Mit 272 „Ja“- und 245 „Nein“-Stimmen bestätigte die Berliner WASG bei zehn Enthaltungen den Beschluss des Landesparteitags, zu den Abgeordnetenhauswahlen am 17. September eigenständig anzutreten. Die Delegierten des Landesparteitags hatte mit über zwei Dritteln eine Kandidatur auf den Weg gebracht, die sich, so Lucy Redler für den geschäftsführenden Landesvorstand gegenüber der Presse, gegen alle Parteien richte, die für Sozialabbau, Privatisierungen und Tarifflucht stünden. Das betreffe den rot-roten Senat genauso wie CDU, FDP und Grüne.
von Stephan Kimmerle
„Knapp, aber doch ein Ergebnis“, kommentierte Stefan Müller, ebenfalls Mitglied im geschäftsführenden Berliner Vorstand. Rouzbeh Taheri ergänzte seine Landesvorstandskollegen, die Befürworter eines gemeinsamen Antritts mit der L.PDS hätten – trotz Brief von Oskar Lafontaine, einer Pressekonferenz mit ihm und „diverser anderer Veranstaltungen“ – die Berliner Mitglieder nicht überzeugt. „Ab heute, 13 Uhr, hat der Abgeordnetenhaus-Wahlkampf begonnen“, so der Schatzmeister.
Gegen den Vorwurf der Spaltung und des Sektierertums wehrte sich nochmals Siemen Dallmann, vierter Vertreter des geschäftsführenden Organs der WASG. Selbst neu im politischen Geschäft wie viele andere der Berliner WASG könne er Lafontaines Unterstellung einer Fremdsteuerung nicht nachvollziehen. „Wir haben einen Nachteil“, meinte Dallmann in Bezug auf Lafontaine, „wir wohnen in Berlin und sind betroffen von dieser Politik.“
Einen Zusammenhang zwischen dem Berliner Votum und der bundesweiten Urabstimmung sah Lucy Redler nicht. Der „Kampf der Interpretationen“ laufe zwar bezüglich der bundesweiten Abstimmung. Doch die Neuformierung der Linken werden fortgesetzt und der Streit um die Inhalte stehe im Mittelpunkt der Debatte. Eine Grundlage für Sanktionen des Bundes- gegen den Landesverband sahen die Landesvorständler nicht. „Wir gehen nicht von Sanktionen aus“, so Stefan Müller. Dafür gebe es auch bundesweit keine Mehrheiten. „Wir haben ein Problem mit der Berliner Linkspartei“, brachte er die Pressekonferenz wieder auf eine politischere Schiene und sprach sich nochmals gegen Privatisierungen, Stellenabbau und die Flucht aus dem Kommunalen Arbeitgeberverband (KAV) aus.
Ungültige Stimmen
Das Abstimmungsergebnis mit 64 ungültigen Stimmen erklärt sich durch ein kompliziertes Wahlverfahren, auf das sich die Vertreter aller Bezirksverbände der WASG Berlin im Landesdelegiertenrat geeinigt hatten. In den Brief zur Urabstimmung musste der Abstimmungszettel – aber verhüllt durch einen zweiten Umschlag. 63 der 64 ungültigen hatten dies unterlassen, ihre Stimmabgabe war, so die Wahlkommission, nicht mehr in ihrer Anonymität zu garantieren – und daher ungültig. Eine bewusste Stimmenthaltung oder ein gezielter Boykott lag hier nicht vor.
Doch auch so ist die „Ausführungsbestimmung für Urabstimmungen“ der WASG Berlin eindeutig. Sie hält fest: „Steht nur eine Abstimmungsfrage zur Entscheidung“, und das war in diesem Fall so, „so ist sie positiv entschieden, wenn die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen auf Ja lautet.“ Damit wurde ein hohes Quorum – eine absolute Mehrheit – zum Erfolg einer Urabstimmung errichtet. Diese Hürde nahm der jetzige Antrag und ist damit angenommen.
Pressekonferenz von Ernst und Ramelow
Unmittelbar nach der Pressekonferenz des geschäftsführenden Landesvorstands der WASG luden Klaus Ernst, geschäftsführender WASG-Bundesvorstand, und Bodo Ramelow, Fusionsbeauftragter der Linkspartei.PDS, die Medien vor den Reichstag, um ihre Sicht der Dinge kund zu tun. Ernst wiederholte noch einmal die Abstimmungsergebnisse und fuhr fort: "Damit ist aus meiner Sicht der alleinige Antritt in Berlin gescheitert. Das freut mich sehr." Grundlage seiner Einschätzung: Nur 41 Prozent der abgegebenen Stimmen seinen für einen eigenständigen Wahlantritt gewesen, nur knapp 31 der Abstimmungberechtigten hätten für den Antrag des Berliner Landesvorstands gestimmt und jeder Antrag brauche ja eine Mehrheit.
Die etwas konsterniert blickende Presse erfuhr trotz Nachfrage nicht, bei welcher Abstimmung die ungültigen Stimmen denn mitzählen würden. Das Ergebnis von 46 Prozent – nach Ernsts Rechnung wären auch das deutlich weniger – für ein "Nein" für das Lafontaine und die Bundesvorstandsmehrheit geworben hatten, bewertete Ernst dagegen als gute Ergebnis, da in Berlin die unterschiedlichsten kleinen Grüppchen die WASG zu bestimmen versuchten.
"Der Spuk ist zu Ende", so Ernst.
Wenn die Berliner Mehrheit das nicht teile, müsse sie überlegen, gegebenenfalls einen eigenen Laden aufzumachen. Für administrative Maßnahmen wollte sich Ernst derzeit nicht aussprechen. Man werde sich mit den Berlinern nochmals zusammensetzen und den Berlinern die Rechnung erklären.
Ramelow freute sich erklärtermaßen ebenso. Die Abstimmung habe "für Klarheit gesorgt" – was er auf die Interpretation von Klaus Ernst bezog. "Es wird keine konkurrierenden Antritte geben", so Ramelow. Denn das widerspreche dem Kooperationsabkommen III und "gültige Verträge werden eingehalten". Er werbe jetzt für eine hohe Beteiligung der WASG-Mitglieder bei der bundesweiten Urabstimmung. Dort gehe es nicht um die Fusion zweier Parteien, das wäre falsch, sondern um einen Parteineubildungsprozess. "Separatismus hilft nicht", der Prozess dürfe nicht daran scheitern, "ob in Berlin jemand den anderen leiden kann".
Am Beginn der Pressekonferenz lieferte Bodo Ramelow netterweise für die Journalisten zur Einstellung der Kameras und Mikrophone ein kleines Aufwärm-Statement. Guten Tag und, ja, wir warten noch bis alle soweit sind, sie kämen gerade von der Steuerungskomission zur Zusammenarbeit "zwischen Linkspartei und PDS". Die Pressekonferenz wurde nach kurzer Zeit wieder beendet. Ernst und Ramelow mussten wieder dorthin zurück.