Uni-Besetzungen weiten sich zu Bewegung historischen Ausmaßes aus

Seit dem 8. Mai 06 entwickelt sich eine der größten Studierenden-Bewegungen in der Geschichte Griechenlands.
 

von Takis Giannopoulos, Xekinima (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Griechenland), Athen

Bis zum jetzigen Zeitpunkt werden 354 Fakultäten besetzt gehalten. An den größten Uni-Vollversammlungen aller Zeiten haben über 100.000 Studierende teilgenommen. Jede Woche finden neue Massenkundgebungen und Demos statt. Seit dem 1. Juni befinden sich auch die DozentInnen in einem unbefristeten Streik. Donnerstag, den 8. Juni, zählten die jüngsten Höhepunktveranstaltungen in Athen mehr als 20.000 und in Saloniki (Thessaloniki) mindestens 10.000 TeilnehmerInnen … All dies geschieht zu der Zeit, da die Abschlussprüfungen vor der Tür stehen. Es handelt sich um eine Bewegung historischen Ausmaßes, die größte der letzten 15 Jahre.

Unzählige Forderungen und Slogans erinnern stark an die kürzlich über Frankreich hereingebrochenen Jugendproteste. Was zeigt, dass die Bewegung gegen das CPE-Gesetz in Frankreich einen tiefen Eindruck auch in Griechenland hinterlassen hat.

Stein des Anstoßes

Der Grund für die Massenmobilisierung ist der Versuch der griechischen Regierung, ein neues Gesetz auf den Weg zu bringen, das die Bildungslandschaft vollkommen verändern und den universitären Betrieb umkrempeln wird. Zentrale Punkte der Gesetzesnovelle sind, dass Studierende exmatrikuliert werden sollen, wenn sie die Regelstudienzeit ihres Fachs um vier Semester überschreiten, dass die Lernmittelfreiheit aufgehoben werden soll, dass die Privatisierung von Unis möglich wird, wodurch kapitalistische Interessen direkten Einfluss auf Studieninhalte nehmen werden. Darüber hinaus soll Artikel 16 der griechischen Verfassung geändert werden. Bisher war damit der Einrichtung von Privathochschulen ein Riegel vorgeschoben. Auch wird es dadurch einfacher für die Polizei, das als Reaktion auf die bis 1974 herrschende Militärdiktatur eingerichtete „akademische Asyl“ zu unterlaufen, das für das Uni-Gelände gilt und es zur no-go-area für Sicherheitskräfte macht.

All dies geschieht, da Griechenland den letzten Rang aller EU-Mitglieder einnimmt, was die Bildungsausgaben betrifft und den ersten, was die Arbeitslosenquote von HochschulabsoventInnen angeht.

Die Rolle der Führung

Die Bewegung wird vom landesweiten Koordinationskomitee der UnibesetzerInnen angeführt, in dem außer der Jugendorganisation der KKE (einer stalinistischen Partei mit ca. 6% Wahlunterstützung) die gesamte griechische Linke vertreten ist – damit ist die größte Jugendvereinigung an Universitäten entstanden.

Es konnte darüber ein so großer Druck erzeugt werden, dass sogar die KKE- und die PASOK-Jugend (letztere ist der griechischen sozialdemokratischen Partei angeschlossen) sich gezwungen sahen, eine 180°-Wendung zu vollziehen und die esetzungsaktionen zu unterstützen – für diesen Schritt benötigten sie „lediglich“ vier Wochen!!

Xekinima schlägt seit Anbeginn vor, den Kampf der Studierenden für den Rest der Gesellschaft zu öffnen und ihn mit der Arbeiterbewegung zu verlinken.

Konkret schlagen wir einen 24-stündigen Generalstreik mit einer landesweiten Zentraldemo in Athen am 22. Juni 06 vor. Mittlerweile gewinnt dieser Ansatz unter weiten Teilen der Studierenden aber auch unter einfachen GewerkschafterInnen zunehmend an Zustimmung.

Mitglieder von Xekinima wurden in 10 Koordinations-Komitees gewählt und spielen eine sehr wichtige Rolle speziell im Komitee der Stadt Volos (an der Uni Thessally) und an der technischen Hochschule von Athen mit 10.000 Studierenden.

Welche Zukunft hat die Bewegung?

Die Regierung tut gegenwärtig so, als ob sie von ihren Plänen auf keinen Fall abweichen wird. Sie geht nach dem Motto „Zuckerbrot und Peitsche“ vor. Auf der einen Seite zeigt sie sich offen für Verhandlungen. Gleichzeitig schickt sie andererseits provozierende Polizeieinheiten gegen die Studi-Demos. Donnerstag, den 8. Juni, wurden 10 DemonstrantInnen verletzt und 40 verhaftet.

In der Grundtendenz geht die Bewegung in Richtung Ausweitung der Kämpfe. Problematisch ist dabei einerseits jedoch die Taktik der Jugendorganisation der kommunistischen Partei KKE, die die Bewegung mehr spaltet als sie zusammen zu schweißen. Und andererseits neigt ein Teil der landesweiten Führung zu sektiererischen, einseitigen Aktionen. Hinzu kommt, dass insgesamt Verwirrung darüber besteht, was die nächsten Schritte sein müssen.

Charakteristisch hierfür ist, was sich auf der Demo am 8. Juni 06 in Athen ereignete: Weniger als 100 DemonstrantInnen beteiligten sich an einer Gruppe, die sich von der Polizei provozieren ließ. Der ideale Anlass für die Ordnungshüter gewaltig über zu reagieren. Daraufhin traten dann wiederum AnarchistInnen auf den Plan und Athen wurde in ein Schlachtfeld verwandelt. Die Polizei nahm das alles natürlich dankbar zum Anlass, nicht gegen die aggressiveren Teile der Kundgebung einzuschreiten, sondern den Hauptzug der Demo gewaltsam anzugreifen.

Aus solchen Aktionen zieht die Bewegung keinerlei Nutzen. Es handelt sich dabei nicht um Zusammenstöße zwischen einer Massenbewegung und der Staatsmacht, was wir unterstützen und daran teilnehmen würden. Vielmehr geht es bei diesen gewalttätigen Auseinandersetzungen um geplante und künstlich herbeigeführte Konfrontationen kleinerer Gruppen, die meinen, sie könnten damit ihre Radikalität unter Beweis stellen. Ein weiteres Ergebnis der Ereignisse war, dass die geplante Sitzung des landesweiten Koordinations-Komitees nicht stattfand. Zu einem entscheidenden Moment existierte also keine Koordination oder Führung!

Xekinima wird in den regionalen und stadtweiten Koordinations-Komitees weiter für seine Positionen eintreten (vergleiche den entsprechenden Bericht vom 10.06.2006 auf dieser Homepage einschließlich des darin zitierten Resolutionsentwurfs). Aufgenommen werden wird dabei nun der Vorschlag, Gewerkschaften, Schulen und örtliche Communities bei zukünftigen Demonstrationen mit einzubeziehen. Diese würden nicht nur den Charakter der Proteste auf eine höhere Ebene stellen, sie könnten darüber hinaus auch Teil demokratisch gewählter und diszipliniert auftretender Ordner-Dienste sein, die die Demos schützen. Wenn es der Studierenden-Bewegung gelingt, sich mit der Arbeiterbewegung zu vereinen, wären wir dem Sieg einen entscheidenden Schritt näher gekommen.