Selbstbewusste Berliner WASG erteilt Kommissar Aydin klare Absage

Bericht vom Sonderparteitag der Berliner WASG am 16. Mai 2006
 

Gleich zu Beginn gab es den ersten Höhepunkt. Eine Vertreterin des partei-internen Landesschiedsgerichts teilte über eine Eilentscheidung mit, dass die Erklärung des vom Bundesvorstand eingesetzten Landeskoordinators Hüseyin Aydin, der Sonderparteitag der WASG Berlin sei abgesagt, keine Gültigkeit habe. Daraufhin wurde bei langanhaltendem Jubel die Beschlussfähigkeit mit 104 angemeldeten Delegierten festgestellt. Die mit dem Bundesvorstand konform gehende Minderheit (vor allem die Initiative Rixdorf) hatten sich überwiegend nicht als Delegierte angemeldet, waren aber gemeinsam mit den VertreterInnen vom Bundesvorstand und der Fraktion anwesend, “um die Diskussion zu führen”. Der Berliner Landesparteitag war ein Muster an Demokratie, denn den “Gästen” wurde, obwohl sie den Parteitag als nicht rechtens bezeichneten, das volle Rederecht eingeräumt. Das gewählte Präsidium achtete sogar darauf, dass jede/r vierte RednerIn von der Minderheit war (letztendlich war es sogar fast jeder dritte Beitrag). Das hielt natürlich trotzdem einige ihrer VertreterInnen nicht davon ab, sich zu beschweren. Die Delegierten reagierten auf solche Provokationen eher gelassen.

von Angelika Teweleit

Die Debatte wurde von Rouzbeh Taheri eingeleitet, der den vom gewählten Landesvorstand beschlossenen Antrag begründete. Rouzbeh Taheri und Michael Prütz vom “abgesetzten” Landesvorstand, machten selbstbewusst klar: Die Berliner WASG wird sich durch ein solches Verfahren nicht wegdrängen lassen, sondern weiter für eine Politik für alle, die von Sozialabbau betroffen sind, fortsetzen. Prütz bezeichnete das zentralistische Verfahren des Bundesvorstandes als “demokratischen Verfall, nach dem man in der Parteiengeschichte lange suchen muss.”

Darufhin räumte das von den Delegierten gewählte Präsidium dem “Kommissar” Aydin die doppelte Redezeit ein. Er argumentierte für die “Einheit der Linken” und meinte salopp: “Zwei Linke kannste vergessen”. Die Menschen würden nach einer “vernünftigen Alternative” suchen und 4,1 Millionen Menschen hätten die gemeinsame Linke gewählt und “die haben uns den Rücken noch nicht zugewandt”. Dabei vergaß er ganz, dass die PDS wegen ihrer Politik durchaus massiv an Stimmen verloren hatte und die Neu-Entstehung der WASG in Wirklichkeit für den Erfolg bei den Bundestagswahlen verantwortlich war. Aydin verkündete scheinbar selbstsicher, die Linkspartei, also die L.PDS, stünde ganz klar gegen Privatisierung, gegen Sozialabbau und für eine Rückkehr zum Flächentarifvertrag. Dies verursachte heftiges Gelächter bei den sonst sehr höflichen Delegierten. Weiterhin behauptete er, er wolle als eingesetzter Landeskoordinator “nicht Alleinherrscher werden, sondern alle Strömungen vertreten, und die Dominanz einer Gruppe verhindern”. Den Parteitag habe er nur aus dem Grund abgesagt, damit man eine politische Diskussion haben könne. Zudem hielt er noch fest, dass er den Parteitag eindeutig abgesagt habe, die Landesschiedsstelle gar keine Befugnis habe seine Entscheidung rückgängig zu machen und daher “alle Beschlüsse der Delegierten an diesem Abend null und nichtig” seien. An dem Punkt fiel es den meisten schwer, der seltsamen Logik des Bundestagsabgeordneten zu folgen. Hakan Doganay (auch vom Landesvorstand und SAV-Mitglied) erntete massiven Beifall, als er das Demokratieverständnis des Genossen Aydin auseinandernahm.

Nach Aydin sprach Lucy Redler (WASG-Spitzenkandidatin) und stellte noch einmal klar, warum die Berliner WASG nicht nur ihrer Mitgliedschaft, sondern auch den Menschen in der Stadt gegenüber eine Verantwortung hat. Denn “wir reden nicht nur links, sondern wir machen auch linke Politik”. Sie erzählte von einer Aktion am selben Vormittag vor dem Roten Rathaus, wo die Berliner WASGler 10 Euro Mindestlohn einforderte, auch für die Beschäftigten der PIN AG, einer Billiglohnfirma, die vom rot-roten Senat mit Postzustellungen beauftragt wird. Lucy Redler stellte anhand dieser Sache auch die Widersprüchlichkeit der Berliner Minderheit dar. Christine Buchholz (WASG-Bundesvorstand und Linksruck) hatte nämlich eine solche Aktion abgelehnt, da sie “bündnispolitisch nicht machbar” sei. Lucy Redler stellte die Frage: “Wer sind denn unsere Bündnispartner? Eine L.PDS im Senat? Oder sind unsere Bündnispartner die Beschäftigten bei der PIN AG, die Kolleginnen und Kollegen bei der Charite, die Erwerbslosen in der Stadt?!” Dies wurde mit stehendem Beifall und rhythmischem Klatschen beantwortet.

Christine Buchholz, wie bereits in ihrem Streitgespräch mit Lucy Redler in der jungen Welt deutlich wurde, hatte keine schlüssige Antwort darauf. Zunächst redete sie von einer Unterstellung, sagte dann aber, die Mindestlohnkampagne müsste mit der L.PDS gemeinsam geführt werden. Schön und gut, sagten sich die Delegierten, wie aber geht das, wenn die L.PDS doch selbst Verantwortung fur die Lohndrückerei durch die PIN AG trägt! Während Buchholz also in der Praxis eine Aktion ablehnte, die die Verantwortung des rot-roten Senats klar benennt, beschuldigte sie gleichzeitig die Berliner WASG-Mehrheit, dass sie den Druck auf die L.PDS “wegnehme” wenn sie sich außerhalb positioniere! Ein Delegierter bekam viel Beifall, als er ironisch bemerkte, man müsse “den Genossen Trotzki ja mal in Schutz nehmen, wenn sich Leute wie Buchholz und Linksruck auf ihn beziehen”.

Buchholz versuchte die Delegierten über das unterschiedliche Verständnis von Bündnispolitik zu belehren, denn “wie soll man denn realpolitisch die hunderte von Millionen Menschen für eine linke Politik gewinnen?” Es gäbe doch größere Feinde für uns als die L.PDS: Wenn wir keine Privatisierung und keinen Sozialabbau wollten, könnten wir doch nur gemeinsam etwas ändern. Dass das mit der Beteiligung an einer Regierung, die modellhaften Sozialkahlschlag betreibt, eben gerade nicht geht, machten eine Reihe von Delegierten mit exzellenten Redebeiträgen deutlich.

So erklärte Carsten Becker, Betriebsrat bei der Charite: Die L.PDS sitzt in der Charite im Aufsichtsrat und ist daran beteiligt, die Kolleginnen und Kollegen mit folgender Wahl zu erpressen: Entweder sie unterzeichnen eine massive Tarifabsenkung, oder es gibt Stellenabbau (zusätzlich zu dem, der bereits stattgefunden hat.) Er machte klar, bei ihm in der Charite wird es schwer sein, KollegInnen zu finden, die noch irgendeine Sympathie für die L.PDS hegen. Schon gar nicht könne er den KollegInnen in irgendeiner Weise nahebringen, dass es nötig sei mit dieser L.PDS eine Neue Linke aufzubauen! Daher kandidiert Carsten Becker für die WASG Berlin und wird auch weiterhin mit allen Mitteln dafür kämpfen, dass es diese Wahl-Alternative für seine KollegInnen geben wird (tosender Applaus folgte).

Monika Jeske stellte die Situation der Jugendlichen eindrucksvoll dar. Sie erzählte, dass sie seit einem Jahr auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz sei und immer wieder Absagen bekommt. Damit sei sie sicher nicht alleine. Sie habe allerdings nun eine Chance auf einen Platz bei der BVG oder den Wasserwerken. Doch hier wurde ihr schon jetzt deutlich gemacht, dass es auf Übernahme kaum Hoffnung gibt, denn es gibt nun seit mehreren Jahren Einstellungsstopp bei beiden Betrieben. Auch hier ist es ganz klar notwendig, eine kämpferische politische Alternative zu rot-roter Senatspolitik zu unterstützen.

Stehenden Beifall bekam auch Renate Herranen, die ebenfalls kandidiert und sich als Erzieherin sehr gut mit dem Bereich Kitas auskennt. Sie berichtete vom Privatisierungsprogramm des Senats im Kitabereich. Sie berichtete auch von einem Skandal, der bisher gegen die FDP vorgebracht wurde, nämlich dass Erwerbslose diskrimniert werden, indem ihnen nur eine Halbtags-Kitastelle zugestanden wird. Genau dasselbe hat nun auch der rot-rote Senat beschlossen. Sie brachte den Saal zum Toben als sie fragte, ob sie denn den Kindern sagen solle, das ist nunmal so, aber dafür gibt es eine neue Linke!

In keinem einzigen Beitrag nahmen die VertreterInnen des Bundesvorstands under der Berliner Minderheit Bezug auf die Beiträge der Delegierten, die mit konkreten Beispielen den Sozialabbau in Berlin durch den Senat anprangerten. Man bekam den Eindruck, dass ihnen die Erfahrungen von den KollegInnen bei Charite oder Kitas, wie auch das von Jugendlichen nicht sehr nahe sind. Die Beliner Delegierten wiesen provokative Äußerungen von Axel Troost, Mitglied vom Bundesvorstand und von der Bundestagsfraktion wie “wir werden erfolgreich verhindern, dass hier unter dem Namen der Bundes-WASG kandidiert wird” eindeutig und selbstbewusst zurück. Stattdessen Der Parteitag traf entsprechende Beschlüsse, die sowohl die Kandidatur bestätigen, wie auch dem Landesvorstand das politische Vertrauen aussprachen. Natürlich wird es jetzt auch um eine juristische Auseinandersetzung gehen, sowohl um die Frage der Absetzung des Landesvorstands als auch um die Frage der Kandidatur, da Aydin erklärt hat, die Wahlanzeige beim Landeswahlleiter zurückzuziehen. Politisch ist sich die Mehrheit der Berliner WASG einig und hat eindrucksvoll deutlich gemacht, dass sie es nicht aufgeben wird, die soziale Opposition und die “Neue Linke”, gemeinsam mit den vom Sozialabbau Betroffenen, weiter aufzubauen.