Nach der bundesweiten Urabstimmung der WASG sind mehr als 10.000 Euro weg – und nichts geklärt. Ein „weiter so“ des Bundesvorstands vergrößert die Spannungen in der WASG und verkompliziert den Neuformierungsprozess der Linken. Jetzt muss umgesteuert werden.
von Sascha Stanicic und Stephan Kimmerle
57 Prozent der Mitglieder beteiligten sich an der bundesweiten Urabstimmung. Mehr als drei Viertel von ihnen sagten:"Ich bin dafür den Parteibildungsprozess zwischen WASG und Linkspartei unter Einbeziehung der sozialen Bewegungen fortzusetzen. Am Ende dieses Prozesses soll eine neue linke gesamtdeutsche Partei stehen. Ich fordere den Bundesvorstand auf, bis Herbst 2006 den Mitgliedern Vorschläge für ein Programm, eine Satzung und den zeitlichen und organisatorischen Ablauf der Neubildung einer linken Partei zur Diskussion vorzulegen." So zumindest die Formulierung.
Eine Frage, der sicherlich mehr als die knapp 5.300 der 12.000 WASG-Mitglieder zustimmen könnten, die auf ihrem Stimmzettel ihre Zustimmung äußerten. Wäre da nicht das Kleingedruckte auf dem Wahlzettel und die „Interpretationshilfen“ gewesen, die bis zur Äußerung Bodo Ramelows, des L.PDS-Fusionsbeauftragten, reichten, „nach der Mitgliederbefragung habe der WASG- Vorstand jede Handhabe, "um die Berliner zum Rückzug von einer eigenständigen Landtagskandidatur zu zwingen, sie in die Schranken zu weisen oder einen neuen Landesverband zu gründen"“ (Saarbrücker Zeitung, 2. März).
Trotz Mobilisierung zur Urabstimmung via erstmaligem Versand einer Mitgliederzeitung und einem Brief von Lafontaine und Gysi blieb umstritten, was mit der Urabstimmung bezweckt werden sollte – und die Wahlbeteiligung mau. Nicht umsonst hatten im Vorfeld acht Landesvorstände ihre KollegInnen in Hessen, Bayern und Rheinland-Pfalz aufgefordert, auf das Plebiszit zu verzichten.
Auch mit dem jetzigen Ergebnis isf klar: Ja, die WASG versteht sich nach wie vor als Sammlungsbewegung und tritt für die Neuformierung der Linken – auch unter Einschluss der Linkspartei.PDS – ein. Doch jenseits davon spaltet der Kurs des Bundesvorstands die Mitgliedschaft, bringt diesen Prozess in eine Krise und hilft nicht, die politischen Fragen der Neuformierung zu klären.
Inhaltliche Fragen von Sozialabbau und Privatisierungen
Thomas Händel, Mitglied im geschäftsführenden Bundesvorstand, wertete das Abstimmungsergebnis als „einen eindeutigen Auftrag an den kommenden Parteitag der WASG, den begonnenen Weg fortzusetzen, zu gestalten und zu konkretisieren.“ Fakt ist, dass im Neuformierungsprozess endlich politische Fragen in den Mittelpunkt rücken: Fast einhellig wird der Ausverkauf der 48.000 Wohnungen in Dresden kritisiert. Gleiches muss dann auch für Tarifflucht und Absenkungstarifverträge in Berlin gelten. Eine klare Position der künftigen Partei gegen die Politik des vermeintlich „kleineren Übels“ muss erstritten werden.
Und dieser Prozess wurde durch die Debatten um einen eigenständigen Wahlantritt der WASG in Berlin forciert. Auch der Bundesvorstand äußert sich mittlerweile zu diesen Fragen. Lafontaine spricht von „Haltelinien“ linker Politik. Konsequent ist dann, nicht nur abstrakt, programmatisch darüber zu reden, sondern in Berlin eine klare Positionierung vorzunehmen: Die Politik, die die L.PDS im Berliner Senat mitträgt ist eine massive Belastung für den Neuformierungsprozess. Eine Fortsetzung von Absenkungstarifverträgen sowie der Privatisierungen von Wohnungen, Kitas, Teilen der Kliniken und zum Beispiel der für die nächsten Jahre geplante Abbau von 5.000 Stellen allein im Gesundheitswesen (bei Charite und Vivantes) bedroht die Glaubwürdigkeit der neuen Linken – existenziell.
Nötig ist eine Positionierung des Bundesvorstands: Ohne Streit um die elementaren Positionen linker Politik kann es den Zusammenschluss nicht geben. Die WASG ist gefordert unter Einbeziehung von AktivistInnen aus Betrieben, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen gegenüber der L.PDS, dem Partner im Neuformierungsprozess, klar zu machen:
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Mit der neuen Linken darf es keine Privatisierungen, keinen Lohnraub, keine Arbeitszeitverlängerung, keinen Sozialabbau, keine Absenkungstarifverträge geben.
Wir stehen nicht zur Verfügung für die Politik eines Übels, ob kleiner oder größer.
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Für uns gilt nach wie vor die Position unseres Gründungsprogramms: „Wir sind die Opposition gegen die herrschende, neoliberal bestimmte Politik. An einer Regierung in Land oder Bund werden wir uns nur dann beteiligen, wenn dies zu einem grundlegenden Politikwechsel in Richtung unserer Forderungen führt.“
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Das bedeutet in Berlin: Entweder es gelingt eine grundlegende Kurskorrektur, der rot-rote Senat verabschiedet sich in Worten und Taten von Stellenabbau, Privatisierungen und Absenkungstarifverträgen – oder die Koalition mit der SPD findet mangels Gemeinsamkeiten ihr Ende.
Eine linke Partei, die sich den Sachzwängen des Kapitalismus entziehen will benötigt Alternativen zum Profit-System. Die Neuformierung ist auch eine Chance, die Diskussion über sozialistische Ideen und eine Gesellschaft jenseit von Konkurrenz und Ausbeutung zu führen.
Spaltung der WASG?
Die Urabstimmung wurde in den Kontext gestellt, den widerspenstigen Landesverbänden in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern zu zeigen, wo der Hammer hängt. So wird Björn Radke, Mitglied im Bundesvorstand, bei der Bekanntgabe der Urabstimmungsergebnisse widergegeben: „Radke kündigte neue Gespräche mit den beiden Landesverbänden an. Deren Verhalten sei angesichts der Mehrheitsmeinung in der WASG "inakzeptabel"“ (Mittelbayrische, Donau.de, 2. April). Die niedrige Wahlbeteiligung macht eher deutlich, dass die Fragestellung alles andere als klärend war und die damit verbundenen Ziele zwischen den Zeilen nicht einfach Mehrheitsmeinung sind. Eine Grundlage für administrative Maßnahmen gibt dieses Ergebnis nicht her.
Der Berliner Landesverband hat mehrfach seine Unterstützung für das bundesweite Projekt einer neuen Linken formuliert. Auch der Berliner Landesverband ist „dafür den Parteibildungsprozess zwischen WASG und Linkspartei unter Einbeziehung der sozialen Bewegungen fortzusetzen“ (Text der Urabstimmung).
Das Problem in Berlin: Die L.PDS hält nach wie vor an ihrem Kurs der Regierungsbeteiligung im Sinne der Umsetzung der neoliberalen Vorgaben der Bundesregierung mit den Folgen von Tarifflucht, Sozialabbau und Privatisierungen fest. Aus ihrer Sicht soll der „große Erfolg“ (Blossiner Erklärung der L.PDS-Landesvorstände Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt) fortgesetzt werden.
Eine gemeinsame Kandidatur für den Ausverkauf von Wohnungen (aktuell: 1.700), Stellenabbau im öffentlichen Dienst (geplant unter SPD-PDS-Regie neben den Krankenhäusern auch im öffentlichen Nahverkehr) wird es mit der WASG Berlin nicht geben.
Die Option, jetzt an der Seite von Charite-Beschäftigten zu stehen, die sich gegen den Senat wehren, und bei der Wahl am 17. September den Mund zu halten und zuzuschauen, wie Vertreter der Minderheit der Berliner WASG auf den Listen der L.PDS Wahlkampf für eine Fortsetzung der SPD-PDS-Koalition machen – das ist Unglaubwürdig und zerstört die Unterstützung, die sich die WASG aufgebaut hat.
Damit bewegt sich die WASG Berlin auf dem Gründungskonsens der Wahlalternative bundesweit. Das ist kein Spalter- oder Sektiererkurs. Berlin rückt nur deshalb in den Mittelpunkt der Debatte, weil der Bundesvorstand der WASG die grundlegenden Positionen der WASG nicht selbst gegenüber der L.PDS lautstark vertritt.
Radkes Haltung, die Berliner Position sei „inakzeptabel“ schürt die innerparteiliche Zerrissenheit, statt die gemeinsame Diskussion zu suchen. Auch hier: Ein Kurswechsel ist nötig.
Ausweg aus der Krise der Neuformierung
Die WASG und der Neuformierungsprozess stecken in einer Krise: Drei Landesvorstände drücken eine Urabstimmung gegen acht andere durch; die Mitgliedschaft wird bei komplexen Fragen zu einer „Ja oder Nein“-Frage genötigt, statt die Inhalte zu diskutieren; der Bundesvorstand sucht sich seine Gegner in den eigenen Reihen, in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern; die L.PDS-Spitze setzt auf bürokratische, administrative Maßnahmen innerhalb der WASG („Neugründung“ des Berliner Landesverbands), statt sich der inhaltlichen Diskussion zu stellen; Bodo Ramelow gefällt sich in der Rolle des Kommandeurs („Es wird keine konkurrierenden Antritte geben“).
Im Interesse einer neuen Linken: Ein Ausweg muss gefunden werden. Schritte dazu wären:
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Die Diskussion über die Inhalte der Neuformierung werden breit in den beiden Parteien auf allen Ebenen und endlich „unter Einbeziehung der sozialen Bewegungen“ (Urabstimmungstext) geführt. Dazu finden auf allen Ebenen offene Konferenzen und Diskussionen statt. Die Landesverbände werden zum Beispiel mit mehreren von ihnen gewählten VertreterInnen in die Steuerungsgruppen einbezogen. Zu den Kernpunkten der Debatte müssten folgende Punkte gehören: Zu den „Haltelinien“, das heißt Mindeststandards, linker Politik gehören die Absage an Privatisierungen und Sozialabbau, gleich welcher Art. Das gilt in Bund, Ländern und Kommunen. Kürzungen und Ausverkauf in sozial verträglichen Dosen gibt es nicht. Die Beteiligung an Regierungen oder kommunalen Entscheidungen ist diesem Grundsatz unterzuordnen.
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Die Konflikte bezüglich Regierungsbeteiligungen werden diskutiert statt, wie von Ramelow gefordert, wegkommandiert. Diktate funktionieren nicht. Daher: Definitiver Verzicht auf administrative Maßnahmen gegen den Berliner oder Mecklenburg-Vorpommerschen Verband aufgrund deren Wahlbeteiligung am 17. September. Administrative Maßnahmen schaden der Sammlungsbewegung. Sind keine inhaltlichen Einigungen möglich, so gehört dazu auch, konkurrierende Wahlantritte auszuhalten.
Der WASG-Bundesparteitag Ende April wird sich dieser Fragen annehmen müssen.