Der WASG Bundesparteitag findet in einer kritischen Situation des Neuformierungsprozesses der Linken statt. Die Mehrheit des Bundesvorstands hat in den vergangenen Wochen mehr Kraft in den Versuch gesteckt, eine Kandidatur der WASG Berlin zu den dortigen Abgeordnetenhauswahlen zu verhindern, als die unsoziale Politik der Berliner Linkspartei.PDS zu bekämpfen und die WASG bundesweit aufzubauen. Die Landtagswahlen brachten enttäuschende Ergebnisse, die darauf hinweisen, dass Wahlerfolge nur auf der Basis einer glaubwürdigen Verankerung vor Ort erreicht werden können. Die Kommunalwahlerfolge in einigen Städten Hessens weisen zumindest auf diese These hin.
Von Sascha Stanicic, Berlin
Der Bundesparteitag hat die Chance, einen Kurswechsel im Neuformierungsprozess einzuleiten. Dieser sollte auf breitere Beine gestellt und demokratisiert werden. Die Landesverbände müssen direkter in die entsprechenden Kommissionen eingebunden werden. Vor allem muss ein Weg gefunden werden, solche Kräfte der Gewerkschaften und sozialen Bewegungen, die zur Zeit noch außerhalb beider Parteien sind, als gleichberechtigte PartnerInnen in den Prozess einzubeziehen.
Doch es geht nicht nur um Fragen der Demokratie, sondern auch der politischen Grenzziehungen. Eine Neue Linke kann es nicht zu jedem Preis geben. Die WASG hat aus den Erfahrungen der Verbürgerlichung der SPD und der Entwicklung der PDS eine wichtige Schlussfolgerung gezogen: eine Regierungsbteiligung darf es nur geben, wenn dadurch ein Politikwechsel in Richtung der Grundsätze der WASG eingeleitet wird. Beteiligung an Regierungen, die Sozialabbau, Privatisierungen und Arbeitsplatzvernichtung betreiben darf es nicht geben. Dieser Grundsatz darf in den Verhandlungen mit der LP.PDS nicht zur Disposition gestellt werden. Eine PDS plus wäre zum Scheitern verurteilt.
Ein weiteres zentrales Thema werden die anstehenden Wahlkämpfe in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern sein. Auch hier gilt, dass die Verteidigung der demokratischen Rechte der Landesverbände im Mittelpunkt stehen muss. Das heißt: der Bundesparteitag sollte unmissverständlich klar machen, dass die Frage der Wahlteilnahme zwar auf allen Ebenen der Bundespartei diskutiert werden kann und soll, aber in den Bundesländern die Entscheidungen gefällt werden und diese von der Bundespartei und dem Bundesvorstand akzeptiert werden müssen.
Tagesordnung und Frage der BuVo-Wahl
Es ist zu erwarten, dass der Bundesparteitag mit einem Konflikt über die Tagesordnung beginnen wird. Es liegen diverse Anträge vor, die in der einen oder anderen Form eine Neuwahl des Bundesvorstands auf diesem Parteitag fordern.
Eine schnellstmögliche Neuwahl des Bundesvorstands ist zweifelsfrei eine Notwendigkeit. Der amtierende Vorstand hat in weiten Teilen der Mitgliedschaft das Vertrauen verloren. Die niedrige Beteiligung an der bundesweiten Urabstimmung drückt das aus.
Es muss aber verhindert werden, dass der Parteitag chaotisiert wird bzw. satzungswidrige Entscheidungen gefällt werden. Eine ordentliche Neuwahl des Bundesvorstands ist auf diesem Parteitag nicht möglich, weil dazu entsprechende fristgerechte Einladungen hätten verschickt werden müssen. Jede Entscheidung, die dies ignoriert, würde die Anfechtung des gesamten Parteitags provozieren, der sicherlich stattgegeben würde.
Die einzige Möglichkeit wäre ein Rücktritt der Bundesvorstandsmitglieder und eine faktische Neuwahl, deklariert als Nachwahl. Nun ist der Tagesordnungspunkt „Nachwahl“ Teil der Einladung ohne dass die Anzahl der zu wählenden Vorstandsposten bekannt gegeben worden wäre. Ein Rücktritt kann aber nicht per Beschluss erwirkt werden, sondern kann nur freiwillig geschehen. Es muss auch bedacht werden, dass sich die Mitgliedschaft gar nicht auf eine Neuwahl vorbereiten konnte und eine sinnvolle Kandidatenfindung nicht möglich war.
Im Interesse eines satzungskonformen und konstruktiven Ablaufs des Parteitags sollte deshalb ein Beschluss vorgeschlagen werden, schnellstmöglich einen Wahlparteitag einzuberufen. Dieser sollte unmittelbar nach der in den Kreisverbänden anstehenden Neuwahl der Delegierten stattfinden.
Der Parteitag hat die Möglichkeit die Zusammensetzung des Bundesvorstands durch wahrscheinlich vier Nachwahlen (mir sind angekündigte bzw. vollzogene Rücktritte der KollegInnen Troost, Hagen, Cakir und Bozkurt bekannt) zu verändern. Dies sollte er nutzen.
Berlin-Frage
Die entscheidende Auseinandersetzung wird um den Wahlantritt der Berliner WASG gehen. Axel Troost hat am 6.4. angekündigt, dass der Bundesvorstand eigenmächtig die Wahlbeteiligungsanzeige der Berliner WASG zurückziehen wird, sollte der Landesparteitag am 22. und 23.4. keinen entsprechenden Beschluss fassen. Eine solche Maßnahme ist zwar nach Paragraph 7 der Satzung möglich, es ist aber äußerst fraglich, ob sie vor einem ordentlichen Gericht Bestand haben würde. Fraglich ist auch, ob die Mehrheit des Bundesvorstands einen solchen Schritt tatsächlich gehen wird. Fünf BuVo-Mitglieder (Bischoff, Cakir, Lösing, Radke, Zerhau) haben sich ebenfalls am 6.4. gegen administrative Eingriffe ausgesprochen. Es ist zu erwarten, dass auch Rainer Spilker und Thies Gleiss sich gegen solche Maßnahmen wenden werden. Und auch Thomas Händel hatte sich in der Vergangenheit gegen administrative Maßnahmen ausgesprochen.
Deshalb muss unbedingt ein Initiativantrag erarbeitet werden, der – analog zur Beschlussfassung in vielen Landesverbänden – sich gegen administrative Maßnahmen ausspricht und dem Bundesvorstand auferlegt, solche nicht zu tätigen bzw. zurückzunehmen. Ein solcher Antrag sollte in den verbleibenden zwei Wochen vor dem Bundesparteitag breit kommuniziert und Unterstützungsunterschriften unter Delegierten gesammelt werden. Ein Erfolg in dieser Frage wäre ein wichtiges Signal für die Bewahrung demokratischer Strukturen und Entscheidungsprozesse in der WASG und einer neuen Linkspartei.
Natürlich wird auch die politische Auseinandersetzung über den eingeschlagenen Kurs der Berliner WASG eine wichtige Rolle spielen. Hier liegt aus verschiedenen Kreisverbänden ein gleichlautender Antrag vor (B 04-19 u.a.), der die Position des Berliner Landesverbandes im Kern unterstützt und ein Antrag des Kreisverbandes Köln (B 01-075), der die Berliner WASG auffordert, nicht eigenständig anzutreten. Ebenfalls liegt ein Antrag aus Bremen vor, der einen eigenständigen Wahlantritt der Berliner WASG unterstützt, sollte die LP.PDS Berlin keine "deutliche Abkehr von ihrem bisherigen Kurs" zeigen.
Von entscheidender Bedeutung wird in der Debatte über diese Anträge die Bewertung der gemeinsamen Erklärung von WASG Bundesvorstand und dem LP.PDS Landesvorstand Berlin vom 6. April sein. Die darin enthaltenen Positionen klingen gut und links, gehen aber nicht über vage Absichtserklärungen hinaus. Sie lassen weiterhin Arbeitsplatzabbau im öffentlichen Dienst und Privatisierungen zum Beispiel von Wohnungen offen. Vor allem werden keine konkreten Maßnahmen der LP.PDS-Abgeordneten und Senatoren in den nächsten Wochen angekündigt. Die Forderung der Berliner WASG "Taten statt Worte" wird also nicht entsprochen. Vor diesem Hintergrund kann von einem grundlegenden Bruch der LP.PDS mit ihrer bisherigen Politik keine Rede sein und offensichtlich wird auch die Koalition mit der SPD nicht in Frage gestellt. Die tatsächliche Bedeutung des Inhalts der gemeinsamen Erklärung von WASG-BuVo und LP.PDS-LaVo muss im Vorfeld des Bundesparteitags breit in der WASG vermittelt und diskutiert werden, damit die Delegierten sich nicht durch schöne Worte blenden lassen.
In jedem Fall muss aber sicher gestellt werden, dass die Frage administrativer Maßnahmen gegen den Landesverband Berlin (und in dessen Gefolge dann auch gegen den Landesverband Mecklenburg-Vorpommern) getrennt von den Anträgen zur inhaltlichen Positionierung zu den entsprechenden Wahlen behandelt wird. In diesem Zusammenhang sind auch entsprechende Änderungsanträge aus Berlin zum Leitantrag des Bundesvorstands von großer Bedeutung, denn in diesem sollen konkurrierende Kandidaturen faktisch ausgeschlossen werden.
Parteibildungsprozess und Kooperationsabkommen III
Der Neuformierungsprozess der Linken wird im Mittelpunkt des Parteitags stehen. Hier wird vor allem der Leitantrag des Bundesvorstands und verschiedene Anträge zum Kooperationsabkommen III von Interesse sein. Von großer Wichtigkeit ist aber der Antrag PB 06 – 007 des Landesverbands Berlin. Dieser sieht alternative Vorschläge für den Parteibildungsprozess vor und ist faktisch ein Gegenentwurf zum Kooperationsabkommen III. Im Antrag der Berliner wird eine Demokratisierung des Neuformierungsprozesses unter breiterer Einbeziehung der Basis und von Kräften, die sich zur Zeit außerhakb beider Parteien befinden, gefordert. Eine Mehrheit für diesen Antrag wäre ein wichtiges Signal und könnte den neuformierungsprozess auf eine neue Basis stellen. Dazu sollte auch darauf bestanden werden, dass der Antrag nicht alternativ zum Leitantrag des Bundesvorstands abgestimmt wird, denn als solcher ist er nicht zu verstehen.
Hinsichtlich des Leitantrags hat auch der Berliner Landesverband mit dem Antrag PB 02 – 249 wichtige Änderungen formuliert, um deren Annahme gekämpft werden sollte. Diese beinhalten vor allem eine politische Ablehnung des Kooperationsabkommens III, die Möglichkeit eigenständiger WASG-Kandidaturen, wenn mit der LP.PDS keine gemeinsame Kandidatur auf anti-neoliberaler Grundlage möglich ist und eine Bestätigung des WASG-Grundsatzes, dass Regierungsbeteiligungen nur in Frage kommen, wenn dies zu einem grundlegenden Politikwechsel in Richtung unserer Forderungen führt.
Zum Kooperationsabkommen III gibt es viele Anträge, die mit unterschiedlichen Formulierungen eine Zurückweisung festschreiben wollen. Es ist die Aufgabe der Antragberatungskommission diese zusammen zu fassen. Darauf kann man sich aber nicht verlassen und ggf. müssen die AntragstellerInnen sich auf einen Text einigen. Eine alternative Abstimmung zwischen "Missbilligung", "Aufkündigung" und "Ablehnung" des Kooperationsabkommens III darf in keinem Fall akzeptiert werden.
Doppelmitgliedschaften, Delegiertenwahlen und Länderrat
Die Anträge zu Satzungsfragen konzentrieren sich auf Doppelmitgliedschaften, Delegiertenwahlen und Länderrats-Zusammensetzung.
Der Antrag S 06-126 der Bezirksgruppe Berlin-Friedrichshain/Kreuzberg beinhaltet eine Dezentralisierung der Entscheidung über Doppelmitgliedschaften. Diese sollen grundsätzlich möglich sein, aber durch Landessatzungen ausgeschlossen werden können. Dem sollte zugestimmt werden, da dadurch auf die konkreten entstandenen Probleme in einigen Landesverbänden eingegangen werden kann.
Es ist klar, dass Neuwahlen der Bundesparteitagsdelegierten in den Kreisverbänden durchgeführt werden müssen, denn die Mitgliedschaft ist seit den letzten Wahlen deutlich gewachsen. Der Antrag S33-218 aus Berlin-Neukölln sollte angenommen werden, da dieser die Möglichkeit der Abwahl von Delegierten vorsieht. Dies ist zum Beispiel in Berlin ein erhebliches Problem, denn die Mehrheit der Bundesparteitags-Delegierten repräsentiert nicht mehr die Mehrheit der Berliner Mitgliedschaft.
Zur Zusammensetzung des Länderrats gibt es erheblichen Diskussionsbedarf, weil der Bundesvorstand zur Zeit ein sehr hohes Gewicht in diesem Gremium hat und in der Vergangenheit Entscheidungen nicht den Willen der Mehrheit der LändervertreterInnen ausgedrückt haben, sondern den Willen der Bundesvorstands-Mehrheit und einer Minderheit der LändervertreterInnen. Der Bundesvorstand schlägt nun vor, dass dieses Stimmrecht entfällt und der Länderrat deutlich vergrößert wird. Dies würde jedoch Neuwahlen der LänderratsvertreterInnen in allen Landesverbänden nötig machen, was sich wiederum um einige Monate verzögern könnte. Folge des BuVo-Antrags wäre also, dass für einen längeren Zeitraum kein Länderrat existiert und dieser ein erstes Mal möglicherweise nur durch Einberufung durch den Bundesvorstand zusammentreten kann. In einer so angespannten Situation, in der der Länderrat ein wichtiges Korrektiv zum Bundesvorstand sein kann und muss, ist ein solcher Vorschlag abzulehnen, auch wenn im Prinzip eine Vergrößerung des Gremiums sinnvoll ist. Unter den gegebenen Voraussetzungen sollte aber der Antrag S53-077 zugestimmt werden, der das Stimmrecht von Bundesvorstands-Mitgliedern auf vier VertreterInnen beschränkt.
Sonstige Anträge
Sehr wahrscheinlich werden auf dem Bundesparteitag nur die Anträge zum Parteibildungsprozess/Landtagswahlen und zur Satzung behandelt. Unter den sonstigen Anträgen befindet sich jedoch ein Antrag, auf dessen Behandlung bestanden werden sollte. Der Antrag O29-053 verlangt den Schutz des Begriffs "WASG". Nun gibt es Gerüchte, dass die Rechte am Begriff "WASG" schon in den Händen von Privatleuten sind. Die Behandlung dieses Antrags könnte zur Aufklärung der Frage beitragen.
Abgesehen davon liegen interessante und wichtige Anträge zum Programm und Fragen der aktuellen Politik vor. Insbesondere die Anträge P 12-202 und P18-205 werfen wichtige Fragen nach den Eigentumsverhältnissen in unserer Gesellschaft auf. Sie fordern die Re-Verstaatlichung der privatisierten Infrastruktur und die Überführung der Energiekonzerne in öffentliches Eigentum.