Quo vadis Europa?

Ist eine kapitalistische Vereinigung Europas wünschenswert… und möglich?

Wer heute jünger als 50 Jahre ist, wurde mit der EWU, EG oder EU groß. Das ganze Leben konnte man die fortgesetzte Diskussion um den europäischen Einigungsprozess verfolgen. Die Idee der vereinigten Staaten von Europa ist zwar nicht neu, aber seit der Gründung der EWG (Europäischer Wirtschaftsgemeinschaft) 1957 ist die europäische Einigung das Hauptprojekt der europäischen Kapitalistenklassen.

Besonders nach der Einführung des Euro, der EU-Ost-Erweiterung, der Bildung der EU-Interventionsarmee und der aktuellen Diskussion über die EU-Verfassung, scheint der Sprung zum Eurostaat nicht mehr weit. Wie weit kann dieser Prozess wirklich gehen? Stehen wir kurz vor der Entstehung der Vereinigten Staaten von Europa? Was ist die Alternative zur neoliberalen EU?

von Gaetan Kayitare, Aachen

Europa zu vereinen, haben viele versucht – angefangen bei Karl dem Großen über Napoleon bis hin zu Hitler. Diese Herren handelten im Sinne der jeweiligen herrschenden Klasse und sahen keine andere Möglichkeit das Ziel zu erreichen, als mit Schwertern und Kanonen. Die vereinigten Staaten von Europa sind immer schon ein Traum der aufkommenden deutschen Bourgeoisie (Kapitalistenklasse) gewesen. Bereits im 19. Jahrhundert drängten die aufkommenden Stahlbarone auf die Einigung Europas. Was nicht friedlich gelang, versuchte das deutsche Kapital dann durch zwei Weltkriege zu erzwingen. Alle diese Versuche sind gescheitert.

Nun behaupten die Kapitalistenklassen Europas – speziell in Deutschland und Frankreich – das vereinigte Europa auf friedlichem Wege erreichen zu wollen. Man mag daran zweifeln, ob sie selbst überhaupt daran glauben oder nicht: der bekannteste in Europa vergebene Preis für Verdienste um die europäische Einigung ist der Karlspreis der Stadt Aachen – und Karl der Große war alles andere als friedfertig…

Unter dem Eindruck des 2. Weltkriegs und durch den langen wirtschaftlichen Aufschwung versuchten Frankreich und Deutschland gemeinsam eine europäische Einigung in Gang zu bringen.

Mit dem Vertrag von Rom im Jahr 1957 wurde die europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), ein gemeinsamer Markt, aus der Taufe gehoben. Seit damals verfolgen die europäischen Wirtschaftsmächte das Ziel eines einheitlichen Binnenmarktes um gegen die USA und Japan mit ihren riesigen Binnenmärkten mithalten zu können. 1970 entstand bereits der Plan einer stufenweisen Einführung einer Währungsunion bis 1980, dessen Umsetzung jedoch zunächst kläglich scheiterte. Im Dezember 1990 kamen die Regierungschefs und Außenminister der damals noch 12 EG-Staaten ( Schweden, Österreich und Finnland kamen später hinzu) auf ihrem Gipfel in Rom zusammen, um die politische Union einschließlich einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie eine gemeinsame Währung zu beschließen.

Zweckbündnis von Räubern

Die EU ist von Anfang an alles andere als eine Liebesehe – die im Guten wie im Schlechten zusammenhalten soll – gewesen. Sie ist ein Zweckbündnis, um sich gegen die USA und Japan behaupten zu können. Die EU ist aber auch, und vor allem ein Instrument der europäischen Kapitalisten, die Arbeiterklasse in Europa besser und stärker auszubeuten. Der Prozess der europäischen Einigung ermöglicht es der einzelnen Regierung, sich bei ihrem Sozialabbau, aber auch bei ihren Steuergeschenken für die Unternehmer, hinter der EU zu verstecken. Aus Sicht der Arbeiterklasse in den Mitgliedsstaaten ist die angeblich entscheidende, aber von niemandem gewählte, EU-Bürokratie in Brüssel weit weg und kaum erreichbar. Dies um so mehr, als die Sozialdemokratie wie auch die Gewerkschaftsbürokratie zu glühenden Befürwortern der Marktwirtschaft geworden sind und nicht gewillt sind, Widerstand gegen die neoliberale Politik zu leisten. Besonders in Deutschland neigt die traditionelle Linke – besser gesagt die ehemaligen Linken bei den Grünen und Sozialdemokraten – dazu, in der EU eine Art Internationalismus zu erblicken und glaubt, die EU biete eine Chance, den deutschen Imperialismus einzubinden, im Zaum zu halten und dabei Frieden und Wohlstand zu sichern! Auch das ist nicht ganz neu: ihre reformistischen Vorgänger hegten ähnliche Illusionen: „Wir unterstützen alle die Bestrebungen, die dar-auf hinauslaufen, die fadenscheinigen Vorwände für die unaufhörliche Kriegs-rüstung zu beseitigen. Wir fordern den wirtschaftlichen und politischen Zusam-menschluss der europäischen Staaten. Ich bin fest überzeugt: wenn auch sicher in der Zeit des Sozialismus, so kann es doch auch schon früher dazu kommen, dass wir die Vereinigten Staaten von Eu-ropa erleben, wie wir heutigentags den Vereinigten Staaten von Amerika im Wettbewerb gegenüberstehen. Wir stellen wenigstens an die kapitalistische Gesell-schaft, an die kapitalistischen Staats-männer die Forderung, dass sie im Interesse der kapitalistischen Entwicklung in Europa selbst, um Europa später in der Weltkonkurrenz nicht vollkommen unter den Schlitten kommen zu lassen, diesen Zusammenschluss Europas zu den Ver-einigten Staaten von Europa vorbereiten.“ sagte der SPD-Genosse Lede-bour in seiner Etatrede im Reichstag am 3. April, 1911.

Und in der „Neuen Zeit“ vom 28. April 1911 schreibt der SPD-Cheftheoretiker Karl Kautsky: „die Verwirklichung solcher Verstän-digungen böte noch keine Garantie für eine ständige Fortdauer des Friedens, die das Gespenst des Krieges für immer bannte.
Dafür gibt es heute nur einen Weg: die Vereinigung der Staaten der europäischen Zivilisation in einem Bunde mit gemein-samer Handelspolitik, einem Bundespar-lament, einer Bundesregierung und einem Bundesheer — die Herstellung der Verei-nigten Staaten von Europa.

Gelänge dies, so wäre Ungeheures er-reicht. Diese Vereinigten Staaten besäßen eine solche Übermacht, dass sie ohne jeglichen Krieg alle andern Nationen, so-weit sie sich ihnen nicht freiwillig anschlössen, dazu zwingen, ihre Armeen aufzulösen, ihre Flotten aufzugeben.“
Richtig ist aber, dass der deutsche Imperialismus durch eine Vorherrschaft in der EU, eher seine Ziele – die Herrschaft über Europa – näher kommen sieht und international dementsprechend aggressiver auftreten wird.

Abschottung

Die Kapitalisten und ihre Regierungen nutzen die EU und Währungsunion als Mittel, um die Lebensbedingungen der arbeitenden Menschen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner abzusenken und neue Mauern gegen Flüchtlinge und Asylsuchende aufzubauen.

„Und die Losung des europäischen Zusammenschlusses kann objektiv innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft nur wirtschaftlich einen Zollkrieg mit Amerika und politisch einen kolonialpatriotischen Rassenkampf bedeuten.

.Und jedes Mal, wo bürgerliche Politiker die Idee des Europäertums, des Zusammenschlusses europäischer Staaten auf den Schild erhoben, da war es mit einer offenen oder stillschweigenden Spitze gegen die „gelbe Gefahr“, gegen den „schwarzen Weltteil“, gegen die „minderwertigen Rassen“, kurz, es war stets eine imperialistische Missgeburt“( Rosa Luxemburg, Friedensutopien 1911) Wie wahr! Heute haben die EU-Interventionsarmee und Schilys Asyllager in Nordafrika Vorrang vor der „politischen Union“!

Das Gerede über Globalisierung und der unter der Fahne der EU durchgeführten Zertrümmerung des „Sozialstaates“ haben den Rechtsextremisten Raum gegeben. Sie nutzen den Unmut gegen steigende Armut und Massenarbeitslosigkeit, um Unterstützung für Nationalismus und Rassismus zu mobilisieren. Der Aufstieg faschistischer und rechtsextremer Parteien in Europa sind Folgen des Versagens der Führung der organisierten Arbeiterbewegung, aber auch der neoliberalen Politik der EU.

Europäischer Bundesstaat auf kapitalistischer Grundlage – eine Illusion

Die Euro-Einführung 2002 hat dem Traum von den „Vereinigten Staaten von Europa“ neue Nahrung geliefert. Schließlich hat die EU nach den Verträgen von Maastricht 1992, Amsterdam 1997, Nizza 2000 und der Euro-Einführung 2002 seit 2003 auch eine EU-Armee (eine schnelle Eingreiftruppe von 60.000 Mann mit einer weiteren Hilfstruppe aus 150.000 Soldaten). Eine Währung, eine Armee, ein Verfassungentwurf liegen vor. Ist damit nicht ein europäischer Bundesstaat in greifbare Nähe gerückt?

Es sind zwar einige Fortschritte auf dem Weg zur europäischen Integration in der EU über die letzten 50 Jahre gemacht worden – heute finden 70 bis 75 Prozent des Handels der großen EU-Staaten innerhalb der Europäischen Union statt – Ein Blick zurück zeigt aber, wie schwierig dieser Prozess in diesen 50 Jahren war. Er wurde immer wieder bei Wirtschaftsrezessionen unterbrochen und verzögert, so dass die EU und ihre Vorgängerin EG auch als Schönwetterorganisationen bezeichnet wurden. Der Weg von den Maastrichter Verträgen bis zur Euro-Einführung wurde nur möglich durch den wirtschaftlichen Aufschwung der neunziger Jahre und wurde besonders durch die Schwäche der Gegenwehr gegen Sozialabbau, Privatisierung und Lohnsenkung begünstigt.

Die Euphorie der Euro-Einführung hat längst dem Alltagsjammer Platz gemacht: Grund ist, dass das Wirtschaftswachstum in der EU seitdem ausgeblieben ist Das schöne Wetter ist für die Kapitalisten vorbei. Die kommenden Krisen werden eher die Spannungen innerhalb der EU-Staaten spürbar steigern und die Gültigkeit der Maastrichter Kriterien in Frage stellen. Lenin wusste es besser: „Vom Standpunkt der ökonomischen Bedingungen des Imperialismus, d.h. des Kapitalexports und der Aufteilung der Welt durch die ‚fortgeschrittenen‘ und ‚zivilisierten‘ Kolonialmächte, sind die Vereinigten Staaten von Europa unter kapitalistischen Verhältnissen entweder unmöglich oder reaktionär.“

Selbst kluge Vertreter der Bourgeoisie machen daraus keinen Hehl. Maggie Thatcher, ehemalige britische Premierministerin, hat sich immer über die Träumer von den vereinigten europäischen Staaten lustig gemacht, die das Beispiel der USA bemühten: Sie pflegte darauf hinzuweisen, dass die USA ein Produkt des Krieges und nicht eines friedlichen Zusammenwachsens sind.

Heute versuchen einzelne Staaten bereits aus dem engen Korsett der Konvergenzkriterien auszusteigen, um die Krise durch staatliche Maßnahmen, wie eine höhere Verschuldung abzufedern. Kapitalismus bedeutet immer nationale und internationale Konkurrenz. „Vereinigte Staaten von Europa sind unter kapitalistischen Verhältnissen gleichbedeutend mit Übereinkommen über Teilung der Kolonien. Unter kapitalistischen Verhältnissen ist jedoch jede andere Basis, jedes andere Prinzip der Teilung als das der Macht unmöglich. Der Milliardär kann das Nationaleinkommen eines kapitalistischen Landes mit jemand anderem nur in einer bestimmten Proportion teilen. Mit anderen Worten: teilen nur in einer bestimmten Proportion entsprechend dem Kapital, überdies noch mit einem Zuschlag, damit das größte Kapital mehr bekommt als ihm zusteht“ (Lenin 1915).

Deutschland und andere größere Staaten wie Frankreich, England und Italien fordern ja bereits bei Abstimmungen in der EU für sich mehr Stimmen, weil sie niemals – besonders Deutschland und Frankreich als die stärksten Staaten – andere über ihre lebenswichtigen Interessen bestimmen lassen werden.

Je schärfer die Krise, um so stärker braucht jede nationale Kapitalistenklasse eine nationale Regierung, eine eigene Armee und Polizei, um ihre Interessen gegenüber der eigenen Arbeiterklasse und gegenüber ausländischen Kapitalisten zu schützen. Ein EU-Superstaat, der auch noch Osteuropa einschließt, ist und bleibt eine Illusion – aber eine Illusion, die die Arbeiterklasse teuer zu bezahlen hat.

Ein friedliches und dauerhaft vereinigtes Europa kann es nur als Föderation sozialistischer Staaten geben, das heißt, wenn die Macht der Banken und Konzerne gebrochen und das Konkurrenzsystem abgeschafft worden ist.

EU und EURO als Disziplinierungspeitsche der Kapitalisten

Wenn der europäische Bundesstaat nicht möglich ist, warum geben sich die Kapitalisten dann so viel Mühe zur Aufrechterhaltung einer Illusion? Das Projekt der europäische Vereinigung ist ein höchst lohnendes Projekt!

„Bei den Maastrichter Verträgen ist der Weg auch ein Stück weit das Ziel, erlaubt er doch den Regierungen und Parlamenten, von ihren Völkern einschneidende Solidaritätsopfer zu verlangen.“, so Theo Waigel, ehemaliger Finanzminister der Kohlregierung im Jahr 1992.

Der Euro ist der verlängerte Arm der Banken und Konzerne in den Taschen der arbeitenden und arbeitslosen Menschen. Er war von Anfang an ein Projekt der europäischen Kapitalisten, insbesondere des europäischen Finanzkapitals, sowohl gegen ihre schärfsten Konkurrenten USA und Japan, als auch um den europäischen ArbeiterInnen tief in die Tasche zu greifen.
Die rein monetären Kriterien (höchste Grenzen wurden für Inflation bei 2,6 Prozent, für das Haushaltsdefizit bei 3 Prozent des BIP, für die Staatsverschuldung bei 60 Prozent des BIP) verpflichten die Teilnehmerstaaten auf eine massive Kürzungs- und Deregulierungspolitik, um diese Kriterien, wenn überhaupt, zu erreichen. In den letzten Jahren ist der Euro ein Totschlagargument gewesen für unzählige „Sparpakete“ und Privatisierungsorgien verschiedener europäischer Regierungen.

Der Euro hat die Konkurrenz zwischen ArbeiterInnen in den verschiedenen Euro-Staaten extrem verschärft „Die Einführung einer einheitlichen Währung erhöht jedoch gleichzeitig die Lohntransparenz und den Wettbewerb zwischen den Arbeitskräften. Damit wird die Lohndisziplin gestärkt.“ (Deutsche Bank, Studie „Eine stabile Währung für Europa 1/96).
Der Euro erleichtert es den Kapitalisten, die ArbeitnehmerInnen in Europa gegeneinander auszuspielen und massive Lohnsenkungen durchzudrücken. Waigel hatte recht: der Weg zum Euro war ein Stück weit das Ziel. In den letzten Jahren gab es massive Lohneinbußen und eine verstärkte Aushebelung der Flächentarifverträge. Von 1990 bis 1997 wurde in der EU öffentliches Eigentum im Wert von 185 Milliarden Euro an Unternehmer verscherbelt und der Rest des Gemeineigentums in der EU soll nach den Bolkestein-Richtlinien komplett in die Hände der Bourgeoisie übergehen! BerufseinsteigerInnen verdienen heute 10-30 Prozent weniger als ihre KollegInnen vor zehn Jahren. Das Euro-Projekt sorgt mit dafür, dass es zum ersten Mal in der Nachkriegszeit, eine Generation schlechter haben wird, als ihre Vorgängerin.
Bolkestein-Richtlinien

Der Richtlinienentwurf gilt für sämtliche Dienstleistungen, für Verbraucher und Unternehmen. Dienstleistung wird als „jegliche Leistung, mit der der Erbringer am Wirtschaftsleben teilnimmt, ungeachtet seines rechtlichen Status, des Tätigkeitszwecks und des betreffenden Tätigkeitsbereichs“ definiert.

Nicht betroffen sind die hoheitlichen Bereiche der Staatstätigkeit (Polizei, Justiz, Militär) und solche Leistungen, die vom Staat aufgrund seiner sozialen, kulturellen, bildungspolitischen oder rechtlichen Verpflichtungen erbracht werden (zum Beispiel öffentlicher Schulunterricht, soweit er kostenlos erfolgt). Bolkestein schreibt das so genannte Herkunftsprinzip fest: für die Unternehmen sollen die Standards und Gesetzte des Herkunftslandes gelten! Das bedeutet aber, dass die Unternehmen, die groß genug sind und es sich erlauben können, ihren Hauptsitz in das EU-Land verlegen werden, das für sie die niedrigsten Arbeitsnormen und Löhne anbietet. Den Nationalstaaten werden die Hände gebunden, sie übergeben ihre Macht nicht etwa an den Superstaat EU, sondern an die Banken und Konzerne! Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass der schärfste Befürworter der Bolkestein-Richtlinie der Europäische Runde Tisch der Industriellen (ERT) ist, in dem die Chefs der 49 größten europäischen Konzerne sitzen. Das ist die selbe Lobby, die die Maastrichter Kriterien für die Einführung des Binnenmarktes erarbeitet und vorgeschlagen hat.

Eine Absichtserklärung wie „Eigentum verpflichtet“, wie es sie im deutschen Grundgesetz gibt, ist für den neoliberal ausgerichteten Verfassungsvertragsentwurf zu radikal, daher auch nirgends zu finden. Dafür aber wird sogar ein neues Grundrecht, die “unternehmerische Freiheit”, in der Verfassung verankert. Der Verfassungsvertragsentwurf schreibt die neoliberale Ideologie für die EU fest. Im Gegensatz zu sozialen Rechten, haben die Rechte des profitorientierten Binnenmarktes oberste Priorität.

Erweiterung statt stärkere Integration

Nach dem Zusammenbruch der stalinistischen Regime in Osteuropa hat sich das Interesse des deutschen Kapitals von der „Vertiefung“ innerhalb der EU zur „Erweiterung“ verlagert, besonders zur Einbeziehung Deutschlands osteuropäischer Nachbarn.

Mit der Osterweiterung verschafft sich die EU wirtschaftlich einen geschützten Absatzmarkt und politisch einen Hinterhof aus Satellitenstaaten durch die Beitrittsbedigungen: konvertierbare Währung und Schaffung von einem Rechtssystem, das die Dominanz des Kapitals aus der EU dauerhaft schützt. Durch die Öffnung der Märkte für das internationale Kapital werden die Beitrittsländer zu einem reinen Absatzmarkt und verlängerten Werkbänken der westlichen EU-Länder degradiert. 1993 schätze die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, dass jährlich 175 Milliarden US-Dollar Auslandsinvenstionen nötig wären, um Polen, Rumänien, die Tschechische Republik, Ungarn, Bulgarien und Slowenien innerhalb von zehn Jahren auf EU-Niveau zu bringen. Bis 1997 floss jährlich im Durchschnitt nur knapp 1,4 Prozent der benötigten Summe! 1998 betrugen die Auslandsinvenstitionen in den zehn neuen und den drei Anwärterstaaten 16,5 Milliarden US-Dollar. Das ist nicht mal so viel, wie in Irland 1994, nämlich 17 Milliarden US-Dollar.

Das Pro-Kopf-Einkommen der Beitrittsstaaten liegt gerade bei 15 Prozent des EU-Durchschnitts. Mit dem Beitritt wird die Kluft rascher wachsen als zwischen Ost- und Westdeutschland. Die meisten Länder müssen noch einen langen Weg gehen, bevor sie ihre Wirtschaftsleistung von 1989 wieder erreichen können.

Die EU verfolgt ähnliche Absichten mit dem Assoziierungsvertrag mit den AKP-Staaten (Afrika, Karibik, Pazifik): Lieferung von billigen Rohstoffen und Absatzmarkt für EU-Produkte. Damit steigt natürlich auch das politische Gewicht der EU auf internationaler Ebene. EU und AKP-Staaten bringen es zum Beispiel auf 71 von den 132 Staaten in der WTO.

Wenn Stoiber als Ziel formuliert, „die EG nach Osten zu erweitern, anstatt sie im Westen zu vertiefen” (FR, 12.11.93), dann benennt er damit das Interesse des deutschen Kapitals, sich die osteuropäischen Staaten als Billiglohngebiete zu erschließen.

Dies und andere Entwicklungen haben Spannungen im französisch-deutschen Bündnis erzeugt. Das bedeutet aber auch eine große Belastung für den kapitalistischen Einigungsprozess im allgemeinen: „Weder kann Frankreich sich von Deutschland zurückziehen, noch Deutschland Frankreich den Rücken kehren. Deutschland und Frankreich bilden zusammen den Grundkern Westeuropas. Hier steckt der Konflikt und die Lösung des europäischen Problems. Alles übrige ist nur Beiwerk“ (Leo Trotzki, 1921).

Grund der Missstimmungen ist unter anderem, dass andere europäische Mächte zusehen müssen wie Südosteuropa zum Hinterhof des deutschen Imperialismus geworden ist. Aller Globalisierungspropaganda zum Trotz sind viele der ehemaligen stalinistischen Länder fest im Griff des deutschen Kapitals.

Scheitern der EU?

Die erfolglosen Versuche der Kapitalisten, Europa zu vereinigen, drücken den Widerspruch zwischen der Notwendigkeit der weiteren Entwicklung der Produktivkräfte und die Unfähigkeit des Kapitalismus, diese über eine bestimmte Grenze hinweg zu entwickeln, aus. Das vorläufige Scheitern der Verfassung und das Platzen des ersten Gipfels zur Verabschiedung des Haushalts hat die EU-Staatschefs zuletzt zur symbolischen Einigung über den Haushalt gezwungen. Ein erneutes Scheitern hätte die EU in den Augen der Arbeiterklasse in Frage gestellt. Die strittigen Fragen (britische Rabatte, französische Agrarsubventionen) sind bloß aufgeschoben worden. Das heißt nicht, dass die EU auseinanderbrechen wird. Ein Europa autarker Nationalstaaten wäre nicht lebensfähiger, daher auch nicht die Alternative.

Die größten europäischen Konzerne werden, getrieben von der Logik des Marktes, zweifellos Schritte zu weiterer Integration und stärkerer Ausbeutung der Arbeiterklasse in Europa und weltweit ergreifen. Die Vorschläge von Bolkestein weisen in diese Richtung. Jeder Schritt zur Vertiefung der Integration erzeugt aber auch immer neue Widersprüche und zwingt zu weiteren Schritten oder zum Rückschritt: „Wenn nur eine Vergemeinschaftung der Geldpolitik stattfindet, alle anderen Politikbereiche aber im wesentlichen bei den Nationalstaaten bleiben, dann ist die Gefahr sehr groß, dass es zu Konflikten kommt, zu einer Divergenz der Entscheidungen und Entwicklungen, die dann die Währungsunion vor eine Zerreißprobe stellen könnten,“ so mahnte der ehemalige Bundesbank-Präsident Tietmeyer nach der erfolgreichen Schlacht um die Europäische Zentralbank den gleichzeitigen Aufbau der politischen Union an. (Handelsblatt, 1.11.93)

Es wird ein häufiges Zurückgreifen auf nationalen Schutz geben, besonders in Krisenzeiten. Der Nationalstaat ist geschichtlich gesehen der Geburtsort des kapitalistischen Systems und bleibt auch letztendlich der Heimatort für jede Kapitalistenklasse.

Der Kapitalismus kann nicht länger Wachstum, Wohlstand oder demokratische Rechte innerhalb der Nationalstaaten sichern. Er wird deshalb nicht in der Lage sein, eine harmonische Integration der Wirtschaften Europas oder eine dauerhafte Zusammenarbeit nach föderalen Prinzipien zu erreichen. Wenn uns jetzt blühende Zeiten des Kapitalismus für die nächsten zwanzig oder dreißig Jahre bevorstünden, könnte die europäische Integration weitergehen. Aber in einer Periode von Wirtschaftsstagnation und Rezessionen mit wachsender sozialer Krise, sind Konflikte zwischen den europäischen Staaten vorprogrammiert. Die Idee eines Kerneuropa bestehend aus Deutschland, Benelux-Staaten und Österreich, Frankreich wird desöfteren in den Ring geworfen, zuletzt vom belgischen Ministerpräsidenten. Aber auch dann gilt, wie Rosa Luxemburg sinngemäß erklärt hat: wenn zwei Kapitalisten sich freiwillig zusammentun, dann nur um einem Dritten das Fell übers Ohr zu ziehen!

Widerstand

Der Rechtsruck und die Verbürgerlichung der Sozialdemokratie, besonders aber auch der Zusammenbruch des Stalinismus in Osteuropa, haben zunächst einmal die Idee des Sozialismus massiv untergraben. Das Fehlen jeglicher Vorstellung über eine mögliche Alternative zum Kapitalismus hat den Widerstand der Arbeiterklasse vorübergehend gelähmt und es den Kapitalisten einfacher gemacht, die neoliberale Orgie durchzuziehen. Die Auswirkungen dieser Politik haben nun in ganz Europa den Weg für die Wiederbelebung sozialistischer Ideen und Bewegungen geebnet. Der Widerstand gegen das Europa der Banken und Konzerne schafft Verbindungen zwischen ArbeiterInnen über die nationalen Grenzen hinweg.

Die Proteste gegen der Renault-ArbeiterInnen gegen Arbeitsplatzvernichtung haben gezeigt, wie sich Kämpfe international entwickeln können, und auch die Wichtigkeit von Verbindungen zwischen einfachen ArbeiterInnen über die Grenzen hinweg unterstrichen.

Die Proteste gegen die Schließung des Renault-Werkes im belgischen Vilvoorde haben gezeigt, was möglich ist. Der Streik am 7. März 1997 zeigte, wie internationale Aktionen organisiert werden können. Bei der Demonstration in Brüssel am 16. März von über 100.000 Menschen „Gegen das Europa des Geldes“, zeigten ArbeiterInnen aus Belgien, Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien, Großbritannien, den Niederlanden, Portugal, Österreich und Slowenien, wie ArbeiterInnen aus vielen Ländern in einem gemeinsamen Kampf vereinigt werden können
Der Kampf der europäischen Hafenarbeiter gegen die als “Port Package” bekannte Deregulierung und die regelmäßigen Demonstrationen gegen EU-Gipfel sind andere Beispiele für die Internationalisierung des Widerstands.

Solche gemeinsamen Kämpfe von einfachen ArbeiterInnen, aber auch die verschiedenen sozialen Protesten wie die geplanten Demonstrationen gegen die Bolkestein-Richtlinien am 11 und 14. Februar 2006 in Strassburg, lassen die Vorstellungen reifen, dass eine Kraft vorhanden ist, die das Diktat des Markts brechen, und den Weg für ein sozialistisches Europa ebnen kann.

Die sozialistische Alternative

Im Rahmen des kapitalistischen Systems haben wir die Wahl zwischen Pest oder Cholera; zwischen der kapitalistischen EU und den kapitalistischen Nationalstaaten – Es gibt keine Lösung innerhalb der EU, aber noch weniger eine Lösung außerhalb. Die EU ist als Vertretung der Kapitalinteressen ausgelegt und kann deswegen nicht reformiert werden, um den Interessen der arbeitenden Menschen zu dienen. Wir lehnen dieses Europa der Banken und Konzerne auf die selbe Weise ab, wie wir den deutschen Kapitalismus ablehnen. Wir treten für eine sozialistische Alternative ein — für ein sozialistisches Deutschland und für die sozialistischen vereinigten Staaten von Europa. Die ArbeiterInnen Deutschlands haben gemeinsame Interessen mit den ArbeiterInnen der EU und aller anderen Länder. Ihre Interessen stehen den Interessen der kapitalistischen Klassen aller Länder – einschließlich Deutschlands – gegenüber

Eine friedliche Vereinigung Europas übersteigt die historischen Fähigkeiten des Kapitalismus und der kapitalistischen Klassen. Die Aufgabe kann nur von der Arbeiterklasse wahrgenommen werden, die in Opposition zum Europa der Großindustrie und seiner unterdrückerischen Staatsmaschinen, das Banner der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa erheben muss. Die einzige Alternative ist der Kampf für ein anderes Europa — ein Europa der ArbeiterInnen.

Für einen gesamteuropäischen Kampf der ArbeiterInnen und Jugend für Arbeitsplätze, Sozialleistungen, freie Bildung, einen für ein würdiges Leben ausreichenden Lohn und Wochenarbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich!

Gegen Kürzungen bei sozialen Diensten, gegen Deregulierungen, Privatisierungen, Arbeitslosigkeit und Rassismus!

Der Kampf gilt für ein sozialistisches Europa — für einen freiwilligen, demokratischen sozialistischen Staatenbund von Europa, der jedes demokratische Recht garantiert, einschließlich der Kultur und Sprachrechte aller nationalen Minderheiten!

Nur die Arbeiterklasse kann die mächtigen Produktivkräfte zum Wohle der Völker auf dem Kontinent durch eine sozialistische Vereinigung Europas von den Fesseln des Profitsystems befreien.

Die Unfähigkeit der Bourgeoisie, die Lösung der grundlegenden Probleme der Arbeiterklasse Europas zu lösen wird den arbeitenden Menschen mit jedem Tag deutlicher. Daher kommt auch die Parole „der vereinigten sozialistischen Staaten von Europa“ dem wachsenden Bedürfnis von Millionen Menschen einen Ausweg zu finden, entgegen.

AktivistInnen in den verschiedenen nationalen Mitgliedsorganisationen des Komitees für eine Arbeiterinternationale, dessen deutsche Sektion die SAV ist, arbeiten mit anderen KämpferInnen nicht nur zusammen, um den Würgegriff des Marktes in ihrem eigenen Land zu beenden, sondern auch, um eine internationale Bewegung zu schaffen, die letztlich den Weg öffnen kann für ein wirkliches Europa der arbeitenden Menschen – ein sozialistisches Europa – das seine Hand der Solidarität dem Rest der Welt entgegenhält.

“Demokratie” der EU:

EUROPÄISCHER RAT

Der Europäische Rat ist die Konferenz der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten, in den Medien kurz „Gipfeltreffen“ genannt. Obwohl nicht einmal formal ein „Organ“ der EU, bestimmt diese Versammlung die entscheidenden Fragen der europäischen Politik.

EU-MINISTERRAT

Der Rat der EU ist das wichtigste gesetzgebende Organ der EU. Der Rat besteht aus den jeweiligen Ministern der EU-Mitgliedsländer. Der allgemeine Rat besteht aus den Außenministern. Wenn es um das Thema Verkehrspolitik geht, treffen sich die Verkehrsminister usw. Der Rat beschließt die europäischen Gesetze in Form von Richtlinien und Verordnungen, er hat grundsätzlich das letzte Wort.

EU-KOMMISSION

Die Europäische Kommission ist das ausführende Organ der EU. Sie hat das alleinige Vorschlagsrecht für Gesetzentwürfe. Sie kann mit Verordnungen geltendes Recht setzen. Die Europäische Kommission soll ferner über die Einhaltung der Verträge und der Gesetze wachen, und sie verwaltet den Großteil des Haushalts der EU.
Die Mitglieder der Kommission sind ausdrücklich an keinerlei Weisungen gebunden.

EUROPA-PARLAMENT

Das Europäische Parlament hat kaum Befugnisse. Es kann keine Gesetze vorlegen oder verabschieden. Es kann bis auf einige Ausnahmen nicht einmal Gesetze des Rates der EU stoppen. Die Abgeordneten des Europäischen Parlaments werden zwar alle fünf Jahre gewählt – wobei Millionen ImmigrantInnen, die in der EU leben, das Wahlrecht vorenthalten wird. Aber die Wählerinnen und Wähler können wählen wie und wen sie wollen, an der Politik und Gesetzgebung der EU ändert sich deshalb noch lange nichts. Die entscheidenden Gremien, die Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs sowie der Rat der EU können vom Parlament weder abgewählt noch in ihrer Zusammensetzung verändert werden. Im Europäischen Parlament darf geredet, aber nicht entschieden werden.
Der Haushalt der EU kann nur zu einem kleinen Teil und in engen Grenzen vom Parlament bestimmt werden. In der Hauptsache hat auch hier der Rat der EU das letzte Wort.