recht und Gerechtigkeit herrschen in Kaczynskis Büro und im polnischen Parlament. Unser Recht ist dies nicht und uns widerfährt auch keine Gerechtigkeit. Es sind Recht und Gerechtigkeit für die Reichen, für die Banken und die Konzerne.“
Er fügte hinzu, dass das KPiORP nicht nur die Zahlung ausstehender Löhne und Abfindungen für die ehemaligen Daewoo-Beschäftigten fordert, sondern ebenfalls ein Ende der Privatisierungswelle, die über Polen zieht. „Alle Betriebe, die Abfindungen ablehnen, müssen wieder vergesellschaftet werden unter der Kontrolle der ArbeiterInnen und der örtlichen Communities. Wir wollen Recht und Gerechtigkeit für die ArbeiterInnen!“
Über die ganze letzte Woche hindurch berichtete die landesweite Presse von den Protesten. In verschiedenen Landesteilen wurden AktivistInnen des KPiORP von lokalen Fernsehsendern und Radiostationen interviewt. Die Mitglieder von GPR und KPiORP bereiten momentan eine Demo gegen den extrem nationalistischen Bildungsminister Roman Giertych für den 24. Juni vor. Die Bergleute der Gewerkschaft Sierpien 80 werden dafür genauso breit mobilisieren wie die LehrerInnen der ZNP-Gewerkschaft, die OberstufenschülerInnen und die UniversitätsstudentInnen. Die Hauptforderungen dieser Demo richten sich gegen die religiöse Indoktrination der Schulen, für ein sekulares Bildungssystem – gegen neoliberale Politik und für soziale Standards.
Weitere Infos unter: www.gpr.webpark.pl