Kämpfen wie in Frankreich

Frankreich ist in Aufruhr: Millionen von SchülerInnen, Studierenden, Erwerbslosen und GewerkschafterInnen gingen im ganzen Land auf die Straße. Allein am 18. März waren es anderthalb Millionen. Die Führung der französischen Gewerkschaften sah sich angesichts dieser Situation gezwungen, mit einem Generalstreik zu drohen.
 

Ausgelöst durch ihre Pläne zur Aufweichung des Kündigungschutzes sieht sich die konservative Regierung unter Ministerpräsident Dominique de Villepin nun mit massiven Protesten konfrontiert. Die Angriffe, gegen die sich unsere französichen KollegInnen zur Wehr setzen, stehen denen in der Bundesrepublik jedoch in Nichts nach. Zeit also, dass auch wir lernen, „Französisch“ zu sprechen.

von Nelli Tügel, Berlin

Grund für die enorme Wut auf Frankreichs Straßen ist das so genannte CPE-Gesetz, das einen umfassenden Angriff auf den Kündigungsschutz bei Jugendlichen unter 26 darstellt. Die „Probezeit“, in der ein junger Arbeitnehmer jederzeit und ohne Nennung von Gründen entlassen werden kann, soll auf zwei Jahre ausgedehnt werden.

Kündigungsschutz unter Beschuss

In Deutschland wollen die Herrschenden in Sachen Kündigungsschutz den gleichen Weg gehen – eingeschlagen haben sie ihn schon lange. So wurde der Kündigungsschutz über die letzten Jahre hinweg immer wieder aufgeweicht. Im rot-schwarzen Koalitionsvertrag ist nun ebenfalls vorgesehen, bei Neueinstellungen künftig die Probezeit auf zwei Jahre anzuheben – und zwar nicht „nur“ für unter 26-Jährige wie in Frankreich, sondern für alle Beschäftigten! Für Kanzlerin Merkel lediglich der „Ausgangspunkt“ für weitere Flexibilisierungen. Der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHK) fordert, die Probezeit sogar auf drei Jahre zu verlängern und die sachgrundlose Kündigung auf vier Jahre auszudehnen.

Dem französischen Vorbild folgen

Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer hat mit Protesten nach französischem Vorbild gedroht, sollte die Große Koalition die Pläne zum Kündigungsschutz nicht zurücknehmen. Zu Recht sagte Sommer in der Neuen Osnabrücker Zeitung, dass dieser Angriff einen „deutlichen und scharfen Protest der Gewerkschaften“ herausfordere. Nun muss die Gewerkschaftsspitze diesen Worten Taten folgen lassen. Denn Widerstand ist keine Frage des französischen Gens, das hat gerade die Anti-Hartz-Bewegung oder die Streikbereitschaft im öffentlichen Dienst deutlich gemacht – auch bei uns kann und muss gekämpft werden.

Alle gemeinsam!

Zur Zeit befinden sich mehrere Bereiche und Branchen in Auseinandersetzungen und Streiks: Beschäftigte des öffentlichen Dienstes und der Telekom, MetallerInnen oder die Belegschaften von Gate Goumet in Düsseldorf als auch von CNH, der Charite sowie der S-Bahn in Berlin. Doch wenn jeder für sich allein kämpft, kostet das Kraft und die Bonzen lachen sich ins Fäustchen. Ein Zusammenführen der Kämpfe, branchenübergreifende Streiks – das würde ein höheres Niveau an Gegenwehr darstellen und den Druck auf die Arbeitgeber deutlich erhöhen. Nur so können wir uns auch einem massiven Angriff wie den auf den Kündigungsschutz entgegenstellen.

Demonstrieren – Streiken!

Schaut man nach Frankreich, sieht man aber auch, dass Demonstrieren allein nicht ausreicht, um einen Vorstoß wie das CPE-Gesetz wirklich zu stoppen. Trotz zahlreicher Demonstrationen gab Ministerpräsident de Villepin nach Gesprächen mit den Gewerkschaften bekannt, dass er an dem Gesetz festhalten wird. Egal ob in Deutschland oder Frankreich, die deutlichste Sprache ist die des Streiks. Denn wo es um Profite geht, kann nur ökonomischer Druck die Kapitalisten und ihre Freunde in der Regierung wirklich treffen und sie zum Rückzug zwingen.

„Wenn der Kampf gewonnen wird, ist de Villepin weg“

Streikbewegung in Frankreich: Gespräch mit drei AktivistInnen

Seit Februar erleben wir in Frankreich ein neues Erwachen der Kämpfe von Jugendlichen (darunter auch viele aus den Pariser Banlieus). Grund dafür ist das gerade verabschiedete Gesetz über die Änderung des Kündigungsschutzes.

Marie Rosa, Aachen, sprach mit Nourr-Eddine, Schüler in Rouen, Virginie, Englisch-Lehrerin in Rouen (Mitglieder der SAV-Schwesterorganisation Gauche Revolutionnaire) und Elias, Physik- und Chemiestudent in Marseille.

Was hat es mit dem neuen Gesetz auf sich?

Nourr-Eddine: Der neue Vertrag beinhaltet zwei Jahre Probezeit. Das heißt, dass ein Arbeiter während der zwei Jahre jederzeit und ohne Angabe von Gründen rausgeschmissen werden kann.

Virginie: Betroffen sind alle unter 26, besonders diejenigen, die unter- oder unqualifiziert sind.

Welchen Verlauf nimmt die Protestbewegung?

Virginie: Die ersten, die im Streik waren und die Universität blockiert haben, waren die StudentInnen aus Rennes. Die haben tolle Arbeit geleistet: Sie haben Anfang Februar den Kampf angefangen, als alle Unis in Paris Ferien hatten. Sie haben durchgehalten, bis die StudentInnen aus Paris sich angeschlossen haben.

Erst vom 6. März an konnten alle Unis Frankreichs gleichzeitig den Kampf führen. Von der bundesweiten Koordination der StudentInnen ging für den 7. März der erste Streiktag aus: Eine Million Menschen waren an diesem Tag auf der Straße.

Leider zeigten die Gewerkschaftsspitzen keine Begeisterung. Thibault, Vorsitzender der CGT, hat sogar erklärt: „Für Streiks aufzurufen, das ist nicht unsere Berufung.“ Statt dem von der Koordination vorgeschlagenen Generalstreik am 23. März wollten die Gewerkschaften zuerst nur zu Demonstrationen am Samstag aufrufen – zu der am 18. März auch 1,5 Millionen kamen. Kurz danach mussten sie jedoch durch den Druck von unten für Dienstag, den 28. März zumindest Streikmaßnahmen organisieren.

Welche Bedeutung hat der Streiktag am 28. März?

Virginie: Die Gewerkschaften tun alles, um den Beschäftigten klar zu machen, dass es sich nur um einen eintägigen Streik handelt. Wenn nicht mehr passiert, dann gibt es die Gefahr, dass die Jugendlichen irgendwann erschöpft sein werden. Die Arbeiterklasse hat noch nicht genügend Selbstvertrauen, um selbst den Kampf zu organisieren. Es ist trotzdem möglich, dass Streiks in einzelnen Betrieben nach dem nationalen Protesttag durchgeführt werden.

Wie ging es in Rouen los?

Nourr-Eddine: Zuerst waren es die StudentInnen, die Blockaden durchgeführt haben. Aber dann haben wir SchülerInnen uns organisiert und auch eine lokale Koordination aufgebaut. Dabei hat Gauche Révolutionnaire eine große Rolle gespielt.

Wie war es in Marseille?

Elias: Ähnlich. Die StudentInnen haben Mitte Februar zuerst mit Unterschriftensammlungen angefangen. Am 7. März gab es eine erste Versammlung und Blockaden.

Anfang März sind die SchülerInnen auch in den Kampf getreten. In Marseille gibt es heute nur ein Gymnasium ohne Blockadeaktion. Und am 18. März haben 130.000 Menschen in Marseille demonstriert!

Wie verhält sich die Regierung?

Virginie: Sie sind entschlossen, hart zu bleiben. Für sie geht es um viel mehr, als nur um dieses Gesetz. Wenn wir den Kampf gewinnen, dann ist de Villepin weg! Deshalb gibt es auch dieses Ausmaß staatlicher Repressalien.

Was sind die Schwächen der Bewegung?

Nourr-Eddine: Die Jugend ist bis jetzt auf sich allein gestellt. Deshalb gibt es enorme Probleme in der Organisierung der Proteste.

Virginie: Eine enorme Entpolitisierung unter Jugendlichen seit dem Zusammenbruch des Stalinismus ist das Hauptproblem. Es fehlt politische Klarheit darüber, mit wem man es zu tun hat und wie der Kampf erfolgreich sein kann. Das politische Vakuum war noch nie so spürbar wie jetzt. Es gibt keine Vorstellung darüber, was die Alternative zur Villepin-Regierung ist.

Welche Spuren werden die Proteste hinterlassen?

Virginie: Schon jetzt ist das Selbstbewusstsein der SchülerInnen gestiegen. Man weiß, dass man auch Widerstand organisieren kann, ohne auf Gewerkschaften und Parteien warten zu müssen.

Das Verständnis in der Jugend, sich an den ArbeiterInnen orientieren zu müssen, ist enorm gestiegen. Immer mehr unterstützen die Position, dass die Probleme System haben – und allmählich unerträglich werden. Einer der Lieblingssprüche auf den Demos ist übrigens: Oui, oui, oui à la révolution!

Gauche Revolutionnaire tritt für die Bildung von Komitees auf allen Ebenen ein, um für die Proteste wirksam mobilisieren zu können. Zudem stellen wir die Forderung nach einem Generalstreik auf.

Nötig ist der Aufbau einer neuen Partei für ArbeiterInnen und Jugendliche, die einen Ausweg aus der kapitalistischen Sackgasse aufzeigt. Ansätze dafür könnten in dieser Streikbewegung entstehen.