Perspektiven für die WASG und die Neuformierung der Linken

Die WASG vor dem Bundesparteitag am 29. und 30. April
 

Als sich die WASG im Sommer letzten Jahres entschieden hatte, KandidatInnen auf die Listen der Linkspartei.PDS zur Bundestagswahl zu entsenden, sprachen wir eine Warnung aus. Wir haben darauf hingewiesen, dass ein Zusammengehen mit einer Partei, die in zwei Landesregierungen und in vielen Kommunalparlamenten an Sozialkürzungen beteiligt ist, die Grundsätze der WASG in Frage stellen wird. Genau dies geschieht gerade und bildet den Kern der Krise der Neuformierung der Linken.

von Sascha Stanicic, SAV-Bundessprecher, Berlin

Dieser Kern wird durch die Propagandamaschine der Bundesvorstände von Linkspartei.PDS und WASG, Oskar Lafontaine und der Bundestagsfraktion und den in der Initiative Rixdorf zusammengeschlossenen bundesvorstandstreuen Berliner WASG-Mitgliedern verdeckt. Sie argumentieren, dass Kritik an der von der Linkspartei.PDS mitgetragenen Politik des Berliner Senats ja berechtigt sei, dies aber nicht die Neue Linke gefährden dürfe. Schon in dieser Argumentation werden die Dinge auf den Kopf gestellt. Denn nicht die Kritik am Senat von SPD und Linkspartei. PDS gefährdet die Neue Linke, sondern die Linkspartei.PDS-Politik in Berlin steht im Widerspruch zu linker Politik.

Lafontaines Linie

Oskar Lafontaines offensives Auftreten gegen Privatisierungen, Sozialabbau und gegen Stellenstreichungen im öffentlichen Dienst ist zu begrüßen. Diese Eckpunkte entsprechen dem Konsens in der WASG, sich nur an einer Regierung im Bund und im Land zu beteiligen, wenn diese zu einem Politikwechsel in Richtung der Grundsätze der Partei führt. Die Linkspartei.PDS macht in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern das genaue Gegenteil. Lafontaine stellt das gern als Fehler der Vergangenheit dar. Gleichzeitig rechtfertigt er aber die Senatspolitik, weil eine andere Regierungskoalition mehr privatisiert und mehr soziale Leistungen gekürzt hätte.

Die WASG Berlin hält dem entgegen: Das kleinere Übel ist vor allem ein Übel!

Es ist leider auch nicht wahr, dass es in der Linkspartei.PDS eine Positionsveränderung gegeben hätte. Tatsache ist, dass die Spitzen der Ostverbände der Linkspartei.PDS – ohne eine kritische Bilanz der Regierungsbeteiligungen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern zu ziehen – erklärt haben, in möglichst viele Landesregierungen eintreten zu wollen. Tatsache ist auch, dass die Berliner Linkspartei.PDS-Führung ihre Senatspolitik fortsetzen will.

Lafontaine begibt sich in einen unlösbaren Widerspruch, wenn er einerseits gegen Sozialkürzungen spricht und gleichzeitig erklärt, er werde Wahlkampf für die Links-partei.PDS in Berlin machen. In einem offenen Brief hatte ich Oskar Lafontaine unter anderem folgende Frage gestellt: „Zu wieviel Sozialabbau und Privatisierungen bist du bereit, wenn andere Parteien erklären, sie würden es noch schlimmer machen, könnten sie die Regierung bilden?“ Eine Antwort habe ich nicht erhalten.

Konflikt nötig

Die Kandidatur der Berliner WASG ist Teil einer notwendigen Auseinandersetzung im Neuformierungsprozess der Linken. Die Linkspartei.PDS war auf Grund ihrer Politik eine Partei auf dem absteigenden Ast, bevor Lafontaine zur Vereinigung von WASG und Linkspartei.PDS aufrief. Neben dem Stallgeruch des Stalinismus, den sie nicht los wird, weil sie keinen ausreichenden Bruch mit der DDR vollzogen hat, war ihre Anpassung an die Politik der SPD dafür der Grund. Gerade in den Bundesländern, in denen sie in Landesregierungen eingetreten ist, verlor sie die meiste Unterstützung.

Eine neue linke Partei kann nur erfolgreich sein, wenn sie mit dieser Politik bricht. Folgt sie dem von der Linkspartei.PDS eingeschlagenen Weg, wird sie die in sie gesetzten Hoffnungen von Millionen Menschen schnell enttäuschen und nicht zur Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse beitragen.

Der Kampf um die politische Ausrichtung der Linken muss deshalb jetzt geführt werden und darf nicht durch eine überhastete Fusion faktisch beendet werden.

Anstatt die Berliner WASG zu verteufeln und ihr den unberechtigten Vorwurf des „Sektierertums“ zu machen, hätte die WASG-Führung sachlich darauf hinweisen können, dass die Berliner Situation leider Ausdruck ungeklärter Fragen im Parteibildungsprozess ist. Sie hätte die Berliner Linkspartei.PDS offensiv zum politischen Kurswechsel auffordern sollen und von der Bundesführung der Linkspartei. PDS ebenso eine klare Stellungnahme zur Berlin-Politik einfordern sollen. Dann hätte sie darauf hinweisen sollen, dass trotz konkurrierender Kandidaturen die Neuformierung der Linken weiter geht, diese aber feste politische Grundsätze braucht. So hätte sie in der inhaltlichen Auseinandersetzung in die Offensive kommen können.

Spaltung?

Statt dessen drohen WASG-Spitzenfunktionäre unverhohlen mit Ordnungsmaßnahmen gegen den Berliner Landesverband. Und einige finden plötzlich inhaltliche Nähe zur Berliner Linkspartei.PDS-Politik. Axel Troost bekundete Unterstützung für den Austritt des Landes Berlin aus dem kommunalen Arbeitgeberverband, der zu Tarifflucht und massiven Lohnsenkungen führte.

Es ist zu befürchten, dass die Spitzen von Linkspartei.PDS, Bundestagsfraktion und zumindest ein Teil der WASG-Führung bereit sind, demokratische Prinzipien und einen Großteil der WASG-Mitglieder zu opfern, um einen schnellen Zusammenschluss beider Parteien ohne Infragestellung der Linkspartei. PDS-Praxis zu erreichen.

Die Art und Weise, wie die bundesweite Urabstimmung gegen den Widerstand von acht Landesverbänden durchgesetzt wurde, deutet darauf genauso hin, wie das Ultimatum an den Landesvorstand Berlin, den Beschluss des Landesparteitags zu brechen und die Wahlbeteiligungsanzeige wieder zurück zu nehmen. Die einseitige Informationspolitik durch den bundesweiten Newsletter und die Mitgliederzeitung steht auch im Widerspruch zu tatsächlich demokratischen und pluralistischen Prinzipien.

Bundesparteitag

Diesem bürokratischen Vorgehen muss Einhalt geboten werden. Dazu hat der Bundesparteitag der WASG am 29. und 30. April die Gelegenheit. Welche Aufgaben stellen sich den Delegierten?

1. Der Parteitag sollte das demokratische Votum der Berliner WASG akzeptieren und zur Unterstützung des Wahlkampfes in Berlin aufrufen. Gleichzeitig sollte er den Bundesvorstand anweisen, auf jegliche Ordnungsmaßnahmen zu verzichten, beziehungsweise bereits getätigte Ordnungsmaßnahmen wieder aufheben.

2. Der Parteitag sollte Beschlüsse fassen, die eine Demokratisierung des Neuformierungsprozesses zum Ziel haben. Die entsprechenden Kommissionen müssen ausgeweitet und durch die Landesverbände zusammengesetzt werden. Ebenso sollte ein Weg vorgeschlagen werden, Akteure aus den sozialen Bewegungen und Gewerkschaften in den Neuformierungsprozess einzubeziehen. Einer reinen Fusion zwischen WASG und Linkspartei. PDS oder gar einem Anschluss der WASG an die Linkspartei.PDS muss eine Absage erteilt werden! Das muss auch bedeuten, dass das Kooperationsabkommen III nicht nachträglich legitimiert wird.

3. Der Grundsatz der WASG, sich an keiner Regierung zu beteiligen, die Sozialabbau, Privatisierungen und Arbeitsplatzvernichtung betreibt, muss bekräftigt werden und als eine wichtige Voraussetzung für die Bildung einer neuen Partei in den Neuformierungsprozess eingebracht werden.

4. Es muss sicher gestellt werden, dass schnellstmöglich ein Parteitag zur Neuwahl des Bundesvorstands durchgeführt wird.

5. Es müssen Vorschläge für Kampagnen der WASG und der Bundestagsfraktion erarbeitet werden, damit die Partei mit ihren Inhalten nach außen tritt. Eine Möglichkeit ist eine Kampagne zur Unterstützung der bundesweiten Demonstration gegen Sozialabbau am 3. Juni in Berlin.

Wie weiter?

Die Linke befindet sich in einer höchst widersprüchlichen Situation. Die Gründung der WASG, Lafontaines Austritt aus der SPD und der Wahlerfolg bei den Bundestagswahlen haben die Idee einer neuen Partei für Beschäftigte und Erwerbslose in den Köpfen von Millionen verankert. Lafontaines radikale Kritik an den real existierenden kapitalistischen Verhältnissen treibt diesen Prozess in der Masse der Bevölkerung weiter voran. Die schwierigen Auseinandersetzungen innerhalb der Linken und die „Berlin-Frage“ wird bundesweit nur von einer Minderheit der sich politisierenden Massen wahrgenommen.

Bei aller berechtigten Empörung über die Vorgehensweise der verschiedenen Spitzenkräfte in WASG und Linkspartei.PDS – die linken KritikerInnen dürfen sich aus diesem wichtigen Prozess des Wiederaufbaus der Arbeiterbewegung nicht zurückziehen. Sie sollten stattdessen versuchen, sich stärker in die Debatten um die politische Ausrichtung der Linken einzubringen.

Ein Wahlerfolg der Berliner WASG im Herbst kann dazu einen großen Beitrag leisten. Denn er würde beweisen, dass es eine Alternative zur politischen Anpassung à la Linkspartei.PDS gibt. Die Linke innerhalb der Neuen Linken würde gestärkt, die Karten beim Parteibildungsprozess neu gemischt.

Erklärung des Landesvorstands der WASG Berlin zum Ergebnis der Urabstimmung und des Landesparteitages

„Nach monatelanger intensiver Debatte hat die Berliner WASG in zwei demokratischen Abstimmungen entschieden, bei den Abgeordnetenhauswahlen am 17. September eigenständig anzutreten.

Bei unserem Landesparteitag votierten 91 Delegierte für den eigenständigen Antritt und 39 dagegen. Diese Delegierten wurden im Herbst 2005 gewählt, als der Mitgliederstand bei circa 700 lag (im Vergleich zu 860 heute). An den Delegiertenwahlen nahmen über 50 Prozent der Mitglieder teil. Entgegen anderslautender Behauptungen repräsentieren die Delegierten die große Mehrheit auch der heutigen Mitgliedschaft.

In einer Urabstimmung unter den Mitgliedern votierten 272 für und 245 gegen einen eigenständigen Antritt, zehn enthielten sich.

Es gab mit 64 Stimmzetteln eine relativ hohe Zahl ungültiger Stimmen. Nach den Ausführungsbestimmungen zur Urabstimmung werden ungültige Stimmen nicht gezählt. Diese wurden in ihrer großen Mehrheit als ungültig gewertet, weil Stimmzettel und eidesstattliche Erklärung nicht in getrennten Umschlägen abgegeben worden waren. Es handelt sich also nicht um bewusst ungültig gekennzeichnete Stimmzettel, die man als politische Willensbekundung interpretieren könnte. Die Interpretation von Klaus Ernst und Bodo Ramelow, es gebe keine Mehrheit für einen eigenständigen Antritt ist daher falsch.

Diese Mehrheit wurde trotz einer massiven Kampagne von Oskar Lafontaine, Bodo Ramelow und anderen Führungsfiguren aus WASG und Linkspartei.PDS erreicht. Diese Kampagne arbeitete vor allem mit der nicht zutreffenden Unterstellung, die Berliner WASG wolle keine neue Linke in der Bundesrepublik. Dies hat zweifellos Mitglieder der Berliner WASG verunsichert. Hinzu kommt, dass rund vierzig Mitglieder der WASG Doppelmitglieder sind. (…)

Wir haben in verschiedenen Verhandlungen und öffentlichen Foren die Debatte mit der Linkspartei.PDS gesucht, obwohl die Bereitschaft auf ihrer Seite dazu nicht sehr ausgeprägt war. Wir mussten feststellen, dass die Linkspar-tei.PDS von ihrer politischen Linie nicht abweicht. (…)

Wir fordern den Bundesvorstand der WASG auf, unsere demokratisch gefasste Entscheidung zu akzeptieren und uns im Wahlkampf zu unterstützen. Wir setzen darauf, in dieser Auseinandersetzung für die ureigensten Ziele der WASG auch in unserem Landesverband die Reihen zu schließen und in solidarischem Streit neue MitkämpferInnen gewinnen zu können. Wir werden einen Beitrag dazu leisten, mit einer gestärkten WASG eine starke neue Linke auf antineoliberaler Grundlage zu bilden.“

Berlin, 9. März

Warum ein Nicht-Antritt der WASG Berlin keine Alternative ist

Thies Gleiss vom WASG-Bundesvorstand und andere innerhalb der WASG teilen die Kritik der Berliner WASG an der Politik der Linkspartei.PDS im „rot-roten“ Senat. Ihrer Meinung nach kann die WASG in Berlin keine KandidatInnen für die Liste der Linkspartei.PDS aufstellen und genauso wenig den Wahlkampf der Liebich-PDS unterstützen. Dennoch raten sie davon ab, eigenständig anzutreten.

Begründet wird das damit, dass kein respektables Ergebnis zu erwarten wäre und der Neuformierungsprozess dadurch nicht gestärkt würde. Zudem würde das knappe Urabstimmungsergebnis der WASG Berlin zeigen, wie knapp die Mehrheiten im Landesverband wären. Die Folge wäre angeblich die Spaltung der Berliner WASG.

Seit Jahren sind Beschäftigte, Erwerbslose und Jugendliche Opfer der Berliner Senatspolitik – ganz gleich welcher Couleur. Seit Jahren wird dagegen protestiert. Vor diesem Hintergrund wäre es fatal, auf der Wahlebene kein Angebot zu machen. Erst recht, wenn man gerade dabei ist, eine neue politische Interessenvertretung gegen den Einheitsbrei der Sozialabbau-Parteien aufzubauen und bekannt zu machen.

Was wäre die Konsequenz des Vorschlags des Nicht-Antritts?

Es ist davon auszugehen, dass ein Teil der Berliner WASGler sich nicht daran halten, sondern auf der Liste der Linkspartei.PDS antreten würde. Lafontaine hat bereits erklärt, dass er Wahlkampf für die Linkspartei.PDS machen will. Eine Spaltung wäre vorgezeichnet, denn viele WASGler würden darauf mit Austritt reagieren.

Im Falle eines Nicht-Antritts müsste die (Rest-)WASG in Berlin monatelang auf Tauchstation gehen oder würde zumindest an den Diskussionen in der Stadt über Programme und Politik im Wahlkampf außen vor bleiben.

Wenn darauf verwiesen wird, dass es in der Berliner WASG knappe Mehrheiten gibt, muss daran erinnert werden, dass in der aktiven Mitgliedschaft eine zwei Drittel Mehrheit für einen eigenständigen Antritt einsteht – und viel Bereitschaft für einen engagierten Wahlkampf mitbringt.

In Umfragen von Emnid lag die Berliner WASG bei drei bis vier Prozent – noch bevor sie ihre Kandidatur erklärt hat. Das zeigt das Potenzial und die Chance, ins Abgeordnetenhaus einzuziehen.

Ein kämpferischer Wahlkampf und ein möglicher Wahlerfolg hätte positive Auswirkungen auf die inhaltliche Ausrichtung einer Neuen Linken. Verbunden mit einem Ende des SPD-PDS-Senats würden die Aussichten steigen, dass in der Berliner Linkspartei.PDS nicht nur in Worten etwas passiert. Die Berliner WASG ist derzeit zu Recht darum bemüht, Akteure der sozialen Bewegung und der Gewerkschaften zu gewinnen – um die Voraussetzungen für eine kämpferische Kandidatur gegen Sozialraub und Privatisierungen zu verbessern.