von Sascha Stanicic
Lieber Oskar Lafontaine,
in Deiner Presseerklärung vom 27.2.06 sagst Du: „Es wird zu einer gemeinsamen neuen Linken in ganz Deutschland kommen, unabhängig davon, dass Sektierer der Splittergruppe SAV diese Neugründung zu verhindern versuchen.“ Gleichzeitig forderst Du die Mitglieder der Berliner WASG auf, in der Urabstimmung gegen einen eigenständigen Wahlantritt bei den Abgeordnetenhauswahlen zu votieren.
Die Reaktion vieler Führungskräfte aus Linkspartei.PDS und WASG auf den WASG-Landesparteitag in Berlin ist, die Gefahr des Scheiterns des sogenannten Parteibildungsprozesses an die Wand zu malen und der Berliner WASG zu unterstellen, diese wolle keine Neuformierung der Linken in Deutschland. Diese Behauptung entspricht nicht der Wahrheit.
Die Berliner WASG hat unter anderem durch sehr konkrete Vorschläge für eine Demokratisierung des Neuformierungsprozesses der Linken bewiesen, dass sie diese Neuformierung will und möglichst viele AktivistInnen und Menschen einbeziehen will, die heute noch nicht in der LP.PDS oder WASG organisiert sind.
Die Konsequenzen der Entscheidung der Berliner WASG für den Neuformierungsprozess der Linken hängen nicht zuletzt davon ab, wie die Vorstände und prominenten Persönlichkeiten aus beiden Parteien und aus der Bundestagsfraktion damit umgehen.
Deine und andere Reaktionen aus den Führungen kann man nur als „Öl ins Feuer gießen“ werten. Es ist der Versuch mit Schreckensszenarien eine Ablehnung der eigenständigen Kandidatur in der Urabstimmung zu erreichen statt mit sachlichen Argumenten zu reagieren.
Haltung der SAV
Ich habe Dich schon nach Deinem Auftritt bei der Veranstaltung des WASG-Bundesvorstands in Berlin darauf hingewiesen, dass Deine Aussagen zur SAV nicht der Wahrheit entsprechen. Daraufhin sagtest Du, Du wüsstest tatsächlich nicht viel über die SAV. Nun erweckst Du in Deiner Presseerklärung den Eindruck, auf dem Berliner Landesparteitag der WASG hätten nur oder vor allem SAV-Mitglieder die Entscheidung für den eigenständigen Antritt getroffen. Dies lässt auf mangelnde Kenntnis der Berliner Verhältnisse und/oder mangelnden Respekt vor den Berliner WASG-Mitgliedern schließen. Von den über 140 Delegierten des Landesparteitags waren 12 Mitglieder der SAV. Der Grund für das Votum des Parteitags war keine Dominanz der SAV, sondern unter anderem die Tatsache, dass ein sehr großer Teil der Mitglieder direkt betroffen ist von den Angriffen des Berliner Senats: ob als Erwerbslose, Beschäftigte des öffentlichen Dienstes oder MieterInnen privatisierter Wohnungen. Diese Menschen haben am eigenen Leibe erfahren, dass die Politik der Berliner Linkspartei.PDS nicht sozial ist und haben aus dieser Erfahrung heraus für einen eigenen Antritt bei den Abgeordnetenhauswahlen gestimmt.
Aber auch Deine Behauptung, die SAV versuche die Neugründung einer linken Partei zu verhindern, entspricht nicht der Wahrheit.
Die Sozialistische Alternative tritt seit einigen Jahren für die Bildung einer starken Partei für ArbeitnehmerInnen, Erwerbslose, Jugendliche und RentnerInnen ein. Wir haben uns von Beginn an am Aufbau der WASG beteiligt und befürworten das Projekt einer Neuformierung der Linken in der Bundesrepublik.
Gleichzeitig treten wir dafür ein, dass eine neue Partei der Linken tatsächlich linke Politik betreibt. Das bedeutet als Mindestbedingung keine Beteiligung an Sozialabbau, Privatisierungen, Lohnkürzungen und Arbeitsplatzvernichtung, egal ob im Bund, im Land oder in der Kommune. Wir unterstützen damit die Position des WASG-Grundsatzprogramms, das Regierungsbeteiligungen nur für solche Fälle vorsieht, in denen dies zu einem Politikwechsel in Richtung der WASG-Grundsätze führt.
Die SAV treibt den Neuformierungsprozess dort mit voran, wo dies auf einer linken politischen Basis möglich ist. So hat Claus Ludwig, SAV-Mitglied im Rat der Stadt Köln für ein kommunales Wahlbündnis, eine gemeinsame Ratsfraktion mit der LP.PDS-Gruppe gebildet und kandidieren SAV-Mitglieder auf den gemeinsamen Listen zu den Kommunalwahlen in Hessen.
WASG-Kandidatur
Um die Haltung der Berliner WASG nachvollziehen zu können, muss man die Tragweite der Senatspolitik verstehen. Es geht hier nicht um eine Gebührenerhöhung dort und die Kürzung von ein paar Fördermitteln da (was auch nicht zu unterstützen wäre). In Berlin hat es in den letzten vier Jahren eine Welle von Sozialabbau, Privatisierungen, Lohnkürzungen gegeben von der hunderttausende Beschäftigte, Erwerbslose, MieterInnen, Jugendliche massiv betroffen sind.
Berlin ist die Hauptstadt der Armut und die Linkspartei.PDS regiert und verwaltet diese Armut statt sie effektiv zu bekämpfen. Die Berliner WASG will ja nicht eigenständig kandidieren, weil ihr das besonders viel Spaß macht. Wir sehen uns gezwungen, eigenständig anzutreten! Denn es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Berliner LP.PDS einen politischen Kurswechsel hin zu sozialer Politik vollziehen wird.
Durch eine Unterstützung der Linkspartei.PDS in Berlin würden wir die WählerInnen in Berlin verraten. Denn wir sind angetreten, um auf allen Ebenen den Sozialkahlschlag und die Privatisierungspolitik zu bekämpfen und für die Rechte der Lohnabhängigen zu streiten. In Berlin muss man das nun einmal gegen die derzeitige LP.PDS-Politik tun. Dies auf dem Altar abstrakter linker Einheit zu opfern wäre Verrat! Was hat denn der Ein-Euro-Jobber davon, wenn er von einer Regierung unter Beteiligung einer linken Einheitspartei ausgebeutet wird?
Hinzu kommt, dass die Beteiligung der LP.PDS am Senat den Widerstand gegen diese unsoziale Politik erschwert und schwächt. Die Wut und Enttäuschung über die LP.PDS ist deshalb gerade bei vielen AktivistInnen sozialer Bewegungen und der Gewerkschaften besonders hoch. Es ist auch kein Zufall, dass die WASG in Meinungsumfragen in Ost-Berlin ein besseres Ergebnis erzielt als in West-Berlin.
Ganz abgesehen davon bin ich nicht das einzige WASG-Mitglied, das im Bundestagswahlkampf die Meinung zu hören bekam: diesmal wähle ich Euch zusammen mit der PDS, weil Bundestagswahlen sind, aber bei den Berliner Wahlen werde ich das nicht tun
Drei Fragen
Wir haben Deinen Aufruf, eine antikapitalistische Partei aufzubauen und Deine klaren Worte gegen Privatisierungen und Neoliberalismus begrüßt ( siehe dazu www.archiv.sozialismus.info ). Deine Ausführungen auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz könnten eine Basis für das Zusammenkommen von WASG und Linkspartei.PDS sein. Das sage ich, obwohl ich mit vielen der von Dir geäußerten Ideen über die Möglichkeit einer Regulierung der kapitalistischen Wirtschaft nicht übereinstimme.
Ich sehe in verschiedenen Deiner Äußerungen aber Widersprüche, die Du bisher nicht aufgelöst hast. So schreibst Du in Deinem Brief an die Berliner WASG-Mitglieder: „Ein getrennter Wahlantritt von WASG und Linkspartei macht die Privatisierung der BVG, der BSR und der großen Krankenhäuser Berlins, die die Linkspartei bisher verhindert hat, wahrscheinlicher.“
Das kommt einer Aussage für die Fortsetzung des SPD/PDS-Senats gleich und entspricht Deiner Argumentation für eine „Politik des kleineren Übels“ bei der Veranstaltung des WASG-Bundesvorstands in Berlin am 20. Februar und Deinen Äußerungen zur Unterstützung des Berliner Senats vom November letzten Jahres.
Ich will Dir in diesem Zusammenhang drei Fragen stellen:
1. Warum war es richtig mit der Mogelpackung Rot-Grün auf Bundesebene Schluss zu machen und dabei das Risiko einer CDU/CSU-FDP-Regierung einzugehen und warum soll es in Berlin falsch sein, mit der Mogelpackung „Rot-Rot“ Schluss zu machen?
2. Zu wieviel Sozialabbau und Privatisierungen bist Du bereit, wenn andere Parteien erklären, sie würden es noch schlimmer machen, könnten sie die Regierung bilden?
3. Bist Du mit uns der Meinung, dass außerparlamentarischer Widerstand und die Selbstorganisation der abhängig Beschäftigten und Erwerbslosen für die Neue Linke entscheidend sind und eine Beteiligung an Sozialabbau betreibenden Landesregierungen dem schadet?
Aufforderung zur Debatte
Ich fordere Dich deshalb zu einer öffentlichen Debatte über diese Fragen und die Zukunft der Linken auf und lade Dich zu einer Podiumsdiskussion zum Thema „Neuformierung der Linken, Wahl in Berlin und Aufgaben für den Widerstand“. Diese findet am 15.4. (Ostersamstag) im Rahmen der Sozialismustage in Berlin statt.
Sollte Dir dieser Termin nicht möglich sein, richte ich mich gerne bei der Terminfindung nach Dir.
Mit sozialistischen Grüßen
Sascha Stanicic (SAV-Bundessprecher)